§ 35. Recht und Staat im hohen und späten Mittelalter

(H. v. Fichtenau)

Das Interesse für die Interpretation des Sachsenspiegels, das im Zusammenhang mit der Ausgabe der großen deutschen Rechtsbücher steht, zeigen zwei Arbeiten von W. Schlichting und v. Voltelini. W. Schlichting < 2035>


S.391

unterzieht die Stellen des Sachsenspiegels über die Schöffenbarfreien einer neuen Prüfung und gelangt zu dem Ergebnis, daß die niederen Schöffenbarfreien nicht mit denen des fünften Heerschildes gleichzusetzen sind, sondern eine größere Gruppe darstellen, die belehnte und unbelehnte Ritterbürtige und Bauern in gleicher Weise umfaßt; diese bäuerlichen Schöffenbarfreien lassen sich aus dem Ssp. nur indirekt erweisen, finden sich aber in den Zeugenreihen der Urkunden und in den Ständenamen. Die Schöffenbarfreien sind nach den Darlegungen des Verf. Inhaber alten karolingischen Freigutes, das sie neben dem Hantgemal besitzen. Dieses selbst ist nicht mit dem Gut, in dem die öffentliche Gerichtsstätte liegt, gleichzusetzen, wohl aber mit dem Stammsitz, der zugleich Sitz des Sippen- und Geschlechtsgerichtes war. Zur Zeit des Aufstrebens der Unfreien, als man auf der Suche nach neuen Kriterien des Freienstandes war, verfiel man auf das Schöffenamt, um die alte Freiheit zu retten; daraus erkläre sich, warum von Schöffenbarfreien als Standesbegriff vor der Zeit des Ssp. kaum die Rede ist und dieser Stand auch bald nachher wieder verschwindet. --Voltelini < 2040> macht eine Stelle des Ssp., die von der Freiheit handelt, zum Ausgangspunkt einer Studie über die Freiheit in den deutschen Rechtsbüchern, verfolgt ihre Wirkungen auf die späteren Rechtsbücher bis zur Reformatio Sigismundi und gibt einen allgemeinen Überblick über den Gedanken von der Freiheit des Menschen im antiken und im mittelalterlich-kirchlichen Naturrecht. -- Das wachsende Standesbewußtsein der Freien, das in dieser Stelle des Ssp. seinen Ausdruck fand, hat auch Th. Mayer < 2034> hervorgehoben, dessen bedeutsame Untersuchung über die Entstehung des »modernen« Staates und die freien Bauern gleichzeitig zu einer Reihe von Arbeiten hinüberführt, die der Sozialgeschichte und dem ständischen Aufbau des deutschen Volkes gewidmet sind. Mayer macht auf die verschiedene soziale Gruppierung des Alt- und des Neusiedellandes aufmerksam, wo zuerst der Übergang des mittelalterlichen Personenverbandsstaates zum modernen Flächenstaat erfolgen konnte, weil hier keine alte ständische Gliederung die Entwicklung erschwerte. Von hier aus ist auch das Problem der »freien« Bauern anzupacken; denn das »freie Eigen« war Rodungsgut, sein Vorhandensein sagt freilich nichts über die Standesqualität des Besitzers aus. Der Begriff »frei« läßt sich überhaupt nicht eindeutig fassen und muß für jeden einzelnen Fall neu festgestellt werden, doch kann man sagen, daß der Großteil der »freien« Bauern aus Rodungsfreien hervorging. Ob der Staat es vermochte, diese Freien einzubauen, oder ob sie wie die freien Gemeinden der Schweiz selbst die Träger der Staatlichkeit wurden, hing wieder von den politischen Gegebenheiten in jedem einzelnen Falle ab. -- E. F. Otto < 1883> sucht in seinem Buche über »Adel und Freiheit im deutschen Staat des frühen Mittelalters« das Fortbestehen eines niederen Adels von der Zeit der Landnahme, wo er durch die Gesamtheit des erobernden Stammes gebildet wurde, bis ins hohe Mittelalter herauf nachzuweisen. Diesem Adel tritt der Stand der Freien gegenüber, der eigentlich ein Stand der »Geschützten« und Minderfreien ist, aber durch das karolingische Prinzip der Gemeinfreiheit als Staatsgrundlage den Adel der verschiedenen deutschen Stämme bedroht, bis ein Rückschlag seit dem Ende des 9. Jh.'s wieder das Adelsrecht, wenn auch jetzt als Sonderrecht eines Volksteiles, zur Geltung bringt. Die Trennung zwischen höherer und niederer Ministerialität, die aus den Quellen des hohen Mittelalters erkennbar wird, verlegt Otto zurück bis in die Anfänge dieser Institution und scheidet danach eine hörige Ministerialität und eine adelige, in der der alte niedere Adel weiterlebt.

S.392

Das Buch Ottos ist nicht unwidersprochen geblieben. Hebt in seiner Besprechung v. Voltelini (Zs. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 58, S. 879) hervor, daß Otto, statt vom germanischen Adel auszugehen, die nobiles allein als die Nachfolger der alten Sachsen ansieht, die doch zur Zeit der Landnahme gar keinen einheitlichen Stamm bildeten, so wendet sich v. Schwerin (HZ. 158, S. 351 ff.) gegen die Gleichsetzung von »frei« und »geschützt« im Sinne der Unterworfenheit unter einen Herrn, sowie gegen Ottos Konstruktion eines Erobereradels auch bei den Franken und seine Überleitung in das Antrustionat. (Vgl. D. v. Gladiß, Dt. Archiv, Bd. 2. 1938, S. 172--189.) Endlich hat U. Stutz < 1884> in einer Abhandlung »Zum Ursprung und Wesen des niederen Adels« zu den Arbeiten von V. Ernst und seiner Lehre von der Entwicklung der Meier und Ritter aus den germanischen Sippenhäuptern, aber auch zu dem Buche Ottos Stellung genommen, wobei er dessen zu geringe Würdigung der Unfreiheitsmerkmale des Ministerialenadels und die Gewalt der sozialen und wirtschaftlichen Verschiebungen hervorhebt, aus denen die Ministerialität hervorgegangen ist. Auch zu einem zweiten Problem, das jüngst wieder aufgerollt wurde, hat Stutz noch vor seinem Tode Stellung genommen und durch seine Untersuchung zur Herkunft von Zwing und Bann aufs neue erwiesen, wie schmerzlich der Verlust dieses hervorragenden Gelehrten für die Rechtsgeschichte ist. Stutz < 2037> gibt einen vollständigen Überblick über das Schrifttum und weist einen neuen Weg zur Lösung der Frage, den eine Betrachtung der rechtlichen Natur des Pfarrbannes zu bieten scheint. So wie dieser, der genau den übrigen Bannrechten des Grundherrn entspricht, vom Bischof verliehen wird, so dürfte auch auf der weltlichen Seite zu der grundherrschaftlichen, der markgenossenschaftlichen Wurzel und jener aus der Vogtei noch eine Mitwirkung der Obrigkeit hinzukommen, die in der Verleihung des Bannes durch einen staatlichen Amtsträger zu suchen wäre -- freilich nur in jenen Fällen, in denen nicht einfache Usurpation durch die Grundherrschaft vorliegt. Damit kehrt Stutz zu dem Themenkreis zurück, den schon seine Untersuchungen über das Habsburger Urbar gezogen haben. -- Diese letztgenannte Arbeit benützt K. S. Bader < 2036> als Musterbeispiel für seine Auseinandersetzung mit dem Buche Wießners über Zwing und Bann, indem er auf die Einseitigkeit verweist, die in der Beschränkung dieses Autors auf das Material der Weistümer und vor allem die Grimmsche Sammlung liegt. So konnte es zu der Ansicht von der Ableitung von Zwing und Bann aus der Gerichtsgewalt kommen, während Bader ihn als Recht, im Dorfe zu gebieten und zu verbieten definiert und damit im Sinne V. Ernsts die beiden Begriffe als die Gesamtheit der dörflichen Rechte, mit anderen Worten als die Dorfherrschaft auffaßt. -- Einen willkommenen Überblick über Stand und Aufgaben der Weistumsforschung bietet W. Andreas < 2014>, wobei er von den oberrheinischen Weistümern ausgeht, an deren Sammlung und Veröffentlichung er selbst mit seinen Schülern arbeitet; aus dem Material ergibt sich, daß der größte Teil zwar durch Aufforderung zur Rechtsweisung von seiten der Grundherrschaft entstanden ist, daß aber daneben auch die selbständige bäuerliche Rechtsweisung steht. Für die Weistumsforschung in den einzelnen deutschen Territorien stellt der Verf. Richtlinien auf, die der herrschenden Zersplitterung und der isolierten Betrachtung ohne Heranziehung anderer Rechtsquellen steuern sollen.

Mit den Rändern des deutschen Sprachgebietes und dem dort geltenden Privatrecht beschäftigt sich eine Reihe von Arbeiten, wobei besonders der deutsche Norden im Vordergrund steht. -- G. Carstens < 1885> gibt einen kurzen Abriß der


S.393

Geschichte des nordfriesischen Adels und geht der Geschichte der einzelnen Geschlechter nach, soweit sie innerhalb von Nordfriesland den Adelsrang erwarben. Die Quellen, die erst für das 15. Jh. reichlicher fließen, zeigen für diese Zeit einen starken Zustrom aus dem Bauernstand, der durch das gleichzeitige Aufkommen des Briefadels begünstigt wird. Nach einer Blüte in der zweiten Hälfte des 16. Jh.'s trat rasch ein vollständiger Niedergang ein, der durch die werdenden Landesherren und die Verluste in Kriegen, besonders in dem gegen die Dithmarschen, herbeigeführt wurde. -- H. Tägert < 2070> widmet dem Familienerbe in Friesland eine Studie, wobei er besonders das Ehegüterrecht der Nordfriesen in den Vordergrund rückt, denen die Wissenschaft ja bisher überhaupt etwas weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat, als ihren Stammesgenossen am südlichen Rande der Nordsee. Die nordfriesischen Quellen zeigen eine Aufspaltung der altgermanischen Hausgemeinschaft zu einer Kopfteilgemeinschaft der Eltern mit den Kindern, die der Verfasser auch aus dem altdänischen Güterrecht nachweist; hier ist sie aber durch das Jütsche Low -- eine dem Sachsenspiegel vergleichbare Arbeit, die in formal-konstruktiver Weise auf verschiedenen Gebieten neues Recht schafft -- seit dem Jahre 1241 verdrängt worden. Sein Verf., als den wir wohl hauptsächlich den Bischof Gunner von Viborg ansehen dürfen, lehnt unter westlichem Einfluß die Hausgutanteile der Kinder zu Lebzeiten der Eltern ausdrücklich ab. Das südfriesische Recht kennt überhaupt keine Kopfteilgemeinschaft, und die These J. v. Fickers von einer hier herrschenden Hausgemeinschaft zu festen Bruchteilen (bes. Drittelsgemeinschaft) zwischen Eltern und Kindern wird abgelehnt. Die nordfriesische Kopfteilgemeinschaft an Fahrnis und Kaufland geht auf dänisch-schleswigischen Einfluß zurück, ohne daß ein Einfluß der augustinischen Lehre von der Vergabung eines Freiteiles an die Kirche bei ihrer Ausbildung maßgebend gewesen wäre. -- R. His < 2067> behandelt den sog. Brokmerbrief, eine umfassende Kodifikation des gesamten Rechtsstoffes des ostfriesischen Brokmerlandes, deren abschließende Fassung spätestens 1345 zustande gekommen ist, und zieht zur Klarlegung der Bußsätze zwei Verträge des Brokmerlandes mit dem benachbarten Emsgau heran. Er weist eine gemeinsame Urquelle des Brokmerbriefes mit einer anderen ostfriesischen Quelle, dem Emsgauer Pfennigschuldbuch, nach, die zwischen 1200 und 1250 entstanden sein muß. In Verbesserung der Ausführungen Jaekels bespricht His schließlich Überlieferung und Inhalt des Hunsegauer, Emsgauer und der gemeinfriesischen Bußtaxen. -- Daß das sächsische eheliche Güterrecht und Familienerbrecht in Schlesien bis in das 19. Jh. hinein nicht das Recht der fränkischen und flämischen Kolonisten zu verdrängen vermochte, führt Th. Goerlitz < 2078> in einem Aufsatz aus, in dem er den Besonderheiten dieser beiden Rechte nachgeht und ihre Scheidung voneinander betont, aber den Einfluß lübischen Rechtes und seine Bezeichnung als flämisches für möglich hält. Der Abdruck eines unbekannten Magdeburger Schöffenbriefes von etwa 1363 und zahlreicher anderer Quellenstellen ergänzt die Darlegungen des Verfassers. -- W. van Iterson < 2032> setzt seine Studien zur Frage der Vogtei über Frauen aus den niederländischen Quellen fort und kommt nach Heranziehung eines ausgebreiteten, meist ungedruckten Materials zu dem Schluß, daß die volljährige, unverheiratete Frau keinen festen Vogt nötig hatte, sondern nur bei Erscheinen vor Gericht fallweise ein zu diesem Zwecke bestellter Vogt aufscheint. In Groningen-Stadt und Zeeland südwärts der Osterschelde war dieses Auftreten des Vogtes nur auf gerichtliche Streitsachen beschränkt, während in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also vor allem bei Übereignung

S.394

von liegendem Gut, die Frau selbst handlungsfähig war. Die gleichen Bestimmungen kennt der Sachsenspiegel, doch wirkt hier daneben das frühere sächsische Recht nach, demzufolge jede Frau einen festen Vogt haben sollte.

Um die Vogtei über eine Frau handelte es sich auch in dem Streit um das Erbe der jüngeren Linie der Grafen von Kiburg, dessen rechtliche Gründe U. Stutz < 2030> durch einen Hinweis auf die Grundlagen der Doppelvormundschaft über die Erbin Anna von Kiburg zu klären versucht: Nach schwäbischem Recht war Graf Hugo von Werdenberg und Rudolf von Habsburg ihr Vormund, nach burgundischem konnte es die Mutter sein zu einer Zeit, in der das Personalitätsprinzip dem territorialen Recht zu weichen begann. Durch bewaffnetes Eingreifen hat Rudolf von Habsburg die Vogtei der Gräfin Elisabeth von Kiburg zunichte gemacht und damit auch die Pläne Peters II. von Savoyen, der sich ihrer bediente.

Befassen sich diese Arbeiten mit dem lebendigen Recht, so sind die folgenden Aufsätze seinen Überresten gewidmet. H. Hungerland < 2013> bespricht die Mißdeutungen, denen viele städtische Rechtsaltertümer dadurch ausgesetzt waren, daß sie in späteren Jahrhunderten als Stadtwahrzeichen betrachtet wurden und als solche von wandernden Handwerksburschen als Beweis für ihren Aufenthalt in der Stadt aufgezählt und gekennzeichnet werden mußten. So wurde in Osnabrück ein Relief, das die Bestrafung eines säumigen Schuldners darstellte, als das des Teufels und seiner Großmutter gedeutet. -- Über zwei Danziger Rechtssymbole berichtet A. Methner < 2060>: Die Übereignung eines Grundstückes an den Gläubiger unter den »Türsymbolen« von Nagel und Ring, wobei zur Sicherung der Übertragung das Symbol der Aussteckung des Strohwisches gebraucht wurde, die dann später sogar zur Voraussetzung der Rechtshandlung geworden ist. -- Mit dem Buche von Th. Goerlitz »Der Ursprung und die Bedeutung der Rolandsbilder« <1933/34, S. 404> setzen sich E. Wadstein < 2038> und H. Meyer < 2012> auseinander. Ersterer bringt eine Liste von Fällen, in denen trotz den Einwendungen von Goerlitz Beziehungen der Rolandsbilder zur Rechtspflege zu erkennen sind, und leitet das Wort Roland zwar wie Meyer von einer Bezeichnung der Gerichtsstätte ab, aber nicht als »rotes Land«, sondern als »Rodeland«. Meyer selbst nimmt zu dieser Ansicht und Goerlitz' Anschauung, daß es sich um Bilder des Paladins Roland handle, im Sinne seiner früheren Arbeiten Stellung. -- Der zweite Teil des Abdruckes der Dissertation von L. Leiß < 2015> über »bayerische Familiennamen und Rechtsgeschichte« schließt die Aufzählung und rechtshistorische Kommentierung dieser Namen ab, wobei auch dem »Maier« und seinen Zusammensetzungen ein Kapitel gewidmet ist.

Über urkundliche Grundlagen der Rechtsgeschichte handelt D. v. Gladiß < 2025>, der darlegt, daß von den Diplomen, die Schenkungen der deutschen Könige zu privatem Eigen betreffen, ein Gutteil durch die mangelhafte Sorge der Aufbewahrung, auch in geistlichen Archiven, verlorengegangen ist, daß aber trotzdem seit Heinrich III. ein völliger Wandel in der salischen Schenkungspolitik festgestellt werden kann, die jetzt erst Weltliche, vom Herzog bis hinab zum Ministerialen, in höherem Ausmaß berücksichtigt. Hatten die fränkischen Könige anfangs freies Verfügungsrecht und Erblichkeit in einigen Fällen ausdrücklich betont, in anderen durch die Nichterwähnung wahrscheinlich ausgeschlossen, so waren sie bereits zu Lothars I. Zeiten nicht mehr in der Lage, einen Anspruch auf Heimfall dieser letzteren Schenkungen durchzusetzen; der Rückfall von geschenktem Gut an den König ist freilich auch für die frühere Zeit an keinem praktischen Fall zu erweisen. --


S.395

G. Sprenger < 2029> bietet in seiner Breslauer Dissertation eine Zusammenstellung gedruckter Diplome des hohen und späten Mittelalters, in denen Immunität und Königsschutz verliehen wird, und geht unter fortwährendem Verweis auf E. Stengels »Immunität« die einzelnen Urkundenteile durch, ohne zu neuen Resultaten zu gelangen. Sachliche Unrichtigkeiten, besonders über das Kanzleidiktat und die Benutzung von Formelsammlungen, hätten sich durch Studium der betreffenden Arbeiten von W. Erben, H. Hirsch und H. Zatschek berichtigen lassen. -- Die Arbeiten an der vollständigen Durcharbeitung des reichen Materials aus dem Kölner Schreinswesen nehmen ihren erwünschten Fortgang. Nach den Amtleutebüchern der Kölner Sondergemeinden <1936, S. 370> hat H. Planitz zusammen mit Th. Buyken < 2099> in einem umfangreichen Band die Kölner Schreinsbücher des 13. und 14. Jh.'s der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aus dem Material, das schon für diesen Zeitraum etwa 150_000 Eintragungen umfaßt, konnte naturgemäß bloß eine Auswahl geboten werden, die aber alles in verschiedener Hinsicht Bedeutsame umfaßt. Der Vollabdruck begrenzter Teile einzelner Schreinsbücher gibt eine Übersicht über die Entwicklungsstufen des Schreinswesens, andererseits gewährt eine Auswahl der wichtigsten Eintragungen aus den verschiedenen Schreinen der Sondergemeinden und deren Büchern für besondere Zwecke (Verpfändungsbücher, Arrestbücher usw.) einen ausgezeichneten Einblick in das Leben des Kölner Bürgertums dieser Jahrhunderte. Freilich kann auch für die Zeit, als die Schreinseintragungen schon den Rang öffentlicher Urkunden hatten, aus ihnen kein geschlossener Überblick über den Immobiliarverkehr gewonnen werden, da dieser daneben auch in Privaturkunden der siegelfähigen Personen seinen Niederschlag gefunden hat.

Mit einer literarischen Rechtsquelle, der Nikolsburger (jetzt Berliner) Hs. der Kapitulariensammlung des Ansegis, beschäftigt sich K. Christ < 2042>, deren Einordnung in die Überlieferung dem Verf. Gelegenheit zur Besprechung verwandter Exemplare und zur Aufstellung einer neuen Liste der gesamten Ansegishandschriften bietet. Von besonderem Interesse ist auch die Voruntersuchung, die der Geschichte der fürstlich Dietrichsteinschen Schloßbibliothek zu Nikolsburg gilt, deren Schicksale denen so mancher anderer deutscher Privatbibliotheken gleichen. -- R. Stanka < 2041> widmet der Summa des Berthold von Freiburg eine Untersuchung, in der er die alphabetisch gereihten Quaestionen dieses deutschen »Laienkatechismus zur Orientierung über geistliche Dinge« nach dem Sachprinzip wiedergibt, teilweise unter Beibehaltung des ursprünglichen Wortlautes, und in einem Anhang auf die entsprechenden Stellen der Summa des Johannes von Freiburg verweist, aus der Berthold sein Werk fast völlig geschöpft hat. -- Die bisher nur unvollständig gedruckten privatrechtlichen Traktate Bernhard Walthers hat M. Rintelen < 2048> neu herausgegeben und das Wirken dieses bedeutendsten österreichischen Juristen der Rezeptionszeit beleuchtet, der, geschult am römischen Recht, doch das heimische Recht für die Praxis festgehalten hat. Dabei zeigt sich, daß dieses in Österreich besser als man meinen möchte dem fremden Recht widerstanden hat und eine Ausgestaltung erfuhr, die es den Lebensverhältnissen der frühen Neuzeit anpaßte. So werden die Traktate, die ja später fast Gesetzeskraft erlangten, zu einer Quelle ersten Ranges, besonders für das Rechtsleben in den grundherrschaftlichen Bezirken. Eine Übersicht über Leben und Werke Walthers und den Anteil Ludwig Kirchbergers an den Traktaten, Wort- und Sachregister sowie zahlreiche Hinweise auf entsprechende Stellen in den Werken der Postglossatoren


S.396

werden die Ausgabe zu einem wichtigen Behelf der Rechtshistoriker beider Fakultäten für die Erforschung der deutschösterreichischen Rechtsgeschichte machen.

Zuletzt sind noch zwei Arbeiten zu besprechen, die schon in die Geschichte der Staatsanschauungen hinübergreifen: L. Manz < 1879> stellt sich in einer Studie über den Ordo-Gedanken die Aufgabe, »die geistige Gebildekraft innerhalb dieses Rahmens (der mittelalterlichen Weltanschauung)« zu untersuchen, kommt aber nur in Anlehnung an die Literatur zu dem Schluß, daß das Wort »ordo« für die verschiedensten konkreten Einheiten und sozialen Gruppierungen verwendet worden ist. -- Dem Titel »Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation« widmet A. Diehl < 2011> einen Aufsatz, in dem er anhand neuen Quellenmaterials untersucht, wie weit die Entwicklung dieses Sprachgebrauches dem Heraufkommen eines neuen, nationalen Reichsgedankens entspricht. Der Zusatz »Deutscher Nation«, in dem dieser seine endgültige Ausprägung findet, ist der Abschluß einer langen Entwicklung, die einerseits von der Wendung »und deutschen Landen« ausgeht, andererseits von dem Begriff der »natio Germanica«, der in seiner Bedeutung als Volksname unabhängig von dem Sprachgebrauch der Konzilien schon im Jahre 1416 bezeugt ist. Bedeutete das »Reich deutscher Nation« in der Kanzlei Karls V. jenen Reichsteil, in dem der Erzbischof von Mainz Kanzler war, so wurde doch bald das Schwergewicht auf den Besitz des Gesamtreiches durch die Deutschen gelegt, wodurch sich eine weitere, die außerdeutschen Teile umfassende Geltung des Titels ergab; eine Entwicklung, der die steigende Bedeutung des Begriffes der natio Germanica im völkisch-politischen Sinne zugute kam.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)