a) Allgemeines.

Während die Losung volksdeutsch die politischen Grenzen des Reiches sprengt, taucht der Plan einer volksdeutschen evangelischen Kirchengeschichte auf. Denn gerade die Bedeutung des protestantischen Glaubens für das Auslanddeutschtum wird für Vergangenheit und Gegenwart anerkannt. Davon zeugen nicht bloß die bodenständigen Zeitungen und Zeitschriften mit ihren vielen Stimmungsbildern und ihrer historischen Kleinarbeit, sondern vor allem in Deutschland selbst Zeitschriften wie Die Evangelische Diaspora (mit Beiheften seit 1919) oder das seit 1932 erscheinende Jahrbuch Auslanddeutschtum und evangelische Kirche und die Länderartikel des Handwörterbuches des Grenz- und Auslanddeutschtums < 1534>. Der Abriß einer solchen Geschichte, den E. Schubert vorlegt, ist nur ein Versuch, der die wichtigsten Vorgänge stichwortartig in die Erinnerung zurückruft < 2456>. Weiter dagegen greift L. Petrys Vortrag, der die Bedeutung der Reformation für die deutsche Ostfront untersucht und damit H. Schöfflers, Kl. Pleyers und H. Kochs Arbeiten fortführt < 2459>. Die Grundfrage ist: Ausweitung des deutschen Volkskörpers oder nationaler Aufstieg der slawischen Völker, wenn auch in kultureller Abhängigkeit von Deutschland. In der Buntheit der geschichtlichen Vorgänge hebt sich zweierlei als gemeinsames Geschehen heraus: Im Osten bildet die Reformation ein gesamtdeutsches Erlebnis und wird ein Grundpfeiler des völkischen Zusammenschlusses, während die Gegenreformation ausgesprochen antideutsch wirkt. Gerade dieses Ergebnis bestätigt wieder einmal das oft ausgesprochene Urteil, daß Luther das ganze deutsche Volk fortreißt, weil er der Sprecher der deutschen Seele ist. Dies will auch H. Leube zeigen < 2458>. Er weist nach, daß die Reformation auf Luther zurückgeht, dem nicht der französische Humanist Faber Stapulensis und die Oxford Reformers vorangestellt werden dürfen. Aber im Übergreifen seiner Ideen auf Frankreich und England erfahren sie innere Wandlungen, und das gegenwärtige Bestreben englischer und französischer Protestanten, ihre eigenen Kirchen vom Werk Luthers abzugrenzen, ist geschichtlich gut begründet. Ein Beweis für das völkische Sondererlebnis universaler Taten. Es ist wirklich kein Zufall, daß sich bis zur Französischen Revolution hier nur eine negative Geschichte der französischen Lutherauffassung schreiben läßt, wie auch H. Leube zeigt < 2474>. Damit ist zugleich die geschichtliche Illusion zerstört, die von dem französischen


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Ultramontanismus geschaffen wurde, daß die Französische Revolution die Vollendung der Reformation für sich in Anspruch genommen hätte. -- Auch in den allgemeingeschichtlichen Darstellungen von R. Stadelmann < 891>, R. Huch < 890> und in dem stark historischen Roman Reich und Rom von Beumelburg überwiegt Luthers Deutung von den national-völkischen Werten her. St. sieht in dem Werk Luthers die Ablösung der Führerschaft der italienischen Renaissance, ohne daß freilich eine völkische Kultur auf breiter Grundlage geschaffen wurde. Er glaubt auch, daß die konfessionelle Spaltung die Ansätze zu der gesamtdeutschen Entwicklung verkümmern ließ. So wichtig solche Urteile als geschichtliche Feststellungen sind, so unrecht würden sie als Anklagen sein. Wo Anfang ist, da darf man nicht bereits das Ziel suchen. Wo noch Aufgaben blieben, da wirkten aber schon die von Luther geweckten Kräfte zu ihrer Lösung. Übrigens St. ist überzeugt, daß das ganze deutsche Volk Träger des Reformationswerkes war, nicht bloß eine Klasse oder ein Stand. Ebenso erkennt er an, daß allein die mächtigen Territorialfürsten der Gegenreformation erfolgreich begegnen konnten. Was Rettung brachte, war zunächst die Auflösung der Reichsidee. Die Geschichte führt auf Umwegen zum Ziel. Bei R. Huch überwiegen die Schilderungen. Darin ist diese Schriftstellerin Meisterin. St. und H. bemühen sich um die Deutung von Luthers religiöser Haltung. Dabei hat St. Luthers Glaube streng von der moralistisch-idealistischen Denkweise geschieden, H. hat fein seinen Kampf gegen den Rationalismus beobachtet, obwohl L. doch zur Entstehung der wissenschaftlichen Theologie und Kritik beitrug. Aber sie übertreibt das Paradoxe und Chaotische in seinem Wesen.


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