c) Lutherliteratur.

E. Seeberg legt unter dem Titel »Christus, Idee und Wirklichkeit« den 2. Bd. seiner Theologie L.'s vor (Stuttgart, Kohlhammer). Seine Methode ist nicht die systematische, die Th. Harnack und R. Seeberg wählten, sondern die literarhistorische. Trotzdem entsteht das Bild unbedingter Geschlossenheit des Christusbildes L.'s, wenn auch einmal dieser oder jener Gedanke bevorzugt wird. Die Methode, die sonst der Entwicklung und Scheidung dient, führt hier zur Ausrichtung des ganzen theologischen Stoffes auf den tragenden Grund des Christusglaubens hin. Dadurch berührt der Inhalt im Hinblick auf die gegenwärtige religiöse Lage Deutschlands den Leser so unmittelbar. Die Einheit zwischen Leben und Wissenschaft ist hergestellt, aber gewiß nicht auf Kosten der Geschichte. Der


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Titel des Werkes entspricht den beiden Hauptlinien. Christus zeigt nicht nur, sondern er gibt, und was in Christus geschieht, geschieht auch an uns, und damit offenbart sein Schicksal den Sinn des Lebens des einzelnen und der Gesamtheit. -- Dagegen verläßt Deutelmoser den Boden geschichtlicher Wirklichkeit < 2468>. Er ist von dem Glauben des Reiches beherrscht, in dem Innerlichkeit und Macht miteinander verbunden sind. Für diesen Glauben konstruiert er eine Entwicklungslinie, die bei Eckhart anhebt und über Luther, Boehme u. a. bis zu Hegel und Nietzsche führt. Es ist der Glaube an die wesenhafte Einheit zwischen Gott und allen Dingen der Welt. Aus diesem Glauben ist L.'s Staatsauffassung abgeleitet, die auf den Machtstaat hinausläuft. So wird vom Pantheismus her der »wirkliche« L. gedeutet. Wo aber ein Christ die Dinge dieser Welt bejaht, handelt er nach D.'s Ansicht unchristlich bzw. bestimmen nichtchristliche Motive seinen Willen. Darin liegt die ideologische Unhaltbarkeit dieser These. Und dann: ergibt sich wirklich aus der Vorstellung von der Alleinwirksamkeit Gottes notwendig die Alleinheit der Welt, kann wirklich die Anerkennung der Ordnungen dieser Welt nur vom Pantheismus her erfolgen, hat nicht L. selbst eine ganz andere Begründung, die recht einleuchtend ist? Man lese demgegenüber drei Arbeiten, die zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Heckel zeigt das personenhafte Rechtsdenken des jungen L. als Wirkung germanischen Rechtsgefühls, spricht in seinen Beobachtungen über den Dualismus zwischen Regnum Christi und Welt (nicht etwa Staat und Kirche) und schildert die Neugründung der Obrigkeit, der »so viel an ethischer und religiöser Legitimierung mitgegeben wird, daß sie Großes vermag, ohne -- wie bisher -- in eine Ordnung hierarchischer Politik eingegliedert zu sein« < 2471>. Matthes stellt die Obrigkeitsauffassung des reifen L. systematisch dar < 2470>, wodurch es zur erschöpfenden Behandlung des Problems kommt, so daß diese Arbeit auf längere Zeit die Grundlage für die Forschung bilden wird. Dazu wählt M. die dem Denken L.'s entsprechende dogmatisch-deduktive Methode, da L. alle Fragen von Gott her sieht. Schließlich hat M. in den Ideen: Schöpfung und Organismus tatsächlich die Einheit erkannt. Arnolds Arbeit, die sich übrigens den modernen Versuchen zur Neugründung des Naturrechts einreiht, hat bereits stärkste Beachtung gefunden, wie deutsche und ausländische Besprechungen zeigen < 2473>. Ihr liegt die richtige Beobachtung zugrunde, daß Bellarmin in seinem universalen Angriff auf L. die Naturrechtslehre nicht ausdrücklich verteidigt, was eigentlich das Verhalten der dialektischen Theologie gegen Naturrecht und natürliche Theologie unverständlich macht. A. weist nach, daß L. eine natürliche Vernunftordnung (natürliche Sittlichkeit und Gotteserkenntnis) anerkennt. Damit ist jedoch keineswegs die Anschauung L.'s der katholischen angeglichen, vielmehr bleibt in der Heilsordnung bei L. der Wert des »Natürlichen« geleugnet. -- Von den Einzelarbeiten, die wegen des beschränkten Raumes nur eben erwähnt werden können, nenne ich die beiden von J. von Walter < 2466> und E. Vogelsang < 2467> über L.'s Stellung zur Mystik. V. scheidet klar zwischen areopagitischer, romanischer und deutscher Mystik, wodurch die Gegensätzlichkeit in der Beurteilung der Mystik durch L. verständlich wird. An Tauler und dem »Frankfurter« gewinnt L. die Überzeugung, »deutscher« Theologe zu sein. Auch von W. geht von der widerspruchsvollen Haltung L.'s zur Mystik aus und behandelt mystische Grundideen im Zusammenhang mit dem Rechtfertigungsglauben. Dabei wird die Verdrängung des Begriffes der Entwerdung durch den der Humilitas gezeigt -- ein für L.'s religiöses Werden ungemein bedeutender Vorgang. Denn so wurde

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der Weg für die theologia crucis frei, in der sich der Widerspruch zur Vergottungslehre zuspitzt. -- Der Aufsatz von H.-H. Pflanz, Die Erbsünde bei L., behandelt eine jetzt so viel mißverstandene Lehre (Luther, Jg. 19, S. 97 ff.). L. erkennt darin den Urteilsspruch Gottes über sich und alle an -- es geht also nicht um die biologische Frage vom Erbguten oder Erbschlechten -- und erfährt in seinem Gewissen und an der Begrenztheit seines Lebens durch den Tod die Macht der Schuld und Schicksalsverhaftung. Derselbe Verf. zeigt in der Studie L. und das Mönchtum (Heliand, H. 44), daß dem Kampf gegen Askese und Mönchtum die Neugestaltung des Lebensideals parallel ging: Man muß Gott mitten im Leben dienen. -- An letzter Stelle sei das Werk des Mediziners P. J. Reiter erwähnt < 2464>, aber die Würdigung muß ausgesetzt werden, bis die noch angekündigten Bände vorliegen. R. will L. aus der Umwelt -- deshalb schildert er in großen Zügen die kirchliche Entwicklung bis tief in das MA. hinein -- und aus seiner seelischen Konstitution erklären. Also der Historiker und Psychiater schreiben an diesem Buch. Zweierlei soll schon gesagt werden. Für die rein geschichtlichen Partien sind meist katholische Werke herangezogen, Stadelmann oder Andreas sind nicht berücksichtigt. In den erbbiologischen Fragen mit allen ihren Konsequenzen ist der Einfluß Grisars sehr groß. Wie anders die Dinge gerade in diesem Punkte liegen, kann man bei H. E. Matthes nachlesen < 2465>. Hier hat ein Kenner das sippenkundliche Material vereinigt und verwertet. Dieses Bild spricht aber gegen R.'s unbegründete Behauptung der erblichen Belastung L.'s.


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