I. Allgemeines.

Auf 800 Seiten gibt G. H. Sabine < 2631> eine Geschichte der politischen Theorien vom Altertum bis zur Gegenwart. Selbstverständlich muß darin vieles, besonders die Entwicklung des letzten Jahrhunderts, sehr summarisch abgehandelt werden. Das Werk ist überwiegend aus angelsächsischen Quellen gearbeitet und sieht die Dinge vom westeuropäischen und amerikanischen Standpunkt aus. Vorherrschend ist der soziologische Aspekt, wir vermissen die historisch-politische Betrachtungsweise, obwohl der Verf. in der Einleitung mit Recht sagt, daß die Theorie der Politik selbst ein Stück Politik sei und nicht von Geschichte und sozialem Milieu getrennt werden könne. Deutsches Staatsdenken kommt in dem Werk recht kurz weg, eigentlich nur dreimal wird ihm eine wesentliche Bedeutung zuerkannt: in der deutschen Reformation, deren politische Haltung der Verf. zu ausschließlich in dem Gehorsam gegen die Obrigkeit sieht, in der Staatslehre Hegels, die als Machtstaatsgedanke angesehen wird, und im Nationalsozialismus. Über die Ansichten des Verf. von letzterem wie über seine viel positivere vom Bolschewismus lohnt es sich nicht mit ihm zu rechten. Entscheidend ist vielmehr, daß das spezifisch deutsche Staatsdenken in seinem Werk überhaupt nicht sichtbar wird, daß Luther hinter Kalvin zurücktritt, Hegel nur als Vorläufer des Marxismus und des totalen Staates gilt, daß Kant und Herder bloß nebenbei, Möser, Arndt und Fichte überhaupt nicht erwähnt werden. Von der deutschen Reichsidee, dem preußischen Staatsbegriff, der politischen Leistung des Idealismus und der Romantik kommt nichts heraus. Das Werk bedeutet in dieser Hinsicht gegenüber den Arbeiten der anderen Amerikaner Hayes und Pinson einen Rückschritt (Rez. von C. H. Mcllwain, Amer. histor. Rev. 43, 1938, S. 567--69).

Die Schrift H. Zatscheks über das Werden des Volksbewußtseins < 1527> trägt aus reicher Quellenkenntnis eine große Anzahl ma.'licher Äußerungen von Deutschen, Franzosen, Engländer, Böhmen, Polen und Italiener zusammen. Volksbewußtsein zeigt sich bei den Deutschen im Kampf mit den Ostvölkern und in der Rivalität mit den Franzosen, es äußert sich als Überlegenheitsgefühl über die Ostvölker und als Stolz auf den Besitz des Kaisertums und des Reiches. Allerdings ist es nicht beherrschender Wert, sondern von übervölkischen Gedanken überlagert. Interessant sind die zitierten, großenteils noch heute gültigen Urteile über fremde Volkscharaktere. -- Durch mehrere Jahrhunderte hindurch verfolgt W. Hof < 2632> den Gedanken der deutschen Sendung in der Literatur. Die Wahl dieses Themas darf als außerordentlich glücklich bezeichnet werden. Die Idee einer deutschen Sendung hat immer wieder zwischen Weltbürgertum und Nationalbewußtsein die Brücke geschlagen; wo sie fehlte, herrschte ein ideologischer Kosmopolitismus (in der Aufklärungszeit) oder ein platter Nurnationalismus (im 19. Jh.). Besondere Bedeutung kam ihm im Zeitalter der deutschen Bewegung und der Romantik zu, als der Weltkulturbegriff der Aufklärung sich in die Erkenntnis von der Eigentümlichkeit jedes Volkes wandelte. Dementsprechend werden die dichterischen Äußerungen des Idealismus und der Romantik von H. auch besonders eingehend behandelt. Im letzten Jh. hat der Sendungsgedanke mit der Entwicklung des Nationalbewußtsein, das von geschichtlichen und rassischen Erkenntnissen gefördert wurde, nicht mehr


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Schritt gehalten, und nur wenige führende Geister widersetzten sich dem allgemeinen Gefühl nationaler Selbstgenügsamkeit. Daß das völkische Erwachen der letzten zwanzig Jahre auch den Gedanken der deutschen Sendung wieder neu belebt hat, liegt klar zutage und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.


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