I. Allgemeines. Schlesien als Brücke zum Osten.

Niemand, der sich mit der ma.'lichen Kolonisation in Schlesien befaßt, darf an der äußerst wichtigen Schrift von Tymieniecki < 1636; Rez. v. H. Krupicka, Z. Ver. Gesch. Schles. 71, S. 536 ff.> vorübergehen, die die Ergebnisse früherer Arbeiten des Verf. und anderer polnischer Forscher geradezu programmatisch zusammenfaßt. Mit allen erdenklichen Gründen wird hier versucht, die Bedeutung des Deutschtums für die Kolonisation auf das äußerste Mindestmaß herabzuschrauben, das mit den für gewisse Gegenden ja sehr spärlich fließenden Quellen noch verträglich ist. Das wesentliche an dem Siedlungsvorgang wird hier nicht, wie in der deutschen Literatur, im Einströmen großer Massen deutschen Blutes, sondern in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung gesehen, die die Übernahme »westlicher« Einrichtungen in der Form des deutschen Rechts für Stadt und Land erforderlich


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machte. Im Grunde handelt es sich für T. nicht um deutsche, sondern um deutschrechtliche Kolonisation, die sich überwiegend einheimischer Kräfte bediente. Ganz besonders betont er den Zusammenhang dieses Vorganges mit der Krise des Klein- und dem Aufkommen des Großgrundbesitzes und stellt die relativ nicht sehr reichhaltig überlieferten Angaben über das Volkstum der Siedler, vor allem der Schulzen, zusammen. Es muß ein Hauptanliegen der schlesischen Forschung sein, sich mit seinen ebenso sorgfältig unterbauten wie einseitigen Thesen auseinanderzusetzen. Auf die an anderer Stelle gewürdigte Arbeit von Krause zur Volkstums- und Herkunftsfrage der oberschlesischen Bauern des MA.s < 1599> sei hier wenigstens verwiesen. -- In der jüngeren Steinzeit und in der Bronzezeit bildete nach Latzke < 1477> der Raum beiderseits der Sudeten eine kulturelle Einheit, die dann durch das Nebeneinander von Kelten und Germanen durchbrochen und schließlich in die Landschaften des Oder-, Elbe- und Marchgebietes aufgegliedert wurde. Die Ursache dieser Trennung ist in der Ausbreitung des Waldes infolge Klimaverschlechterung zu suchen. Der älteste Siedlungsboden des oberschlesischen Lößlandes hat zweifellos einen der wichtigsten vandalischen Gaue gebildet, die Dunheide der Hervarasaga, von den Slawen Golensizi-Gau genannt. Die Golensizi waren Oderslawen, nicht Mährer. Um ihr Gebiet entbrannte ein heftiger Kampf zwischen Přemysliden und Piasten, der 1137 im wesentlichen zugunsten dieser entschieden wurde. Vielleicht hängt die Entstehung des Breslauer Bistumslandes mit diesen Grenzstreitigkeiten zusammen, indem die Piasten die Kastellanei Ottmachau dem Breslauer Bischof übertrugen, um sich diesen Besitz auch durch kirchliche Bande zu sichern. Zur Frage der polnisch-tschechischen Sprachgrenze vgl. auch P. Diels, Z. Ver. Gesch. Schles. 71, S. 355 ff. --Semkowicz < 1474> verficht die polnische Ansicht von der Bodenständigkeit des slawischen Elements in Schlesien, das nur vorübergehend unter die Herrschaft der kriegerischen, kulturell höherstehenden Germanen geraten sei; die antiken Schriftsteller hätten nur die germanischen Herrenvölker gekannt, deren Kultur auch in den Bodenfunden zutage trete. Er versucht erneut, den Namen Schlesien aus slawischer Wurzel zu erklären, gibt aber selbst zu, daß schwerwiegende philologische Bedenken dagegen sprechen. Ferner verfolgt er das Wachsen des Begriffes Schlesien vom Gaunamen zum Namen des ganzen Landes -- ein Wandel, der offensichtlich durch die Gründung des mehrere alte Gaue umfassenden Bistums Breslau gefördert wurde. Schließlich behandelt er die Entwicklung der Grenzen und die Einwirkung der geographischen Bedingungen auf die Geschichte des Landes. -- Die wichtigsten Veröffentlichungen des Vorjahres über Schlesien von polnischer Seite, das Sammelwerk »Stan i potrzeby« und den 3. Band der »Historja Śląska« sowie die deutsche Sammelanzeige von deren 1. Band <1936, S. 470, 472> würdigt Brückner < 40> in einer kritischen, mehrfach zu abweichenden Ergebnissen gelangenden Besprechung, die vom Standpunkt ihres Berichtsjahres nicht mit Unrecht den einstigen Vorsprung der deutschen Wissenschaft vor der polnischen auf dem Felde der schlesischen Geschichte ziemlich in sein Gegenteil verkehrt sieht; der inzwischen erschienene 1. Band der neuen »Geschichte Schlesiens«, über den im nächsten Jahre zu berichten ist, läßt freilich keinen Zweifel, daß die deutsche Seite nicht nur in der Einzelforschung, sondern auch in der großen Darstellung einen Vergleich mit den polnischen Arbeiten nicht mehr zu scheuen braucht.

Mehr und mehr haben wir in den letzten Jahren gelernt, Aufgabe und Leistung des schlesischen Stammes unter volksgeschichtlichem Blickpunkt zu sehen.


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Eine Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse auf diesem Gebiet und zugleich ein Aufzeigen künftiger Forschungsziele ist das »Schlesienbändchen« von Aubin < 297>, das die ma.'liche Ausstrahlung deutschen Volkstums, deutscher Rechtsformen und deutschen Handels von Schlesien aus nach dem weiteren Osten vor uns lebendig werden läßt. Ein Sektor dieses Wirkungsfeldes ist der enge Zusammenhang Schlesiens mit der alten deutschen Sprachinsel der Zips; ihm sind die Skizze von E. Wiese, »Schlesien und die Kunst der Zips« (Schles. Heimat 1937, S. 70--75) und der besonders aus Leutschauer Kaufmannsbriefen schöpfende Aufsatz von L. Petry, »Das Zipser Deutschtum in seinen kulturellen Beziehungen zu Schlesien vom 16. bis 18. Jh.« (Schles. Jbb. 9, S. 57--74) gewidmet. Mit »Breslau und Schlesien in den deutsch-ungarischen Kulturbeziehungen« befaßt sich auch die Schrift von F. Helle (Budapest, 24 S.), der freilich eine noch stärkere volksdeutsche Betrachtungsweise zu wünschen wäre. -- Ein unfreiwilliger Zeuge für die Stärke des deutsch-schlesischen Einschlags im spätma.'lichen Lemberg ist die nach Zielsetzung und Anlage mißglückte Arbeit von Skoczek < 298>. -- Die Bedeutung des den böhmisch-österreichischen Einflüssen nahezu ebenbürtigen Nordoststroms im schlesischen Kunstschaffen der Barockzeit veranschaulicht G. Grundmann, »Die Baumeisterfamilie Frantz. Ein Beitrag zur Architekturgeschichte des 18. Jh.s in Schlesien, Schweden und Polen« (Breslau, Korn, 122 S., 62 Abb. = Forsch. dt. Kunstgesch. 22).


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