VI. Kirchen- und Geistesgeschichte.

A. Moepert, »Zur ältesten Bistumsurkunde von 1155« (Arch. schles. Kirchengesch. 2, S. 1--32), behandelt den ältesten Bistumsbesitz und kommt in der Deutung der Ortsnamen z. T. zu anderen Ergebnissen als Midunsky <1936, 2193>. Sein Verdienst ist es, endlich die richtige Deutung der Kastellaneiliste von 1155 gefunden zu haben; es handelt sich weder um eine Zirkumskription der Diözesangrenzen noch um Kastellaneien im Eigentum des Bischofs, sondern um die Aufzählung jener Verwaltungsbezirke, in denen der Bischof das Zehentrecht besaß. Dieses stand ihm nämlich auch in anderen Diözesen keineswegs überall grundsätzlich zu. -- Nach Panzram < 2349; Rez. v. N. Hilling, Arch. kath. Kirchenrecht 117, S. 294 ff. u. H. v. Loesch, Z. Ver. Gesch. Schles. 71, S. 629 ff.> ist der von polnischer Seite unternommene Versuch, die Archidiakonatseinteilung Schlesiens mit den alten slawischen Stammesgrenzen in Zusammenhang zu bringen, verfehlt. Die Schaffung der Archidiakonate steht jedoch ohne Zweifel mit der Territorialentwicklung des 13. Jh.'s, vor allem aber mit der starken Bevölkerungszunahme durch die deutsche Kolonisation in Verbindung. So wurden unter Bischof Lorenz I. neben Breslau die Archidiakonatssitze Glogau und Oppeln geschaffen; 1261/62 trat Liegnitz hinzu. Aufgabe der Archidiakone war in erster Linie die Visitation. --Kuchendorf < 2351> untersucht Standes- und Bildungsverhältnisse der Breslauer Kreuzherren, behandelt die sich aus der Zusammensetzung des Stiftes ergebenden kirchenrechtlichen Probleme und gibt Lebensbilder der einzelnen Mitglieder. Pietsch < 2352> bespricht kurz Gründungsgeschichte und Standesverhältnisse des Breslauer Klarenklosters sowie Erwerbung und Verwaltung des Klostergutes. -- P. Knauer, »Abt Günther von Kamenz im angeblichen Testament Bischof Thomas' I.« (Schles. Gesch.bll. 1937, S. 8--10), sucht das Datum der Urkunde Bischof Thomas' I. zu emendieren und die Regierungszeit des Abtes zu ermitteln. Mit der »Regierungszeit einiger Äbte von Heinrichau« beschäftigt sich P. Klemenz (ebd., S. 10--14).

Nicht ein Allgemeinbild des ma.'lichen schlesischen Menschen will Klapper < 65> entwerfen -- das wäre angesichts des heutigen Standes der Forschung kaum durchführbar; auf Grund seiner tiefen Kenntnis der Klosterhandschriften des Landes zeichnet er eine Reihe von Einzelporträts geistlicher Persönlichkeiten, unter denen vielleicht der Philosoph Witelo die eigenartigste, Johann von Neumarkt die bedeutendste Persönlichkeit sein mag. Auch die heilige Hedwig findet eine kurze Würdigung. Einem oberschlesischen Bürgersohn der Hussitenzeit, dem Minoriten Nikolaus von Kosel, widmet der gleiche Verf. < 2579> eine Spezialstudie, die diesen auch der mährischen Sprache mächtigen Prediger als treuen Hüter des Erbgutes bürgerlich-bäuerlich deutscher Bildung liebevoll charakterisiert. In seinen Handschriften finden wir einen reichen Schatz an volkstümlichen und religiösen Kenntnissen, Gebeten, Liedern, Sprüchen und Erzählungen gesammelt.

Das Breslauer Domkapitel des 16. Jh.'s hat durch die Dissertation von G. Zimmermann < 2422; inzwischen vollständig als Bd. 2 der Historischdiplomatischen Forschungen, hrsg. v. L. Santifaller, Weimar, Böhlaus Nachf., 1938, XVI, 626 S.> eine grundlegende Behandlung erfahren, die sich fast nur auf ungedruckte Quellen (die seit 1500 beinahe lückenlos erhaltenen Kapitelsprotokolle und andere Bestände der Archive von Breslau, Krakau, Kremsier, Lemberg, Olmütz und Prag) stützt. Z. untersucht den Anteil von Adel und Bürgertum an den


S.466

Prälaturen, Herkunft und Bildungsgang der Domherren, Pflichtenkreis und Wirkungsmöglichkeiten, Formen der Aufnahme und des Ausscheidens usw. Den Hauptraum des umfangreichen Buches nehmen die Lebensbilder der 281 Domherren zwischen 1500 und 1600 ein. -- In Ergänzung seiner vorjährigen Veröffentlichungen <1936, 2295 u. 2296> macht A. Sabisch nun auch das Eingangskapitel seiner Dissertation im Druck zugänglich: »Zur Geschichte des Breslauer Bischofs Balthasar von Promnitz (1539--1562). Herkunft und Studiengang« (Arch. schles. Kirchengesch. 2, S. 101--16). P. Klemenz, »Schlesische Zisterzienserpfarreien im 16. Jh. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte im Fürstentum Münsterberg- Frankenstein« (ebd., S. 117--21), setzt sich für die Auswertung der Kauf- und Schöppenbücher von Landgemeinden als kirchengeschichtliche Quelle ein.

Eine weitere erfreuliche Ergänzung <1936, S. 471> zu der großen Publikation von Jungnitz bedeutet die Veröffentlichung der überwiegend in deutscher Sprache abgefaßten Visitation des Fürstentums Sagan von 1670 durch Steller < 2426> nach dem Original des herzoglichen Archivs in Sagan. Die Einleitung arbeitet die kirchenpolitische Haltung des Herzogs Wenzel Eusebius von Lobkowitz heraus, der nicht aus Rücksicht auf seine protestantische Gemahlin, sondern aus Gründen der Landeswohlfahrt mit der Durchführung der Gegenreformation zögerte und sich erst 1668 auf nachhaltiges Drängen des Kaisers, um seine Zukunft am Hofe nicht zu gefährden, zur Entfernung der protestantischen Geistlichen bereitfand. Einer Teilfrage, den vergeblichen Bemühungen der Saganer Regierung, den Besuch der Lausitzer Grenzkirchen zu unterbinden, hat St. noch eine eigene Abhandlung gewidmet < 2427>. Helfritz < 2079> kennzeichnet nach kurzem Eingehen auf die Vorgeschichte die Stiftung der 15 katholischen Kuratien in den Fürstentümern Liegnitz -- Brieg -- Wohlau durch Kaiser Joseph I. nach Inhalt und äußerer Form als einen Akt der Gesetzgebung, den auch der preußische Staat als Rechtsnachfolger entsprechend behandelt hat. -- Als erstes Heft einer kirchengeschichtlichen Reihe des neuen Johann-Heß-Institutes liegt ein Lebensbild des Kirchenliederdichters und ersten Seniors der Hirschberger Gnadenkirche Johann Neunherz (1652--1737) von Brinkel < 2523> vor, das in der Hauptsache aus den Beständen der Stadtarchive von Lauban und Hirschberg erarbeitet ist. In engste zeitliche und räumliche Nachbarschaft zu Neunherz führt uns die Dissertation von E. Zimmermann < 2526>, die -- ihrer Titelgebung nicht ohne weiteres zu entnehmen -- ein aus den verschiedensten schlesischen Archiven (Breslau, Görlitz, Greiffenberg, Lauban, Liegnitz, Schwerta) schöpfendes ausführliches Lebensbild (mit Schriftenverzeichnis) des Pfarrers der Grenzkirche Nieder-Wiesa am Queis, Johann Christoph Schwedler (1672--1730), ist.

Hoffmann < 2424> behandelt das Wirken von 8 Jesuitenpatern aus Frankreich (darunter 2 Elsässer) an der Breslauer Leopoldina in den Jahren 1746--58, deren Berufung Friedrich d. Gr. betrieb, um die schlesischen Jesuiten besser überwachen und an Umtrieben zugunsten Österreichs hindern zu können. Die Tätigkeit dieser Lehrkräfte fand ein jähres Ende im Siebenjährigen Krieg, wo die letzten 4 Franzosen teils in der Haft starben, teils ausgewiesen wurden. H.'s Aufsatz, »Schlesische Ordensprovinzen« (Arch. schles. Kirchengesch. 2, S. 141--61), ergänzt vom kirchlichen Gesichtspunkt her unter Abdruck verschiedener Ordensbriefe den der gleichen Frage gewidmeten vorjährigen Aufsatz von L. Petry (Der Oberschlesier 18, S. 355--60). --Schwencker < 2528> schildert nach dem Material des Berliner Staatsarchivs Verwaltungsaufbau und -entwicklung der


S.467

evangelischen Kirche Oberschlesiens von 1740--1808 (Errichtung eines eigenen Konsistoriums, Anweisungen zur Kircheninspektion, Sorge für das Schulwesen usw.). Die Reihe der Breslauer Bischofsbiographien erfährt eine weitere Vervollständigung durch das nach den Quellen der Staatsarchive Breslau und Berlin wie des Diözesanarchivs Breslau gestaltete Lebensbild Hohenlohes (1795--1817) von Jaekel < 2423; Rez. v. R. Samulski, Z. Ver. Gesch. Schles. 72, S. 624 f.>, der diese an der Wende zweier Zeiten stehende Persönlichkeit in ihrem kirchenpolitischen Verhalten als Bahnbrecher der Aufklärung und Reformbewegung in Schlesien zu deuten sucht. J. Gottschalk, »Briefe an den resignierten Fürstbischof von Breslau, Leopold Graf Sedlnitzky« (Arch. schles. Kirchengesch. 2, S. 185--206), veröffentlicht aus dem Archiv des Rittergutes Gr.-Sägewitz elf Briefe der Jahre 1840--69, darunter einen noch unbekannten von Wessenberg, die bemerkenswerte Streiflichter auf die kirchlichen Strömungen jener Zeit und die Haltung des Breslauer Domkapitels werfen. A. Nowack bringt uns (ebd., S. 207--18) »Fürstbischof Heinrich Förster als Mäzen der bildenden Künste« nahe.

M. Schian, »Die Unionssynode in Breslau 1822« (Jb. Ver. schles. Kirchengesch. 27, S. 67--75), macht mit einem mißglückten Anlauf der Breslauer Theologischen Fakultät bekannt, das Unionswerk unter Zurückstellung der äußeren Vereinigungsformen voranzutreiben. Paulig < 2522> veröffentlicht einen Zufallsfund im Magdeburger Staatsarchiv, die Abschrift eines vom Oberpräsidenten v. Merckel gezeichneten Breslauer Konsistorialberichtes vom 29. IX. 1837 an Altenstein über den neuerlichen Rückgang der altlutherischen Bewegung in Schlesien. Marschner < 2527; Rez. v. H. Gollub, Z. Ver. Gesch. Schles. 72, S. 568> verfolgt nach eingehender Darlegung der Vorgeschichte der Auswanderung die Familienschicksale der schlesischen Zillertaler, die nach der Übersiedlung zunächst nur untereinander heirateten, die Verbindung zur alten Heimat nicht abreißen ließen, aber auch eine beträchtliche Zahl von überseeischen Auswanderern stellten. Schultze < 2520> gibt auf aktenmäßiger Grundlage wie aus langjähriger eigener Kenntnis einen Überblick über die vielseitige Wirksamkeit des Schlesischen Hauptvereins im Evangelischen Bund, die sich vor allem an die Persönlichkeit des Breslauer Bernhardinpropstes G. Hoffmann knüpfte, und über den Widerhall, den sie im Lande gefunden hat.

Nowack < 2399> schildert auf breiter archivalischer Grundlage die Entwicklung von 40 schlesischen Wallfahrtsorten, die sich ziemlich gleichmäßig über das Land verteilen und unter denen sich 14 bis in das MA. zurückverfolgen lassen. Da N. nur die Wallfahrtsorte des Erzbistums Breslau in seinem derzeitigen Umfang behandelt, stellt die fast gleichzeitig erschienene Dissertation von Neumann < 2400; inzwischen vollständig als Nr. 26 der Reihe »Zur schles. Kirchengesch.«, Breslau, Borgmeyer 1938, VIII, 104 S., 15 Abb.> eine willkommene Ergänzung für die Grafschaft Glatz dar. In ihrer Zielsetzung geht sie zugleich erheblich über N. hinaus, indem sie die jüngsten Erkenntnisse der historischen Volkskunde von den Wandlungen des Wallfahrtswesens für die kritische Sichtung der Quellen nutzbar macht und die Entstehung der Marienbild-Wallfahrt in der Grafschaft im 17. und 18. Jh. zu einem guten Teil als das Werk des um die kirchliche Erneuerung bemühten Jesuitenordens begreifen lehrt.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)