V. Kultur- und Geistesgeschichte.

R. W. Franke < 2693> erfaßt nach Schrifttum und archivalischen Quellen, hauptsächlich des Universitätsarchivs, die Zeit des Pennalismus in Leipzig (etwa 1610--1662). Träger des nur an evangelischen Universitäten bestehenden Pennalismus sind in Leipzig die aus Bursen und Konvikt entstandenen etwa 20 bis 25 engeren studentischen Nationen oder Landsmannschaften, nicht zu verwechseln mit den 4 großen Nationen der Universität. An der Spitze stand ein Senior, der den aus Schröpfungen der Pennäle und regelmäßigen Beiträgen gebildeten Fiskus verwaltete und die Nation nach außen vertrat. Die Pennäle mußten eingangs und ausgangs ihres Jahres kostspielige Schmäuse für die Burschen geben und durften selbst nur in schlechten Kleidern einhergehen, weil sie eben minderen Rechts waren. Dem Widerspenstigen drohten Geldstrafen, Drangsalierungen aller Art und zuletzt der Verruf, der ihn von allem Verkehr mit ehrlichen Burschen ausschloß. So


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wagte keiner wider den Stachel zu lecken, ja schließlich wurden die Pennäle selbst die ärgsten Schreihälse und schurigelten ihrerseits die noch Jüngeren, um sich selbst für die ersehnte Stellung als Bursche vorzubereiten. Der Umgangston und die Vergnügungen waren namentlich seit dem Dreißigjährigen Kriege unglaublich roh, aber es kam dabei auch Geld unter die Leute. Die Studenten wohnten jetzt bei Professoren und Bürgern, so daß Universität und Rat sie nicht allzu hart anpackten, solange die Gefahr einer Abwanderung an duldsamere Universitäten bestand. Wohl wurde der Pennalismus schon seit 1636 hart bekämpft, aber seine Beseitigung war aus den angeführten Gründen äußerst schwierig und gelang auch nur mühsam, als sich auf Vorschlag Sachsens alle evangelischen Universitäten (mit Ausnahme Königsbergs) auf gemeinsames Vorgehen einigten. Ein kurfürstliches Reskript von 1661 verbot den Pennalismus und belegte seine Verfechter mit harten Strafen. Von 1663 an kann der Pennalismus als endgültig abgeschafft gelten. -- Die wegen ihrer Sangeskunst und ihrer musikalischen Leiter weltberühmte Thomasschule in Leipzig hat zur Feier ihres 725jährigen Bestehens in einer Festschrift < 2694> vor ihren alten Schülern Rechenschaft darüber abgelegt, daß sie nicht »eine Hülle ohne Kern« geworden ist, sondern die Forderungen der Gegenwart mit einer ruhmreichen Vergangenheit in lebendiger Wechselwirkung zu verbinden weiß. Über den Sinn ihrer Arbeit spricht sich der gegenwärtige Leiter, OStd. Dr. A. Jentzsch, aus, indem er ihre humanistische Ausprägung des Unterrichts gipfeln läßt in der »allseitigen Ausbildung des deutschen Menschen, der sich verantwortungsbewußt in die Gemeinschaft stellt«, wozu ihm gerade auch die musica sacra die höchste Weihe nach wie vor geben soll. Dr. O. Berthold veröffentlicht aus dem Nachlaß des verstorbenen Konrektors R. Sachse die Geschichte der Schule von 1675--1732, also bis zur Einweihung des neuen Schulgebäudes und bis zum Beginn der Glanzzeit unter den Gelehrten Gesner und Ernesti und unter dem Kantor Joh. Sebastian Bach, von dem Gesner eine höchst lebendige Schilderung hinterlassen hat (S. 65) und dem auch eine Übersicht aus neuem Schrifttum gilt. O. Berthold entwirft weiterhin ein anziehendes Bild des Rektors F. W. E. Rost (1800--1835) als Mensch, Lehrer und Erzieher, der als Neuordner des Unterrichts und der Gesangspflege höchst bedeutsam gewesen ist, weil durch ihn die Schule -- wie es heute wieder der Rektor für unsere Zeit betont -- »mit den Forderungen der Zeit in Einklang gebracht und ihr ferner ein ehrenvoller Platz unter den Gelehrtenschulen Deutschlands gesichert« wurde. Zum Schluß überblickt Dr. H. Lehmann die Geschichte des Thomanerchors in den letzten 25 Jahren mit den Erfolgen, die der Chor auf seinen Auslandsreisen für sich und die deutsche Kultur davongetragen hat. --


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