III. Landesgeschichte.

Einen knappen, aber grundlegenden Überblick über


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die Vorgeschichte Thüringens und ihre Bedeutung für die deutsche Vorgeschichte gibt Gotthard Neumann, Die Epochen der deutschen Vorgeschichte im Raume Thüringen (In: Verhh. d. 26. Dt. Geographentages zu Jena 1936, Breslau, Hirt), der zugleich zeigt, daß sich fast alle Epochen der deutschen Vorgeschichte im Raume Thüringen wie sonst kaum an anderer Stelle typisch widerspiegeln. -- Einen umfassenden, auf den neuesten Stand gebrachten Fundkatalog über die vor- und frühgeschichtlichen Altertümer des Kreises Meiningen veröffentlicht Marquardt < 606>.

In vorsichtig abwägender geopolitischer Betrachtung untersucht Koerner < 1484> die Beziehungen zwischen der politischen Entwicklung Thüringens und den räumlichen Gegebenheiten des Landes und kommt zu dem durchaus richtigen Schluß, daß das Schicksal Thüringens entscheidend durch geschichtliche Zufälligkeiten geformt worden ist, nicht aber durch raumbedingte Geschehnisse. -- Der nicht leichten Aufgabe, den Charakter des thüringischen Stammes im Rahmen einer deutschen Stammeskunde zu zeichnen, unterzieht sich nach mannigfachen vorangegangenen eigenen volkskundlichen Einzelstudien M. Wähler, Die Thüringer (In: Der deutsche Volkscharakter, hrsg. von demselben. Jena, Diederichs). Die starke Blutmischung im Herzen Deutschlands hat in der thüringischen Bevölkerung einen Ausgleich der Eigenarten der deutschen Stämme herbeigeführt. --Maschke < 306 u. 307> behandelt mehrfach mit guter Beherrschung der wesentlichen Literatur die aktive und passive Stellung Thüringens in der Geschichte des Reiches seit dem Untergang des thüringischen Königreiches bis zur Einführung der nationalsozialistischen Regierung. Gegen die durch Treitschke überbetonte Ansicht von der völligen Bedeutungslosigkeit der Mitte Deutschlands für die Entwicklung des Reiches weist der Verf. nach, daß Thüringen in seiner nach verschiedenen Zeiten wechselnden Stellung als deutsche Landschaft des Nordens, des Ostens und der Mitte auch aktiv für die Gestaltung des Reiches gewirkt hat, vor allem durch seine bedeutenden, im höchsten Sinne politisch zu wertenden kulturellen Leistungen. -- Dem Thema der Beziehungen zwischen Thüringen und dem Reich ist auch das eine buntgewürfelte Fülle von Aufsätzen enthaltende Septemberheft der Zeitschrift »Das Thüringer Fähnlein« gewidmet (Jena, Neuenhahn). -- Der im Erscheinen begriffene Mitteldeutsche Heimatatlas < 1446>, der in allen seinen Karten auch das thüringische Gebiet berücksichtigt, hat im Berichtsjahr mehrere von Fr. Koerner nach eingehenden Studien zuverlässig bearbeitete thüringische Spezialkarten gebracht, die den politischen Zustand um 1350, um 1540 und um 1680 darstellen. Zwei Nebenkarten zeigen die thüringischen Staaten 1914 und den Gebietsaustausch mit Sachsen 1920. Bei dem lebhaft empfundenen Mangel an neuerem historischen Kartenmaterial sind diese hier vorliegenden Karten ein wertvolles und willkommenes Hilfsmittel.

Einen beachtlichen Beitrag zur Geschichte der thüringischen Kulturlandschaft bietet W. Zippel, Kulturgeographie der Orlasenke und ihrer Randlandschaften (Stuttgart, Engelhorn = Forsch. z. dt. Landes- u. Volkskunde, Bd. 32, H. 2). Auf guter Quellengrundlage, zumeist jedoch auf gedrucktes Material gestützt, wird hier die Entwicklung vom Naturraum zum Kulturraum von der prähistorischen Zeit bis zur Gegenwart vorgeführt und somit ein zutreffendes Bild der Besiedlung im weitesten Sinne für ein ostthüringisches Teilgebiet gezeichnet. -- Für die Siedlungsgeschichte bringt auch das auf den Gedanken des Heimatschutzes


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eingestellte, für breitere Kreise bestimmte, mit Abbildungen ansprechend ausgestattete Büchlein von Rollberg < 1947> manchen Hinweis, das über den Fachwerkbau des thüringisch-hessischen Grenzlandes berichtet.

Bei der engen geschichtlichen Verflechtung Thüringens mit dem Erzbistum Magdeburg ist das Urkundenbuch dieses Erzstifts < 209> auch für die thüringische Forschung eine wertvolle und willkommene Bereicherung. Hinzuweisen ist hier ferner auch auf die Arbeit Füllners < 778>, dessen Untersuchung über die Grenzgestaltung nach dem slavischen Osten im 10. und 11. Jh. auch die Geschichte Ostthüringens berührt. In diesem Zusammenhang sind auch die beiden auf gründlichen Studien beruhenden Aufsätze von Schlesinger zu erwähnen, der das zusammenhängende Gebiet von Egerland, Vogtland und Pleißenland als bedeutsames Reichsterritorium nachweist, das dem Reiche seit dem 13. Jh. verlorenging < 809>, und der in seine Abhandlung über Burgen und Burgbezirke < 1478> auch Thüringen einbezogen hat. Zickgraf < 1485> berichtet auf Grund des örtlichen Befundes und archivalischer und sonstiger Quellen über Landwehren im hennebergischen Gebiet um Schmalkalden, die im 14. und 15. Jh. angelegt wurden, und deutet diese als Zeugnisse der Territorialentwicklung.

Mehrere Arbeiten des Berichtsjahres sind der Geschichte des 30jährigen Krieges gewidmet. Köhler < 942> gibt für die Jahre 1630--1632 eine auf eindringenden archivalischen Forschungen beruhende Schilderung der Truppendurchzüge durch die schwarzburgische Unterherrschaft und deren Einwirkungen auf den Zustand des Landes und der Bevölkerung. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang die für jeden einzelnen Ort des Gebietes gegebenen »Truppennachweise«. -- Über die Leiden, die das Städtchen Hildburghausen in diesem Kriege zu erdulden hatte, berichtet ausführlich Buff < 943>, und Huschke < 950> veröffentlicht aus dem Staatsarchiv Weimar unbekannte Dokumente zur Belagerung der Veste Coburg, die er durch knappen verbindenden Text erläutert. -- Auf das Buch von Bradish, Goethes Beamtenlaufbahn < 2609>, ist bereits im vorigen Jahresbericht hingewiesen worden <1936, S. 486>. -- Der Abdruck des anspruchslosen Tagebuches, das der gothaische Major Knauth während des Feldzuges in Spanien 1810 geführt hat, ist als bescheidener Beitrag zur Geschichte der thüringischen Truppen zu werten (hrsg. von O. Bessenrodt, Gotha, Engelhard-Reyher). -- Mit dem vielerörterten, die Gemüter und die Forschung immer wieder bewegenden Geheimnis der »Dunkelgräfin von Hildburghausen« beschäftigt sich erneut R. Boehmker, Das Geheimnis um eine Königstochter (Leipzig, Helingsche Verlagsanst.). Die bereits mehrfach geäußerte Vermutung, daß die rätselhafte Gestalt eine Tochter des französischen Königs Ludwig XVI. gewesen sei, sucht der Verf., gestützt auf die gesamte bisherige Literatur, die kritisch gewertet wird, und auf einiges bisher unbekannte Material aus französischen Archiven als sicher zu erweisen, ohne daß seine eine Nachprüfung ausschließende »Lösung des mehr als hundertjährigen Rätsels« restlos überzeugen könnte. -- In die letzte Zeit des thüringischen Kleinstaatenlebens vor 1918 führt die Arbeit von Lohe < 1166>, der für den kleinsten deutschen Bundesstaat, Reuß ä. L., das Verhältnis zwischen Landesherr, Landesregierung und Volksvertretung seit Einführung der Verfassung 1867 bis zum Ende dieses Staates 1918 verfolgt, d. h. im wesentlichen eine Geschichte des Landtages dieses Staates und der in ihm wirkenden Gegensätze


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gibt. Die Arbeit ist zugleich ein Beitrag zur Charakteristik der in der Reichsgeschichte vielberufenen Gestalt Heinrichs XXII.

Die Ortsgeschichte ist im Berichtsjahr mit einer Reihe von Arbeiten vertreten. Das zur Feier des 1000jährigen Bestehens der Stadt Dornburg erschienene Sonderheft des Thüringer Fähnleins bringt u. a. zwei beachtliche Aufsätze: Gotthard Neumann berichtet auf Grund des gesamten Ausgrabungsmaterials über die Vor- und Frühgeschichte der Ortsflur (auch selbständig erschienen mit Fundkatalog und Karte; Jena, Neuenhahn), und H. Stöbe gibt aus seinem in jahrelanger Arbeit zusammengetragenen Material einen wertvollen Auszug »Aus tausend Jahren Dornburgischer Geschichte«. -- Ebenfalls einem Stadtjubiläum, der 700-Jahrfeier von Gera, verdanken zwei Schriften ihre Entstehung. Von den Beiträgen zur Geschichte der Stadt Gera < 312>, einem Sammelwerk mit im Werte ziemlich unterschiedlichen Aufsätzen zur politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte der Stadt, ist besonders hervorzuheben die Arbeit von Kretschmer, der die Entstehung der Stadt im landesgeschichtlichen Rahmen darstellt. Das daneben erschienene Festbuch der Stadt Gera, hrsg. von der Stadtverwaltung (Gera, Geraer Verlagsanst. u. Druckerei) ist für breiteste Kreise bestimmt und beleuchtet insbesondere die Stellung der größten Stadt Thüringens in der Gegenwart. -- Eine nur in Abschrift des 19. Jh.'s erhaltene anspruchslose Chronik der Stadt Jena für die Jahre 1532--1546, deren unbekannter Verf. wohl unter den damals in Jena tätigen Landesbeamten zu suchen ist, ist von Koch < 911> ohne rechte editorische Grundsätze herausgegeben, durch einige Anmerkungen erläutert und durch Register erschlossen worden. -- Für die Geschichte der Stadt Meiningen stellt die von Fr. Tenner veranstaltete Zusammenfassung und der Neudruck von 33 Aufsätzen des verstorbenen verdienstvollen Forschers H. Pusch (Meiningen, Aufsätze zur Stadtgeschichte. Meiningen, Brückner & Renner = Volkstümliche Schriftenreihe d. hennebergisch-fränkischen Vereins, H. 2/3), die aus der reichen Fülle seiner in Zeitungen veröffentlichten und daher schwer zugänglichen Arbeiten herausgegriffen ist, eine willkommene Gabe dar. Berücksichtigt sind Arbeiten über das Stadtbild, über Verwaltung, Rechtspflege und Gesundheitswesen, Gewerbe und Handel und Kirchliches. Die hier angebahnte Art, die leicht dem Untergang oder dem Vergessen anheimfallenden Zeitungsaufsätze, sofern sie von bleibendem Wert sind, der Forschung zu sichern, verdient allenthalben Nachahmung. -- Der 5. Band der von Fink herausgegebenen, volkstümlich gehaltenen Beiträge zur Geschichte der Stadt Weimar < 309> vereinigt sehr ungleichartige Stoffe. Der Herausgeber selbst behandelt von den »Nebenfiguren des klassischen Weimar« den Menschenfreund Daniel Falk und den Buchhändler Joh. Wilh. Hoffmann; Lindig berichtet über die bei Weimar gefundenen Überreste des Altsteinzeitmenschen, und Rücker bringt die Daten zur Musikgeschichte von Weimar. -- In der Reihe der vom gleichen Herausgeber besorgten Neuen Beiträge zur Geschichte der Stadt Weimar ist als 5. Heft des damit abgeschlossenen 1. Bandes die auf archivalischem Material beruhende Arbeit von A. Weichberger, Der Wielandsplatz zu Weimar und seine Geschichte (Weimar, Fr. Fink), erschienen, die als Beitrag zur Stadtbild- und Häusergeschichte zu beachten ist. -- Als erster Band einer umfassenden von Schmidt bearbeiteten Stadtgeschichte von Zeulenroda ist ein Regestenband erschienen < 311>, der die quellenmäßige Grundlage für die dem zweiten Band


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vorbehaltene Darstellung bietet, zugleich aber, da alle Nachrichten über die Einwohner der Stadt erfaßt wurden, für die Familienforschung von selbständigem Werte ist. Bis 1707 (Beginn der Kirchenbücher) ist Vollständigkeit des Stoffes angestrebt, dann bis 1750 eine Auswahl geboten worden. Die auf langen Vorarbeiten beruhende Veröffentlichung ist ein schönes Zeugnis zielbewußter und verständnisvoller Heimatgeschichtsforschung. -- A. Reukauf, Bettenhäuser Heimatbuch (Coburg, Roßteutscher), bietet eine als Rahmen einer Familiengeschichte (vgl. unten) entstandene, auf Auswertung der Literatur und archivalischer Quellen beruhende Geschichte des hennebergischen Dorfes Bettenhausen von den Anfängen bis in die Neuzeit. Der Liebe des Verfassers zu diesem Gegenstand und dem anerkennenswerten Fleiß in der Stoffsammlung entspricht freilich nicht immer die Bearbeitung, der es vielfach an kritischer Wertung und straffer Zusammenfassung mangelt. -- Aus der Geschichte des Dorfes Wiesenfeld bei Geisa bietet O. Reuter, Kulturgeschichtliche Bilder aus einem Rhöndorf (Weimar, Fr. Fink = Beiträge zur Volks- und Landeskunde der Rhön, Bd. 2), ausgewählte Kapitel.


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