II. Historische Landeskunde.

Mit dem Hessischen Ortsnamenbuch < 522> legt die Historische Kommission für Hessen eine neue wichtige Veröffentlichung vor, deren ersten Band, die Provinz Starkenburg, W. Müller bearbeitet hat. Ausgehend vom sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkt, ist unter der jahrelangen Stoffsammlung aus Archiven und Urkundenliteratur, die auf alle landesgeschichtlichen Gebiete übergriff, der Plan bis zu einer »Grundlage für eine wirkliche Landesgeschichte« erweitert worden. Jede der alphabetisch geordneten Ortschaften ist in sich nach Schlagworten gegliedert wie Adel, Amt, Bevölkerung, Burg, Flurnamen, Gericht (Schultheißenlisten), Grundbesitz, Hoheitsrechte, Kirche (Pfarrer bis 1550), Lehen, Marken, Mühlen, Vogtei, Wald, Zehnten; an der Spitze stehen Literaturangaben und Namensformen. Historiker und Heimatforscher werden über eine staunenswerte Materialfülle hinaus durch ihre übersichtliche Gliederung auch unmittelbare Anregung zu


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ihrer Auswertung finden. --Müller < 1486> setzt seine 1928 begonnene oberhessische Straßenforschung mit einem zweiten Teile fort, der das nördliche und westliche Gebiet des Vogelsberges behandelt. Für die Anlage der reichhaltigen und gründlichen Untersuchungen verweisen wir auf die frühere Besprechung <1928, S. 461 f.>; bemerkenswert ist die Auseinandersetzung mit Vonderau über die Fuldaer Straßen.

Die Vorarbeiten über die kirchliche Organisation für Stengels Historischen Atlas sind mit Kleinfeld und Weirich < 2338> im wesentlichen abgeschlossen. Im Anschluß an Classens grundlegende Untersuchungen im althessischen Gebiet <1929, S. 501> behandelt Kleinfeld die südlichen Mainzer Archidiakonate St. Mariengreden (Wetterau), St. Johann (Vogelsberg), St. Peter in Mainz (Südtaunus) nebst den Kleinarchidiakonaten Ilbenstadt, Konradsdorf, Langenselbold und Obermockstadt sowie St. Bartholomäus in Frankfurt, Weirich den Mainzer Archidiakonat St. Moritz in Mainz (Rheingau) sowie den Trierer Archidiakonat St. Lubentius in Dietkirchen (untere Lahn) nebst den kleineren eingestreuten exemten Bezirken. So stehen vom Arbeitsgebiet des Marburger Instituts nur noch der Würzburger Archidiakonat Karlstadt sowie die Mainzer Gebietsteile von Fulda und Aschaffenburg aus, deren Abschluß der frühe Tod von Kleinfeld verhinderte. Der Schwerpunkt liegt ganz bei der Topographie der einzelnen Archidiakonate; in kritischer Kleinarbeit werden nach einem festen Schema Patrozinium, Entstehungszeit, Mutterkirche, Sendverhältnisse, Patronat, Kirchspiel und Tochtergründungen behandelt; über Classen und Kleinfeld hinausgehend, hat Weirich mit Recht auch die Kapellen einbezogen. Der wesentliche Fortschritt gegenüber der älteren Übersicht von Fabricius liegt in der systematischen Aufarbeitung alles erreichbaren archivalischen Materials. Der allgemeine Teil ist namentlich bei Kleinfeld reichlich knapp, während Weirich auf die Entstehung der Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien sowie die geistlichen Funktionen, auf Patronat und Patrozinium näher eingeht. Die deutliche Abhebung des Wetzlarer Gebietes gegen die untere Lahn und seine freilich nicht gesicherte ursprüngliche Zuweisung zum Mainzer Bistumssprengel ist auch methodisch von besonderem Interesse und steht im Gegensatz zu Classens Anschauungen über die ältesten Anfänge der kirchlichen Organisation. Auf eine vergleichende Darstellung der kirchlichen mit der weltlichen Einteilung ist in diesem Bande im Gegensatz zu Classen verzichtet worden; sie weichen stärker als in Althessen voneinander ab; nachweisbar ist nur ein enger Zusammenhang mit der Grundherrschaft. Die Kartenbeilagen zeigen an Übersichtlichkeit und technischer Sauberkeit einen erfreulichen Fortschritt. -- Diesen gründlichen Untersuchungen gegenüber verliert Palzers < 1489> Karte der Mainzer Kirchenorganisation ohne Abgrenzung der Dekanate und Pfarrbezirke ihren wissenschaftlichen Wert. -- Die Ergebnisse der hessischen Patrozinienkunde veranlassen Weirich < 2401> zu einem Vergleich mit denen der kulturgeographischen Methode; er betont den Wert jener für die Erkenntnis zeitlicher Schichtungen und Schwankungen der Patrozinien, insbesondere für die Beobachtung der Verdrängung alter Missionsheiliger durch die jüngeren der späteren kirchlichen Mittelpunkte. Hierin liegen methodische Anregungen für künftige Forschung.

Aufbauend auf den vorliegenden Arbeiten der Nachbargebiete aus Stengels Atlasreihe skizziert Wrede < 1487> den landschaftlichen Aufbau des hessischen


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Hinterlandes (Kreis Biedenkopf); er arbeitet die landschaftliche Geschlossenheit der Flußgebiete von oberer Eder, Lahn und Salzböde von der fränkischen Hundertschaft über Grafschafts-, Territorien-, Amts- und Kreisverband (Auswirkung der Auseinandersetzung von mainz und Hessen) heraus und stellt die West-Ost-Orientierung dieser Landschaftsteile der nord-südlich ausgerichteten Zusammenfassung unter hessen-darmstädtischer Hoheit gegenüber. -- Unter dem Titel »Die Eschenburg« < 313> verbirgt sich eine ähnliche allgemeinverständliche Darstellung der Geschichte des Siegerlandes und des Dillkreises. Kutsch, Renkhoff und Kruse teilen die Arbeit nach Frühgeschichte, politischer Entwicklung sowie Wirtschaftsgeschichte auf. Im Vordergrunde steht die Bedeutung der Eisenindustrie zu allen Zeiten, die der Landschaft ihr Gepräge gibt und sie gegen die Nachbargebiete abhebt; die Bearbeiter bemühen sich, die landschaftliche Entwicklung zugleich im Rahmen der allgemeinen Geschichte zu werten. -- H. Diefenbach (Hessenland 48, S. 342 bis 345) kann durch den Hinweis auf Besitzkontinuität das bisher mit Klein- Gladenbach im Breidenbacher Grund bei Biedenkopf identifizierte »Gladebach« von 913 für das Städtchen Gladenbach im südlichen Teile des Kreises in Anspruch nehmen und hiermit die bereits vermutete Bedeutung dieses erst 1237 sicher überlieferten Ortes als Vorort einer alten Hundertschaft urkundlich unterbauen. -- In der umstrittenen Frage nach dem Sitze der Ministerialenfamilie von Rolshausen entscheidet sich K. H. May (Nassauische Annalen 57, S. 124 bis 130) auf Grund der urkundlichen Beziehungen zu den umliegenden Territorialherren für Rollshausen im Gericht Lohra bei Marburg gegen Niedershausen in der nassauischen Herrschaft Beilstein.

Das Problem der »forestis« untersucht Knaus < 2250> in einer kritischen Abhandlung über die Fuldaer Forstprivilegien. Nach einer Literaturübersicht über die Wortbedeutung von Thimme bis Gamillscheg (ahd. »forha« = »Föhre«) entwickelt er einen Bedeutungswandel vom konkreten Wald, dem speziell königlichen Wald in den Diplomen zu dem abstrakten Waldgebiet unter besonderem Rechtsschutz, dem Wildbann, speziell seit dem 10. Jh. dem Jagdrecht. Anhand der Beispiele von Echzell, Bramforst, Zunderhart, Lupnitz und Saalegau aus dem 10. und 11. Jh. führt er den Nachweis, daß die Verleihung der »forestis« ein Hoheitsrecht, kein Grundrecht ist und fremden Besitz innerhalb ihrer Grenzen durchaus zuläßt, daß sie ferner einen wichtigen Faktor im Entwicklungsprozeß der Fuldaer Landeshoheit bedeutet. -- Wesentlich schwächer ist Schicks »Geschichte des Butzbacher Stadtwaldes« (Diss. Gießen 1936), namentlich im ma.'lichen Teil. Besonderheiten der Entwicklung werden nicht deutlich. Die Frage nach der Entstehung -- vermutungsweise durch Absonderung aus der Weiseler Mark -- wird ebensowenig gelöst wie die nach Wald- und Siedlungsverhältnissen in frühgeschichtlicher Zeit. Aus den besonders ausführlich behandelten Forstordnungen sind die Belege über Kulturarten und Pflanzungen von Interesse sowie die für die allmähliche Unterstellung unter landesherrliche Aufsicht. Die eigentlichen Probleme werden erst deutlich durch Immels Forschungsbericht über den Stand des hessischen forstgeschichtlichen Schrifttums (Archiv f. hess. Gesch. N. F. 34, S. 230--237).


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