II. Politische Geschichte.

Die Regierungszeit des münsterischen Bischofs Ludwig von Hessen (1310--57) erscheint nach außen hin durch eine schier ununterbrochene Folge von Fehden mit den Nachbarn des Stifts, nach innen durch eine verderbliche Schuldenwirtschaft gekennzeichnet. Die nähere Betrachtung der Vorgänge durch Friemann < 873> läßt das Bild der Regierung des Bischofs in einem wesentlich günstigeren Lichte erscheinen. In ausgedehnter und intensiver Weise hat er den Schutz des Stiftsgebietes durch Anlage von Burgen und Landwehren angestrebt, ferner durch Abschluß von Öffnungsverträgen, die gleichzeitig der Erweiterung und Festigung der bischöflichen Landeshoheit zugute kamen. Auch eine Begünstigung der Städte und Freiheiten wird deutlich erkennbar. Auf die Ausdehnung des Stiftsgebiets bedacht, hat er jede Gelegenheit zu Landerwerbungen wahrgenommen. Damit und nicht weniger durch die kriegerischen Verwicklungen


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wurde freilich die Leistungsfähigkeit des Landes über alle Maßen angespannt; eine Kette von Verpfändungen auf der einen Seite, die Stärkung der Stellung der Stände auf der anderen waren die Folge. Ähnlich zwiespältig ist auch das Bild der Fehden, in die der Bischof verwickelt wurde, und die nicht immer glücklich abliefen. Nur z. T. sind sie durch die territorialpolitischen Bestrebungen Ludwigs hervorgerufen worden. Vielfach waren sie eine Folge der geopolitischen Lage des Bistums, oder es handelt sich um Ausstrahlungen des großen Fehdeherdes am Niederrhein, in dessen Mittelpunkt Köln steht. Daß auch der Streit zwischen Ludwig d. B. und Friedrich dem Schönen zeitweilig im Hintergrunde stand und die Haltung der Parteien beeinflußte, ist wohl zu erkennen; jedoch hat Bischof Ludwig, wie es scheint, eine klare Stellungnahme vermieden. -- Bei der Rechnung über die Belagerung der Wiedertäufer in Münster < 900> ist zu berücksichtigen, daß sie nur die Einnahmen und Ausgaben der ständischen Kasse des Bistums, der Pfennigkammer, enthält. Die Ausgaben zerfallen in zwei große Gruppen, in die allgemeinen täglichen Aufwendungen, die in zeitlicher Folge gebucht sind, und die Ausgaben für Landsknechte, Reiterei und sonstiges Personal (z. B. Geschützbedienung, Schanzleute, Ärzte usw.). Über einen Teilzeitraum erstreckt sich eine ebenfalls abgedruckte Sonderrechnung, die lediglich Kosten der Artillerie (mit den Namen der einzelnen Geschütze und der Bedienungsmannschaften) enthält. Die Übersicht über die Einnahmen läßt erkennen, in welchem Maße die Steuerkraft des Bistums in Anspruch genommen werden mußte: die verschiedenen Schatzungen ergaben ein Aufkommen von 165_000 Gulden; in gleicher Höhe bewegen sich die geliehenen Beträge. Leider gestattet die Anlage der Rechnung es nicht, ohne umständliche Berechnung die Gesamthöhe der Ausgaben des Bischofs zu beziffern. -- Mit Ferdinand von Plettenberg führt Braubach < 980> die Gestalt eines Mannes vor Augen, der den Typ der ehrgeizigen, habsüchtigen und intriganten Diplomaten des 18. Jh.'s repräsentiert. 10 Jahre lang (1723--33) hat Plettenberg selbständig die Politik des Kölner Kurfürsten Klemens August geleitet, Jahre hindurch hat er die Anlehnung an Bayern und Frankreich gesucht, bis er 1731, nicht zum wenigsten durch die Aussicht auf persönliche Vorteile getrieben -- er hoffte, der Nachfolger Schönborns als Reichsvizekanzler zu werden -- den Übergang ins habsburgische Lager bewirkte. Sein jäher Sturz i. J. 1733 bedeutete eine erneute Abkehr des Kurfürsten von Wien und eine Hinwendung zu Frankreich. -- K. Plesse, Der Übergang der Ämter Vechta und Kloppenburg an Oldenburg 1803 (Masch.- Diss. Münster; 122 S.), schildert eingehend an Hand der Oldenburger Akten die Verhandlungen i. J. 1802/03 über eine Entschädigung Oldenburgs für die Aufhebung des Elsflether Zolls, die zur Zuweisung der münsterischen Ämter Vechta und Kloppenburg führten, und anschließend die Besitzergreifung und die Maßnahmen zur Eingliederung und Neuorganisation des Landes. -- Die Vorgänge der Revolution 1848/49 in Dortmund zeigen ein vorwiegend örtliches Gepräge; als Spiegelungen der Reaktion des großen politischen Geschehens an den Zentren sind sie allerdings in mancher Hinsicht Beachtung wert. Die Gründe liegen, wie die Arbeit von Mertes < 1101> recht wohl erkennen läßt, in dem mittelständlerischen und handwerklichen Charakter des sozialen und wirtschaftlichen Lebens der noch in kleinstädtischer Enge verharrenden Stadt. Dazu fehlte es an einer eigenen geistigen Potenz, wenn auch nicht an politisch befähigten Köpfen, wie von der Leyen, von Mirbach und Th. Müllensiefen (über letzteren, einen Glasindustriellen aus Witten, vgl. das Lebensbild von Mertes in Rhein.-westf. Wirtschaftsbiogr.

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<= 68> II, S. 238--253). Die zunehmende Abwendung von ursprünglichem Überschwang und die Wiedererstarkung der Kräfte der Beharrung spiegelt sich anschaulich in der Ausbildung der ersten parteimäßigen Organisationen: neben die demokratisch-republikanische Volksversammlung der ersten Wochen, den Vorläufer des späteren Volksvereins, trat zunächst ein konstitutioneller Klub, von dem dann der Anstoß zu einem Zusammenschluß der sämtlichen konstitutionellen Vereine Westfalens ausging. Von ihm spaltete sich wiederum der konstitutionelle Bürgerverein ab, der jede demokratische Tendenz ablehnte. Regungen katholischpolitischer Richtung waren vorerst nur schwach zu spüren. (Für die Vorgänge in Iserlohn vgl. das Buch von W. Schulte < 314> s. unten Abschn. III.) -- Im Fürstentum Lippe ist die von Wortmann < 1100> geschilderte Bewegung des Revolutionsjahres nicht nur von der städtischen Bevölkerung getragen, sondern zugleich von einer Gärung im Landvolke begleitet, die von den Schichten der landlosen Einlieger ausging. An Führern von Format fehlte es in Lippe gänzlich. Es nimmt daher nicht wunder, daß die Regierung, nachdem sie gewisse politische Grundforderungen am 9. März grundsätzlich bewilligt und ihre eigene Zusammensetzung den Wünschen der Bevölkerung angepaßt hatte, bald wieder die Zügel fest in der Hand hatte. In den beiden Fragen, die im weiteren Verlauf der Geschehnisse im Mittelpunkt stehen -- der Verfassungsfrage und der Frage der Beteiligung am fürstlichen Domanium --, trug die Regierung einen uneingeschränkten Sieg davon. Die auf Grund des von den alten Landständen beschlossenen freiheitlichen Wahlgesetzes gewählte Volkskammer wurde 1850 auf unbestimmte Zeit vertagt und schließlich aufgelöst, ohne daß ein neues Staatsgrundgesetz zustandegekommen war und ohne daß sie in der Dominialfrage irgendwelche Zugeständnisse zugunsten einer Mitwirkung der Stände in der Verwaltung des Domaniums erlangt hätte. Am Ende wurde die alte ständische Verfassung wieder in Kraft gesetzt, um deren Reform sich schon die Fürstin Pauline bemüht hatte (vgl. den im übrigen auf der Literatur fußenden Aufsatz von Steur < 1078>).


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