III. Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte.

Zum Verständnis des Zieles der Arbeit von Frisch < 2093> ist vorweg zu beachten, daß sie nicht von den Landesherren ausgeht, sondern von dem Gebiet, daß sie also nicht Besitzungen und Erwerbungen der Grafen von Altena-Mark schlechthin behandelt, sondern die geschichtliche Gliederung des nachmaligen Grafschaftsgebietes -- in seinem endgültigen Umfang -- sowohl vor wie nach der Ausbildung des Territoriums vor Augen führen und so zugleich die geschichtlich-geographischen Grundlagen des Territoriums wie seiner Verwaltungsbezirke aufzeigen will. Demgemäß werden an erster Stelle die Nachrichten und Zeugnisse über die Gaue und Grafschaften behandelt; jedoch ließ sich bei der Beschaffenheit der Quellen weder über den Zusammenhang der Grafschaften mit den Gauen noch über die Entwicklung der Grafschaftsverhältnisse bis zum 12. Jh. ein wirklich klares und eindeutiges Bild gewinnen. Die Verfasserin folgt zwar -- ohne selbst neue oder eigene Gründe vorzubringen -- der Anschauung, daß die Freigrafschaften aus den alten Grafschaften hervorgegangen sind, verzichtet aber doch darauf, etwa auf ihrer Grundlage die Grafschaften zu rekonstruieren. Für den Aufbau des Territoriums der Grafen von Altena-Mark ist das Ergebnis wesentlich, daß die Grafschaftsrechte nicht von der grundlegenden Bedeutung waren wie anderwärts. Seine Grundlagen sind im einzelnen stärker differenziert; vor allem Gogerichte, Immunitäten und Vogteien sind maßgeblich daran beteiligt. Nach der beigegebenen Karte der Gogerichte


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würde man noch mehr, als es im Text zum Ausdruck kommt, diese, die Landgerichte, als die eigentlich bestimmenden Grundlagen der Territorialbildung anzusehen haben, wie das auch den Erkenntnissen über die Entwicklung anderer Landesherrschaften in Westfalen entspräche. Es darf aber doch ein gewisser Zweifel nicht unterdrückt werden, ob diesen Gogerichten wirklich, vor allem in dem Umfang, wie sie das Kartenbild wiedergibt, ein derart hohes Alter zukommt, wie es nötig wäre, wenn sie an dem Aufbau des Territoriums in solchem Grade beteiligt gewesen wären. Wirklich faßbar werden sie erst im 14. Jh. und aus der jüngeren Amtsverfassung, deren genetischer Zusammenhang mit der Landgerichtsverfassung von Fr. überzeugend dargelegt wird (wenn auch unter Beschränkung auf die Ämter nördlich der Ruhr und unter Verzicht auf die sog. süderländischen Ämter). Auch die Zeugnisse über die Entwicklung der Amtmannschaft bestätigen das. Nur in zwei Fällen bilden hofgerichtliche Bezirke die Grundlage der späteren Ämter, ein einziges Mal ein Burgbezirk. Doch scheint die Bedeutung der landesherrlichen Burgen für die Verwaltungsorganisation im ganzen zu gering veranschlagt zu sein. Starke Beachtung verdient, was die Verf. über die räumlichen Zusammenhänge zwischen Gogerichten und Kirchspielen ausführt. Die Kirchspielorganisation selbst ist nur im Überblick dargestellt. Nicht entschieden genug, sondern schwankend ist die Stellungnahme der Verf. zur Frage der Reichshöfe. -- Die Ausdehnung märkischer Rechte auf münsterisches Territorialgebiet zeigt das von Borgmann (Westfalen 22, S. 7--11) veröffentlichte Register der märkischen Hundelager und Hundeleute (d. h. wohl Vogteileute); den Ursprung dieser Rechte führt B. auf die Kappenberger Vogtei zurück, die den Grafen v. d. Mark zustand. --Borgmann < 2092> wirft die durchaus erwägenswerte Frage auf, ob die 1011 an Paderborn geschenkte Grafschaft des Hahold eine echte karolingische Grafschaft war oder nicht vielmehr als Freigrafschaft im späteren Sinne aufzufassen sei. Er glaubt sich für die zweite Lösung entscheiden zu sollen, doch dürfte der Nachweis, der sich besonders auf das spätere Vorkommen von Freistühlen in der Nähe der 1011 genannten Orte stützt, die andere Möglichkeit keineswegs ausschließen. --

Eine vor 40 Jahren entstandene Untersuchung von Schmitz-Kallenberg < 2090> bringt -- bei Beschränkung auf bestimmte Fragepunkte -- eine wichtige Förderung und Klärung des Landständeproblems im Bistum Münster. Gegen 1280 hat die Entwicklung von Landständen einen ersten Abschluß erreicht, der sich in einer geregelten Mitwirkung von Vertretern der Geistlichkeit (Domkapitel), Ritterschaft (Edelherren u. Ministeriale) und Städte (zunächst Münster allein) zu erkennen gibt. Die Zurückführung dieser Mitwirkung auf ein früheres Zustimmungsrecht des Kapitels, der Prioren und der Ministerialen des Stifts reicht allerdings nicht aus, um auch die Beteiligung der Edelherren und Städte zu erklären; es muß vielmehr die lehnsstaatliche Bindung und vor allem der Gedanke des Territorialverbandes stärker hierfür verantwortlich gemacht werden. Ein ständischer Rat (ein Vorläufer schon 1272) ist -- bestimmt seit dem Anfang des 14. Jh.'s -- öfter, aber immer nur für kürzere Zeiträume eingesetzt worden, der die Verwaltung des Landes während einer Sedisvakanz führte oder, wie unter Ludwig v. Hessen, eine Kontrolle der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit des Bischofs ausübte. Seit 1372 hat es keinen solchen Rat mehr gegeben. Die laufende Vertretung der ständischen Belange wurde seitdem vom Domkapitel zusammen mit der Stadt Münster ausgeübt. Über die Ausbildung der ständischen Rechte ist


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der Arbeit wenig zu entnehmen. Das Landesprivileg von 1309 diente lediglich dem Rechtsschutz. Erst die späteren Landesprivilegien des 15. Jh.'s, mit denen seit 1424 auch die ursprünglich nur dem Domkapital erteilte Wahlkapitulation -- als eine solche ist erstmals das iuramentum Bischof Ottos von Rietberg v. J. 1301 anzusehen -- verbunden ist, enthalten weitergehende Bestimmungen über die Mitwirkungsrechte der Stände (insgesamt wie der einzelnen) an den Regierungshandlungen des Landesherren.

Wünsche < 1490> hat die Grundrisse der münsterländischen Städte einer Betrachtung auf Form und Werden unterzogen, die die geschichtlichen Gesichtspunkte in den Vordergrund zu rücken sucht. Doch verbot sich bei der Zahl der Städte eine topographische Durchforschung der Einzelstadt von selbst. Die Einteilung in Kirchorte, Stiftssiedlungen und Burgsiedlungen kann der Mannigfaltigkeit weder der Formen noch der geschichtlichen Voraussetzungen genügen. -- Die Iserlohner Stadtgeschichte von Schulte < 314>, ursprünglich als Einleitung zu einer Stadtrechtsveröffentlichung gedacht, gliedert den Stoff nach den verschiedenen Gebieten des städtischen Lebens, unter starker Betonung der Verfassungs- und Wirtschaftsverhältnisse. Iserlohn hat erst nach der Mitte des 13. Jh.'s (nicht, wie der Verf. angenommen hat, schon in dem Jahrzehnt zwischen 1232 und 1242), städtische Rechte erhalten, und zwar von den Grafen von der Mark, die Stadtherren waren, ohne Grundherren zu sein. Im MA. durchaus das Gepräge einer bescheidenen Mittelstadt tragend (wie besonders an den kirchlichen Verhältnissen zu erkennen), nahm die Stadt in neuerer Zeit einen Aufschwung, der sie um die Wende des 19. Jh.'s zur zweitgrößten Westfalens aufrücken ließ. Grundlage dieses Aufschwungs ist das Metallgewerbe, in engerem Sinne die Herstellung und die Verarbeitung von Draht, die schon im MA. (1394 zuerst bezeugt) dort von der Schmiede- bzw. von der Panzergilde betrieben wurde. Seine zünftlerische Organisation hat das Gewerbe noch bis zur Aufhebung der Zünfte beibehalten. Der Aufschwung der Industrie ist in organisatorischer Beziehung mit der Ausbildung eines Unternehmerstandes, des Reidemeisters, der zugleich Herstellung und Vertrieb übernimmt, und einer freien Kaufmannschaft, die nur den Markt versieht, verknüpft, in technischer Hinsicht mit der Einführung der Nadel- und Messingwarenherstellung verbunden. Nimmt man noch die Unternehmungen anderer Industriezweige (besonders Textilien) hinzu und berücksichtigt man die zunehmende Ausbreitung der gewerblichen Anlagen im benachbarten platten Lande, so ersteht für den Ausgang des 18. Jh.'s das Bild eines Industrievorortes, wie ihn Preußen damals kaum in gleicher Art aufzuweisen hatte. -- Einen Einblick in die ähnlich geartete industrielle Entwicklung der Nachbarstadt Altena vermittelt das Lebensbild J. C. Rumpes (1748--1833) von H. Claas in Rhein.-westf. Wirtschaftsbiogr. <= 68> II, S. 198--216. -- Die Verbindung und der Zusammenhang landwirtschaftlicher und gewerblicher Betätigung, wie sie für das Siegerland charakteristisch ist, wird an einem typischen Beispiel in dem Überblick über die Geschichte des Flekkens Hilchenbach von W. Menn (Hilchenbach, Wesener, 77 S.) anschaulich. Die Erhebung des Dorfes zum Flecken i. J. 1687 war nur die Folge des Umstandes, daß der Ort zeitweilig Residenz geworden war; der wirtschaftliche Charakter des Ortes ist dadurch kaum nennenswert verändert worden. -- L. v. Winterfeld macht in Beitr. Gesch. Dortmunds 43, S. 153--172 mit einer bisher nicht veröffentlichten Rechtsquelle, der Dortmunder Stoppelrolle, bekannt, die teils Bestimmungen für die Erntezeit -- daher der Name --, teils solche allgemein stadtrechtlichen Inhalts


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enthält, von denen die letzteren z. T. sogar ein recht hohes Alter beanspruchen dürfen, wenn auch der Text nur in Abschrift von etwa 1700 überliefert ist. v. W. berührt in diesem Zusammenhange auch die Frage der städtischen Gemeingebote. --Meininghaus < 2255> setzt die Veröffentlichung der Dortmunder Gerichtsbücher in der bisherigen tabellarischen Form fort <vgl. 1928, 1131, S. 469>. -- Die sog. Stapelgüter in der Umgegend von Dortmund hatten teils alljährlich auf dem Dortmunder Grafenhof ein sog. Stapelgeld zu entrichten, teils Steinfuhren zu leisten, wogegen sie in Dortmund Zollfreiheit genossen. Hücker < 2256> hat die einzelnen Höfe, die als Stapelgüter bezeugt sind, festgestellt und die Art und die Dauer ihrer Verpflichtungen geklärt. Hinsichtlich des Ursprungs vermutet H. Zusammenhang mit einer Instandhaltungspflicht für die Königsstraßen. Die von ihm vorgeschlagene Deutung des Namens (Stapel = palus regius, Königspfahl) ist einstweilen mit Vorbehalt aufzunehmen; dafür wäre an die Bedeutungsverwandtschaft zwischen Stapel und Steuer zu erinnern.

Planeth < 2254> hat für ihr Thema, das der noch wenig erforschten Handelsgeschichte Westfalens entnommen ist, die Quellen des Stadtarchivs Münster, namentlich die Gerichtsakten, ausgeschöpft. Unter den Handelsgütern des münsterischen Außenhandels stehen Textilien und lebendes Vieh als Ausfuhr-, Wein als Einfuhrware an erster Stelle. Nach der örtlichen Richtung der Handelsbeziehungen ist das starke Zurücktreten der östlichen Handelsverbindungen auffällig. Die Niederlande und Köln sind für den untersuchten Zeitraum in gleichstarkem und gleichbleibendem Maße die vorzugsweise von Münster aus besuchten Handelsplätze; hinter ihnen steht aber Emden nicht zurück. Gerade in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges fällt eine bedeutende Steigerung des Handelsverkehrs mit den Seeplätzen Amsterdam und Emden und überhaupt eine Hochblüte des münsterischen Handels, die dann mit der Unterwerfung der Stadt durch Christoph Bernhard von Galen völlig vernichtet worden ist. -- Für die Gesamtheit der niederländisch-westfälischen Wirtschaftsbeziehungen bis zum 18. Jh. ist der Aufsatz von Kuske < 2165> sowohl des verarbeiteten Stoffs wie der richtungsweisenden Betrachtung der Zusammenhänge wegen zu beachten. -- Einen knappen, aber trefflichen, auch durch größere Gesichtspunkte ausgezeichneten Überblick über die Entwicklung des Ruhrbergbaus seit dem Anfang des 19. Jh.'s, ihre Phasen und Hauptmerkmale ebenso wie ihre Voraussetzungen, z. B. in rechtlicher und technischer Beziehung, aber auch nach der Verkehrs- und Absatzseite hin, verdanken wir Bergmann < 2258>. -- Für einen kleinen Ausschnitt des Reviers hat Spethmann < 2257> denselben Werdegang in einer mehr ins einzelne gehenden Weise dargestellt. Es handelt sich dabei um ein Gebiet, an dem sich die süd-nördliche Standortverlagerung im Ruhrbergbau von seinen Anfängen im 17. Jh. an bis in die jüngste Zeit und zugleich die Bedeutung der Verkehrswege -- erst Ruhr, dann Eisenbahn -- für diesen Vorgang deutlich illustrieren läßt. Die geschichtlichen Angaben über die einzelnen Bergwerke, Schächte und Stollen sind um so wertvoller, als in einem großen Teile des Gebietes der Bergbau schon länger der Vergangenheit angehört. -- Louis Baare, der als Generaldirektor des »Bochumer Vereins« (1855--95) den wirtschaftlichen Aufbau dieses Unternehmens geleitet hat, ist zugleich als Wirtschafts- und Sozialpolitiker hervorgetreten. Als Mitglied des Staatsrats (seit 1884) hat er in den Beratungen von 1890 gegenüber dem Kaiser die Erfahrung des Unternehmers vertreten. Die Biographie Bacmeisters < 2202> konnte sich für die wirtschaftliche Tätigkeit weitestgehend auf das umfassende


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Werk von W. Däbritz, Bochumer Verein f. Bergbau u. Gußstahlfabrikation (Düsseldorf 1934) stützen. Dafür kommt in ihr die persönliche und die wirtschaftspolitische Seite (u. a. Eintreten im Kampf um die Eisenschutzzölle und für einen gesetzlichen Unfallversicherungsschutz) mehr zur Geltung.

Das Büchlein von A. Voß, Westfälisches Bauerntum im Wandel der Zeiten (Gelsenkirchen, Jak. Schmidt, 103 S.), das der Einführung weiterer Kreise, namentlich des Bauernstandes, in die Geschichte ihres Standes dienen soll, beruht auf wirklicher Kenntnis der Entwicklung und verwertet -- in der Hauptsache für das Paderborner Land -- auch Ergebnisse eigener Forschungen. -- Ein Aufsatz von Fr. Walter, Flurkarte und Siedlungsgeschichte (Westfalen 22, S. 16--28) erörtert Auswertungsmöglichkeiten der in dem Zeitraum von 1822--34 entstandenen westfälischen Katasteraufnahme. -- In Böhmers »Beiträgen« < 1720> ist eine kurze Geschichte des Fronhofs Schwelm, eines alten Besitztums der Kölner Kirche, enthalten, in der man auch eine Fassung des spätma.lichen Hofrechtes abgedruckt findet. -- Hingewiesen sei auch auf die Arbeit von J. Lappe, Geschichte des Hofes Haumann in Lünen-Gahmen, eines dem Kloster Kappenberg gehörigen Hofes (Jb. Ver. f. Orts- u. Heimatkde. Witten 51, S. 1--76) und auf die Quellenveröffentlichung von J. Bauermann, Das Türkensteuerregister von 1598 für das Amt Bochum (ebd. S. 95--128).


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