II. Politische Landesgeschichte.

Die politische Geschichte des oberrheinischen Landes in seiner geschlossenen Ganzheit, wie sie in den geographischen Forschungen von Friedrich Metz dargestellt wird, ist bisher nur in dem älteren Aufsatz von Nitzsch über die oberrheinische Tiefebene und das deutsche Reich im MA. betont, in umfassender Weise aber nicht behandelt worden. Diese Lücke zu schließen unternimmt mit Wagemut und gewandter Feder A. Rapp in seiner Deutschen Geschichte am Oberrhein < 318>. Die Fachvertreter werden im einzelnen noch Stellung zu nehmen haben zu dieser neuen Schau des völkischen Schicksals am Oberlauf des deutschen Stroms, das in einem wegweisenden Überblick, ausgehend von der Einheit des Rheintales als dem Kernstück der ältesten germanisch-deutschen Reichsbildung, G. Ritter in seiner Freiburger Universitätsrede < 317> in großen Zügen klar herausstellt. -- Aus der Fülle von Einzeldarstellungen der Geschichte kleinerer Gemeinwesen im oberrheinischen Raum mag hier nur hervorgehoben werden die über dem Durchschnitt liegende, auf reichem Archivmaterial aufgebaute Geschichte des elsässischen Bauerndorfes Enzheim von W. Guggenbühl < 323> mit ihren wertvollen rechts-, wirtschafts- und volkskundlichen Abschnitten, die urkundliche Geschichte des Landauer Gebietes im Rahmen der deutschen Vergangenheit von J. Hagen < 322> als ein Beitrag zur ma.'lichen Geschichte der Südpfalz, und C. Pöhlmanns Deutsche Geschichte im Bliesgau < 321>, die die Entstehung der Herrschaften in einem Teil der Westmark zum Gegenstand hat, in dem sich Lothringen, Trier und Kurpfalz um den ausschlaggebenden Einfluß stritten. Aus zielweisenden methodologischen Gründen aber verdient der Vortrag von K. S. Bader, »Zur politischen und rechtlichen Entwicklung der Baar in vorfürstenbergischer Zeit« < 324> besondere Beachtung. Auf dem alten Siedlungsboden der dem Schwarzwald östlich vorgelagerten Hochebene mit seinem Gegensatz zwischen Altsiedelland und von Osten nach Westen fortschreitend besiedeltem Ausbauland hatte die fränkische Königsgewalt reichen alemannischen Besitz zum Reichsgut gemacht mit der Pfalz Neidingen als dem organisatorischen Ausgangspunkt der karolingischen Verwaltung. Aus dem Zerfall der öffentlichen Gewalt entriß die über den Schwarzwald nach Osten ausgreifende


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Politik der Zähringer die alte Baargrafschaft dem Streit der Geschlechter. Nach dem Aussterben des Herzogsgeschlechts übernahm nach kluger Auseinandersetzung mit den Rivalen das Haus Urach-Freiburg-Fürstenberg das Erbe.

Die kurpfälzische Politik im Zeitalter der Glaubenskämpfe erfährt im Berichtszeitraum mancherlei neue Aufhellung. Durch die zwiespältige Haltung des Kurfürsten Ludwig V. in den ersten Jahren der Reformation gewann Luthers Lehre in seinem Land nur langsam Boden. Der Kurfürst, der 1521 zu Luther neigt, schwenkt 1526 endgültig in das Lager des Kaisers. Kühle Berechnung und hauspolitische Nützlichkeitserwägungen bestimmen die Politik. Vor allem aus der bisher unbeachteten Korrespondenz des Pfalzgrafen Friedrich mit dem Vertreter beim Kaiser Johann Maria Warschütz wird dieses Urteil über die Stellung der Kurpfalz zur lutherischen Bewegung von 1517 bis 1525 durch W. Müller < 914> belegt. -- In der evangelischen Bündnispolitik dieses Territoriums gegen Ende des 16. Jh.'s spielt die militärische Ausbildung der Untertanen im Zusammenhang mit den im Südwesten und in der Mitte des Reiches organisierten Landesausschüssen, den sog. Landrettungswerken zur Verteidigung des eigenen Bodens, eine besondere Rolle. K. Wolf < 1998> untersucht die treibenden Kräfte und den Anteil der Männer, die unter dem Administrator Johann Kasimir und dem Kurfürsten Friedrich IV. die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Kurpfalz betrieben und durch die militärische Stärkung dieser protestantischen Vormacht den Protestantismus zu retten suchten. Der verfrühte Versuch ist am Ende gescheitert und hat die pfälzische Katastrophe im Dreißigjährigen Kriege nicht abwenden können. -- Seine Wirkungen im Lande in bezug auf den wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang untersucht W. Dautermann < 947> am Beispiel der Landstadt Alzey. Unter den wechselnden Besatzungen von Freund und Feind, Spaniern, Schweden, Kaiserlichen und Franzosen, hatte das schon um die Jahrhundertwende erschütterte Gemeinwesen schwer zu leiden. Doch setzte sich zwischen den einzelnen Feldzügen der gesunde Lebenswille der Bürgerschaft immer wieder durch. Das quellenmäßige Ergebnis der fleißigen Anfängerarbeit liegt zwischen der Schwarzmalerei der älteren Geschichtsauffassung über den volkswirtschaftlichen Niedergang Deutschlands durch den großen Krieg und der zu günstigen Auffassung Hoenigers. -- Auf linksrheinischer Seite erfährt die Zeit eine Behandlung durch die Arbeit von J. Simon über die Besetzung Straßburgs durch Mansfeld < 946>. -- Noch einmal droht kurpfälzische Religionspolitik kriegerische Verwicklungen zu entfesseln. Um die Frage der Einziehung des reformierten Heidelberger Katechismus und die Wegnahme der Heidelberger Heiliggeistkirche durch den katholischen Kurfürsten Karl Philipp entstehen in Verbindung mit den gegenreformatorischen Bestrebungen in Mainz, Trier und Speyer in den Jahren 1719/20 diplomatische Verwickelungen. England, Hannover und Preußen stehen auf seiten der unterdrückten Evangelischen. K. Borgmann < 983> hat diesem deutschen Religionsstreit eine eingehende Studie gewidmet, die durch die Benützung der Korrespondenzen des englischen Vertreters am Wiener Hof Saint-Saphorin, des hannoverschen Gesandten von Huldenberg und von Wrisbergs, des hannoverschen Bevollmächtigten in Regensburg, über die einseitig preußische Darstellung Droysens und die vom Wiener Hof her beleuchtete Behandlung in der Biographie des Reichsvizekanzlers Schönborn von Hantsch hinausführt.


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Dem Ringen des Reichs um den Rhein und dem Schicksal des deutschen Grenzlandes links und rechts des Stroms gelten mehrere Arbeiten. Den Auftakt bildet die weitausholende Darstellung von P. Wentzcke über den heißumstrittenen Straßburger Rheinpaß im Holländischen Krieg 1672/73 < 957>. Zum erstenmal erfahren die Beziehungen der Reichsstadt zu Frankreich eine durchgreifende Wandlung, wobei offenbar wird, daß diese deutsche Stadt nicht mehr aus eigener Kraft ihre Selbständigkeit und Hinneigung zu Kaiser und Reich zu wahren vermag. -- Ein Jahrhundert lang ist die Feste Breisach in der neueren Kriegsgeschichte am Oberrhein ein Brennpunkt des Machtkampfes zwischen Habsburg und Bourbon. Amand Iber < 982> befaßt sich mit den diplomatischen und strategischen Kämpfen um dieses Bollwerk im ausgehenden 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jh.'s mit seinen wechselnden französischen und deutschen Besatzungen. Die deutschen und französischen Archive sind ausgiebig benutzt. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden tritt als Verteidiger und Verfechter der deutschen Sache aus der Zerrissenheit der Reichsstände rühmlich hervor. -- In zeitlicher und räumlicher Nähe, aber fernab von dem Ernst der vorhergehenden Abhandlungen liegt der Gegenstand des kulturgeschichtlich bemerkenswerten Buches von L. Kampfmann und O. Schäfer über die hanau-lichtenbergische Soldatenstadt Pirmasens unter Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt < 1005>. Es zeichnet ein Bild aus der Zeit kleinstaatlicher Soldatenspielerei. Sein Wert liegt in der Veröffentlichung der Stammrollen, einer Fundgrube für die Geschichte oberrheinischer Familien.

Die Stellung des Elsaß zum Einbruch der Ideen und politischen Forderungen der französischen Revolution wird in drei Einzeluntersuchungen des Berichtsjahres beleuchtet. In einer vereinigten Arbeit von Chr. Hallier und H. Molz über Johann Peter Stupfel, einen elsässischen Publizisten der Revolutionszeit < 1045>, wird das Leben und Wirken dieses meist im Dienste des Speyerer Bischofs stehenden Elsässers geschildert, der sich um die Verteidigung der Reichsstände seiner Heimat im geistigen Kampf mit der Revolution abmühte. Unter Berücksichtigung der Machtstellung Frankreichs seit dem Dreißigjährigen Kriege suchte Stupfel in seinen Flugschriften eine Lösung, die zugleich den Ansprüchen des Reiches auf das Elsaß noch gerecht wurde und die Verbindung mit ihm wieder zu festigen suchte. Letztes Ziel seiner zähen publizistischen Arbeit war die Erhaltung der Eigenart, der Sprache, des Brauchtums und des bodenständigen Volkstums seines Heimatlandes. -- Einen bestimmenden Anteil an der Neuordnung der staatsrechtlichen Lage des elsässischen Protestantismus nach dem Sturze des ancien régime hat der letzte Staatsrechtslehrer an der Straßburger Hochschule, Christoph Wilhelm Koch, genommen. J. Richerateau < 1046> behandelt diese Seite des Wirkens des Gelehrten, die die im vorhergehenden Forschungsbericht <1936, S. 527> gewürdigte Biographie von F. Buech außer Betracht gelassen hat. -- Der irreführenden Ansicht, als ob eine nennenswerte Gegenwehr gegen die Ideen der Französischen Revolution unter den Katholiken im Elsaß nicht vorhanden gewesen wäre, wie sie die einseitige Auswertung der zeitgenössischen Publizistik in dem Werk von R. Reuß, La constitution civile du clergé et la crise religieuse en Alsace 1790--1795 erweckt, tritt H. Molz < 2437> entgegen und erweist durch eine umfangreiche Sammlung von Flugschriften die publizistische Abwehr der Revolution durch die Katholiken im Bereich des Unter-Elsaß 1789--1793. Die Liste beschränkt


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sich auf die Druckschriften zur Verteidigung kirchlicher Belange. Schon die Titel zeigen, daß die Hälfte auf eine Sonderstellung des Elsaß gegenüber Frankreich hinweist.


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