III. Rechts-, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte.

Die Weistumsforschung hat namentlich am Oberrhein neuen Antrieb bekommen. Über den Stand und die neuen Aufgaben berichtet W. Andreas < 2014>. Sein Schüler F. Zimmermann betrachtet im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer neuen Ausgabe der pfälzischen Weistümer Entstehung und Inhalt der Weistümer im Hinblick auf ihre Bedeutung für den Auf- und Ausbau der Landeshoheit in der Kurpfalz < 2102>. Diese bedient sich im Kampf gegen ihre Nachbarn Worms, Mainz und Speyer, gegen die Grafen von Erbach, in der Auseinandersetzung mit der Mosbacher Seitenlinie und gegenüber den eigenen Untertanen der für diesen Zweck verzeichneten Weisung aus dem 15.--17. Jh. Namentlich aus den Zenten von Schriesheim, Kirchheim, Neckargemünd und Reichartshausen gewinnt der Verf. der sorgfältigen Untersuchung seine Ergebnisse für die kurpfälzische Weistumspolitik. -- Die strafrechtsgeschichtlichen Städtemonographien aus dem oberrheinischen Gebiet vermehrt die ausführliche, aus dem reichen Quellenstoff des Freiburger Stadtarchivs geschöpfte Abhandlung von G. Schindler über Verbrechen und Strafen im Recht der Stadt Freiburg im Breisgau von der Einführung des neuen Stadtrechts bis zum Übergang an Baden, 1520--1806 < 2107>. Die Arbeit liefert nicht nur einen tüchtigen Beitrag zur Strafrechtsgeschichte, aus dem überall das gesunde Rechtsempfinden des Volkes spürbar wird, in ihr spiegeln sich Sitte und Kultur einer alemannischen Stadtbevölkerung, und durch die große Zahl namentlich angeführter Straffälle wird für die familiengeschichtliche Forschung reicher Stoff ausgebreitet. Im allgemeinen Teil werden Verbrechen, Strafe und Strafanwendung erörtert. Auffallend bleibt die Mannigfaltigkeit, Willkür und Strenge der Strafen. Der besondere Teil stellt die einzelnen Arten der Verbrechen dar. -- Die Forschungen auf dem Gebiete der Privatrechtsgeschichte von Walter Merk führt dessen Schüler Th. Mayer-Edenhauser für das Recht der Liegenschaftsübereignung in Freiburg im Breisgau von der Einführung des neuen Stadtrechts (1520) bis zum Übergang an Baden (1806) selbständig durch < 2106> und überrascht durch neue Ergebnisse, die er mehr durch eine historische Erfassung der Rechtsvorgänge, denn durch starr juristisch-formale Betrachtung gewinnt.

Die verfassungsrechtlichen Wandlungen, die Geheimer Rat und Kabinett in Baden unter Karl Friedrich (1738--1811) durchgemacht haben, unterzieht B. Beinert < 2105> einer eingehenden Sonderbetrachtung mit dem Schwerpunkt auf der Zeit vor den Koalitionskriegen. Andreas hat in seinem großangelegten Werk die Wichtigkeit der alten badischen Markgrafschaft und ihrer Verfassung als Kernzelle für die Bildung des neuen Mittelstaates herausgestellt, Windelband hat einen Querschnitt durch die Verwaltung zur Zeit der Vereinigung der Markgrafschaften Baden-Durlach und Baden-Baden gelegt. B. lehnt noch stärker die Regierungsweise unter Karl Friedrich an die Persönlichkeit des Fürsten an. Solange dieser die Regierungsverfassung seines Landes nach eigenem Willen bestimmen konnte, hielt er an der kollegialen Einrichtung des Geheimen Rates, der Spitze seiner Landesverwaltung, fest und stand zur Wahrung seiner mit den Zielen der Aufklärung verbundenen patriarchalischen Selbstherrschaft den Versuchen, durch ein allmächtiges Fachministerium dieses


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Prinzip zu durchbrechen, ablehnend gegenüber. Auch Wilhelm von Edelsheim, dessen Verdienst es den Markgrafen gelingen ließ, seiner Regierung ohne Änderung der alten Kollegien Beweglichkeit zu geben, vermochte seinen Landesherrn nicht zu einer durchgreifenden Umgestaltung des überholten Zentralbehördensystems zu veranlassen. Erst der Zwang der Rheinbundspolitik und die organisatorische Fähigkeit von Männern wie Brauer und Reitzenstein wandelten die Regierungsform und brachten die verlorene Einheitlichkeit der politischen Zielsetzung beim Aufbau des vergrößerten Staates. -- Die staatsrechtliche, wirtschaftliche und soziale Anpassung Elsaß-Lothringens an das übrige Deutschland nach der Rückgliederung in den deutschen Staatsverband ist von deutscher Seite, wie P. Wentzcke in seinem Aufsatz über die Anfänge des Reichslandes Elsaß-Lothringen < 1168> ausführt, spät Gegenstand geschichtlicher und verfassungsrechtlicher Betrachtung geworden. Erst das große, von G. Wolfram herausgegebene Reichslandwerk und sein elsässisches Gegenstück <1936, Nr. 1116> geben von verschiedener Warte aus mit einer Nachprüfung der Bedeutung der deutschen Verwaltung für das zurückgewonnene Land den erwünschten Ansatz. Das erstgenannte Werk ist mit dem im Berichtszeitraum erschienenen zweiten Teil des die Verfassung und Verwaltung behandelnden zweiten Bandes < 1167> zum Abschluß gebracht worden. Das Unterrichtswesen der deutschen Zeit wird namentlich von dem ehemaligen Oberschulrat B. Baier dargestellt. Es sei auf die ruhige und sachliche Erörterung der Sprachenfrage hingewiesen. Außerdem behandeln mit rühmenswerter Sachlichkeit einst im Reichsland führende Männer die deutsche Leistung im Fürsorgewesen, im Bauwesen, in der Verwaltung der Reichseisenbahnen und im Kirchenwesen beider Konfessionen. Ein 1938 herausgegebener Namen- und Sachweiser erleichtert die wissenschaftliche Benutzung des Gesamtwerkes. Als Ergänzung der beiden Standwerke sucht P. Wentzckes schon erwähnter Beitrag die Anfänge des Reichslandes mit der ersten Epoche des Bismarckschen Reiches zu verbinden, unter Auswertung bislang unveröffentlichter Schriftstücke aus Berliner Archiven, während eine an der Innsbrucker Universität erschienene Dissertation von G. Eisenbraun über das staatsrechtliche Schicksal Elsaß-Lothringens seit 1871 < 2104> die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der beiden Landschaften im Reich Bismarcks und seit dem staatlichen Wiederanschluß an Frankreich aufzuzeigen unternimmt.

Die liberale Wirtschaftspolitik zu Beginn des Eisenbahnbaues in Deutschland stand grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß Bau und Betrieb von Eisenbahnen Sache privater Unternehmung sei. In Baden hat die tatsächliche Entwicklung zum Siege des Staatsbahngedankens geführt, nachdem schon die erste badische Linie von Mannheim nach Basel aus inner- und wirtschaftspolitischen Gründen vom Staate gebaut und in seiner Verwaltung geblieben war. Aber noch in der Zeit des Aufschwungs der staatlichen Eisenbahnpolitik in Baden in den fünfziger Jahren behielt der Gedanke des Privatbahnbaues die Oberhand. Die erfolgreichen Bemühungen der badischen Regierung in den siebziger und achtziger Jahren, die Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen als ein Mittel fürsorglicher und geschickter Volkswirtschaftspolitik einzusetzen, sind allein dem endgültigen Sieg des Staatsbahngedankens in Baden zu verdanken, dessen Entwicklung O. Schäfer < 2261> übersichtlich vor Augen führt.

In der Bevölkerungsgeschichte des oberrheinischen Raums spielt


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die Ein- und Auswanderung vom 17. bis zum 19. Jh. eine hervorragende Rolle. Dem Zugang vor allem von fremdländischen Religionsflüchtlingen steht ein Abstrom wertvoller Menschen gegenüber, die aus politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen und ihr Volkstum ungebrochen im Donauosten, in Rußland und Polen, in Spanien und in der Übersee erhalten oder ihre Stammeseigentümlichkeit in Schleswig und Jütland, in Westpreußen und einzelnen anderen Gebieten bewahrt haben. Ein Blick in die Zusammenstellung der badischen Auswandererliteratur, wie ich sie in dem eben erschienenen 4. Halbbande meiner Bibliographie der badischen Geschichte gegeben habe, zeigt, daß der Fülle von Einzelarbeiten, die ein reiches Quellenmaterial ausbreiten, kaum eine Gesamtschau gegenübersteht. Auch die zahlreichen Beiträge zur Geschichte der Auswanderung in diesem Berichtsjahre von H. Baier < 1669, 1673, 1674>, von J. Häßler < 1671>, H. Jacob < 1672>, H. Koch < 1667>, E. Männer < 1668> tragen von allen Seiten weiteren, auch für die Familiengeschichte auswertbaren Stoff zusammen und zeigen die archivalischen Schwierigkeiten der Auswanderungsforschung auf. Der Beitrag von J. Weidlein über die deutschen Kolonisten der ersten Auswanderungsperiode (1722--1726) in Ungarn < 1670> gilt dem Einzelnachweis, daß die Hauptmasse dieser aus dem Gebiete der Abtei Fulda, aus Hessen, Württemberg und dem Oberrhein im südlichen Transdanubien angesiedelten Auswanderer nicht verarmte, sondern vermögliche Bauern gewesen sind. Es bleibt zu wünschen, daß neben der dankenswerten Arbeit im einzelnen sich in absehbarer Zeit der Gelehrte findet, der die Gesamtgeschichte der oberrheinischen Auswanderung, ihrer Ursachen, Ziele und Folgen, über die territorialen Grenzen hinweg darstellt. -- Einen neuen Beweis für den Anteil schweizerisch-alemannischen Blutes in der elsässischen Bevölkerung liefert Ch. Eglinsdoerfer mit seinem Beitrag zur Ein- und Durchwanderung in Sundhofen-Appenweier im 16., 17. und 18. Jh. < 1606>.


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