VI. Kirchengeschichte.

Zur ma.'lichen Kirchengeschichte ist nur wenig zu berichten. Aus K. Greiners verdienstvollen neuen Studien zur Hirsauer Geschichte < 326> hat für uns Wichtigkeit vor allem der Nachweis, daß das ursprünglich auf einem Hügel bei der späteren Aureliusbasilika gelegene Nazariuskirchlein als die uralte Pfarrkirche für die Umgegend anzusehen ist, und aus dieser Stellung erst um 1200 durch die in der Pletschenau auf Ottenbronner Markung errichtete St. Bartholomäuskirche verdrängt wurde.

Zum württembergischen Reformationsjubiläum 1934 hat, wie nachträglich vermerkt sei, O. Schuster einen ziemlich bunten Strauß von kürzeren Aufsätzen zur Geschichte der lutherischen Kirche Württembergs zusammengestellt < 2548>, die, auf die Benützung durch weitere Kreise eingestellt, im allgemeinen die Ergebnisse der neuesten Forschung richtig auswerten, jedoch nur ausnahmsweise auf schriftliche Quellen zurückgreifen. J. Haller hat zu seiner Geschichte der Kirchengemeinden und Pfarrstellen des evangelischen Dekanatsbezirks Tuttlingen seit der Reformation < 2549> neben der gedruckten Literatur und vereinzelten Handschriften auch die Akten der Dekanatsregistratur


S.536

herangezogen. Die Geschichte dieses Bezirks hat durch die 1810 erfolgte Abtretung wesentlicher Bestandteile (St. Georgen, Hornberg) an Baden und den neuen Zuwachs durch die auf neuwürttembergischem Boden im 19. Jh. entstandenen Diasporagemeinden ihr besonderes Gepräge erhalten. -- In Fortführung seiner Untersuchungen über die Kirchenvisitationspraxis im Ulmer Gebiet <1936, S. 536> bespricht I. Endriß die Ergebnisse der unter den streng lutherischen Superintendenten Ludwig Rabus, Johann Veesenbeck und Konrad Dietrich in den Jahren 1557--1615 vorgenommenen Visitationen < 2550>, deren Niederschriften er, soweit vorhanden, im Auszug veröffentlicht. Es zeigt sich, daß das Luthertum in diesem Zeitraum zu Ulm kein die berechtigten Erwartungen erfüllendes Kirchenwesen schaffen konnte und daß die kirchliche Zuchtordnung infolgedessen im ganzen einen polizeilichen Anstrich annahm; die aus gesunden Erwägungen heraus geschaffene Einrichtung der Laienhelfer versandete schließlich als Polizeieinrichtung im sogenannten Inspektorat.

Keine Persönlichkeit hat dem württembergischen Kirchentum der neuesten Zeit so stark ihr Gepräge aufgedrückt wie der 1687 in Winnenden geborene Theologe und Kirchenmann Johann Albrecht Bengel. Aus Anlaß der 250. Wiederkehr seines Geburtstags hat K. Hermann mit Unterstützung verschiedener Mitarbeiter den ersten Teil einer umfassenden Lebensbeschreibung des verdienten Mannes veröffentlicht, der bis zum Abschluß seiner fast 28 Jahre währenden Tätigkeit an der neugegründeten Klosterschule zu Denkendorf 1741 führt < 2502>. Erstmals hat der von den Nachkommen verwahrte umfangreiche handschriftliche Nachlaß Bengels voll ausgewertet werden können; ferner sind u. a. auch die Archive Herrnhuts und der Franckeschen Stiftungen in Halle herangezogen worden. Da die gesamte Umwelt, vor allem die kirchliche, in die Bengel hineintrat, eingehend geschildert worden ist, bietet das Werk über den engeren Lebenskreis Bengels hinaus ein Bild des württembergischen Kirchentums und Pfarrstands in der ersten Hälfte des 18. Jh.'s. Wir können nunmehr die Entwicklung Bengels in der Stille, seine gelehrten Studien, seine Beziehungen zu I. A. Francke und seine ersten Auseinandersetzungen mit Zinzendorf und Herrnhut, kurz, die ganze Vorbereitungszeit auf die seiner harrende kirchliche Führerstellung genau verfolgen; hoffen wir, daß der 2. Teil, der das Wirken Bengels in der breiten Öffentlichkeit auf verantwortlicher Stelle behandeln will, nicht allzu lange auf sich warten läßt.

In den gleichen Zeitraum führt uns Duncker mit seiner aus Akten und Rechnungen des Tübinger Spitals erarbeiteten Schilderung der Aufnahme und Behandlung der Salzburger Emigranten in Tübingen im Jahre 1732 < 1609>. D. zeigt, daß, da man es rechtzeitig an der nötigen Großzügigkeit fehlen ließ, alle Versuche, die Flüchtlinge im Lande zu halten, fehlschlugen, und daß diese lieber dem großen Zug ihrer Leidensgenossen nach Preußen folgten. -- Auf zwei im 18. Jh. dem Stift Ellwangen als Kanoniker angehörende Mitglieder des südtirolischen mit schwäbischen Familien verschwägerten Geschlechts der Grafen von Wolkenstein-Trostberg lenkt A. Nägele unser Augenmerk < 2373>, insbesondere auf Graf Franz Friedrich (1642--1712), der sich durch großherzige Stiftungen, u. a. die Erbauung der fälschlich nach dem hl. Nepomuk benannten Wolkensteinkapelle an der Ellwanger Stiftskirche, ausgezeichnet hat.

Zu den zahlreichen in letzter Zeit erschienenen Studien über die Vorgeschichte der Errichtung des Bistums Rottenburg fügt Bastgen eine aus vatikanischen


S.537

Quellen schöpfende Mitteilung über Verhandlungen, die noch im Dezember 1802 als einer der ersten Fürsten Herzog Friedrich von Württemberg durch Vermittlung des Ellwanger Dekans Franz Karl von Hohenlohe wegen Errichtung eines Landesbistums, das seinen Sitz in Ellwangen erhalten sollte, mit der Kurie anknüpfte < 2440>. Der Plan scheiterte an der Ablehnung Roms, wo man nicht um des an sich als würdig anerkannten Fürsten Hohenlohe willen mit dem Inhaber der Propstei Ellwangen, Kurfürst Klemens Wenzeslaus von Trier, sich entzweien wollte und auch mit Friedrichs Religionspolitik nicht einverstanden war.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)