C. Bayern im 19. Jahrhundert

H. K. von Zwehls < 1016> Buch über den Abschluß der bayrisch-französischen Allianz vom Jahre 1805 soll den ersten Teil der Darstellung des Kampfes


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um Bayern im Jahre 1805 bilden. Läßt es auch noch manche grundsätzliche Fragen offen, die der zweite Teil beantworten wird, so ist es doch in sich ein geschlossenes Ganzes. Zwei für die Geschichtskenntnis wichtige neue Punkte hat Z. herausgearbeitet: Einmal die bisherige, mindestens für diese Zeit zu ungünstige Beurteilung Max' IV. Josefs und die damals von Montgelas bewiesene Unfähigkeit, sodann die wichtige, führende Rolle des bisherigen Gesandten in Wien, des Freiherrn von Gravenreuth, der den nationalen Widerstand gegen die Aufsaugung Bayerns durch Österreich organisierte. Das Ganze wird geschildert auf der Grundlage einer vortrefflichen Skizze der europäischen Politik. So, wie Z. vom Allgemeinen ausgeht, mündet die Darstellung auch in einem großen allgemeinen Überblick über den »Vertrag von Würzburg in Darstellung und Urteil der Geschichte«. Die im Urteil fein abwägende Arbeit Z.s beruht auf umfassenden Studien in den Archiven der deutschen Staaten einschließlich Österreichs, der Pariser politischen und militärischen Archive; vor allem bot wichtiges neues Material das freiherrlich Gravenreuth'sche Archiv in Schloß Affing; Ergänzungen gaben die Archive des Fürsten Schwarzenberg, der Grafen Montgelas und Luxburg. -- M. Schwarzmaiers Studie »Friedrich Immanuel Niethammer, ein bayerischer Schulreformator« < 2713> ließe an sich -- nach dem Titel -- erwarten, daß N.s tatsächlich ausschlaggebende Bedeutung für die Gestaltung des bayerischen höheren Schulwesens behandelt wird. Der Untertitel: »Erster Teil: Niethammers Leben und Wirken bis zum Jahre 1807« besagt aber, daß in Wirklichkeit Niethammers Leben bis zu seinem Eintritt in den bayerischen Ministerialdienst besprochen wird. Von Denkendorf und Maulbronn führt der Weg über Tübingen zu den Professuren in Jena, Würzburg und Bamberg und schließlich nach München. Schw. versucht zu zeigen, »wie Niethammers Leben und Entwicklung von seinen schwäbischen Jugendjahren an bis zu seiner Berufung nach München Zug um Zug sich gestaltete«. Kants Philosophie ist das für das ganze Leben entscheidende geistige Erlebnis des jungen Tübinger Stiftszöglings, wenn auch Fichtes, Schellings und Hegels philosophischen Gebäuden einige Bausteine für das eigene System, das dadurch allerdings nicht ganz einheitlich bleibt, entnommen werden. Die Entwicklung des kantischen und nachkantischen Idealismus wird von Niethammer nicht beeinflußt. Sein Werk ist vielmehr die »Anwendung wichtiger philosophischer Teilerkenntnisse auf das Gebiet der Religion und später der Pädagogik«. Seine Schulreform baut auf der idealistischen Philosophie auf. Religiös macht er einen Wandel durch vom Rationalismus zum positiven Christentum. Vorkämpfer eines Kirchenprotestantismus wird er erst in Gegenwirkung gegen Sailer und Görres. Sein Normativ von 1808 liegt bereits außerhalb des Betrachtungskreises der Studie. Der Sieg des Neuhumanismus wird durch dieses Normativ von eben dem Mann angebahnt, der durch sein »Realinstitut« zugleich frühzeitiger Wegbereiter des 100 Jahre später erst in die Tat umgesetzten Bildungszieles der Oberrealschulen wurde. Die Studie verdient Beachtung. -- Niethammer spielt auch in K. Schornbaums < 2556> aufschlußreichem Bericht über die Vorbereitungen und das Zustandekommen des dritten Säkularfestes der Reformation im Jahre 1817 eine Rolle. Die kurze Studie setzt sich mit einer Denkschrift auseinander, die aus der Feder des damals an der Regierung in Ansbach tätigen, berühmten bzw. berüchtigten Karl Ritter von Lang stammt. Wir wissen aus des verstorbenen Adalbert von Raumer Buch und aus den Memoiren

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des »Ritters« selbst, welch merkwürdiger Kauz er war, der liberale Aufgeklärte, die Inkarnation des Oppositionsgeistes, der grundsätzliche Neinsager, der Spötter, der recht bösartig werden konnte. Wie sonst, so handelte er auch hier als der Sonderling, der er nun einmal war, indem er nachzuweisen sich bemühte, daß das Reformationsfest überhaupt nicht 1817 gefeiert werden dürfe. Seine zwei Vorschläge, zu einem späteren Zeitpunkt eine Art von Verbrüderungsfest der christlichen Konfessionen zu inszenieren, konnte bei den gläubigen Protestanten damals nicht als eine befriedigende Lösung angesehen werden. Oberkirchenrat Niethammer in München, der von Minister Zentner die grundsätzliche Zustimmung zur Abhaltung der Feier bereits erhalten hatte, unterbreitet daraufhin am 4. Juni 1817 dem bayerischen Generalkonsistorium ein ausführliches Gutachten, welches Sch. gleichfalls abdruckt; es ist eine geistreiche und sehr energische Erwiderung auf Langs Votum, ferner ein eingehender Bericht über die Art, wie das Fest auszugestalten sei. Der König entschied entsprechend den Anregungen Niethammers. Lang schlug aus Rache in Coburg 17 eigene »Thesen« an der Kirchentüre an -- ein echt Lang'scher Lausbubenstreich!

Josef Maier < 1080> setzt sich zum Ziel, »die wirtschaftspolitische Ideenwelt der konservativen Gruppe der Abgeordneten in der bayerischen Ständekammer von 1819 bis 1848 aufzudecken«. Die Grundlage für diese Feststellungen boten die rund 250 Bände der Landtagsverhandlungsprotokolle. Träger des konservativen Gedankens sind -- in Abwehr gegen die Befreiungsaktion vom Feudalismus -- der Adel, in Abwehr der Aufklärung die kirchlich-traditionell gerichteten Kreise um Franz von Baader und Görres. Stark diesseitig und stark jenseitig gerichtete Gruppen finden sich so. Im ganzen gesehen aber ist es Kampf um den Staat, den die konservativen Kreise führen gegen Aufklärung und Liberalismus. Sie halten fest am Patrimonialstaat; Grund und Boden ist die Basis des Staates. Die agrarpolitischen Fragen stehen daher im Vordergrund des Kampfes. Die Gewerbepolitik dieser rückwärtsblickenden Kreise aber wird beherrscht von der Zunftidee. Organische Einheit alten Stiles ist die Forderung in der Wirtschaftspolitik der Konservativen, individualistische Freiheit im Sinn der Aufklärung der Schlachtruf der liberalen Opposition. Der allmählich den Kontinent in seine Klammern schließende Kapitalismus wird seit 1837, durch Ringseis vor allem, mit Thesen, welche der weitere Ablauf des 19. und 20. Jh.'s als berechtigt erscheinen läßt, bekämpft. Was den Konservativen von damals fehlt, ist der Aufbau einer neuen Wirtschaftsordnung, wie es der deutsche Staat der Gegenwart erfolgreich besorgt. -- Eine Grundfrage des einstmaligen bayerischen Königreichs berührt K. Baumann < 1052> in seiner Studie über Kronprinz Ludwig von Bayern und die Oberrheinlande 1809--1819. Diese Frage stellte das 18. und das beginnende 19. Jh.: Soll Bayern auf Kosten Österreichs Großmacht werden oder, von seiner volksmäßigen Basis abgedrängt, sich staatlich erweitern, um dann Österreich um so mehr vom Großteil des alten Reichskörpers abzuschließen? Kronprinz Ludwig, der zunächst die Verbindung mit Tirol, dessen Statthalter er jahrelang war, mit allen Kräften betrieb, suchte, als er einsehen mußte, daß dieses Wunschziel entschwand, um so stärker nunmehr den engeren Anschluß seiner alten Heimat, der Rheinpfalz, an Bayern. Die Opposition Badens und Württembergs, die dadurch völlig vom übrigen Reich abgeschnitten worden wären, ist bekannt. Metternich aber wollte sich in diesem


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neuen Großbayern einen Bundesgenossen gegen Preußen suchen. Was schließlich erreicht wurde, befriedigte Ludwig nicht. Die volle Verbindung vom Main zum Rhein blieb sein Streben bis zu seinem Tod. Wesentlich Neues bringt B. nicht, aber er gibt einen nützlichen, gedrängten Überblick über die Entwicklung des pfälzisch-bayerischen Zusammenhanges bis 1819. Die »Sponheimer Frage« als solche ist ausgeschaltet. -- Die für die Geschichte der Zeit Ludwigs I. so wichtigen französischen Gesandtschaftsberichte aus München 1814--1848, herausgegeben von A. Chroust < 1081> habe ich bereits im letzten Jahrgang <1936, S. 548/549> besprochen.

Dagegen haben wir eine neue Darstellung des Lebens des großen Bayernkönigs aus der Feder von E. Conte Corti: Seine Biographie Ludwigs I. < 1079> beruht auf einer umfassenden Kenntnis aller einschlägigen Archivalien, vor allem des Wittelsbachischen Hausarchivs in München. Seit Sepps und Heigels Biographien ist lange Zeit vergangen. Was mittlerweile erschienen ist, sind wertvolle Einzelstudien oder verfehlte Arbeiten. Vieles Quellengut, das Corti zur Verfügung stand, war früher noch nicht greifbar. So war dieser neueste Biograph des ersten Ludwig zugleich der erste, der aus dem Vollen schöpfen konnte. Wir kennen Corti als feinsinnigen Erzähler aus seinen früheren Büchern. Nicht als Historiker mit ernstem und gemessenem Schritt schreitet er einher. Vor allem das Innenpolitische, das Staatspolitische ließe sich wesentlich eingehender schildern, die innenpolitische Entwicklung von 1825--31, die städtebauliche Gestaltung Münchens -- auch schon vor dem Regierungsantritt --, die Vorgänge der Jahre 1830 ff., die Ministerien Wallerstein und Abel, die Einstellung Ludwigs zu den damaligen Problemen der Bauernbefreiung, der Judenemanzipation, der Güterzertrümmerung, der Stellung des Adels, der Erziehung einer neuen Beamtenschaft, des Kampfes zwischen Liberalismus und Reaktion, der Freiheit der Presse und der öffentlichen Meinung, der besten Art der Volksvertretung, der Stellung und Behandlung der Universitäten usw. sind leider nur verhältnismäßig kurz berührt, teilweise ganz übergangen. Die Außenpolitik, vor allem die deutsche Politik, wurde dagegen etwas kräftiger, jedoch auch nicht umfassend, entwickelt. Um so eingehender aber ist die Schilderung der Persönlichkeit des Königs, vor allem seiner tatsächlich sehr vielseitigen und ihn stark beschäftigenden Liebeshändel. Dieses rein Persönliche, gelegentlich Pikante steht im Vordergrund. Staat und Politik wirken nur als Grundierung. Der Untertitel »ein Ringen um Freiheit, Schönheit und Liebe« besagt bereits, was der Verf. sich als Ziel seines Buches gesetzt hat. Die politische Biographie Ludwigs I. ist somit noch nicht geschrieben. Aber das liegt Corti nicht. Er ist und bleibt der liebenswürdige historische Essayist, dem es in erster Linie auf das allgemein Menschliche und das spezifisch Persönliche ankommt. In dieser Hinsicht ist es ein aufschlußreiches Buch.

Der Teildruck H. Fleischmanns < 1102> bringt in der Einleitung wenigstens einen Überblick über die 1848/49 erschienenen Zeitungen und die kurzlebigen Wochenblätter der Rheinpfalz und eine allgemeine Skizzierung des Wollens und der Anlage dieser »Presse«. Auch die maßgebenden Geldgeber und Schriftleiter sind hier genannt. Die Stimmung der Zeit ist gut erfaßt. Freilich ist, nachdem außer der Einleitung nur Kapitel 8 »Die Wirksamkeit der pfälzischen Abgeordneten im Landtag 1848. Die Würdigung seiner Gesetzgebung durch die pfälzische Presse« abgedruckt ist, das Ganze ein Torso. Aber


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das Wichtigste der Gesamtarbeit scheint hier noch vorzuliegen. Sie ist rein referierend.

Die in den letzten Jahren gewaltig angeschwollene Literatur über Ludwig II. von Bayern ist um ein neues Buch bereichert worden. Auch F. Mayr- Ofens Biographie < 1142>, die übrigens ohne Angaben von Quellen geschrieben ist, obgleich sie solche reichlich benützt, bemüht sich, erneut eine Lanze für den tragischen König zu brechen. Dabei fällt er aber in den gleichen Fehler, den schon viele seiner Vorgänger begangen haben: er schlägt einseitig auf jene ein, welche im König nicht nur den Mäzen, sondern vor allem den Staatslenker Bayerns sehen mußten. Ich habe das Nötige in meinen eigenen Publikationen, vor allem in meiner eben erschienenen Biographie »Ludwig Freiherr von der Pfordten« (1938) über Vorzüge und Fehler der Persönlichkeit von der Pfordtens gesagt und darf daher hier darauf verweisen. Grundfalsch aber ist die Behauptung, die ich herausgreifen muß: »So war es: Der Kampf gegen Richard Wagner, der in München einsetzte, wurde von den beiden höchsten Staatsbeamten, Pfordten und Pfistermeister, heimlich umgelenkt in einen Kampf gegen Ludwig II.« Ein gefährlicher historischer Irrtum, den ich mittlerweile abgetan habe. Was Mayr-Ofen sonst erzählt, legt Zeugnis ab von seiner Gabe, spannend zu schreiben. Er erarbeitet das Interessanteste aus den verschiedenen ihm vorliegenden Darstellungen und Quellensammlungen. Auch das Seelenbild, das er vom König entwirft, ist oft treffend gezeichnet. Daß »von der Pfordten mit Bismarck gespielt hatte«, daß er »geglaubt hatte, mit ihm spielen zu dürfen« (S. 165), ist dagegen, wie sehr vieles, was Mayr-Ofen über ihn sagt, falsch. Wer weiß, wie ehrlich und aus welchen Motiven Pfordten um Großdeutschland kämpfte und um seinen König rang, wird diesen Vorwurf nicht mehr erheben. Daß Schuld auch auf seiner Seite liegt, vor allem in einer falschen Behandlung des allerdings sehr schwer zu behandelnden Königs, habe ich ebenso a. a. O. gesagt. Den Krieg von 1866 als einen »Ministerialkrieg« zu bezeichnen, ist mehr als gewagt. Die Schilderung der Krankheitssymptome dagegen ist packend und trifft das Richtige. Das Urteil über die Regierung von 1866 und den Hof dagegen ist zu hart. Daß die Anklage gegen Ludwig »von frivoler Leichtfertigkeit« (S. 317) gewesen sei, kann man wirklich nicht behaupten. Verwunderlich ist, daß auf S. 324 Ludwig als geistig nicht erkrankt dargestellt wird, während vorher das Gegenteil vielfach bewiesen wurde. Das Endurteil (S. 334) dagegen ist im wesentlichen wieder richtig.

Den umfangreichen, wertvollen Briefwechsel zwischen König Ludwig II. und Richard Wagner, bearbeitet von O. Strobel < 2624> habe ich bereits im vergangenen Jahr <1936, S. 548> besprochen.

(E. Franz)


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