III. Großmachtbildung und gesamtstaatliche Probleme.

Wilhelm Putsch, der in den Jahren 1527--47 die großen »Schatzarchive« in Wien und Innsbruck ordnete und verzeichnete und dessen große Repertorien noch heute ihren Wert für die Forschung nicht verloren haben, widmet F. Huter < 2122> eine Lebensskizze, die uns das Bild eines Kanzleibeamten der maximilianeischen und ferdinandeischen Zentralbehörden vermittelt. -- J. Kallbrunner <1936, 1992> resumiert in einer Studie über die Verwaltungsreform Maria Theresias den Ertrag der letzten beiden Bände der Geschichte der österreichischen Zentralverwaltung. Fr. Walter untersucht die ideellen Grundlagen der österreichischen Staatsreform < 2123> und arbeitet insbesondere die Einwirkung der kameralistischen Denker des 17. Jh.'s heraus. L. Bittner schildert in seinem Aufsatz »Das österreichisch-ungarische Ministerium des Äußeren, seine Geschichte und Organisation« < 2124a> die Zusammenfassung der ursprünglich auf eine Mehrzahl von Räten und Kanzleien verteilten auswärtigen Geschäfte in der Staatskanzlei seit 1742, deren Ausbau durch Kaunitz und Metternich, vor allem aber die Zeit des Dualismus seit 1867. Sehr interessant


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sind B.'s Darlegungen über die Auswirkung der eigentümlichen verfassungsrechtlichen Stellung des gemeinsamen Ministers auf sein Verhältnis zur Innenpolitik der beiden die Doppelmonarchie bildenden Staaten und deren Rückwirkung auf die Außenpolitik, über die Organisation des inneren Dienstes, über Herkunft und soziale Schichtung der Beamtenschaft. Fr. Stix verfolgt die Geschichte der Wiener geheimen Ziffernkanzlei < 2125> von ihrer Gründung, die wohl unter Karl VI. erfolgte, bis 1848. Die Ziffernkanzlei kontrollierte nicht nur den Schriftwechsel der diplomatischen Vertreter, sondern die ganze über Wien gehende Post und diente sowohl der Polizei wie der auswärtigen Politik. Unter dem Titel »Von Sonnenfels bis Lueger« hat O. Morgenstern Beiträge zur Geschichte des österreichischen Versicherungswesens < 2275> erscheinen lassen, die für eine noch zu schreibende Geschichte dieses wichtigen Kapitels der österreichischen Wirtschaftsgeschichte eine Reihe brauchbarer Hinweise enthalten, wenn sie auch die zentralen Fragen kaum berühren. Für E. Benedikt repräsentiert der Prinz von Ligne <1936, 974> die »österreichische Idee«, die darin gipfelt, daß »jenseits von Geburt und Abstammung, durch Schicksalsgemeinschaft eine Bildung entstand, eine Mentalität, die den Schicksalsgenossen spezifische Farbe gab«. Unter diesen Grundgedanken ist das Leben eines belgischen Grandseigneurs geschildert, der an den Höfen und in den Heeren Maria Theresias und Josephs II. diente, der ebenso aber in Paris, Berlin und Petersburg zu Hause war wie in Wien, wo Ligne schließlich während des Wiener Kongresses starb. Wenn diese der Welt des Rokoko und der Aufklärung verhaftete Existenz »österreichisch« genannt werden soll, dann höchstens in dem Sinn, daß sie eine Seite der Donaumonarchie repräsentiert, die keine zukunftsträchtigen Kräfte in sich enthielt. In seinem Metternich faßt V. Bibl nochmals das Bild des »Dämons Österreichs«, so wie er es sieht, zusammen. Metternich ist der große Zerstörer, der letztlich an dem Trümmerfeld, das der Zusammenbruch vom November 1918 hinterlassen hat, die Schuld trägt <1936, 993>. Den ersten Band seines 1922 erschienenen Werkes »Der Zerfall Österreichs« hat Bibl wenig verändert als Geschichte Kaiser Franz I. <1936, 973; 1937, 1054> erscheinen lassen, der zweite Band ist zur »Tragödie Österreichs« umgearbeitet worden. F. v. Reinöhl untersucht in seinem Aufsatz »Das politische Vermächtnis des Kaisers Franz I.« < 1056> das eine der beiden vom 28. Februar 1835 datierten Handschreiben. Entgegen der von H. von Srbik bestrittenen Annahme Bibls, daß der Kaiser ein ihm von Metternich unterschobenes Schriftstück zu einer Zeit unterzeichnet habe, da er nicht mehr bei vollem Bewußtsein war, erweist R. durch Heranziehung neuer Quellen, daß der Kaiser das Handschreiben auf Grund älterer Entwürfe noch selbst diktierte. Sein Zweck war die Belehrung des Thronfolgers, und es darf nicht als das Ergebnis einer Intrigue, die Fürst Metternich zur Sicherung seiner Stellung einfädelte, angesehen werden. P. Müller schildert in einem Aufsatz Österreichs Entwicklung im 19. Jh. im amerikanischen Urteil < 338>, die Eindrücke, die Georg Ticnor, E. Stiles, J. L. Motley und Mark Twain im Vormärz, in der 48er Revolution, in den entscheidenden Jahren des Kampfes um die Vorherrschaft in Deutschland und in der Staatskrise der Badenizeit in Österreich gewannen, und sucht aus dem immer deutlich fühlbaren Gegensatz zwischen dem politischen Denken Amerikas und den Existenzbedingungen der Donaumonarchie die Voraussetzungen für das für den Zerfall des Habsburgerstaates entscheidende Eingreifen W. Wilsons zu verstehen. F. J. Schöningh umreißt zusammenfassend das Leben K. L. v. Brucks und seinen Kampf um ein wirtschaftliches Mitteleuropa

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<1936, 2047>. D. Angyal schildert die politische Haltung des Erzherzogs Franz Josef vom Herbst 1847 bis zu seiner Thronbesteigung am 2. Dezember 1848 und zeigt die einheitliche »antiliberale« Gesinnung des künftigen Herrschers, die mit der Grundhaltung seiner ganzen Regierung identisch ist < 1104>. Nach der Meinung R. Recoulys <1936, 1062> hat Kaiser Franz Joseph an der Aufgabe, aus Österreich-Ungarn ein Völkerreich zu schaffen, das nicht ein »Trabant des prussifizierten Deutschland« war, versagt. Der Maßstab, der hier an das Werk des Kaisers angelegt wird, ist die Ansicht, die sich die westeuropäische Publizistik (Cheradame, Seton-Watson, H. W. Steed) um 1900 von der Funktion eines österreichischen Völkerstaates als Bollwerk gegen einen angeblichen Pangermanismus zurechtgemacht hat. E. Görlich <1936, 1061> trägt aus der über Kaiser Franz Joseph erschienenen Literatur alle erreichbaren Daten zur persönlichen Charakteristik des Kaisers Franz Joseph zusammen, ohne aber zu der oft sehr weitgehend voneinander abweichenden Beurteilung seiner persönlichen Bedeutung Stellung zu nehmen. Einen Beitrag zur Geschichte der Thunschen Unterrichtsreform bieten die von A. Schneider <1936, 2564> aus dem Nachlaß des Breslauer Latinisten Friedrich Haase herausgegebenen Briefe von H. Bonitz, Emanuel Hofmann, Wilhelm Kergel, K. Weinhold und G. Linker aus Wien, Graz, Olmütz, Lemberg und Krakau, die ein Bild von den schwierigen Verhältnissen an den kleineren Universitäten geben. Der Ertrag ist im ganzen freilich nicht sehr groß, so daß der Abdruck im vollen Wortlaut wohl nicht nötig gewesen wäre.

H. v. Srbik veröffentlicht die Erinnerungen des Generals Freiherrn von John aus den Jahren 1866 und 1870 <1936, 1064>. 1874 von einem Offizier des Kriegsarchivs nach Erzählungen des Generals aufgezeichnet, berichten sie vom Anteil, den John 1866 am italienischen Feldzug und am Sieg von Custozza als Generalstabschef Erzherzog Albrechts nahm, vom Einfluß seines Rates auf den Entschluß zum Nikolsburger Waffenstillstand und zur Neutralität im deutschfranzösischen Krieg. Die Einleitung Srbiks führt die Behauptungen Johns, der die Bedeutung seines persönlichen Einflusses stets übersteigert, auf das richtige Maß zurück und gibt eine eingehende Untersuchung der Politik Beusts zwischen 1866 und 1870, in der vor allem die Irrtümer Wertheimers in seiner Andrassybiographie richtiggestellt werden.

Ganz auf den Grundlagen des Biblschen Geschichtsbildes mit seinem Suchen nach »Schuldigen« ist das Werk des Grafen Lónyay < 1134> über L. v. Benedek aufgebaut, das zur Verherrlichung dieses »großen Soldaten« und zu einer Anklage gegen Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Albrecht und unter Benedek dienender oder am Hof tätiger Generale wird. Gegen Lónyay wendet sich E. Heller < 1135> in eingehenden Darlegungen, die geeignet sind, die ganze Haltlosigkeit der von Lónyay vorgebrachten Behauptungen zu erweisen. B. Weiß < 2124> untersucht die föderalistischen und unitaristischen Elemente der österreichischen Verfassungen von 1848--1934 in formal-juristischer Weise, ohne auf die schwierigen politischen Probleme, die hinter den Formeln des Verfassungstextes stehen, tiefer einzugehen.

Die Erinnerungen des Baron Kray < 1364> erzählen von seiner Tätigkeit in der ungarischen Abteilung der Kabinettskanzlei und geben persönliche Erinnerungen aus den letzten Jahren Kaiser Franz Josephs und der Regierung Kaiser Karls.


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