Die seit einiger Zeit angekündigten Forschungen von Petri <S. 86, Nr. 1620; vgl. S. 343> zur fränkischen Landnahme und zur Entstehung der germanisch-romanischen Sprachgrenze liegen vor. Groß ist der Widerhall, den die Veröffentlichung allenthalben gefunden hat. Wir haben daher die Rezensionen zusammengestellt < 150a> und verwertet. Das sachliche Ergebnis lautet: Die Sprachgrenze ist nicht fränkische Siedlungsgrenze. Vielmehr geht die fränkische Landnahme Hand in Hand mit der Schöpfung des Merowingischen Staates. Wallonien und große Teile Nordfrankreichs waren von den Franken volksmäßig besiedelt. Die Sprachgrenze ist die kulturelle Ausgleichslinie einer späteren Zeit und erst seit dem 8. Jh. fest geworden. Petri stützt seine Behauptungen 1. auf die Zusammenstellung, Fixierung und siedlungsgeschichtliche Deutung der germanischen Ortsnamenreste, die in verschiedenen Dichtestufen bis zur Loire vorkommen. Er hat das bereits von E. Gamillscheg, Romania Germanica Bd. I, 1934 gezeichnete Ortsnamenbild bestätigt und wesentlich ergänzt; 2. auf eine Zusammenstellung des archäologischen Materials der fränkischen Reihengräberfriedhöfe. Dabei ergibt sich ein Unterschied in der Verteilung der Namenreste und der Reihengräberfundstätten. Dieser Widerspruch ist nur ein scheinbarer und das Ergebnis späterer Veränderungen im Ortsnamenbestand. Hier führt Petri das der Mundartforschung geläufige Prinzip der sprachlichen


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Dynamik ein. Die Ortsnamen verfielen meist der Übersetzung und Verdrängung durch romanische Formen, dem »Ortsnamenausgleich«. Die Ortsnamen geben nicht mehr das ursprüngliche Bild der völkischen und sprachlichen Zustände der Landnahmezeit. 3. das Rassenbild Nordfrankreichs bestätigt die volksmäßige Besiedlung durch die Germanen, desgleichen die Gesamtbedeutung des germanischen Elements für französisches Recht, Sprache und Kultur (Hausbau). Das Ergebnis, das durch Synthese verschiedener Sonderwissenschaften gewonnen wurde, bedeutet eine neue Grundlegung der gesamten völkisch-kulturellen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland. Auch die Geschichte der politischen Grenzen zwischen den beiden Nachbarvölkern erscheint in einem neuen Lichte, nachdem die bisherige Beziehungslosigkeit von politischer und Volksgrenze überbrückt ist.

Darauf hat Steinbach außer in dem oben angeführten Aufsatz in grundsätzlichen Ausführungen < 187> hingewiesen. Früher hat er schon in der Darstellung der Geschichte des Frankenreiches im Handb. d. dt. Geschichte I, S. 107 ff. <1936, 221> die »Völkischen Grundlagen des Frankenreichs« zum Ausgangspunkt genommen, den gewaltigen Umformungsprozeß von der Antike zum Mittelalter auf dem Boden Nordfrankreichs und aus der Neuformung der Volkstümer das Auseinanderbrechen des Karolingerreiches klarzumachen. Ferner betont er, daß die Verlagerung des Schwerpunktes aus dem Pariser Becken ins Rheingebiet volksgeschichtlich bedingt ist, und fordert, daß der innere Zusammenhang der Volksgeschichte und der politischen Geschichte auch für die späteren Jahrhunderte neu untersucht wurde. Selbst gibt er ein Beispiel für die Lande an der oberen und mittleren Mosel < 187a>. Dieses germanische Kerngebiet, Wiege des Karolingergeschlechts, widerstand der Romanisierung und blieb Bewahrer karolingischer Tradition, bis seine Aufspaltung im 13. Jh. und die Durchsetzung des Raumes mit geistlichen Herrschaften an den alten Mittelpunkten die politische Kraft lähmten.

Petris und Steinbachs Arbeiten nimmt Büttner < 25> zum Anlaß, die neuere, insbesondere auch die französische Literatur zu diesen Fragen kritisch zu sichten und Wege für die tiefere Durchforschung verschiedener aufgeworfener Fragen auf den einzelnen Wissenschaftsgebieten anzudeuten. -- Die Bedeutung der neuen Ergebnisse für das gesamtgermanische Problem und die Rolle der Germanen in der Weltgeschichte würdigt Spengler < 179>.

Schärfsten Widerspruch hat dagegen von der sprachlichen Seite Gamillscheg < 70> angemeldet, ohne jedoch mit seiner mehr statischen Methode des unmittelbaren Rückschlusses von den vorhandenen germanischen Ortsnamenformen auf Art, Dichte und Zeitpunkt der germanischen Siedlung die dynamische Methode Petris, insbesondere den Umfang und die Ausdeutung des Ortsnamenausgleichs, erschüttern zu können. Auf die ausführliche Begründung Gamillschegs in den Abh. d. Preuß. Ak. d. Wissensch. 1938 werden wir im nächsten Bericht eingehen. -- Anerkennend zu Petri äußert sich Frings: soviel auch an Ansetzungen und Deutungen des germanischen Sprachguts zu bessern sei, groß sei der Fortschritt in Stoffsammlung, Methode und geistiger Durchdringung. Frings und v. Wartburg < 69> haben die sprachlichen Probleme im Zusammenhang mit den v. Wartburgischen Thesen von der geschichtlichen Entwicklung der romanischen Sprachen in Angriff genommen und, fußend auf der romanisch-fränkischen Überschichtung und Durchdringung, die Forderung erhoben, den Einfluß des Germanischen bis zur Loire zu verfolgen und umgekehrt das Französische im gesamten westgermanischen Raum zu betrachten.


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Großen Anklang haben Petris Forschungen, aus denen er die vlämischen Fragen in einem besonderen Aufsatz behandelte < 151>, in den Niederlanden gefunden. Von hier waren die Sprachgrenzstudien ausgegangen (Kurth) und methodisch weitergeführt worden (Des Marez). Bei der Nachprüfung der Thesen von Des Marez ergaben sich immer wieder Widersprüche, die van Werveke < 220> zusammengefaßt hat. Auch Gilissen < 80> hat, ohne Petri zu berücksichtigen, zwei wichtige Behauptungen von Des Marez widerlegt; er weist nach, daß die befestigten Römerstraßen nicht Widerstandslinien, sondern Vormarschwege der Franken gewesen sind, die gleichzeitig Toxandrien und Brabant besetzten, und daß eine sächsische Besiedlung bestimmter Teile der Niederlande aus der Toponymie nicht erschlossen werden kann. Zur Sachsenfrage äußern sich, vom Sprachlichen ausgehend, Ehmer < 55>, von der Vorgeschichte und geschichtlichen Quellen her Garaud < 72> und de Vries < 216>. J. Lindemans < 126> hat durch Nachweise von Ort zu Ort, Draye < 46> durch Prüfung der widersprechenden Forschungsergebnisse und der siedlungsgeschichtlichen Lage die Silva Carbonaria als »Haupthindernis des fränkischen Vorschreitens« ausgeräumt und sonst durch eine Fülle eigener Beobachtungen die Auffassungen Petris bestätigt. Zur Erklärung des heutigen Verlaufs der Sprachgrenze wirft er < 48> die Frage auf, ob nicht die von de Maeyer <S. 37, Nr. 688> nachgewiesene Tatsache, daß die römischen Villen in den gebirgigen Teilen der südlichen Niederlande länger erhalten blieben, diese ältere römische Grundlage die Reromanisierung begünstigt habe. Die Einzelnachprüfung, die Vannérus < 204> für die Gegend um Ath vorgenommen hat, kommt zu einem Petri zustimmenden Ergebnis.

Die aus der veränderten Einstellung der Volkstumswissenschaft und den neuen Ergebnissen für die nördlichen Niederlande sich ergebenden Forschungsaufgaben (Landschaftsforschung, germanische Einwanderung in mehreren Wellen und das Verhältnis zur Urbevölkerung, die Sachsenfrage, die niederländisch-englischen Zusammenhänge u. a.) hat de Vries <S. 35, Nr. 645> in grundsätzlichen Ausführungen behandelt. An anderer Stelle hat de Vries < 216> die Erklärung Petris, daß das von Gamillscheg aufgegriffene Salier-Ripuarierproblem unlösbar sei, durch erneute Nachprüfung bestätigt und darüber hinaus wichtige Feststellungen zur Bevölkerungsgeschichte der nördlichen Niederlande gemacht. Van Ginneken < 81> unterstützt Petris Beweisführung von der sprachlichen Seite her durch den Hinweis auf eine Reihe syntaktischer Erscheinungen in den nordfranzösischen Dialekten, die die ehemalige Zweisprachigkeit des nördlichen Gallien beweisen. Er sieht in den neuen Ergebnissen die »definitive verklaring« einer Reihe bisher ungelöster Fragen der altdeutschen Philologie und Literatur. Auch Mansion < 139> schneidet die Frage der Zweisprachigkeit an.

Einschränkungen bezüglich des Umfangs und der politischen Bedeutung macht Witte ebenso wie Ganshof. Dieser ist immer noch geneigt, einen Limes Belgicus als Widerstandslinie gegen das geschlossene Vordringen der Franken anzunehmen, wenn er auch in einem neueren Chlodwig-Aufsatz (De Gids 1938 S. 1--16) die volksmäßige Grundlage des Reiches Chlodwigs als richtig hinstellt. Völlig ablehnend verhält sich dagegen van Houtte. -- Mit der Sprachgrenzforschung in Zusammenhang steht die Arbeit von Rousseau < 167>, die sich mit dem späteren romanischen Rückstoß an der wallonischen und lothringischen Grenze befaßt.


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