II. Einzelne Perioden und Gebiete.

Ganshofs eindringende kritische Überprüfung <S. 40, Nr. 740> von H. Sproembergs umwälzender Neudeutung der Anfänge der Grafschaft Flandern <1936, 70, S. 580> kommt in den Hauptpunkten zu einer Billigung der Sproembergschen Auffassung: Flandern ist anfänglich tatsächlich weder eine Markgrafschaft noch ein Dukat gewesen; es war erst Balduin II., der die Selbständigkeit gegenüber dem König errang und die erste ansehnliche Ausbreitung der Grafschaft verwirklichte. Gegenüber einigen Nebenpunkten der Sproembergschen Beweisführung bleibt Ganshof kritisch: so glaubt er z. B., daß Balduin I. wohl bereits Graf des pagus Gandensis war, in jedem Falle von 870 ab. Vgl. auch Ganshof, Nederl. Historiebladen, I, 151 f. Die eigenartige Verbindung von unbedingtester Reichsgesinnung mit der Gedankenwelt der kirchlichen Reform bei Wazo von Lüttich behandelt Closon < 32>. Im Mittelpunkt der Niermeyer schen Studie <S. 44, Nr. 821> steht die zugleich als Beispiel einer frühen Lehnurkunde bemerkenswerte Urkunde von 1107 (photographische Wiedergabe und Abdruck), laut welcher König Heinrich V. Graf Heinrich von Zutphen mit einer Grafschaft in Friesland belehnt. Recht instruktiv ist van der Lindens < 127> systematischer Vergleich zwischen der Brabanter und der Hennegauer Geschichts- und Kulturentwicklung. Eine Vorarbeit zu einem größeren Werk über die politische und volkliche Trennung der Niederlande vom Reich legt Reese <S. 47, Nr. 880> vor. Er behandelt die bisher noch nicht im Zusammenhang untersuchte Geschichte der niederländischen Balleien des Deutschen Ordens


S.581

an Hand des gedruckten Materials und zeigt die unlösliche Verbundenheit ihres Schicksals mit dem der Niederlande in ihrer Gesamtheit. In der wiederholt erörterten Frage nach dem Ursprung und der Originalität der flämischen Baillis zurückhaltend, zeigt Foucart < 66>, wie sich neben der französischen und flämischen Form dieser Institution in Französisch-Flandern nach seinem Übergang an Frankreich eine ausgesprochene Mischform herauszubilden begann, ohne jedoch die französischen und flämischen Formen vollständig zu verdrängen. Vorwiegend Bekanntes bietet Steurs < 189>. Den großangelegten Versuch einer Ehrenrettung Philipps von Cleve unternimmt de Fouw < 67>. Seine Untersuchung kommt zu dem, wenn sie sich bewahrheitete, für die westliche Volks- und Grenzgeschichte allgemein wichtigen Ergebnis, daß der Widerstand der flämisch-brabantischen Gebiete gegen Maximilian nicht in erster Linie durch die Einwirkungen Philipps hervorgerufen worden sei, sondern ihren primären Grund in dem Widerstand der Bevölkerung gehabt habe, die ihre Heimat gegen den »kalten Imperialismus« der Habsburger verteidigte. Sie sieht in Philipp einen Vorläufer Wilhelms von Oranien. Scharfe Kritik an de Fouws Quellenverwertung und Gesamtauffassung übt Jansma (Nederl. Historiebladen, I, 401--404). Den Text des wichtigen Vertrages vom 7. Februar 1522 über die Teilung der habsburgischen Hausmacht veröffentlicht van der Linden < 130>.

Wichtige neue Quellen zur Vorgeschichte des Aufstandes erschließt die Dissertation Verhofstads < 209>, nicht befriedigend ist freilich die Einordnung in den geschichtlichen Gesamtzusammenhang (E. van Gelder, Tijdschr. Gesch., 53, 303--05). Der Schlußband von van der Essens großer Farnesebiographie < 60> behandelt die Zeit von dem Fall Antwerpens bis zum Tode Farneses im Jahre 1592 und enthält den für die allgemeine europäische Geschichte wichtigsten Teil. Es ist zugleich derjenige Abschnitt in Farneses Leben, der bisher am wenigsten an Hand von Originalquellen untersucht worden war. Gleich Motley und Gossart zieht van der Essen für seine Darstellung die zwischen Farnese und Philipp II. gewechselte Geheimkorrespondenz heran, nimmt aber als erster eine ganz genaue und methodische Auswertung vor. Diese läßt die von Philipp und Farnese in diesen Jahren verfolgte Politik und ihre Ideen in einem wesentlich anderen Licht erscheinen, als es in den bisherigen Darstellungen, die zumeist in der Hauptsache auf die weder ausreichende noch genügend zuverlässige Memoirenliteratur begründet waren, der Fall war. Gerade die Hauptereignisse dieses Zeitraumes: die Feldzüge an Maas und Rhein im Jahre 1586, die Versuche der Vermittlung und Befriedung, der Untergang der Armada, die Politik Philipps und die Rolle Farneses während der Expeditionen nach Frankreich in den Jahren 1591 und 1592 erscheinen in neuem Licht. Dem Bande angefügt ist eine kritische Studie über die Bildnisse Farneses von F. Kelly (E. v. Gelder, Tijdschr. Gesch., 52, 79--80); vgl. auch Kessen < 107> für Limburg. Auf mancherlei gemeinsame Züge in den militärischen und administrativen Einrichtungen der spanischen Zeit und der Gegenwart verweist an Hand der Akten der Secrétairerie d'Etat et de Guerre Henry < 93>. Über die südniederländischen Beziehungen zu England in der ersten Hälfte des 17. Jh.'s bringt einiges Neue die Studie über den Antwerpener Dechanten Teller < 119>, während die gegen die Nordstaaten gerichtete südniederländische Zollpolitik unter Philipp III. durch de Sturler < 192> untersucht wird. Eine Fortführung der Untersuchung Banniers über »De landgrenzen van Nederland«, die auf das Gebiet zwischen Rhein und Dollart Bezug hat, für den südlichen


S.582

Grenzabschnitt zwischen Rhein und Wielingen bildet die Dissertation Emmers < 57>. In den Einzeluntersuchungen wird nach Hauptperioden (1648--1795, 1795 bis 1813, 1813 bis zur Gegenwart) und innerhalb dieser nach regionalen Gesichtspunkten unterschieden. Der Wert der Arbeit liegt in einer genauen Ermittlung des Grenzverlaufs im einzelnen; zu bedauern ist das Fehlen jeder Kartenbeigabe. In Wiederaufnahme einer Studie Rahlenbecks veröffentlicht Prims < 157> einen aufschlußreichen Briefwechsel zwischen dem Bischof, der Stadtverwaltung von Antwerpen und der spanischen Zentralverwaltung über die Ausweisung der Antwerpener Juden.

Von den auf die Revolutionsperiode und die Anfänge der französischen Zeit in den Niederlanden bezüglichen Beiträgen < 117, 160> ist volksgeschichtlich bemerkenswert die Untersuchung über die Stellung Limburgs während der Brabanter Revolution. An Hand eines vielseitigen Quellenmaterials erbringt Leconte den Nachweis, daß die südlimburgische Bevölkerung von 1789 bis zur Schlacht von Jemappes in all ihren Schichten, wenn auch den Umständen gemäß in verschiedenen Formen, ihre Treue zur Sache des Kaisers kundgetan hat, was bis zur Aufstellung eines limburgischen Freikorps führte. Zu der bemerkenswerten Feststellung, daß Verlooy, der bekannte Vorläufer der flämischen Bewegung, 1793 für den Anschluß der südlichen Niederlande an Frankreich eintrat, kommt S. Tassier < 194>. Ein deutliches Abklingen der revolutionären 48er Strömung von der französischen Grenze gegen die niederländischen Gebiete hin ergibt sich aus der Untersuchung Garsous < 73>. Andererseits bleibt seine Beobachtung, daß die revolutionären Regungen nirgends ganz fehlten, bemerkenswert. Wichtig für die belgische Kriegs- und Nachkriegsgeschichte ist das Verzeichnis der Erklärungen, Reden und Briefe König Alberts < 161>. Ein Stern zeigt an, was in dem Mémorial du Roi Albert <1936, 1327> bereits veröffentlicht ist. Das Verzeichnis ist auch für die deutsche Forschung von Interesse. Die Neuorientierung der belgischen Außenpolitik hat zu mehreren historischen Rückblicken auf die belgische Neutralitätspolitik der früheren Zeit Veranlassung gegeben < 4, 68, 82>, die jedoch nicht rein wissenschaftlichen Charakter tragen.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)