I. Allgemeine Quellenkunde und Hilfswissenschaften.

1937 wurde die tschechische Geschichtswissenschaft durch den Heimgang des größten Historikers der letzten Generation Josef Pekař überrascht. Sein Tod berührt auch die deutsche Geschichtswissenschaft. Zählte doch P. zu den wenigen führenden Tschechen, die in der Nachbarschaft zum deutschen Volke ein schöpferisches Grundverhältnis erblickten und seine Belebung dringend herbeiwünschten. Rascher, als P. wohl selbst geahnt haben mag, hat die Wirklichkeit die Richtigkeit seiner Grundanschauungen bestätigt. J. Pfitzner, der seit vielen Jahren auf die Ansichten P.s hinwies, untersucht in seinem Aufsatz: »Josef Pekař und die Deutschen«, Auslandsdeutsche Volksforschung I (1937), 113--31, wie sich P. auf seinem Lebenswege und in seinen Arbeiten zum deutschen Volke und seiner Geschichte einstellte, und zeigt, wie er unmittelbar nach dem Kriege für eine grundlegende Änderung der offiziellen tschechischen Politik gegenüber den Deutschen eintrat. Den Grundgehalt seiner Anschauungen über den »Sinn der tschechischen Geschichte« faßte Pekař 1929 in einer so benannten tschechischen Schrift zusammen, die 1937 bei Rohrer in Brünn in deutscher Übersetzung erschien und von Pfitzner mit einer Würdigung des P.schen Lebenswerkes eingeleitet wurde. Aus einem großen und reichhaltigen Erinnerungsbande, dessen Herausgabe Holinka < 84> betreute, erhellt an mehr denn einer Stelle, wieviel P. in seiner wissenschaftlichen Ausbildung der deutschen Kulturwelt verdankt und wie groß seine Schätzung in deutschen Kreisen war, worauf auch Šusta < 105> in seinem Nachrufe hinweisen konnte. P.s reiche Lebensarbeit tritt in helles Licht, wenn man daneben die Leistung Navrátils stellt, der mit Pekař an den hohen Schulen des Deutschen Reiches studierte, aber später über wissenschaftliche Pläne nicht recht hinauskam, woran auch der wortreiche Nachruf Odložilíks < 79> nichts zu ändern vermag. Die Festschrift zum 60. Geburtstag Kroftas < 50>


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verrät nicht nur, daß er, der Deutschengegner, einer deutschen Familie Kraft entstammt und auch durch deutsche Kulturstätten (Wien) hindurchgegangen ist, sondern auch, wie geringe Anlagen für einen schöpferischen Staatsmann ihm von der Natur mitgegeben worden waren, was die Wirklichkeit unserer Tage auch einer breiteren Öffentlichkeit überzeugend lehrte, auch wenn sich Glücklich < 22> in einer Gesamtwürdigung des Kroftaschen Lebenswerkes zu dieser Erkenntnis noch nicht durchrang. Nicht unnütz wirkt die Erinnerung an Josef Emler in einem eigenen Gedenkband < 80>, da seine Lebensbahn sich am Rande der deutschen Kulturwelt bewegte und im Prager Landes- wie Stadtarchiv unmittelbar an die Quellenzeugnisse deutscher Vergangenheit heranführte. Seine Regesten zur böhmischen Frühgeschichte sind auch für den deutschen Historiker bis heute eine reiche Erkenntnisquelle geblieben. Pelikán < 85> unterzog sich schließlich der Aufgabe, Quellen und Schrifttum ausfindig zu machen, die Balbin in seinen Arbeiten verwendete. Freilich begnügt er sich in der Hauptsache mit einer Statistik, die einer zureichenden geistigen Deutung entbehrt.

Aber auch zur Geschichte der sudetendeutschen Geschichtsschreibung darf auf wichtige Beiträge verwiesen werden. So bemühte sich Sturm <S. 8, Nr. 129> erfolgreich um den Nachweis, daß der Egerer Losungsschreiber Schönsteter als Verfasser einer wichtigen Chronik der Stadt aus dem 16. Jh. anzusprechen ist. Prokert <S. 9, Nr. 151> hinwieder suchte den deutschböhmischen Historiker Ressel der Vergessenheit zu entreißen, mag er seine Bedeutung auch einigermaßen überschätzen. Wostry <S. 9, Nr. 141> vertieft schließlich das Bild, das Borodajkewycz über Const. Höfler erarbeitet hat.

Auch auf dem Gebiete der Bibliographie kann eine reiche Ernte verzeichnet werden. So stellte sich Jonášová-Hajková < 37> für das Jahr 1935 wieder mit einem sorgfältig gearbeiteten Bande böhmischer Geschichtsbibliographie ein, während Klik < 43a> in den üblichen zehnjährigen Übersichten für die Zeit von 1925--1934 alle Arbeiten zur allgemeinen und fremdländischen Geschichte verzeichnet, die im Český časopis historický einen Widerhall ausgelöst haben. Dabei springt sofort ins Auge, daß der Anteil des deutschen Kulturraums alle übrigen weit übertrifft. Šusta < 106> legt seine Sammelberichte in der Revue historique über die sudetenländische Geschichte während der letzten zehn Jahre (1925--1935) nunmehr in einem Sonderbande vor. Schreiber <S. 4, Nr. 58> berichtet über tschechische Neuerscheinungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Sloschek <S. 2, Nr. 22> verfertigte ein Inhaltsverzeichnis zu den Bänden 23--38 der Zeitschr. f. Gesch. Mähr. u. Schles. Zechel <1936, 42> schließlich stellte das Schrifttum zur Heimatkunde des Egerlandes für 1935 zusammen. Ein Sonderverdienst erwarb sich auf diesem Felde Roubík < 94> mit seiner Bibliographie über die Zeitungen und Zeitschriften Böhmens zwischen 1862--1895, die dem Forscher nicht nur ein unentbehrliches Hilfsmittel, sondern auch eine wichtige Handhabe darbietet, das nationale Ausreifen auf tschechischer wie sudetendeutscher Seite zu verfolgen. Namentlich das tschechische Volk holte in diesem Zeitraum mächtig auf. So entstanden 1116 tschechische und 661 deutsche Zeitungen und Zeitschriften, worin sich bereits sehr bezeichnend der Bevölkerungsschlüssel zwischen Tschechen und Sudetendeutschen andeutet, wenngleich nie vergessen werden darf, daß diese immer noch stärkstens von Wien her versorgt wurden.

Der sudetendeutsche geschichtswissenschaftliche Betrieb wurde durch die Gründung der Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte <S. 20, Nr. 354> bedeutsam


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vervollkommnet. Ging damit doch ein längerer Plan und Wunsch in Erfüllung, der dem Wissen um das Wesen der sudetendeutschen Einheitsbewegung entsprang.

Das reichste sudetendeutsche Ortsarchiv, das von Eger, hat nun in Sturm seinen wissenschaftlichen Betreuer gefunden, der in einer Sonderdarstellung <1936, 68> über das bisher Geleistete wie über die zukünftigen Aufgaben der Archivarbeit Auskunft gibt. Über die bisherige wissenschaftliche Auswertung der Schätze im Archiv des Prager Ministeriums des Innern berichtet erschöpfend Prokeš < 90>, wobei wieder besonders dunkle Schatten auf die eigenartige Einstellung des früheren Archivdirektors Köpl fallen. Letošník < 56> erinnert an die Versuche vor einem Jahrhundert, die Landtafel von Böhmen durch entsprechende Indices zugänglicher zu machen.

Es bleibt zu bedauern, daß V. Hrubý < 31> seine diplomatischen Studien zur ältesten böhmischen Geschichte nicht selbst mehr veröffentlichen konnte, wenngleich sich dieses Nachlaßwerkes der vollkommen zuständige Hilfswissenschaftler Šebánek annahm. Er schneidet die für die Kulturentwicklung Böhmens wesentliche Frage nach der Entstehung und ersten Entwicklung des böhmischen Urkundenwesens an, wobei er größere Zusammenhänge aufspürt und sich von jeder Überschätzung des heimischen Kulturniveaus freihält. Überdies trachtet er durch eine Reihe von Sonderuntersuchungen über die Gründungsurkunden böhmischer Klöster Friedrichs Ergebnisse zurechtzurücken. Šebánek < 101> seinerseits rollt nochmals die brennende Frage nach dem Umfange der Boczekschen Fälschungen bis 1306 auf, wobei er eine wesentlich größere Zahl als bisher demaskiert. Dagegen vermochte er einige bisher verdächtige Urkunden als echt zu erweisen. -- Neumann <1936, 2257> untersucht eine Reihe Brünner Minoritenchroniken, namentlich die Stephans von Brünn, dann die Impekhovens und Christs auf ihren Quellenwert hin, wobei er zu der Überzeugung kommt, daß diesen Zeitschreibern mehr Urkunden über die ältere Zeit (13. Jh.) als uns vorgelegen haben müssen.

Einen wertvollen Überblick über das Münzwesen der böhmischen Länder legt Skalský < 96> vor, nachdem er sich vorher < 97> mit Katz über die Chronologie der Denare Boleslaus I. und II. sowie über die Bedeutung der Münzprägung als eines wirtschaftlichen Moments bzw. als eines etwaigen Beweises für das Streben nach politischer Unabhängigkeit auseinandergesetzt hatte.


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