IX. Kultur- und Bildungsgeschichte.

Das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen lockt die Forschung zu stets erneuten Versuchen einer Klärung. Bittner <1936, 296> schien diesen gewaltigen Fragenkreis mit seinem Buche »Deutsche und Tschechen« meistern zu wollen. Der Untertitel des Buches, »Zur Geistesgeschichte des böhmischen Raumes«, verrät allerdings, daß es ihm in erster Linie um die Erfassung des geistigen und dabei wieder des literarischen Lebens geht. Damit verliert der allgemein gehaltene Titel viel an Berechtigung. Denn große Sachbereiche, wie Politik, Verfassung, Verwaltung, Wirtschaft usw., bleiben unberührt. Der erste Band reicht bis zur hussitischen Bewegung. Alle Erwartungen auch im engeren Rahmen erfüllt indessen die Darstellung deswegen nicht, weil sich B. fast ausschließlich auf das Schrifttum stützt und überdies von diesem


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stellenweise allzu stark, fast wörtlich abhängig ist. Das Ansteigen und Abebben des deutschen Einflusses läßt sich nicht allein von der Dichtkunst her entscheiden. Daher besitzt die von B. gezeichnete Kurve viel Fragwürdiges an sich. Als Zusammenfassung bisheriger Forschungsergebnisse wird das Buch indessen seinen Nutzen stiften. Wünschenswert wäre gewesen, daß sich B. an die deutsche und nicht die tschechische Schreibweise vieler Personennamen gehalten hätte. -- Der Amerikaner Boyce und der Engländer Dawson <S. 143, Nr. 2719a> verteidigen in ihrer dankenswerten Schrift über die Prager deutsche Universität weitgehend den Standpunkt der deutschen Forschung, der durch das immer noch nicht beseitigte Universitätsgesetz von 1920 gröblichst verletzt worden ist. Eine kurze Geschichte der Universität weist sie als gute Kenner des Gegenstandes aus. -- Für die Bildungs- und Kulturgeschichte nicht nur Mährens bleibt belangvoll, was Gellner < 21> über den berühmten Arzt und Epidemiologen Thomas Jordan zu berichten weiß. Er, der als Deutscher in Klausenburg geboren war, erlangte als Bekämpfer der Pest im 16. Jh. Weltruf. Daß er dem deutschen Volke zugehörte, wird auch durch den Umstand erhärtet, daß er nicht Tschechisch konnte, sondern durch andere sein Werk ins Tschechische übersetzen ließ. G. behandelt kurz auch andere deutsche Ärzte des 16. Jh.'s in Mähren. -- Zur Geschichte des Schulwesens der böhmischen Brüder steuert Schmidtmayer <1936, 2565> Neues für die Zeit von 1620 im Anschluß an die Wirksamkeit des Bremer Schulrektors Martinius bei, der sich nach 1610 der böhmischen Brüder warm annahm.

Die von Volf und Páta veröffentlichten Briefe Dobrovskýs mit Veršauer und Krčma < 16> helfen das Geistesleben Böhmens zu Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jh.'s aufhellen. Durch reiche Vorarbeiten ist Winter <S. 138, Nr. 2623> bestens in den Stand versetzt, das Geistesleben in den böhmischen Klöstern während des österreichischen Biedermeiers kurz zu kennzeichnen. -- Ein Schüler Winters, Grundl <S. 143, Nr. 2722>, läßt in Krombholz eine Priestergestalt aus Nordböhmen (Böhm.-Leipa) vor uns erstehen, deren Wirksamkeit zwar nicht nachdrücklich in die geschichtliche Entwicklung eingegriffen hat, dennoch das geistige Leben in einer deutschböhmischen Provinzstadt während des Vormärz treffend kennzeichnet. Er gewann dann als Organisator des Volksschulwesens einen gewissen Namen. -- An dem Verhältnis des weitbekannten tschechischen Physiologen Purkyně zu Goethe verdeutlicht Krause, F.: Weg und Welt des Goetheanisten Johannes Evangelista Purkyně (1936), ein bedeutsames Kapitel deutsch-tschechischer Kulturbeziehungen. Purkyně, der lange unter Deutschen gewirkt hatte, strebte auch nach seiner Rückkehr ins böhmische Vaterland unverdrossen nach der Bereicherung der tschechischen Volkskultur durch deutsche Bildung, und dies alles nur, damit das tschechische Volk selbständig werde.

Einen Überblick über die Geschichte des Buchdrucks in der Tschechoslowakei bietet Kabát < 39>. --Volf < 117> widerlegt die Meinung, es sei schon 1414 ein Wiegendruck, und zwar von einem venezianischen Drucker, hergestellt worden. In Wahrheit handelt es sich nur um einen Druckfehler für das Jahr 1515, so daß Gutenbergs Leistung unangetastet bleibt. -- In der Zeit der Gegenreformation unterdrückte eine strenge katholische Zensur alles reformfreundliche, mißliebige Schrifttum. Diese Maßnahmen bekam, wie Škarka zeigt < 104>, besonders der Prager Schriftsteller und Drucker Močidlanský zu spüren, der 1602 zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, dann in die Verbannung ging und erst nach 7 Jahren


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wieder zurückkehrte. Diese Bestrafung steht einzigartig vor 1620 da und ist der jungen, kompromißlosen katholischen Jugend zuzuschreiben.

Der Band Volkskunde, der in der Československá vlastivěda erschien < 115>, wendet sich zwar in erster Linie an das tschechische Volk. Aber der Beitrag, den Jungbauer über die sudetendeutsche Volkskunde in diesem Sammelband schrieb, darf auch die Aufmerksamkeit des deutschen Forschers erwecken. Gestattet doch gerade diese Arbeit zu erkennen, wie sich deutsche und tschechische Forschungsweise gegeneinander abheben. -- Nachdem Schier die Hausbauforschung stark befruchtet hat, gesellt sich nun Hanika <S. 103, Nr. 1957> für die Volkstrachtenforschung hinzu. Daß er sich die Aufgabe nicht leicht gemacht hat und nicht bei der bloßen Beschreibung steckengeblieben ist, beweist der breite Unterbau und der weite Umkreis des Blickfeldes, mit dem er an die Lösung der Aufgabe herantritt. Er verfolgt die im sudetendeutschen Gebiet auftauchenden Trachtenformen durch ganz Europa und sucht namentlich bei den nordischen und östlichen Völkern Erklärungsgründe. Deswegen gelingt ihm die wesentliche Feststellung, daß zwischen der Tracht und der rassischen Zugehörigkeit des Trägers ein enger Zusammenhang besteht, so daß gerade von dieser Seite her helles Licht auf die Rassenseelenforschung fällt. Der erste Teil seiner Arbeit befaßt sich mit diesen grundsätzlichen Fragen, während der noch ausstehende zweite Teil die Beschreibung der Trachten in den einzelnen sudetendeutschen Landschaften nachtragen wird.


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