§ 15. Die Römer in Deutschland und die Germanen bis zur Völkerwanderung

(H. Zeiß)

Während eine größere zusammenfassende Arbeit für die Rheinlande und das Limesgebiet nicht zu verzeichnen ist, kann auf die Bibliographie des Schrifttums 1931--1936 zum römischen Kulturleben von C. Blümlein < 717> hingewiesen werden, welche förderliche Nachweise zu den verschiedensten Teilgebieten enthält.

Den wichtigsten Beitrag zur Geschichte der römischen Vorstöße östlich des Rheins liefert die seit langem erwartete Vorlage der Grabungen von Oberaden < 727> durch das Museum Dortmund. Die im 1. Band behandelten Untersuchungen gehen bereits in die Zeit vor dem Weltkrieg zurück; das Verdienst, den Ort ermittelt zu haben, gebührt bekanntlich Pfarrer O. Prein. Leider standen für den Befund nur beschränkte Unterlagen zur Verfügung, die der Herausgeber (Chr. Albrecht) selbst übersichtlich zusammengefaßt hat (S. 13--24, Taf. 1--38, Plan 1 u. 2). Mit einem Flächeninhalt von 60 ha ist Oberaden dreimal so groß wie Haltern; es konnte 2 Legionen samt Hilfstruppen aufnehmen. Von den Innenbauten (aus Holz) sind an verschiedenen Stellen Reste angetroffen worden. Holzverschalte Wasserbecken scheinen als Vorsorge gegen Brandgefahr angelegt worden zu sein, nicht ohne Ursache, wie die mehrfach erkenntliche Zerstörung des Lagers durch Feuer zeigt; auch die hohe Zahl der festgestellten Brunnen (28) fällt auf. Ein etwa 2 km entferntes Kastell an der Lippe hatte mindestens den Flußübergang zu sichern, wenn es nicht mit einem -- bisher unentdeckten -- Anlegeplatz (wie zu Haltern) zusammenhängt. Von den 230 Münzen (K. Regling †, S. 25--35, Taf. 39) sind 165 bestimmbar, davon 143 von Nemausus, also 85%, während diese Prägungen in Haltern nur 9% ausmachen. Andererseits hat Haltern unter 306 bestimmbaren Stücken 142 (gegen 50' Altarmünzen von Lugdunum, welche in Oberaden ausbleiben. Letztere wurden erst seit 12 oder 10 v. Chr. geprägt; Oberaden muß demnach bald nach diesem Datum verlassen worden sein, was auch die jüngsten vorkommenden Denare (15--12 v. Chr.) anzunehmen gestatten. Aus diesem Grunde ist bereits früher Oberaden mit den Feldzügen des Drusus in Zusammenhang gebracht worden; da die literarische Überlieferung vom Untergang eines Lagers nichts erwähnt, ist das Ausgrabungsergebnis um so bemerkenswerter. Dank der kurzen Benützungsdauer kommt den Funden besondere Bedeutung für die zeitliche Einreihung von römischen Bodenzeugnissen zu, die auf die Kriege unter Augustus zurückgehen. Der 1. Band bringt die zeitlich durchweg vor das Haltener Legionslager fallende Sigillata und die Amphorenstempel (A. Oxé, S. 36 bis 75. Taf. 40--53) sowie die Inschriften auf den viel erörterten Mauerpila, auf Balken und einem Faß (Oxé, S. 76--82, Taf. 54--59). Weitere Fundgruppen sollen im 2. Band, die Ergänzungsgrabungen 1937/38 im 3. Band behandelt werden. Die Ausführung des Planes ist um so mehr zu wünschen, als sie die Voraussetzung für die umfassende Auswertung Oberadens für die Geschichte der Germanenkriege bildet. Der Herausgeber stellt für den Abschluß auch eine Erörterung der Aliso-Frage in Aussicht; als sicher darf jedenfalls gelten, daß ein nur unter Drusus benütztes Lager keinen Anspruch auf den Namen des Kastells hat, das nach der Varusschlacht noch gehalten wurde.


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Zu dem Marserfeldzug des Germanikus i. J. 14 ist an die Erörterung der Silvia Caesia (Tac. Ann. I 50) durch H. Gomoll < 1583> zu erinnern. Eine Würdigung der Kriegszeit 12 v. Chr. bis 16 n. Chr. für die germanische Geschichte gibt H. E. Stier < 714>; sie ist weiter unten (S. 237) zu erwähnen. Den Führer des Abwehrkampfes bringt T. Reismann-Grone < 713> neuerdings mit der Siegfriedgestalt der Heldendichtung in Zusammenhang; er versucht seine Überzeugung mit umfassenden Erwägungen (z. B. 20 »Beweise« für die Gleichung) zu begründen. Bei aller Würdigung einer jahrelangen liebevollen Beschäftigung mit solchen Fragen muß leider festgestellt werden, daß das Buch keinen Gewinn bringt. Es soll hier nicht von falschen Einzelheiten die Rede sein; aufs Ganze gesehen ist aber der Eindruck: Wie verhängnisvoll kann sich ein nicht kritisch geschulter Bearbeiter in seinen Gedankengängen verstricken! R. geht so weit, daß er z. B. aus der Nibelungennot den »burgundischen Ballast«, d. h. Gunther, Attila usw., entfernt (also den historischen Hintergrund der Dichtung!) und den Kern dieses Nachspiels zu Arminius-Siegfrieds Untergang in Tac. Ann. XI 16 (Herrschaft und Sturz des Flavussohnes Italicus) finden will.

Aus der Limeszeit ist an erster Stelle die Schlußlieferung des Limeswerkes < 730> zu nennen, das E. Fabricius mit unermüdlicher Schaffenskraft zu Ende geführt hat. Sie enthält 2 Kastelle: Bendorf im Neuwieder Becken, an der Stelle einer älteren Befestigung etwa claudischer Zeit wohl im Zusammenhang mit Domitians Chattenkrieg i. J. 83 angelegt, und die bekannte Saalburg, für welche H. Jacobi eine Zusammenfassung seiner langjährigen Forschungen gegeben hat; daß die Ansichten von Bearbeiter und Herausgeber zum Teil abweichen, ist S. 70, 1 festgestellt. Einen knappen Überblick über Limes und Limesforschung in Deutschland hat K. Stade < 724> in einem Vortrag in Rom gegeben. Zur Deutung der Odenwaldstrecke mit auffallend kleinen, von Domitian bis Antoninus Pius besetzten Kastellen zieht U. Kahrstedt < 725> aus der Zeit Domitians die Clyde-Forth-Linie und den Dobrudschalimes heran; er sieht im Odenwaldlimes eine befestigte Verbindungsstraße zwischen zwei stärker ausgebauten Teilstücken. F. Kroon < 726> entwickelt, von der Auffassung J. R. Holwerdas abweichend, die Ansicht, daß Arentsburg einen gewöhnlichen Stützpunkt der Rheinflotte darstelle und vielleicht im Zusammenhang mit Domitians Chattenkriegen (nicht wegen Unternehmungen in Britannien) angelegt worden sei.

Von den Germanenkriegen des 4. Jh.'s erörtert G. B. Pighi in seinen neuen Ammianstudien < 746> den Feldzug Konstantius II. gegen die Alamannen von 354 und die Schlacht bei Straßburg (357); zu letzterer vergleicht er eingehend den aus gleicher Quelle schöpfenden Libanius. Auch auf die Bemerkungen über das Verhältnis Ammians zu stilistischen Vorbildern wie Livius und Tacitus sei hingewiesen. Das allmähliche Vordringen der Franken in die Zone nördlich der befestigten Straße Köln--Bavai--Boulogne arbeitet H. von Petrikovits < 719> klar heraus; er betont die zeitweise Verschiedenheit von Volkstums-, Macht- und Staatsgrenze. Die gleiche Frage berührt auch H. Nesselhauf < 718>, der die spätrömische Einteilung der gallischen und germanischen Provinzen mit einem Ausblick auf die mittelalterliche Entwicklung darlegt, die Bedeutung Konstantins als des Schöpfers einer neuen Zentralverwaltung herausstellt und die römische Organisation Galliens bis zum Ende verfolgt. Gegen die allgemeine Spätdatierung der Notitia dignitatum durch Bury und E. Stein erhebt


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N. triftige Einwände, welche die Schilderung der spätrömischen Heeresgeschichte Galliens vorbereiten; gegen Petri wird die Bedeutung des »limes Belgicus« betont. Eine ebenso klare Zusammenfassung der leider spärlichen Quellen zur spätrömischen Zivilverwaltung des Landes bildet den Abschluß.

Die zuletzt genannten Arbeiten sind außer für die politische auch für die Bevölkerungsgeschichte von Bedeutung. Im Vordergrund steht diese bei J. Scharf < 683>, der die Zusammensetzung und Wandlung der Einwohnerschaft der beiden germanischen Provinzen und der Belgica mit Hilfe der inschriftlich bezeugten Namen zu klären sucht. Er ordnet die Belege innerhalb der Civitates, für welche er die Grenzen des CIL übernimmt, in Gruppen nach der Volkszugehörigkeit und errechnet die verhältnismäßigen Anteile. Daß die Durchführung dieser schwierigen Aufgabe Anlaß zu zahlreichen Einwänden gibt, ist bereits in einer Anzahl von Besprechungen (angeführt in der ausführlichen Anzeige von R. Nierhaus, Bad. Fundberichte 15, 1939, S. 93 Anm. 3) im einzelnen begründet worden. Unter diesen Umständen können die Schlußfolgerungen, wie z. B. der auffallend hohe Anschlag des germanischen Elements im Treverergebiet, nicht als gesichert gelten. Die Arbeit ist jedoch allein schon als einstweilige Zusammenstellung und als Anstoß zu weiterer Forschung dankenswert. Ein verwandtes Ziel verfolgt R. von Kienle < 720> mit der Untersuchung einheimischer Kulte im Limesgebiet; auch hier ist weitere Prüfung (so z. B. der Frage der Weihungen an J. O. M., die kaum allgemein als germanisch zu deuten sind) notwendig.

Neben den bisher genannten Gruppen von Arbeiten sind Veröffentlichungen zu nennen, welche die meist einen längeren Zeitraum betreffenden Ausgrabungen an einzelnen Römerorten vorlegen. Hierher gehört die Zusammenstellung der römischen Badeanlagen innerhalb Badens von P. Revellio < 731>, welche außer den einschlägigen Bauten des Heeres die großen Heilbäder Badenweiler und Baden-Baden sowie die Villenbäder aufführt; einzelne Pläne werden hier erstmals wiedergegeben. In einem Lieferungswerk wird nunmehr der Tempelbezirk im Altbachtal zu Trier < 729> zugänglich gemacht, eine der bekanntesten Grabungen aus den letzten zwei Jahrzehnten. Zu Heft 1 hat der Herausgeber S. Loeschcke selbst Vorwort, Einleitung (mit Geschichte und Organisation der Grabung) und Schlußwort (mit der geschichtlichen Zusammenfassung) beigesteuert. Der vorgelegte Ausschnitt »Ritonatempel und Umgebung« umfaßt außer diesem Tempel 10 Kapellen und andere Kultdenkmäler, Wohnbauten und Straßenstücke. Bauten, Schnitte und Funde (außer der Tonware) beschreibt E. Gose, die Tonware F. Hussong. Die Bedeutung der Altbachtalgrabung hat E. Dragendorff in seiner Anzeige gewürdigt; die Besprechung von R. Egger (Gnomon 15, 1939, S. 447--450) enthält auch Berichtigungen zu Inschriften. Die weitverbreitete Vermutung germanischer Kultüberlieferung im Altbachtal findet in dieser Lieferung keine Begründung, wenn man nicht den ein- oder zweimal erscheinenden Gigantenreiter trotz aller Bedenken geltend machen will. Ältere hölzerne Kultbauten konnten im fraglichen Abschnitt nicht einwandfrei ermittelt werden. Loeschcke schließt auf eine christliche Zerstörung nach 337 (wozu Egger auf Cod. Theod. XVI 10, 2 von 341 hinweist) und auf die Erneuerung alter Kulte unter Julian. Der Wert der datierbaren Schichten für die bessere zeitliche Gliederung des rheinischen Fundstoffes wird erst nach dem Abschluß des Werkes voll zu erkennen sein. Handelt


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es sich hier um einen Bericht über eine einzelne, freilich besonders groß angelegte Grabung, so erhält das römische Koblenz durch A. Günther < 728> eine dankenswerte Zusammenfassung dessen langjähriger Arbeit. Sie enthält die Geschichte der Forschung, die Straßen, die Spuren des vermutlichen Drususkastells, die Reste der offenen Stadt der Limeszeit und der Festung der Spätzeit, die bis zum Mauerbau des 13. Jh.'s als Zufluchtsort gedient hat, sowie die Pfahlbrücke über die Mosel. Am entgegengesetzten Ende Obergermaniens wird die Ausgrabung von Vindonissa planmäßig weitergeführt. C. Simonett < 733> hat Holz- und Steinkasernen sowie entsprechende Offiziersbauten und ein vollständiges Unteroffiziershaus untersucht. Unter den kleineren Grabungen seien Beobachtungen zur Wasserversorgung und ein Gräberfeld mit 203 Urnen sowie 3 unverbrannten Beisetzungen (einheimische Sitte) erwähnt.

Ein Fund von der rätischen Donaugrenze gibt P. Goeßler < 734> die Anregung, die sogenannten Augenarztstempel als Zeugnisse eines weitreichenden Heilmittelhandels zu deuten, woraus die Kulturgeschichte der Provinzen manchen Gewinn zieht.

Für den Bereich der Ostmark hat C. Praschniker < 1605> in einem der oben schon berührten Vorträge in Rom die römischen Hauptstraßen behandelt und dabei bedeutendere bürgerliche und militärische Niederlassungen knapp geschildert sowie wichtige geschichtliche Daten beigefügt. Der gleiche Forscher macht gemeinsam mit R. Egger < 736> in dem Stein von Bichl bei Matrei (1. Jh. v. Chr.) ein Denkmal früher römischer Kolonisation in den Ostalpen bekannt. Dem wichtigen Carnuntum, dessen Erforschung nach dem Anschluß einen besonders starken Antrieb erfahren hat, ist Heft 18 des Limeswerkes der Ostmark < 735> fast ganz gewidmet (gleichzeitig als Bericht des Vereins Carnuntum erschienen). Aus den meist planmäßigen Grabungen 1932--1934 veröffentlicht A. Betz <auch 737> die Inschriften, H. Kenner die Grabbeigaben, die meist einfachen Beisetzungen des 1. Jh.'s entstammen; B. faßt die Ergebnisse für die Heeresgeschichte zusammen und gibt in Ergänzung zu den Belegen für bisher unbekannte Hilfstruppen die gesamten älteren Zeugnisse. Bei dem Versuch, das Territorium legionis zu umschreiben, zieht E. Nowotny <auch 738> neuzeitliche Grenzen mit heran, streift also das Thema der Kontinuität. E. Polaschek und A. Seracsin bringen neue Inschriften aus dem Stadtgebiet, unter denen die einheimischen Kelten stark vertreten sind. Weiter westlich, im nördlichen Wiener Wald, ist nach J. Caspart < 739> weniger mit Kelten als Illyrern zu rechnen, welche dort zwischen Vespasian und dem Markomannenkrieg nach ihrem alten Brauch Grabhügel errichtet haben, in denen sich auch römische Einwirkung geltend macht.

Aus dem südlichen Norikum legt R. Egger < 740> Grabungsergebnisse von Virunum (ein Mischtyp aus klassisch-römischem und einheimischem Tempel, Parallele in Trier; Wohngebäudereste; das Theater, etwa Hadrianzeit) und vom Ulrichsberg (spätantike Gebäude; Kulthaus der Noreia) vor. Letzterer Punkt erscheint im Zusammenhang der spätantiken Sperrbefestigungen auf Kärntner Boden bei F. Jantsch < 1607>, der seiner verdienstvollen Übersicht eine sachkundige Einleitung und eine entsprechende Gliederung in nach Lage und vermutlicher Entstehungszeit zusammengehörige Gruppen unter Aussonderung der Bautypen beigegeben hat. Spätrömische, gotische oder langobardische Besetzung sind im Einzelfall schwer zu unterscheiden.


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Mit Rücksicht auf die Ostmark ist als ein wichtiges Hilfsmittel für die Heeresgeschichte die Monographie über die Auxilien des Donauheeres bis Gallienus von W. Wagner < 716> zu nennen. Diese verläßliche Übersicht des derzeitigen Wissens erschließt einen bedeutenden Teil der Quellen für die Besetzungsgeschichte. Für die germanische Geschichte sind die hier garnisonierenden Truppen ursprünglich germanischer Rekrutierung (Bataver, Kannanefaten, Mattiaker, Sugambrer, Tungrer, Ubier) ebenso bemerkenswert wie die Beteiligung des Donauheeres an Kriegen gegen Germanen, z. B. Markomannen und Quaden. So mag diese Arbeit zu Veröffentlichungen über die Geschichte der Germanen überleiten.

Von dem grundlegenden Werk Ludwig Schmidts < 671> liegt nunmehr ein weiterer Abschnitt in Neubearbeitung vor. Er umfaßt die gesamten Ingwäonen sowie einen Teil der Erminonen (die Angrivarier, die Cherusker, die älteren Sweben, die Markomannen, Quaden, Baiern und das spanische Swebenreich). Die Brauchbarkeit der teilweise veränderten und vor allem durch Hinweise auf die neuere Literatur ergänzte Neuauflage ist allgemein anerkannt worden, wenn auch einzelne Wünsche, z. B. hinsichtlich stärkerer Berücksichtigung der Bodenfunde, geäußert worden sind. Für letzteres ist allerdings unentbehrliche Voraussetzung die Herausgabe kritischer Zusammenfassungen des Denkmälerbestandes, wie eine solche für das Gebiet vom Rhein bis zur Weser (Zeitgrenzen: Mitte des ersten und Ende des dritten Jh.'s) R. von Uslar < 722> vorgelegt hat. Der Stoff aus diesem Bereich ist eintöniger und deshalb weniger dankbar als der mancher anderer Gegenden; um so mehr ist die entsagungsvolle Arbeit an diesem Teil der germanischen Hinterlassenschaft anzuerkennen. Methodisch beachtenswert sind die Ergebnisse für Bestattungsbrauch und Hausbau, welche sich hier als wenig ergiebig für Fragen der Stammeszuweisung herausgestellt haben; die beste Unterlage bildet hiefür die Tonware, wobei indessen nur größere Stämme oder Stammesverbände einigermaßen abgegrenzt werden konnten. Im allgemeinen fällt auf Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte, z. B. auch auf Handel mit dem Römerreich, mehr Licht als auf die politische Geschichte.

Eine neue Deutung des viel umstrittenen Ptolemäus versucht U. Kahrstedt < 672>, nach welchem die Quelle des P. die Wohnsitze der Germanen aus der Zeit um 30 v. Chr. geboten haben soll. K. glaubt mit Hilfe einer Berichtigung der Gebirgszüge des P. eine hinlängliche Stütze für seine Anordnung zu gewinnen. Als ein Beispiel für die manchmal recht weitgehenden Folgerungen sei die Ansetzung der Quaden in Nordmähren, dem früheren Österr.-Schlesien und der Westslowakei genannt. Hier wie im allgemeinen wird K. kaum Beistimmung finden. Weitere Studien gelten dem regnum Vannianum, das K. mit Recht östlich der March ansetzt, und den Hermunduren, denen er mit einer allzu gezwungenen Beweisführung als Südgrenze die Donaustrecke von Eining bis unterhalb von Passau zuschreibt, während er die Naristen noch weiter östlich ansetzen will; letztere sollen nach P. (in K.'s Deutung) noch um 30 v. Chr. in Nordböhmen gesessen haben und die Träger der dortigen vormarkomannischen (sog. Bodenbacher) Kultur sein.

Auf die große Linie der politischen Entwicklung des Germanentums zielt H. E. Stier < 714>, wenn er als das Verdienst des Arminius die erstmalige, unter römischer Einwirkung erfolgte bewußte politische Zielsetzung ansieht


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und die seit dem 3. Jh. erscheinenden Stammesbünde gewissermaßen als eine Auswirkung dieses Vorbildes betrachtet. Man kann der lebendigen Darstellung nicht ohne Widerspruch folgen; ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen, seien Bedenken gegen die weitgehende Parallelität der vorchristlichen und der jüngeren Wanderungen im Sinne Altheims ausgesprochen und die auffallende Übertreibung abgelehnt, für die germanische Oberschicht der Ariovistzeit das »egoistisch-träge Sichverlieren an die fremde [keltische] Hochkultur« (S. 283) als wesensbestimmend zu erklären. Ebenfalls in weitgespanntem Rahmen betrachtet O. Höfler < 742> den politischen Zusammenschluß der Germanen; er wendet sich lebhaft gegen mißverständliche Einflußtheorien und legt das Schwergewicht auf die einheimische Entwicklung, deren Wesen ihm durch die Wodanverehrung und die mit ihr zusammenhängenden Kultbünde bestätigt scheint. Der Geschichtsverlauf ist allerdings hier so knapp dargestellt, daß der Vorwurf der Einseitigkeit nicht unberechtigt ist; eine ausführlichere Darstellung wäre als Voraussetzung für eingehendere Erörterung erwünscht.


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