§ 16. Die Zeit der Völkerwanderung

(H. Zeiß)

Auf die am Ende des vorhergehenden Abschnittes genannten Arbeiten, insbesondere das Werk von L. Schmidt < 671>, sei kurz hingewiesen. Zu berichten ist über einzelne Arbeiten, welche das Ausgangsgebiet der Langobarden, die Burgunden am Rhein, die Wandalen, die Ostgoten und Langobarden in Italien und das spanische Westgotenreich behandeln oder berühren.

Die Zeit der beginnenden großen Völkerwanderung steht im Mittelpunkt einer Hamburger Dissertation von G. Körner < 748>, welche mittels Verbreitungskarten von Fundtypen das Siedlungsgebiet der Langobarden an der unteren Elbe und dessen Veränderungen herauszuarbeiten trachtet; als Kern sieht K. das Südufer der Elbe auf rund 100 km Länge (d. h. etwa von Buxtehude bis Dannenberg) und 20--30 km Tiefe an, ein etwas enger Raum für ein Volk, dessen notwendige Ergänzung auf dem Nordufer, bei K. zum Teil angedeutet, von W. D. Asmus < 677> herausgearbeitet worden ist. Zu einem gewissen Teil ist das Urteil über die Arbeit von K. von zwei hier angekündigten Veröffentlichungen abhängig, die späteren Berichtsjahren zufallen werden. Einstweilen ist bereits begründeter Widerspruch gegen die von K. erschlossene Westausbreitung der Langobarden im 4. Jh. und gegen K.'s Auffassung der Abgrenzung von sächsischen und langobardischen Funden erhoben worden (vgl. J. Werner, Germania 23, 1939, 67 f.). So dankenswert der Versuch ist, Fundbeziehungen geschichtlich zu deuten, so muß doch vor allzu kühnen Vermutungen -- z. B. hier der Abwanderungen von Langobarden nach Ostpreußen -- gewarnt werden, zumal, wenn die zeitliche Einreihung bestimmter Typen keineswegs die wünschenswerte Kenntnis verwertbarer chronologischer Stützpunkte erkennen läßt. Für die Geschichte der Langobardenwanderung wäre am wichtigsten, daß die Bodenfunde nach K. in der ersten Hälfte des 5. Jh.'s einen Bevölkerungsabzug annehmen lassen; die Frage läßt sich indessen ohne die Heranziehung anderer als langobardisches Siedlungsgebiet in Betracht kommender Gegenden (Altmark, Havelland) nicht entscheiden. Der Materialteil


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und die Tafeln erschließen zum Teil bisher unbekannten Fundstoff, womit die Arbeit künftigen Untersuchungen die Wege bahnt.

Vor die Zeit der dauernden Niederlassung fällt der Aufenthalt der Burgunden am Rhein, während dessen sie nach G. Köhler < 754> das arianische Christentum angenommen haben sollen; Gewißheit ist kaum zu erreichen.

Eine allgemeine Würdigung der wandalischen Eroberung und der Lehren, welche der Historiker aus dem Verfall des Imperiums zu ziehen vermag, gibt ein Vortrag von M. Roberti < 747>, dem zahlreiche Nachweise beigefügt sind.

Das Schicksal der Ostgoten und die überragende Gestalt König Theoderichs geben immer wieder den Anstoß zur Erörterung. A. Schenk Graf von Stauffenberg < 752> druckt den auf dem Erfurter Historikertag 1937 lebhaft erörterten Vortrag, der Theoderich als den bewußten Vollender einer durch Konstantin I. eingeleiteten Verbindung des Imperiums mit dem herandrängenden Germanentum darstellt und geradezu das weströmische Reich bis zum Gotenkrieg Justinians dauern läßt; als eine einheitliche, aber auch einseitige Schau fesselt er ebensosehr, wie er Widerspruch auslöst. Völlig verschieden sind Standpunkt und Blickrichtung bei G. Vetter < 751>, der den Versuch einer rassenkundlichen Geschichtsbetrachtung macht; wenn Verf. selbst die »Anwendbarkeit der gezeigten Methoden« stark einschränkt, so muß Ref. sogar den weitergehenden Zweifel äußern, ob die Themenwahl überhaupt glücklich war. Fragliche Vermutungen zu erörtern ist hier ebensowenig der Ort, wie zu einzelnen Irrtümern Stellung zu nehmen; zusammenfassend muß leider ausgesprochen werden, daß ein wesentlich neues Ergebnis für die Geschichte der Ostgoten nicht erreicht ist.

Die ostgotische, aber auch die langobardische Nordostgrenze berührt die S. 236 erwähnte Untersuchung von F. Jantsch < 1607>; für die Zuweisung einzelner Befestigungen ist nicht unwesentlich, daß ein von J. als langobardisch betrachteter Typ der Ostgotenzeit angehört (vgl. < 756> S. 48, 11).

Die Langobarden behandelt E. Schaffran < 749> mehr in der Art einer Geschichtserzählung, vor allem auf Grundlage von Paulus Diaconus, der nach O. Dobiaš-Roždestvenskaja < 750> den Entschluß zur Niederschrift in Friaul gefaßt hat. Kritische Durchdringung von Stoff und Schrifttum war anscheinend nicht die Absicht des Buches, das weiteren Kreisen als Gesamtdarstellung willkommen sein wird, auch wegen der Heranziehung der Denkmäler, welche Sch. ausführlicher in einem späteren Werk behandelt hat. -- G. Barni < 762> geht den Alamannen in der Lombardei nach, denen er eine gewisse Bedeutung im Rahmen der fränkisch-langobardischen Beziehungen beilegt. Die urkundlichen Belege, deren Zusammenstellung in den Beilagen dankenswert ist, gehören allerdings in der Regel erst dem 9. und 10. Jh. an.

Bis zum Ende des Westgotenreiches verfolgt St. McKenna < 788> das Heidentum und dessen Nachleben in Spanien. Für germanischen Brauch scheint das Ordal des Kesselfanges (L. Vis. VI 1,3) der einzige Beleg zu sein, da der bei Martin von Braga und anderswo gerügte Aberglaube sich wohl ausnahmslos als antikes Erbe verstehen läßt. Als Hilfsmittel für frühmittelalterliche Kirchen- und Geistesgeschichte wird die saubere Untersuchung sich nützlich erweisen; hinsichtlich der vorchristlichen Kulte bedarf sie einer gewissen Ergänzung.

In einer weiteren Dissertation der Catholic University of America behandelt


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Ch. H. Lynch < 787> Bischof Braulio von Zaragoza (631--651), den Sproß einer vornehmen hispano-romanischen Familie aus Katalonien, die mit dem gotischen Adel verschwägert war. Während die Vita spät und wertlos ist, wirft eine reiche Briefsammlung viel Licht auf kirchliche Fragen; das berühmteste politische Schreiben enthält eine (bestellte?) Aufforderung an den hochbetagten König Chindaswinth, den Sohn Receswinth als Mitherrscher anzunehmen, und ein anderes bekundet die Mitwirkung Braulios an der Gesetzgebung Receswinths. Diese Beziehungen zum westgotischen Staat rechtfertigen einen Hinweis; das Hauptverdienst der Arbeit, die Darstellung des Lebenslaufes und die Würdigung Braulios als Theologe, Kanonist und Schriftsteller (mit Nachprüfung der echten und unechten Schriften) fällt aus dem Rahmen unserer Berichterstattung.


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