II. Quellen und Quellenkunde.

Das wichtigste Ereignis bei der Erschließung der Quellen zur fränkischen Geschichte ist das rasche Fortschreiten der von P. Kehr unternommenen Herausgabe der Urkunden der ostfränkischen Karolinger. Der 2. Teil des Bandes, der die Diplome Karls III. enthält <1937, 720>, ist erschienen, während die Drucklegung des 3. Bandes mit den Urkunden Arnulfs ihrer Vollendung entgegengeht. Nun fehlen nur noch die Urkunden Ludwigs d. Kindes, und dann wird dank K.s energischem Vorwärtsdrängen, schneller als man erwarten durfte, eine der schmerzlichsten Lücken im Gesamtwerk der Monumenta Germaniae historica ausgefüllt sein. Der letzten Urkunde Karls III. hat K. eine eigene kleine Untersuchung gewidmet <1937, 738>. Es handelt sich um ein von dem Reichenauer Kustos Odalrich im 12. Jh. reskribiertes Original dieses Kaisers, das so stark radiert ist, daß nur noch die alte Datierung stehengeblieben ist. K. stellte nun fest, daß diese von dem gleichen Schreiber stammt wie das Eschatokoll des Parmesaner D. Kl. III 172. Außerdem vermutet er nach den Resten der Ortsangabe, daß als Ausstellungsort zuerst Franchenefurt pal(atio) geschrieben war. Diese Annahme läßt sich dadurch stützen, daß Mühlbachers Itinerar für die letzten Tage Karls III., das K. gewisse Schwierigkeiten bereitete, unhaltbar ist. Doch davon wird im nächsten Jahrgang zu berichten sein. -- Auf die Diplomata Karolinorum, das schöne französische Faksimilewerk, das unter der Leitung von F. Lot und Ph. Lauer herausgebracht wird, ist bereits <1936, S. 216 f.> hingewiesen worden. Inzwischen ist eine 4. Lieferung mit weiteren Urkunden Karls d. Kahlen erschienen < 775>.

Eine erzählende Quelle, die für die sächsischen Verhältnisse im 9. Jh., besonders für das Verhalten der Sachsen gegenüber dem Christentum, ergiebig ist, hat O. Menzel <1937, 2306> neu herausgegeben. Es ist die Vita Liutbirgae, die vollständig bisher nur in Pez' Thesaurus zu lesen war. M. hat in zwei begleitenden Aufsätzen <1937, 2306; 1938, 2689> die Entstehungszeit um etwa 880 angesetzt, nachgewiesen, daß die Liutbirgklause sich bei Wendhausen (Thale a. Harz) befand, das Prädikat der »Heiligen« erst aus dem 15. Jh. stammt, und auch sonst manches zur Erklärung der Vita und ihres Inhaltes beigetragen.

Schließlich ist kurz auf einige quellenkundliche Arbeiten einzugehen. -- Im Rahmen seiner tüchtigen Dissertation über die Briefsammlung des Bischofs


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Avitus von Vienne, die er für die Biographie des Bischofs und die politischen und kirchlichen Verhältnisse seiner Zeit auswertet, stellt M. Burckhardt < 765> auch ausführliche quellenkundliche Untersuchungen an. Er geht u. a. auf die Frage nach dem Sammler, der Entstehungszeit und besonders der ursprünglichen Reihenfolge der Briefe ein. Dabei findet er, daß keine chronologische Ordnung bestanden hat. Viele Briefe sind ohne erkennbares Ordnungsprinzip willkürlich an ihre Stelle gebracht worden. Es ist jedoch zur Bildung zweier eigentlicher Blöcke gekommen: der Stücke theologischen Inhalts, die auch durch besondere Größe und den gleichen Adressaten zusammengerückt werden, und die kurzen Briefe, die durch ihre stilistischen Gemeinsamkeiten verbunden sind. -- In der Schlußnotiz eines Heftchen mit Aktenstücken (Kölner Dombibliothek 117 s. IX.), die sich auf die Wiedereinsetzung des Erzbischofs Gunter von Köln beziehen, wird die Vervielfältigung und die Versendung an Erzbischof Liutbert von Mainz und möglichst viele andere Bischöfe gefordert. Diese Notiz ist nun < 772> entdeckt und in ihrer Bedeutung für die Propagandatechnik des 9. Jh.'s. gewürdigt worden. -- L. Halphen < 770> hat »de ordine palatii« einer neuen Untersuchung unterzogen und schreibt das Werk entgegen der herrschenden Ansicht Hinkmar allein zu, der die Erzählung von der Urheberschaft Adalhards nur als literarische Einrahmung benutzt habe. H.s Beweisführung dürfte noch nicht ganz überzeugen. -- Th. Schieffer < 774> untersucht den Brief eines Werdener Mönches an einen ungenannten König (M. G. h. Epp. 6, 131 Nr. 2), den Wilmans und nach ihm Dümmler für Lothar II. gehalten hatten. Sch. weist aber nach, daß es sich um Ludwig d. Kind handelt und bei dem dort genannten baiulus Atto um Erzbischof Hatto von Mainz. Der Brief enthält außerdem einen neuen Hinweis auf den Aufenthalt Arnulfs in Xanten, wo er nach der Chronik Hermanns von Reichenau sich und seinem jungen Sohn den Treueid leisten ließ. -- Eine Arbeit von C. Meredith-Jones < 773>, die der poitevinischen Überlieferung des Pseudoturpin gewidmet ist, erwähnen wir hier nur, weil sie für die Geschichte des mythischen Fortlebens Karls d. Gr. in Betracht kommt. Über den Stand der Editionen des Pseudoturpin ist im Jahrg. 1936 <1936, S. 217> berichtet worden.


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