a) Erzählende Quellen.

Mit besonderer Freude begrüßt man das erste Heft der unter Leitung von R. Holtzmann in Angriff genommenen Neubearbeitung von Wattenbachs Geschichtsquellen < 805>. Wie der Herausgeber im Vorwort darlegt, beschränkt sich der Plan des Unternehmens, da für die älteren Abschnitte ein entsprechendes Werk von anderer Seite zu erwarten ist, auf die Periode der deutschen Kaiserzeit. In zwei Bänden soll einerseits das ottonisch-salische, andererseits das staufische Zeitalter behandelt werden, wobei sich im ersteren durch die Einführung des auf die Zeit von 900 bis 1050 bezogenen Begriffs »das Zeitalter des ottonischen Staates« noch eine weitere Unterteilung ergibt. Im übrigen ist die schon der Darstellung Wattenbachs zugrunde liegende landschaftliche Gruppierung des Quellenstoffes nun vollends zum maßgeblichen Ordnungsprinzip geworden, indem die entsprechenden Einzelabschnitte gesonderten Bearbeitern übertragen wurden. Im vorliegenden Heft behandelt dementsprechend R. Holtzmann das Reich und Sachsen, Sproemberg Niederlothringen, Flandern und Friesland. Darf man den erstgenannten Beitrag in seiner ruhigen und sicheren Linienführung, die das Wesentliche überall mit voller Klarheit und Anschaulichkeit hervortreten läßt, als schlechthin vorbildlich für die ganze weitere Gestaltung des Werkes bezeichnen, so besteht das Verdienst Sproembergs vor allem darin, eine Fülle von Einzeluntersuchungen zumal belgischer Herkunft durch seine Verarbeitung der deutschen Forschung erst wirklich erschlossen zu haben; nur hat man den Eindruck, daß hier des Guten vielleicht doch etwas zu viel geschehen ist und daß der Verfasser die Grenzen seines eigentlichen Gegenstandes


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zuweilen etwas aus dem Auge verloren hat. An Einzeluntersuchungen ist zunächst ein anregender, aber durch überspitzte Formulierungen auch öfter zum Widerspruch herausfordernder Aufsatz von Lintzel < 831> zu nennen. Er charakterisiert die politische Einstellung Widukinds von Corvey als die eines sächsischen Edelings, für den Italien und das Papsttum so gut wie keine, religiöse Antriebe und Begeisterungen, dazu Kirche und Episkopat nur eine geringe Rolle spielten; die Haltung seiner Geschichtsschreibung sei in ihrer jeder Einseitigkeit und Gehässigkeit abholden Objektivität im Grunde mehr die eines Epikers als die eines politischen Historikers. Widukinds bekannte Stellungnahme zum Kaisertum und zur Kaiserpolitik Ottos I. wird -- zunächst noch nicht unmittelbar überzeugend -- als Spiegelung einer besonderen, nicht römischen, sondern fränkisch-germanischen Kaiseridee erklärt. In die Zeit des Investiturstreites führt eine Untersuchung Schmeidlers < 815>, mit der er die früher viel erörterte Frage nach Entstehung und Zusammensetzung der unter den Namen Berthold und Bernold überlieferten Werke durch Heranziehung stilkritischer Methoden ihrer Lösung näher zu bringen sucht. Danach ist Berthold tatsächlich der Verfasser der ganzen nach ihm benannten Annalen (bis 1080), deren Ausarbeitung er 1075/76 begann; in den älteren Teilen stützt er sich weitgehend auf eine in ihren Spuren auch anderwärts nachweisbare Fortsetzung der Schwäbischen Weltchronik, um dann von etwa 1070 an mit eigener Darstellung einzusetzen. Bernold, der von manchen Forschern als Quelle Bertholds angesehen wurde, hat vielmehr dessen Werk im vollen Umfang benutzt und mit der Niederschrift seiner eigenen Chronik erst 1085/86 begonnen. In ähnlicher Richtung bewegt sich ein zweiter Aufsatz des gleichen Verfassers < 816>, insofern er noch für eine weitere Quelle, den ersten, bis 1142 reichenden Teil der Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium, den Nachweis einheitlicher Abfassung durch ein und denselben Autor erbringt. Dieser, vermutlich ein Mitglied des Johannes-Klosters auf dem Berge, schrieb in den Jahren 1134 ff., angeregt vor allem durch Adam von Bremen, den er, was die ältere Forschung ganz übersehen hatte, reichlich ausbeutete. Der literarischen Tätigkeit des Prüfeninger Archivars und Bibliothekars Wolfger, in dem schon Holder-Egger den Verf. der aus diesem Kloster überlieferten Schatz- und Bücherverzeichnisse des 12. Jh.'s erkannt hatte, geht v. Fichtenau < 854> näher nach und nimmt für ihn auf Grund von schrift- und stilvergleichenden Untersuchungen neben einigen Urkunden (darunter zwei DD Konrads III., St. 3430 und 3433) und der Anlage des Traditionsbuches auch die Fortsetzung der Regensburger Annalen seit 1130, ferner die Prüfeninger Vita Ottos von Bamberg, die Vita Theogeri und den Schriftstellerkatalog des sog. Anonymus Mellicensis in Anspruch; doch dürfte dabei manches noch einigermaßen zweifelhaft bleiben. Vorwiegend mit den gleichen Methoden arbeitet ein zweiter Aufsatz, den derselbe Verfasser Gerhoh von Reichersberg gewidmet hat < 813>; auch ihm wird das Diktat zahlreicher Urkunden zugewiesen, sodann die Überlieferung seiner theologisch-politischen Schriften überprüft und dabei in mehreren der erhaltenen Codices die eigne Handschrift Gerhohs festgestellt, endlich in einer gründlichen Untersuchung der Reichersberger Annalen dessen eigner Anteil gegen den seines Fortsetzers Magnus abgegrenzt. -- Die früher als Weingartener Welfengeschichte bezeichnete Chronik hat König < 811> auf Grund der kürzlich aufgetauchten Altomünsterer Hs. neu herausgegeben und

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im Anhang einige andere, auf die Geschichte des Welfenhauses bezügliche Quellen beigefügt. Die Ausgabe, die eine neue, für einen weiteren Leserkreis berechnete Sammlung eröffnet, bietet neben dem Text eine gut lesbare Übersetzung und einen ausführlichen Sachkommentar, dagegen keinen kritischen Apparat. Die Einleitung erbringt den überzeugenden Nachweis, daß das Werk nicht, wie man bisher annahm, in einem der welfischen Klöster entstanden, sondern von einem Weltgeistlichen aus der Umgebung Welfs VI. verfaßt ist. Unter den von Arbusow < 819> zusammengestellten Parallelberichten zur Chronik des Heinrich von Lettland, deren neue russische Ausgabe < 818> mir nicht zugänglich war, verdienen die normannischen und russischen besondere Beachtung.


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