III. Sammlungen und Sammelwerke.

Unter den neugegründeten Zeitschriften verdienen Beachtung die Vierteljahrshefte der Bremer »Gesellschaft für Familienforschung« < 1873>, da sie für ein Arbeitsgebiet mit neuer Umgrenzung (Nordwestdeutschland) bestimmt sind, sowie die Mitteilungen der »Niederländischen Ahnengemeinschaft« < 1910>, einer Vereinigung in Hamburg, die sich der Erforschung von Familien widmet, die vor 1685 als niederländische Glaubensflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Einige Aufsätze aus der sippenkundlichen Monatsbeilage der »Schlesischen Zeitung« läßt A. Schellenberg periodisch aufs neue drucken < 1861>; man sieht an diesem Beispiel, wie wertvoll großenteils der Inhalt solcher der Allgemeinheit schwer zugänglichen Zeitungsbeilagen ist.

Die Leipziger Zentralstelle brachte den sechsten Band ihres großen Stammtafelwerkes zum Abschluß < 1864>. Er enthält eine Reihe von Genealogien, die nach Gegenstand und Darstellungsform sehr verschieden sind. Am bemerkenswertesten darunter ist vielleicht der Abschnitt über die Familie Schmidt aus Zeppenfeld, an der J. Hohlfeld einleitend zeigt, wie ein sippenkundlicher Stoff statistisch und soziologisch gut ausgewertet werden kann. Anregung zu ähnlichen Betrachtungen wird von vornherein ein so umfangreiches Sammelwerk geben, wie es letztlich die Deszendenzliste Ulrich Zwinglis darstellt. Über den Plan und die schon begonnenen Vorarbeiten für eine solche berichtet W. H. Ruoff < 1978>, wobei er auch die genealogisch-soziologischen Probleme der Nachfahrentafel überhaupt erörtert. Es hat sich schätzungsweise


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ergeben, daß Zwinglis Abkömmlinge in die Zehntausende gehen, die in entsprechend vielen Einzelfamilien in allen Schichten des gesamten deutschen Sprachgebietes verbreitet sind. Tiefe Einblicke in den sippenmäßigen Aufbau einer einzelnen Berufsgruppe gewähren wieder W. Serlos < 1892> fortgesetzte Ausführungen über die Familien westdeutscher Berg- und Hüttenleute <1936, S. 348>. In der Reihe des »Deutschen Geschlechterbuches«, die im Berichtsjahr ihren 103. Band erreicht hat, betreffen landschaftliche Sonderbände die Eifel < 1896>, Ostfriesland < 1877>, Niedersachsen < 1878> und Baden < 1899>. In Form eines »genealogischen Lexikons« behandelt R. Bonnet < 1890> nassauische Beamtenfamilien des 19. Jh.'s.

Zur mittelalterlichen Sippenkunde einzelner Städte liegen drei Arbeiten vor. In seiner Dissertation zeigt H. Koeppen < 2092> an einigen der Stralsunder Geschlechter wie den Wulflam, Semlow und Siegfried, in welch starkem Maße das städtische Leben und die politische Machtstellung Stralsunds von ihrem Kommen und Gehen beeinflußt worden sind, nachdem er zwecks Durchführung dieses Themas eingehende Quellenforschungen vorgenommen hat, welche die Stammtafeln dieser Geschlechter abschließend auf gesicherte Grundlage stellen. K. F. Leonhardt < 1875> liefert Beiträge zur Geschichte stadthannoverscher Familien, wobei er an Hand einiger Beispiele Kritik an einer oft herangezogenen genealogischen Sammlung aus dem 16. Jh. übt. Viele Einzelnachrichten über die ältesten Geschlechter der Reichsstadt Memmingen stellte Westermann < 1905> zusammen. Mehr aus jüngerer Zeit stammt das Material, das zur Sippenkunde, vornehmlich der Honoratiorenschicht, der Städte Oppenheim < 1901> und Naumburg < 1886> sowie über die evangelischen Geistlichen und Lehrer der Stadt Amberg < 1907> gesammelt worden ist.

Auch die Bearbeitung ganzer Bezirke des platten Landes schreitet weiter fort. Die Zahl seiner verdienstlichen Veröffentlichungen zur Sippengeschichte des Lüneburger Landes vermehrte H. Borstelmann < 1874> um eine neue Schrift, in der er in bewährter Form alle erreichbaren Angaben über die Bewohner des ehemaligen Amtes Dannenberg vom 15. Jh. bis in die neuere Zeit zusammentrug. Einem Leibeigenschaftsbuch und anderen Unterlagen des 16. Jh.'s entnahm O. W. J. Veit < 1698> seine gleichfalls alphabetisch nach Familiennamen geordneten Nachrichten über bäuerliche Sippen der Gegend von Memmingen. Mehr summarischer Art sind die Listen, die C. A. Endler < 1880> von Ratzeburger Bauernfamilien und L. Neuner < 1909> von älteren Tiroler Erbhöfen geben. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die programmatischen Ausführungen, mit denen L. van de Loo < 1895> auf die einzigartigen Erfolg versprechende Erforschung der uralten Bauerngeschlechter im Gebiete der Fürstabtei Essen aufmerksam macht. Wo sich die Arbeit örtlich, etwa auf einzelne Dörfer, beschränkt, ist es natürlich möglich, das genealogische Gefüge der Landbevölkerung besonders genau zur Darstellung zu bringen. So konnten O. Berling < 1881> und O. Stein < 1872> unter Ausnutzung ihrer Lokalkenntnis ausführliche Genealogien der alteingesessenen Familien einiger lauenburgischen und mecklenburgischen Dörfer zusammenstellen und H. Klumpp < 1904> Stammreihen aus einem württembergischen Dorf mitteilen, denen weitere Angaben bis ins 14. Jh. zurück angeschlossen sind. Noch einen Schritt weiter in der sippenkundlichen Erfassung der ländlichen Bevölkerung geht ein Unternehmen, das von dem »Verein für


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bäuerliche Sippenkunde und ländliches Wappenwesen e. V.«, einer dem Reichsnährstand angegliederten Organisation, in großzügiger Weise in Angriff genommen worden ist. Auf dem Wege über die Verkartung von Kirchenbüchern und Standesamtsregistern sollen mit Hilfe der Landesbauernschaften und anderer Stellen die Einwohnerschaften sämtlicher Landgemeinden Großdeutschlands durchgearbeitet und die Ergebnisse in »Dorfsippenbüchern« niedergelegt werden. Diese sind in erster Linie bestimmt, in jedem Bauernhaus den Sippengedanken zu beleben, sodann auch der Weiterforschung zu dienen. Nach den Aufrufen ist die Arbeit bereits in vielen Tausenden von Dörfern begonnen. Fertiggestellt sind im Berichtsjahre, und zwar in Form maschinenschriftlicher Vervielfältigungen, die Sippenbücher von sieben Dörfern in verschiedenen Gegenden Deutschlands < 1876, 1884, 1888, 1897, 1898, 1900, 1906>. Durch eine nach dem Alphabet der Familiennamen geordnete Aneinanderreihung der Personalien aller früheren Dorfbewohner kann der Sippenkunde, wie wir sie in einem höheren Sinne des Wortes auffassen, ohne Zweifel viel unschätzbares Arbeitsmaterial zugeführt werden. Darüber hinaus läßt sich die wissenschaftliche Bedeutung des Werkes erst ermessen, wenn in seiner Durchführung die ihm gezogenen weiten Grenzen wirklich erreicht worden sind.


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