§ 36. Recht und Staat im Mittelalter

(H. v. Fichtenau)

Ein bedeutender Teil der im Berichtsjahr erschienenen Arbeiten ist den Rechtsquellen gewidmet. So bringt die Sammlung der Germanenrechte als fünften Band nunmehr das norwegische Gefolgschaftsrecht in der Übersetzung von R. Meißner < 2260>. Obwohl mehr als 200 Jahre später entstanden als das Knuts des Großen, steht das Gefolgschaftsrecht aus der Zeit des Königs Magnus Hakonarson altgermanischem Rechtsgut viel näher als die überwiegend disziplinarrechtliche Ordnung des dänischen Königs, deren Eigenart sich aus seiner politischen Stellung ergibt. Freilich finden sich neben ganz aus dem Geiste germanischer Treue geborenen Bestimmungen bei König Magnus schon starke fremdländische Züge, die aus dem kirchlichen Recht und der »höfischen Sitte« stammen. Ähnliches gilt für die Sprache, die in schroffem Gegensatz zu der der alten Volksrechte steht. -- Die Übersetzung v. Schwerins < 2261> bringt von den großen Landschaftsrechten Dänemarks die beiden seeländischen, nach den Königen Erich und Valdemar benannten Rechtsquellen aus der ersten Hälfte des 13. Jh.'s, das Schonische Kirchenrecht und König Knuts Gefolgschaftsrecht. Damit erhalten wir von dem Neben- und Gegeneinander der drei großen Rechtskreise Bauerntum, Königtum und Kirche eine lebendige Vorstellung, die durch die zahlreichen erläuternden Anmerkungen des Herausgebers noch verstärkt wird. -- Mit der Textkritik und der Entstehung der Lex Salica befaßt sich B. Krusch < 2255>; das Zustandekommen der letzten Fassung der Lex Baiuvariorum < 2257> verlegt er in das Jahr 788, da sie bis zum Fall Thassilos reicht und zu der Lex Saxonum Karls d. Gr. an einer Stelle Diktatverwandtschaft besteht.

Von den Rechtsquellen des Hochmittelalters steht wiederum der Sachsenspiegel im Mittelpunkt der Betrachtung. So zeigt der letzte Aufsatz v. Voltelinis < 2262> im Zusammenhang mit seinen Arbeiten zu den deutschen Rechtsbüchern eine Anzahl von Quellen des Ssp. Ldr. auf, etwa die Übernahme der dichterischen Erzählung von der Herkunft der Sachsen aus den Annalen Alberts von Stade und die der Ausdeutung der befriedeten Tage aus einer Schrift des so viel zitierten Honorius Augustodunensis. -- Dem Ssp. gelten weiters vier Hallenser Dissertationen: R. Bracht < 2269> lehnt die Auslegung der Glosse Johanns von Buch zu Ssp. III, 78, § 2 ab und verneint, daß hier ein Widerstandsrecht im vollen Sinne, ein »Revolutionsrecht« gemeint sei; die Widersetzung dürfe sich nur gegen »unrechtmäßige Amtshandlungen« des Königs oder seines Richters wenden. -- O. Posse < 2264> handelt über die Notwehr im Ssp., die nicht nur als Recht, sondern eher als Pflicht zur Wahrung der Friedensgemeinschaft aufgefaßt wird. -- K. Neumann < 2265> stellt die Friedensbrüche des Ssp., besonders den Landfriedensbruch, in den Entwicklungszusammenhang des deutschen Strafrechts, und schließlich grenzt G. Schwarz < 2263> den räumlichen Geltungsbereich des Ssp. ab, wobei das Überwiegen des territorialen Prinzips gegen das alte personale, wie es noch im Privatrecht stärker vertreten ist, gekennzeichnet wird. -- H. Lentze < 2261 a> behandelt die Textentwicklung der Kurzform des Schwabenspiegels und zeigt, daß Kurz- und Langform auf verschiedene Vorlagen zurückgehen; die Gruppe M (II e nach Eckhardt) der Langform ist, wie


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schon Klebel annahm, mit der Kurzform verwandt, aber auch mit dem Deutschenspiegel. -- Eine bisher unbekannte Rechtshandschrift der Breslauer Stadtbibliothek mit Teilen des Sachsenspiegels, Schwabenspiegels und Meißener Rechtsbuches beschreibt Th. Goerlitz < 2268>. -- W. Weizsäcker < 2298> untersucht die deutsch geschriebenen böhmischen und mährischen Handschriften des Meißener Rechtsbuches, die die ältesten datierten Hss. umfassen, und liefert durch Richtigstellung fehlerhafter Lesarten Grundlagen für eine Neuherausgabe. -- Eine zweite Arbeit des gleichen Verf.'s < 2299> schildert, wie Breslau nach dem Willen Karls IV. unter Vermittlung von Olmütz zum Oberhof mährischer Städte wurde und man am Magdeburger Recht Breslaus auch nach dem Eindringen des Tschechentums festhielt. -- H. A. Schultze v. Lasaulx < 2266> verfolgt die Wirkungen des Ssp. bis in die Rezeptionszeit, in der das »gemeine Sachsenrecht« einen verbindenden Faktor in der allgemeinen Rechtszersplitterung darstellte, zugleich auch das stärkste Bollwerk gegen die römisch-postglossatorische Rechtsauffassung. An einem Beispiel aus dem Bodenrecht zeigt der Verf., wie es zu einem Mischrecht kam, das aus einer inneren Veränderung der alten Rechtssätze und ihre stückweise Einordnung in die Gesamtordnung des gemeinrömischen Rechtes hervorging. -- F. Markmann < 2294, 2295> gibt einen Überblick über Geschichte und Verbreitung des Magdeburger und des Lübischen Stadtrechtes nach geopolitischen Gesichtspunkten. Zusammen mit P. Krause hat er das Landrecht von Burg bei Magdeburg < 2293> neu herausgegeben, wobei dem Text nicht nur nach Art der Ausgabe der Germanenrechte eine Übersetzung, sondern auch eine Faksimilewiedergabe der Hs. des Burger Stadtarchivs beigegeben ist. Damit ist ein Publikationstyp geschaffen, der zur Herausgabe kürzerer, auf wenig Handschriften beruhender Rechtsquellen als vorbildlich bezeichnet werden darf. -- Die Reihe der Elsässischen Stadtrechte ist nunmehr durch P. W. Finsterwalder < 2374> um das Kolmarer vermehrt worden, wobei neben dem Ratsbuch die Urkunden zur älteren Geschichte und Rechtsgeschichte Ersatz für das Fehlen eines Kolmarer Urkundenbuches bieten können. -- F. Beyerle < 2301> hat im zweiten Halbband der Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands unter den Landrechten des 16. Jh.'s diejenigen ausgewählt, die für die Gesamtrechtsgeschichte Deutschlands wesentlich sind und die Art und Wandlung der Gesetzgebung in diesem Zeitraum klar zutage treten lassen: So etwa die bayrische Landrechtsreformation von 1518, die Konstitution Joachims I. von Brandenburg und als Gegensatz dazu das vom römischen Recht schon völlig beherrschte Württembergische Landrecht (1555). -- Schließlich geht S. Schmidt < 2303> in einer sauber gearbeiteten Dissertation dem Wandel der Bedeutung und des Ansehens der Carolina in den drei Jahrhunderten ihrer Geltung nach.

An der Spitze der Arbeiten zur Rechtssprache ist der dritte Band des Deutschen Rechtswörterbuchs < 2251> zu nennen, der wichtige Belege zu zentralen Begriffen des deutschen Rechtslebens, wie Fehde, Freiheit, Friede und dem Erbrecht bringt. -- H. Krawinkel < 2275> versucht seine beiden früheren Arbeiten <1937, 2026, 2027> über das fränkische Benefizialrecht und die Entstehung des Lehenswesens, die auf den Widerspruch der Rechtshistoriker gestoßen sind, nunmehr nach der linguistischen Seite durch eine Untersuchung zu stützen, in der die Herkunft des Wortes feudum aus


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fiscus auf Grund eingehender Quellenstudien dargetan werden soll. Damit will der Verf. einen Beweis für seine Hauptthese liefern, daß das merowingische Benefizium nichts anderes als Immunität bedeute. Öffentliche Einkünfte und nicht Grund und Hörige seien verliehen worden. Dazu bedarf es freilich einer Umdeutung des Quellenmaterials, auf deren Bedenklichkeit v. Voltelini und Mitteis (Zs. d. Savigny-St. f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 58, 846 ff.; 59, 346 ff.) hingewiesen haben. -- Die Deutung des Wortes »Weichbild« als »wik-bild«, Holz- oder Steindenkmal eines Handelsplatzes, nicht »wik-recht«, bestätigt eine Studie von Otto Hoffmann < 489>. -- E. v. Künßberg < 2248> macht auf die verschiedenen Bedeutungen des Wortes »vogelfrei« in den Rechtsquellen aufmerksam und erwähnt (in: Wirtschaft u. Kultur, Festschr. f. Alfons Dopsch, S. 581 ff.) die verschiedenen Arten von Gedächtnishilfen, die zur Bewahrung ungeschriebenen Rechtes notwendig waren. -- L. Leesment < 2291> weist nach, daß der »Pflugraub« in den Rechtsquellen nicht als Raub des Pfluges, sondern als Raub des Gespannes vom Feld weg anzusehen ist, also als Störung des Ackerfriedens, wodurch sich auch die schweren Strafen für dieses Delikt erklären. -- K. Frölich < 2247, 2288, 2296, 2297; vgl. auch S. 178> der aus der oft unübersichtlichen Literatur Belege über Stätten ma.'- licher Rechtspflege sammelt, wirbt so für die Pflege des Mittelgebietes zwischen Rechtsgeschichte und landesgeschichtlicher Denkmalkunde; die Herausgabe eines Atlas der rechtlichen Volkskunde des deutschen Kulturgebietes ist ja die Aufgabe, die sich der Verf. gestellt hat. -- Auf dem verwandten Gebiet der Rechtssymbolik gibt F. Beyerle < 2259> eine Einteilung der Sinnbilder in Verkörperungssymbole, Verdeutlichungssymbole und Motivationssymbole und deutet die Macht ihrer Wirkung teils aus einem Einschlag alter Zauberkunst, teils aus der Prägnanz der Rechtssprache, wie sie aus dem Wortzauber entwickelt und später als Fassung neuer Rechtsgedanken verwendet wurde. Was Beyerle dabei nur kurz streift, wäre weiterer Ausführung wert: Daß die Rechtssymbolik, eingebaut in die Formenwelt des MA.'s, zwischen dem Denken des »prälogischen« Menschen und dem logisch rationalen der Neuzeit das Mittelglied darstellt und eine Entwicklungsphase bildet, die ein erstes, noch körperhaftes Erfassen des Begrifflichen versuchte. -- H. Fehr (Wirtschaft u. Kultur, a. a. O. S. 591 ff.) zeigt, wie im mittelalterlichen Weltbild Gott als oberster Weltrichter im Diesseits ebenso wie im Jenseits gerechte Vergeltung aller Taten übt. Diese Idee der Vergeltung umfaßt auch den außermenschlichen Bereich der Geisterwelt und der Tiere, im menschlichen gibt es keine Trennung von Recht und Sittlichkeit. -- Der Verf. verweist auch auf die Verbindung von Recht und körperlicher Kraft < 2249> im germanischen Hauswesen, in Heer, Gefolgschaft und Zweikampf, im Ehe- und Erbrecht. -- Das Verhältnis von Macht und Recht, politischer und Rechtsgeschichte untersucht H. Mitteis (Wirtschaft u. Kultur, a. a. O. S. 547ff.) und kommt am Beispiel des Mittelalters zur Möglichkeit eines Ausgleichs auf höherer Ebene. Wenn so etwa Eike von Repgow vom tatsächlichen Recht abwich, tat er dies aus dem unbeirrbaren Bewußtsein einer Norm, deren rechtsbildende Wirkung sich gerade an seinem Werk erweist.

Unter den größeren darstellenden Arbeiten ist die von D. Pleimes < 2244> bedeutsam, der sich mit der Geschichte der Rechtsformen des weltlichen Stiftungsrechtes beschäftigt. Verf. zeigt, wie schon vom 13. Jh. ab im


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Bürgertum der meisten bedeutenderen Städte Deutschlands ein Zug zur Säkularisierung der Stiftungsformen lebendig war, der in langsamem und stetigem Anwachsen schon vor der Reformation zur Neuschöpfung eines weltlichen Rechtes führte, das in der Neuzeit nur abgewandelt, aber nicht in seinen Grundlagen verändert worden ist. Blieb anfänglich der Stiftungszweck im Rahmen der christlichen caritas, waren es doch zumeist wirtschaftliche Beweggründe, die den ersten Vorstoß des Bürgertums gegen die kirchliche Verwaltung von Spitals- und Kirchenvermögen leiteten. Einzelne Stifter haben durch die Heimfallklausel bei mißbräuchlicher Verwendung des Stiftungsgutes dann den kirchlichen Bereich selbst angetastet, die Gesetzgebung gegen die tote Hand kam hinzu und bereitete die Schöpfung selbständiger Hauptgeldstiftungen in ihren verschiedenen Formen vor. Die Kirche wiederum suchte gegen das weltliche Besetzungsrecht das geistliche Patronatsrecht auszuspielen; die Kontinuität und Zähigkeit des Kampfes zwischen Kirchlich und Weltlich bis in die letzten Jahrzehnte vor der Reformation wird damit wieder einmal deutlich sichtbar. -- Einen wertvollen Beitrag zur Rechtserneuerung im nationalsozialistischen Staat bringt H. Eichler < 2246> mit seinem Buch über die Wandlungen des Eigentumsbegriffes in der deutschen Rechtsauffassung und Gesetzgebung. Das von der Akademie für Deutsches Recht preisgekrönte Werk kann und will das so überaus reiche und fruchtbare Thema nicht ausschöpfen, doch ist es dem Verfasser gelungen, die für die Kennzeichnung der Wandlungen des Eigentumsbegriffes notwendigen Begriffe herauszuarbeiten; daß dabei auch Thesen zur Grundlage genommen wurden, über die die Forschungen noch im Fluß und die Meinungen geteilt sind, war wohl nicht zu umgehen. Der zweite Teil des Buches handelt von dem Wandel der Eigentumsbildung selbst, wie er sich aus der Bindung an Familie, Nachbarn und Volk oder der Lösung aus diesen Kreisen ergibt. Damit ist schon ein Hinweis auf die Probleme der Gegenwart gegeben und ein Weg aufgezeigt, der aus dem liberalen Eigentumsbegriff des bürgerlichen Rechtes zur Einordnung in die Gemeinschaft von Volk und Familie hinüberleitet. -- H. Schwarzkopf < 2286> sammelt in einer Berliner Dissertation Quellenstellen über den Treue- und Gemeinschaftsgedanken in den Arbeitsverhältnissen des deutschen MA.'s. Die Beschränkung auf Arbeitsverhältnisse, die als Vorläufer der heutigen anzusehen sind, gestattet ihm nur das Eingehen auf Handwerk, Bergwerke und Seeschiffahrt, unter Außerachtlassung der bäuerlichen Verhältnisse. Eine Beschäftigung mit der germanischen und der christlichen Wurzel der Treue und des Gemeinschafts»gefühls« im MA. wäre zu wünschen gewesen.

Zahlreicher sind die Autoren, die zeitlich und örtlich beschränktere Themen behandeln. So gibt G. Schubert < 2256> eine Übersicht über den Einfluß des kirchlichen Rechts auf die Volksrechte der Frankenzeit, soweit er sich auf die Straftaten im allgemeinen und die Rechtsfolgen bezieht, und stellt seine verschiedene Stärke bei den einzelnen Stämmen fest. -- Ein Vortrag des allzu früh verstorbenen W. Merk < 2242> gibt in gedrängter Form einen Überblick über die deutschen Stämme in der Rechtsgeschichte: Von dem alten starren Stammesbegriff ist die Forschung zum dynamischen des Kulturraumes mit seinen Ausstrahlungs- und Rückzugsgebieten einzelner Formen und damit nach einer Überwertung in gefährliche Nähe einer Unterbewertung


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des Stammesmäßigen geraten. Demgegenüber weist Merk mit Recht darauf hin, daß trotz den rassenmäßigen Umschichtungen seit den Zeiten der Landnahme noch bis in das Hochmittelalter die deutschen Stämme Träger und Fortbilder des Volksrechts waren, daß sie aber auch aus der Reichsverfassung nicht wegzudenken sind. Erst die Territorialisierung mit dem Aufkommen des Gebietsrechtes, nicht schon das karolingische Königtum hat hier einen Wandel geschaffen. -- Einen »Umbruch des rechtsgeschichtlichen Denkens« möchte die Dissertation von R. Grosch < 2285> dadurch hervorrufen, daß sie die gesamte Rechtsentwicklung seit der fränkischen Zeit als Ausfluß eines »Obrigkeitsstaates« verdammt, im Gegensatz zur »dinggenossenschaftlichen Volksgemeinschaft« der altgermanischen Lebensordnung, in der der Rechtsgang dem Prinzip der Auslese dienstbar gewesen sei. -- Ähnliche Schwarzweißtechnik der Schilderung des Verfassungslebens, unter Beiseitelassung aller Übergänge, hat sich A. Waas < 2271> in seinem Buch über »Herrschaft und Staat im frühen Mittelalter« zurechtgelegt. Vor 900 beherrscht den fränkischen Staat das römische Amtsrecht, seitdem folgt ein Neubau aus rein germanischer Wurzel, aber nicht mehr aus germanischem Volksrecht, sondern einem privaten Herrschaftsrecht des Königs, der Munt. Die Grafen sind jetzt nicht Beamte, sondern stehen neben den Muntherren als Wahrer der Königsmunt; aus dieser erklärt der Verf. nicht nur das Institut der Freigrafschaften, sondern den gesamten Bau der Verfassung überhaupt. Der Muntbegriff wird damit dem der Herrschaft gleichgestellt, das germanische Element im fränkischen Grafentum geleugnet, ebenso wie das Herüberragen amtsrechtlicher Bildungen in die ottonische Zeit. -- Den im Schrifttum der Jahrzehnte vor dem Weltkrieg so oft behandelten Fragenkreis um die deutsche Königswahl behandelt v. Mitteis < 2272> in Beschränkung auf ihre Rechtsgrundlagen bis zur Goldenen Bulle. Eine der Haupterkenntnisse des überaus fesselnd geschriebenen Buches ergibt, daß sich die Wahl in älterer Zeit als Einzelakt nicht aus der Thronerhebung aussondern läßt, diese vielmehr aus einer ganzen Stufenfolge geistlich-weltlicher Handlungen besteht, die eine Auslese aus einem vorbestimmten Personenkreis und eine Eignungsprüfung durch das Volk mit umfassen. Erst die Doppelwahl von 1198 bringt eine Aussonderung der Wahlhandlung, ihre Technisierung und Schematisierung unter romanistisch-kanonistischem Einfluß; das neue Gebietsfürstentum mußte eben trachten, die Wahl in die Hand zu bekommen. Die Thesen Eikes von Repgow bedeuten, wenn auch nur sehr zum Teil rezipiert, doch eine neue »Minderung der Kur« insofern, als jetzt die sieben von ihm genannten Fürsten die einzigen möglichen Königswähler blieben. Ihre Mehrzahl blieb in Hinkunft die Mindestzahl für die Erreichung der Beschlußfähigkeit, für die Minderheit galt weiterhin die Folgepflicht, die als germanische Pflicht des Anschlusses an eine mit Autorität ausgestattete Person oder Gruppe schon immer, daher auch in der Königswahl vor 1198, bestanden hatte. So wurde das Verhalten der Minderheit bedeutungslos, und die erforderliche Zahl von vier Kurfürsten blieb auch bestehen, als die electio per unum bei der Wahl Rudolfs von Habsburg nach außen hin eine Einstimmigkeit vortäuschte. Das Rhenser Weistum und die Goldene Bulle haben dann diese versteckte Mehrheitsbildung nur in eine offene verwandelt. Die Wahl von 1198 brachte auch für das Kaisertum Anzeichen einer Wandlung: Nach Mitteis' paläographisch einwandfreier Feststellung

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aus dem Registrum super negotio imperii wurde Philipp nicht zum Imperator, sondern in imperaturam Romani solii gewählt; ein Beweis dafür, wie damals schon zwischen der sakralen Idee eines Schützers der Christenheit und Vogtes der Gesamtkirche nach päpstlicher Krönung und der staatsrechtlichen Stellung des Kaisers dem Reiche gegenüber zu scheiden begonnen wurde, das in dieser Bedeutung als Deutschland und seine Nebenländer zu fassen ist. Die Besprechungen sind sich einig in der Anerkennung der Ergebnisse und machen nur in Einzelheiten einige Abstriche: So W. Weizsäcker (Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abt. 59, Jg. 1939, S. 394 ff.) über die Folgepflicht und R. Holtzmann (HZ. 160, Jg. 1939, S. 564 ff.), der das Eindringen kanonistischer Anschauungen schon bei der Wahl Rudolfs von Rheinfelden im Jahre 1077 bemerkt und den Bericht anzweifelt, nach dem schon 1198 ein Viererkollegium bevorrechteter Wähler bestanden habe. -- Auf Grund reicher eigener Kenntnisse besonders der französischen Quellen nimmt W. Kienast < 2274> zu dem Werk von H. v. Mitteis über Lehnrecht und Staatsgewalt <1933/34, 2110, S. 396> ausführlich Stellung, wobei er das Lehnrecht nicht als selbständige Kraft, sondern als bloßen Ausfluß der politischen Geschichte auffaßt und auch seine Rolle bei der Territorienbildung nicht hoch anschlägt. Kienasts Ausführungen, darunter die über die Ligesse, sind wertvoll als Ergänzung des Mitteisschen Buches, aber auch deswegen, weil damit die Debatte über ein so lange gering geachtetes Gebiet der Rechtsgeschichte neue Anregung erhalten hat. -- U. Segner < 2276> verfolgt das Werden der Reichsministerialität von den ersten Ansätzen unter Konrad II. bis zu Konrad III. und zeigt, daß ein direkter Nachweis über die adelige oder unfreie Herkunft kaum zu führen ist. Im Gegensatz zu E. Otto, auf dessen Beweismaterial er im einzelnen eingeht, nimmt Segner im allgemeinen Aufstieg aus der Hörigkeit und nur in Einzelfällen Erhebung Nichthöriger in die Reichsministerialität an. -- v. Dungern (Wirtschaft u. Kultur, a. a. O. S. 300 ff.) versucht den Nachweis, daß ein Reichsfürstenrat zur Zeit Lothars III. sich aus dessen Verwandten bis zum fünften Grad zusammensetzte und daß im Königsgericht geregelte Schöffenbänke aus Fürsten, Grafen und titellosen Edelfreien gebildet wurden. -- G. Kallen < 2270> wendet sich gegen die Auffassung v. Dungerns von einer Staatsform Friedrichs I. und zeigt die Ähnlichkeit der Grundhaltung Eikes von Repgow zu den Anschauungen Friedrichs I. und seiner Zeit in Fragen des Königsrechtes. -- Hat Th. Mayer < 2280> in seiner Untersuchung über die Entstehung des »modernen« Staates <1937, 2034, S. 391> den Unterschied zwischen altfreien Bauern und den Rodungsfreien der neueren Zeit ins rechte Licht gerückt, so dient diese Erkenntnis auch zur Klärung der oft behandelten Frage nach dem Ursprung der Landgrafschaften. Denn die Ableitung aus alten Gaugrafschaften stützt sich auf die Tatsache, daß diese ebenso wie die Landgrafschaften vor allem »Freie« unter sich haben; doch läßt sich zeigen, daß vor allem die Menge der Neufreien es war, die eine Intensivierung der Verwaltung in den direkt vom Königtum abhängigen Landschaften erforderte. Daneben hat auch die Aufrechterhaltung des Straßenfriedens auf die Errichtung solcher Stützpunkte der königlichen Gewalt bestimmend eingewirkt. Es war in den Grundzügen die gleiche Politik, die die Staufer auch auf anderen Wegen zur Festigung der königlichen Rechte eingeschlagen hatten. -- R. Borgmann < 2281>

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geht von der Ansicht aus, daß die »freien Bauern« des Mittelalters von den alten karolingischen Gemeinfreien abzuleiten sind. So sind auch die Freigrafschaften und Freigerichte anders zu verstehen, als der Verf. dies tut. Brauchbar ist die Zusammenstellung der Freigerichte aus dem gedruckten Schrifttum. -- K. S. Bader < 2282> führt den Übergang von der Dorfgenossenschaft zur Dorfgemeinde des späteren MA.'s auf die Auflösung der Grundherrschaften und der alten ständischen Verhältnisse ebenso wie auf die Festigung der bäuerlichen Besitzrechte zurück: So konnte es geschehen, daß das »Obhutsrecht« der Dorfgemeinde auf Kosten der Grundherren wuchs und es, begünstigt durch die Bildung kleiner Herrschaftsräume auf oberdeutschem Raum, zu einer verschiedenartigen Teilung von Zwing und Bann zwischen Herrschaft und Dorfgemeinde kam. -- Die Entwicklung der Zehenten im bayrischösterreichischen Rechtsgebiet hat nach den Darlegungen E. Klebels < 2389> dazu geführt, daß schon um 1200 der Charakter einer Kirchensteuer, um 1300 der enge Zusammenhang mit dem Pfarrpatronat verlorenging. Waren doch die zwei Drittel des Zehents, die der Bischof inne hatte, meist teils an Klöster verschenkt, teils an Laien verlehnt oder vergeben worden und damit ein nutzbares Recht wie andere. Dennoch blieb sich die Zehentorganisation seit etwa 1200 gleich und könnten Zehentkarten, für deren Anlegung der Verf. eintritt, in vielen Fällen Aufschlüsse auch über die weltlichen Siedlungs- und Herrschaftsverhältnisse geben. -- K. Rauch < 2283> beruft sich auf zwei Quellenstellen, die von einer Vergebung der steirischen Allode an die babenbergischen Herzöge durch Scheinkauf sprechen, einem Vorgehen, das sich zu einer Zeit empfehlen mochte, in der die Rechtsformen der Schenkung nach dem Tode an Weltliche noch nicht entwickelt waren. -- F. Ganshof < 2402> widmet einen Beitrag der Rechtsprechung am Hofgericht der flandrischen Grafen, in dem er den persönlichen Charakter dieses Gerichtes betont, auf seine Zuständigkeit eingeht und seinen Ursprung aus dem französischen Hofgericht betont. -- Als Vorarbeit für eine zusammenfassende Behandlung der Frage nach dem Bestehen eines Nationalitätenrechts im Deutschen Reich des Mittelalters untersucht K. Hugelmann < 1639> die Rechtsstellung der Wenden im deutschen Bereich. -- Die Grundlagen der staatsrechtlichen Stellung des Deutschordenslandes erörtert E. E. Stengel < 2277> und weist nach, daß die goldene Bulle Friedrichs II. hier keineswegs Sonderrechte schaffen wollte, die anderen deutschen Territorien nicht zustanden. Der universale und imperiale Einschlag dieses Privilegs ist vielmehr als »Komplement« des päpstlichen Schutzanspruchs zu deuten, der sich freilich dadurch nicht beseitigen ließ. Aus dieser Zwischenstellung zwischen Imperium und Sacerdotium läßt sich auch die Wirkung des bisher unbeachteten Lehenverbotes der Kurie an den Hochmeister und die Ordensmitglieder erklären, durch die eine Aufnahme in den Reichsfürstenstand und damit das völlige Hineinwachsen des Ordenslandes in das Reich unmöglich wurde. -- Ein Aufsatz von H. E. Feine < 2278> beschäftigt sich mit dem päpstlichen Approbationsanspruch bei den deutschen Königswahlen zur Zeit der Luxemburger, dessen starres Festhalten durch die Kurie seit der Formulierung unter Bonifaz VIII. zu einer mehr elastischen Politik der deutschen Herrscher führte: In der Mehrzahl der Fälle ließ sich das Königtum die Approbation gefallen, ohne um sie angesucht zu haben, bis die Umstände es ermöglichten, die tatsächliche Anerkennung in eine mehr formelle zu verwandeln.

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Dennoch blieben die Ansprüche und der Rechtsvorgang des Informationsprozesses an der Kurie der gleiche, dieser wurde noch bei der Wahl Karls V. angewendet. -- Für die Union von Königreichen, wie sie im späteren MA. eine für ganz Europa typische Entwicklung darstellen, macht H. Koht (Wirtschaft u. Kultur, a. a. O. S. 503 ff.) die Expansion des Adels und dadurch folgende Entnationalisierung verantwortlich. -- M. Honecker < 2273> stellt neue Beziehungen des Denkens Nikolaus' von Cues zu Raymundus Lullus fest und weist auf die Wahrscheinlichkeit hin, daß die Reformvorschläge des Cusaners für die Kaiserwahl von dorther beeinflußt sind. -- Die Projekte Nikolaus' für eine Reichsreform sind, wie H. Liermann < 2287> nachweist, im deutschen Recht begründet, ebenso wie die Vorstellung einer möglichen concordantia zwischen Reich und Kirche, die der Verf. aus einer genossenschaftlichen Auffassung von beiden Weltmächten ableitet. -- Einen Überblick über das Verhältnis von römischem und germanischem Recht gibt schließlich C. Bornhak < 2245>, der das Auftauchen neuer Rechtskreise und städtischer Lebensformen und damit zugleich wirtschaftliche Beweggründe für die Rezeption des römischen Rechts anführt.


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