III. Mittelalterliche Agrargeschichte.

Das von der sowjetrussischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Sammelwerk von Quellen zur westeuropäischen Agrargeschichte <1937, 2175>, das von O. A. Dobiaš-Roždestvenskaja und M. I. Burskij redigiert ist, will die leninistische Auffassung wirtschaftsgeschichtlich unterbauen. Die acht Teile, in denen die wichtigsten Quellen zur Geschichte der Landwirtschaft, besonders ihrer Technik, vom 6. bis 15. Jh. mit Einleitung und Erläuterungen von neun Mitarbeitern zusammengestellt sind, bieten im Wesentlichen den Stand der deutschen und französischen Forschung, wenn auch nicht die letzte Stufe erreicht ist.

Ein von Georg v. Below hinterlassenes Manuskript einer übersichtlichen Geschichte der deutschen Landwirtschaft im MA. hat sein Schüler F. Lütge herausgegeben <1937, 2174>. v. Belows Buch bringt eine Zusammenfassung seiner Anschauungen, und es ist an ihm hauptsächlich die Klarheit der Systematik und Darstellung zu rühmen. Lütge hat den Text unverändert gelassen, jedoch in den Anmerkungen bei den wichtigeren Fragen auf das neuere Schrifttum und die später aufgetauchten Probleme hingewiesen, und wohl auch die weitere Entwicklung der wissenschaftlichen Anschauungen angedeutet. Dadurch hat das Buch viel an Wert gewonnen und kann als Nachschlagewerk und zur Unterrichtung über die ältere Lehrmeinung, aber auch deren weitere Gestaltung, sehr wohl benutzt werden. -- F. Lütge selbst hat sich in mehreren Abhandlungen in tiefeindringender Forschung und mit durchaus selbständigen Gedanken mit den Fragen der spätkarolingischen und dann der ma.'lichen Agrarverfassung beschäftigt. Der Raum, den er bearbeitet, ist der Hauptsache nach durch die aus den Klöstern Fulda und Hersfeld überlieferten Quellen gegeben. Es ist der mitteldeutsche, und zwar der thüringisch-hessische Raum. In Auseinandersetzung mit A. Dopsch, nach dem die Hufe auf grundherrlichen und bäuerlichen Ursprung zurückzuführen ist, will L. sie als alleingrundherrlich nachweisen, sagt aber, daß nicht alles grundherrliche Land in Hufen gelegt war <1937, 2176>. Auf Grund der Untersuchungen des Breviarium St. Lulli unterscheidet L. <1937, 2177> zwischen Hufe und Mansus, wobei die mansi zum Salland gehörten, die Hufen aber das an Bauern ausgegebene Land ausmachten. Wiederum betont L., daß Hufe und Manse grundherrlichen und nicht freibäuerlichen Ursprungs seien. Diese Ergebnisse sollen aber nur für das Kloster Hersfeld und die Zeit um 800 gelten. In umfassender Weise behandelt L. <1937, 1889> die frühmittelalterliche Agrarverfassung für den angegebenen Raum und greift die ältere rechtsgeschichtliche Lehrmeinung an, wobei er, unter Fortsetzung der Untersuchungen von A. Dopsch, grundsätzlich von der genauen Einzelforschung in einem beschränkten Raume ausgeht und gegen die Konstruktion


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von Gesamtsystemen ankämpft. An den Anfang stellt er siedlungsgeschichtliche Untersuchungen, bespricht dann die soziale Gliederung des Volkes, die Grundherrschaft, die Hufenverfassung, die Markgenossenschaften und dann die Struktur der älteren Siedlungen überhaupt. Einige der wichtigsten Ergebnisse sollen hier angedeutet werden. So sagt L. Seite 20, daß die --leben-Orte im altbesiedelten Raum liegen, während die --ingen-Orte in die Waldgebiete abgetrennte Siedlungen darstellen. Die slawischen Siedlungen waren nur wenig dicht. Bei den Ausführungen über die soziale Gliederung wird das, was über die Freien und über die Bedeutung der Freien gesagt wird, am meisten Interesse erregen. Die Grundherrschaft kommt zwar frühzeitig vor, wird aber verhältnismäßig spät bedeutsam. Sie hat aber wegen des von ihr durchgeführten Landesausbaues die rechtliche Struktur des Landes bestimmt, die Hufenverfassung, die sich dann auf die freibäuerlichen Lebensformen ausgedehnt hat, geschaffen (S. 279). L. bestreitet auch das Vorhandensein einer Urmarkgenossenschaft mit Eigentumsrecht einer Gesamtheit für die ältere Zeit und schließt sich dabei A. Dopsch an (S. 320 ff.). Seine Auffassung erhält durch die schönen Untersuchungen von M. Wellmer über den Vierdörferwald bei Emmendingen < 2369> eine Bestätigung. Nach Lütge ist die Hundertschaft als Bezirk eine jüngere Bildung, die sich, wie bekannt, keineswegs bei allen deutschen Stämmen befindet und auch als Personenverband fehlt. Sie ist vielmehr bei den wandernden Stämmen entstanden. Für die Struktur der ältesten Siedlungen kommt Lütge auch zu dem Ergebnis, das wir durch W. Veeck für die Alemannen und F. Steinbach für den Niederrhein, sowie K. Wührer für Skandinavien kennen, wonach sie in weilerähnlicher Gehöftegruppe erfolgte. L.'s Buch ist eine bedeutende Leistung, umfassend, eindringend und ergebnisreich, wenn L. auch mitunter über Theorien noch nicht hinausgekommen ist. Vor allem anderen ist methodisch wichtig, daß hier die Siedlungsgeschichte für rechtsgeschichtliche Fragen mit herangezogen wird. Freilich dürfte diese Verflechtung bei der Erörterung der Einzelprobleme meist noch intensiver durchgeführt werden. Wenn auch die Forschungen und Ergebnisse Lütges sich unmittelbar nur auf den mitteldeutschen Raum beziehen, so haben sie doch wenigstens als Fragestellung allgemeine Bedeutung. Sie und die Forschungen von K. H. Ganahl über die St. Gallische Grundherrschaft werden die weitere Entwicklung der Wissenschaft entscheidend beeinflussen. (Vgl. die Besprechung von A. Dopsch in H. Z. 159. 1938, S. 114.) -- Die von F. Lütge aufgestellte Hypothese über die Entstehung der Hufenverfassung und die Unterscheidung zwischen Mansen und Hufen als guts- und grundherrlichen Einrichtungen hat im Schrifttum einen lebhaften Widerhall gefunden, der allerdings ziemlich allgemein ablehnend war; vor allem wurde das breviarium Lulli als zu schmale Grundlage für solche Feststellungen, aber auch die Textkritik als ungenügend bezeichnet. E. Schmieder < 2439> und M. Bloch < 2440> sind mit dieser Kritik hervorgetreten, dann hat aber die ganze Frage in umfassendem Sinne noch R. Kötzschke: Hufe und Hufenordnung in mitteldeutschen Fluranlagen in »Wirtschaft und Kultur«, Festschrift zum 70. Geburtstag von A. Dopsch, 1938, S. 243--66, behandelt. -- Auf Grund der Königsurkunden, vorzüglich des 10. und 11. Jh.'s, untersucht D. v. Gladiß <1937, 2178> eindringend den Gegenstand der königlichen Landschenkungen, die dort, wo von Hufen die Rede ist, meist Ackerland betrafen, sonst aber gewöhnlich Wald, der bis dahin nicht bewirtschaftet war, also Neuland, umfaßte.

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Im ganzen kam der durch die Schenkungen bewirkte Verlust an Königsgut den Entfremdungen durch Belehnungen nicht gleich.


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