IX. Theoretiker und Theorien.

A. Diehl < 2442> stellt aus Quellen und modernem wissenschaftlichem Schrifttum Belege für das Vorkommen des Gedankens des gemeinen Nutzens im MA. zusammen, ohne freilich die inhaltsreiche und tief eindringende Schrift von W. Merk über den Gedanken des gemeinen Besten in der deutschen Staats- und Rechtsentwicklung <1933/34, 2084> zu kennen. -- H. L. Stoltenberg < 2414> bringt in Ergänzung zum Grimmschen Wörterbuch Nachweise über die ältesten Vorkommen des Wortes Wirtschaft.

M. Humpert <1937, 2141> schließt mit der 12. Lieferung die Bibliographie der Kameralwissenschaften, die das Schrifttum von etwa 1520 bis 1850 umfaßt, ab. In der Sammlung sind auch Gesetze und Verordnungen, die als Einblätter erschienen sind, aufgenommen. -- Das Hauptergebnis der Arbeit von Tautscher <1937, 2194> ist, daß die starre Auffassung, die nach einem, dem System Colberts nachgebildeten Schema begründet wird, dem deutschen Merkantilismus nicht gerecht wird, weil dieser bei allem Streben nach Selbstversorgung die Eingliederung in die Weltwirtschaft suchte. Aus dieser Betrachtung ergibt sich, daß die Anschauungen über Produktion, Geld, Kapital usw. durchaus lebensnah waren. -- M. Becher <1937, 2142> stellt ohne wesentliche neue Gedanken die pädagogischen Ansichten J. J. Bechers dar und will damit einen Einblick in die Zeit des frühen Merkantilismus geben, in dessen Dienst die universal gebildeten, oft umstrittenen Persönlichkeiten der deutschen Merkantilisten und Pädagogen des 17. Jh.'s die theoretischen und, wie Becher, auch die praktischen Grundlagen einer auf das Staatsinteresse gerichteten Fachbildung gelegt haben. -- J. Remer < 2419> gibt ein Bild vom Leben und Werk J. H. G. Justis und weist dadurch darauf hin, wie sehr dieser bedeutende Kameralist des 18. Jh.'s eine eingehendere Würdigung verdiente. -- E. Theis < 2420> gibt einen Überblick über die liberale Wirtschaftstheorie Ricardos, dessen Lehre von der Selbstregulierung der wirtschaftlichen Faktoren die Hintergründe


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der Zeitkrise nicht zu erfassen vermag, und stellt ihm die an der Gesellschaft als eine organische Ganzheit orientierte Wirtschafts- und Krisenlehre Adam Müllers entgegen. -- E. Schreiber < 2421> stellt die wichtigsten begrifflichen Formulierungen der Kapitaltheorie in vorwiegend zeitlicher Abfolge seit Turgot und Smith dar. Ohne straffe Gedankenführung geht er von der Smithschen Unterscheidung eines privatwirtschaftlich-orientierten Erwerbskapitals von einem Produktivkapital, das der wirtschaftlichen Erhaltung der Nation dient, und namentlich von Rodbertus, Wagner und Böhm-Bawerk weiter ausgebaut ist, aus. Dieser Lehre gegenüber ist eine stärkere Abstraktion in Richtung auf den Geldbegriff in den Lehren von Menger, Cassel, Schumpeter und anderen festzustellen. Schließlich stellt er eine letzte von Marx, Sombart und Salz vertretene Gruppe zusammen, deren Formulierungen von der Ausgangsstellung einer funktional orientierten Kapitaltheorie her bestimmt sind. -- B. Gideon < 2422> gibt eine weder tief eindringende, noch immer auf eigenem Urteil beruhende dogmengeschichtliche Untersuchung über das Verhältnis des Staates zur Wirtschaft in den Theorien der liberalen Schule, der Romantiker, der Sozialisten und der Sozialpolitiker des 19. Jh.'s. -- W. Halbach < 2425> bemüht sich, C. Rodbertus als Künder einer Gemeinwirtschaft nach jetziger Auffassung als Propheten nachzuweisen, wobei Auszüge aus den Schriften von Rodbertus zusammengestellt, das Gesamtwerk und die theoretischen Grundlagen aber doch wohl zu wenig beachtet werden, so daß die Schrift nicht recht überzeugend wirkt.

Michaelis <1937, 2149> bringt gegenüber der umfangreichen Listliteratur nicht viel Neues, sondern mehr eine gefällige, freilich nicht sehr tief gehende, systematisch angeordnete Darstellung von den Grundgedanken Friedrich Lists mit besonderer Berücksichtigung der Jugendarbeiten. -- E. Schulz <1937, 2150> konstruiert das Bild von Lists Geschichtsauffassung nicht ohne Zwang, denn Lists Geschichtsbild beschränkt sich hauptsächlich auf die wirtschaftliche Entwicklung und ist auf sie zugespitzt. Gerade darüber ist es nicht leicht, noch Neues zu bringen, so daß auch die vorliegende Schrift nur Gedanken über diesen Gegenstand, nicht aber eine neue Darstellung gibt. -- C. Schneider <1937, 2151> stellt die Nachrichten über Lists Tätigkeit als Zeitungsschreiber zusammen und führt die verschiedenen derartigen Gründungen Lists auf, kommt aber zu dem Schlusse, daß List kein eigentlicher Journalist und auch nicht zu diesem Beruf geboren war, sondern ein Politiker, der sich der Zeitung für seine Zwecke bediente, sie aber fahren ließ, wenn er glaubte, seine Ziele durch die Zeitung nicht erreichen zu können. -- M. Bouvier-Ajam < 2423> skizziert den Lebenslauf von Fr. List, stellt die Leitgedanken seines Werkes dar und bespricht deren Einfluß auf die Wissenschaft und die Politik in den europäischen Ländern und auch in USA. Seine Ausführungen sind für weitere Kreise bestimmt, sie verzichten auf eine streng wissenschaftliche Beweisführung, gehen zu wenig auf das Wesen der Lehre von List ein und berücksichtigen nicht genügend die geschichtliche Bedingtheit mancher Lehrsätze Lists. Deshalb werden wir vielfach Zurückhaltung gegenüber B. beobachten. Gleichwohl ist uns aber diese Stellungnahme eines Franzosen zu List und zur deutschen Nationalökonomie sehr lehrreich. -- G. Mayer < 2424> trägt in ihrer sauber durchgeführten und über das Tagesschrifttum über List sich hinaushebenden Arbeit auf Grund gründlicher Kenntnis der Schriften Fr. Lists aus diesen das Material zusammen,


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um zu einem geschlossenen Bild von Lists agrarpolitischen Anschauungen zu kommen. Sie schildert mit klarem Urteil List als Agrarpolitiker, wobei sie deutlich erkennbar macht, daß List in erster Linie nationaler Politiker war und daraus seine Stellungnahme zu den einzelnen Zweigen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens abzuleiten ist.

W. Braeuer < 2428> gibt eine knappe Skizze der Anschauungen des hannoverschen Oberfinanzrates Wilhelm Ubbelohde (1794--1849) über soziale und wirtschaftliche Fragen, die charakteristisch sind für die ethische Auffassung eines höheren Beamten, aber für die wissenschaftliche Lehre wenig Bedeutung haben. -- W. Früh <1937, 1092> stellt die Entwicklung Radowitz' von der Gedankenwelt der politischen Romantik zum aristokratisch gesinnten Sozialpolitiker mit einer eigenständigen Richtung ausführlich, wenn auch nicht immer ganz überzeugend dar. Trotz eines stark ausgeprägten Gefühlslebens ist bei v. Radowitz die Neigung zu abstrakten Formulierungen ausschlaggebend für die Bildung seiner politischen Vorstellungen. Darum erleidet der Sozialpolitiker das gleiche Schicksal wie der Staatsmann. Gegenüber den sozialkonservativen Zeitgenossen, besonders etwa Rodbertus, erscheint Radowitz hier zu stark hervorgehoben. -- F. Zint <1937, 2153> bringt eine Vorarbeit zu einer politisch orientierten Biographie von Karl Marx, deren Ergebnis doch wohl sich dahin formulieren läßt, daß Karl Marx von einem maßlosen Ehrgeiz getrieben, zu einem zersetzenden geistigen Nihilismus und zu einem Haß gegen eine Gesellschaftsordnung und einen nationalen Gedanken, bei dem er selbst ausgeschlossen war, kam. Darum versuchte er immer wieder durch Revolution die Staaten zu zerstören, je nachdem ihm die Möglichkeit gegeben schien. -- H. Schneider <1937, 2152> bestrebt sich, nachzuweisen, daß das spekulative System der materialistischen Geschichtsauffassung und das ökonomische System des Kapitals aus einer einheitlichen Wurzel hervorgegangen sind. -- O. Lorenz' Schrift über Karl Marx <1937, 2154> ist klug, mit eigenwilligem Urteil, das sich auf gründliche Kenntnisse der Schriften von Marx und Engels aufbaut, geschrieben und erhebt sich über das Schrifttum, das auf Schlagwörter gestützt, nichts Neues bringt, bedeutend. Das umfangreiche Schrifttum hätte freilich stärker herangezogen und zitiert werden müssen. -- F. Gilbert <1937, 1876> stellt in interessanter Weise den Einfluß dar, den die französische Februarrevolution von 1848 auf Lorenz von Stein in dem Sinne ausgeübt hat, daß dieser sich vom Prinzip der »reinen Demokratie« wegen seiner Unfähigkeit zum Staatsaufbau abwandte, was sich in seiner »Geschichte der sozialen Bewegung« gegenüber seinem älteren Werk »Sozialismus und Kommunismus« zeigt. Zwei Briefe geben ein Stimmungsbild von der Lage wie Stein sie sah, der einen Krieg Frankreichs gegen Deutschland befürchtete.

Eine Reihe von deutschen Nationalökonomen haben in einem von E. Wiskemann und H. Lütke herausgegebenen Buch den Weg der deutschen Volkswirtschaftslehre im 19. Jh. an den führenden Vertretern dieser Wissenschaft und die Eigenart deutschen Wirtschaftsdenkens aus dem geschichtlichen Verständnis heraus aufzuweisen getrachtet <1937, 2146>. Die dafür ausgewählten Männer und Schriften werden in kurzer Form nähergebracht. Das Werk ist eine würdige Auseinandersetzung sowie ein solider Aufbau, wenn auch manche Teile, wie das Kapitel über die historische Schule, zu kurz ausgefallen sind und die Wertung nicht durchwegs ohne Widerspruch bleiben dürfte. -- M. Zim-


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mermann <1937, 2147> gibt eine dogmengeschichtliche Untersuchung über die Ausbildung des Sozialproblems bei vier sozialpolitischen Vertretern der historischen Schule (Roscher, Brentano, Cohn, Schmoller), und bei zwei Sozialtheoretikern (Adolf Wagner und Schäffler). -- E. H. Vogel <1937, 2148> nimmt kritisch gegen eine Schrift von U. Oldenburg <1936, S. 386> Stellung, weil dieser bei Unterschätzung der Bedeutung der Vertreter der historischen Schule für die Ausbildung einer »nationalen Volkswirtschaftslehre« die Lehre von v. Gottl-Ottlilienfeld irrtümlich und übertreibend als Vollendung bezeichnet habe. -- U. Werner < 2427> sucht festzustellen, inwieweit die Leitgrundsätze der lutherischen Ethik für das wissenschaftliche System von Roscher und Knies maßgebend gewesen sind, wobei er bei Roscher eine stärkere Einwirkung als bei Knies, bei dem der Einfluß der deutschen idealistischen Philosophie spürbar ist, erkennt; gleichzeitig stellt er aber fest, daß bei Roscher als Geschichtsforscher der Positivismus, freilich nur als methodisches Hilfsmittel, mitgespielt hat. -- C. Brinkmann <1937, 2155> entwirft ein umfassendes Bild vom wissenschaftlichen Lebenswerk Gustav Schmollers, seinen Leistungen für die theoretische Nationalökonomie sowohl wie auch für die Wirtschaftsgeschichte. Zweifellos befinden wir uns heute in einer Periode, in der gerade Schmollers Werk wieder gesteigerte Anerkennung finden wird. Aus diesem Grunde ist Brinkmanns Buch dankenswert, wenn auch der Verfassungs- und Wirtschaftshistoriker gegenüber Schmollers historischen Arbeiten, seiner Methode und der Gründlichkeit der Forschung Vorbehalte machen muß, die bei Brinkmann nicht ersichtlich werden. -- H. Schubert <1937, 2156> gibt nach einem biographischen Aufriß eine Darstellung der sozialpolitischen Tätigkeit Schmollers. Seine Stellung im Verein für Sozialpolitik, sein Streit mit Treitschke, sein Verhältnis zu Bismarck werden geschildert und ebenso seine spätere, auf starkem sozialpolitischem Optimismus aufgebaute Tätigkeit für die Sozialgesetzgebung. Es folgt noch eine Übersicht über die theoretischen Leistungen Schmollers. -- Zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von Gustav v. Schmoller < 2430> haben sich eine stattliche Reihe führender Nationalökonomen zusammengetan, um die einzelnen Seiten von Schmollers wirtschaftlichem Gesamtwerk in überaus hellen Farben zu malen. Vom Historiker Schmoller hat Fr. Hartung ein vorzügliches Bild entworfen, indem er auch die unverkennbaren Schwächen Schmollers, seine Abneigung gegen genaue Formulierungen und gegen scharfe Kritik sowie Mangel an historischer Methode aufzeigt und dadurch die großen, besonders auch organisatorischen Leistungen Schmollers um so stärker hervortreten läßt. -- W. Goetz < 2431> gibt mit dem Briefwechsel zwischen Gustav Schmoller und Lujo Brentano ein Bild von den persönlichen Beziehungen und interessante Ausblicke auf die wissenschaftlichen und politischen Anschauungen der beiden Männer.

F. Peters < 2432> stellt nach einer kurzen Charakterisierung der metallistischen und der funktionellen Theorie des Geldes (A. Müller und Knapp als ältere Vertreter) die nationalsozialistische Auffassung von der dem Gemeinwohl dienenden Stellung auch des Geldes auf der von G. Feder geschaffenen programmatischen Grundlage dar und behandelt dementsprechend die dynamische Wirksamkeit des Geldbegriffes und die Frage der festen Binnenwährung unter elastischer Staatsaufsicht, die zwischen dem Extrem einer ungebundenen Privatwirtschaft und absoluter Verstaatlichung des Kreditwesens


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steht. Er spricht von Zinskonvertierung und zusätzlicher Schaffung von Krediten durch staatliche Förderung, die die Arbeitskraft des Volkes als einen entscheidenden Faktor für die Bestimmung der Reichweite aller Kredite einsetzen kann. -- F. Bülow < 2426> zeichnet die Stellung Riehls und seiner sozialen Volkskunde gegenüber den Vertretern der Gesellschaftswissenschaft und seine Bedeutung für den Neuaufbau einer deutschen Volkswirtschaftslehre. Bei Riehl verbindet sich der Ausgang vom konkreten Organismus der Volkspersönlichkeit mit einer sozialpolitisch eingestellten Erforschung des völkischen Lebensraumes und einer ethischen Auffassung der Arbeit. So hat Riehl den Zusammenhang der Wirtschaftsform mit dem nationalen Leben des Volkes aufgewiesen. -- F. Bülow <1937, 2157> entwirft ein klares und übersichtliches Bild von dem wirtschaftspolitischen Werk G. Ruhlands, eines volksorganischen Denkers, dessen Leistungen und System eigentlich erst durch W. Darré bekanntgeworden ist und seither einen weitgehenden Einfluß auf die deutsche Agrargesetzgebung ausgeübt hat. -- H. Schmitt <1937, 2158> stellt fest, daß im Mittelpunkt der organischen Wirtschaftslehre Ruhlands der Begriff des Mittelstandes, der gegen die unteren sozialen Schichten durch das Merkmal der Selbständigkeit im Produktionsvorgang, also in organischer Einheit von Arbeit und Besitz, gegen die höheren Schichten durch die Einheit von Kapital und Arbeit, also nicht durch den Kapitalbesitz allein, dargestellt wird. So sind die wirtschaftspolitischen Forderungen Ruhlands von der Auffassung dieses ständischen Typus als des selbständigen, freien Vollarbeiters, im harmonischen Besitz aller produktiven Kräfte, bestimmt und gegen die Mittelstandspolitik Schmollers abgesetzt. Der Verfasser weist u. a. auf den Widerhall von Ruhlands Ansichten in der katholischen Standeslehre (S. 33 ff.) hin.

H. L. Stoltenberg <1937, 1875> gibt eine Geschichte der deutschen Soziologie, die er Gruppwissenschaft nennt, ohne aber den Kreis der Gelehrten und ihrer Werke, die hier in Frage kommen, klar abzugrenzen. Das Buch setzt zeitlich mit dem 13. Jh. ein und bespricht nach eigenwilliger Einteilung und Wertung eine große Zahl von Schriften. Wer sich die Mühe nimmt und die Geduld aufbringt, sich in St.s eigens erfundene Sprache einzuarbeiten, wird manchen klugen Gedanken finden.


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