VI. Epoche des Kapitalismus.

W. Bowden, M. Karpovich und A. P. Usher < 2463> geben eine allgemeine Darstellung der europäischen Wirtschaftsgeschichte seit 1750 auf Grund der Literatur, ohne sich in Auseinandersetzungen einzulassen. Man darf also keinen erheblichen Fortschritt erwarten, es ist aber doch lehrreich, die europäische Entwicklung von außen zu betrachten, wobei freilich ein tieferes Verständnis für die neueste Entwicklung und ein stärkeres Eindringen in den Stoff vermißt wird. -- F. Pinner < 2469> gibt eine umfassende Darstellung der großen Wirtschaftskrisen in England,


S.361

Frankreich, Deutschland und in den Vereinigten Staaten seit dem Beginn des 19. Jh.'s bis zur Gegenwart, wobei es ihm weniger auf die Klärung der theoretischen Probleme als auf die geschichtliche Schilderung ankommt; doch fällt dabei auch manche wertvolle theoretische Erkenntnis ab. Agrarkrisen werden kaum behandelt, sondern es steht im Mittelpunkt der Neubau des weltwirtschaftlichen Gebäudes und der nationalen Wirtschaften, wie er durch den Handel und im Zusammenhang mit dem gewaltigen Fortschritt der Technik der Erzeugung und besonders des Verkehrs bewirkt wurde. Der Verf. untersucht dabei immer auch die tatsächliche Leistung dieser größten dynamischen Epoche der Weltgeschichte, aber auch die mit ihnen verbundenen rein spekulativen Auswüchse, die sich besonders in der Betätigung des jüdischen Elementes zeigt. Ohne das zu beabsichtigen stellt der Verf. die aufbauende Leistung der arischen Wirtschafter der jüdischen Finanzspekulation, durch die die schwersten Krisen eingeleitet wurden, gegenüber. Die Entwicklung der Weltwirtschaft, besonders der Finanzpolitik seit dem Weltkrieg, betrachtet Pinner mit offenem Blick für die zahlreichen Fehler, die allenthalben gemacht wurden. Das Buch zeigt überall einen bemerkenswerten Weitblick und eindringende Kenntnisse, wenn ihm freilich ein volles Verständnis für die staatlich geleitete Planwirtschaft und die notwendige Kenntnis ihrer Leistungen fehlt und er die freie kapitalistische Wirtschaftsform überschätzt, er achtet die immer mit ihr verbundenen Schäden in wirtschaftlicher und gar in sozialer Hinsicht, wovon er nicht spricht, zu gering und untersucht die Frage nicht, ob wirklich die freie Wirtschaft die einzige, für ganz große Leistungen geeignete Form oder ob sie in Wirklichkeit nicht schon grundsätzlich überholt ist. -- F. Hesse < 2479> gibt eine interessante Untersuchung über die wirtschaftliche Entwicklung, die Konjunktur und die Krisen, vom Beginn des Weltkrieges bis zum Ende der Inflation. Die mit umfangreichem Zahlenmaterial unterbaute und auf breiter Grundlage ruhende Arbeit gibt in beispielhafter Weise ein Bild von der Entwicklung der Wirtschaft, die in so gefahrvoller Zeit die Fiktion der Freiwirtschaft aufrecht erhält und dabei übersieht, daß die eigentlichen Grundlagen gar nicht von ihr bestimmt werden. Vor allem wichtig sind die Ausführungen über den Einfluß des Krieges und der Geldblähe (Inflation) auf die Gütererzeugung und den Umsatz. -- Es war ein glücklicher Gedanke von J. Müller < 2468>, die Industrialisierung der deutschen Mittelgebirge zusammenfassend historisch und theoretisch zu bearbeiten. Die historischen Ausführungen stützen sich auf die vorhandenen Vorarbeiten, die nicht vollständig herangezogen sind. Die Darstellung ist daher vom Stand der erfaßten Forschung abhängig, die der älteren Zeit unbefriedigend, für den theoretischen Teil sind die Fragen der Standortslehre angelegt worden. Leider fehlt eine Kartenbeilage. Alle diese Einwendungen sollen aber den positiven Wert nicht schmälern. Verfasser bezeichnet selbst sein Werk als Versuch (S. 105); als solcher ist es gelungen und weist den Weg zum weiteren Ausbau.

K. Thiede <1937, 1898> gibt eine kurze Darstellung der Widerstände, die gegen Stein im preußischen Großgrundbesitz und in dem Kreis um Adam Müller und L. v. d. Marwitz auftraten, um dann die Durchführung des Reformwerkes unter Hardenberg zu skizzieren. -- F. Kunter <1937, 1899> bietet einen an der Oberfläche haftenden Vergleich zwischen der Stein-Hardenbergischen Agrarreform und dem Reichserbhofgesetz und stellt zu diesem Zweck


S.362

aus dem vorhandenen Schrifttum Zahlen- und Tatsachenmaterial zusammen. -- Treue <1937, 2212> führt aus, daß nach den Napoleonischen Kriegen in Preußen ein starker wirtschaftlicher Niedergang eintrat, den er mit statistischem Material sicher belegt. Das preußische Zollgesetz vom 26. Mai 1818 brachte demgegenüber nicht die erhoffte Besserung, da es die Produktion in Preußen ohne genügenden Schutz ließ. Erst seit 1825 trat infolge der Änderungen im Gesetz eine allmähliche Besserung ein. Treue kritisiert das Gesetz als liberal, wird ihm aber nicht völlig gerecht. Mochte es auch preußisch und nicht deutsch gedacht sein, so bedeutete es doch in politischer Hinsicht den Ausgangspunkt für einen gewaltigen positiven Fortschritt und außerdem räumte es wirtschaftspolitische Zustände aus dem Weg, die den späteren Aufstieg schwer gehindert hätten. Richtig ist wohl, daß die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen nicht günstig waren. -- H. Paul < 2486> schildert die Anfänge des Preußischen Eisenbahnbaus und die Stellungnahme der Preußischen Regierung. Motz hat sich frühzeitig für eine Förderung der von Harkort und einigen rheinisch-westfälischen Beamten entworfenen Pläne und eine Unterstützung der Eisenbahn-Gesellschaften verwandt. Trotz vielseitigen Drängens ließ die Preußische Regierung wegen bürokratischer Widerstände noch bis 1838 auf eine aktive Eisenbahnpolitik warten. Generalpostmeister Nagler und sachliche Hemmnisse wie der zur gleichen Zeit intensiv betriebene Straßenbau, aber auch der Aktienschwindel und die verfehlten Spekulationen bewirkten eine Zurückhaltung gegenüber dem neuen Verkehrsmittel. Die Mißerfolge von Lists Bemühungen in Preußen sind wohl psychologisch aus der Demagogenfurcht zu erklären. Einen wesentlichen Fortschritt brachte die Erkenntnis der militärischen Bedeutung des neuen Verkehrsmittels. Vom Staatsinteresse geleitet war das Eisenbahngesetz von 1838, das gegen die privatwirtschaftlichen Bedenken und Einwände der Unternehmer auf Lists und Camphausens Ideen aufbaute und den ersten Schritt zur organischen Einordnung der Eisenbahn in die Volkswirtschaft bedeutete. -- J. Marx < 2472> bringt hauptsächlich auf Grund der Berichte der Polizeidirektionen und Gubernien Nachrichten, die unsere Kenntnisse von den wirtschaftlichen Verhältnissen in Österreich im Vormärz sehr verlebendigen, die die wirtschaftliche Umgliederung in ihren Auswirkungen zeigen, aber auch dartun, daß die Revolution von 1848 nicht aus wirtschaftlichen Mißständen erwachsen, wohl aber durch sie gefördert worden ist. -- A. Finger <1937, 2199> behandelt die Stellung der verschiedenen wirtschaftlichen und politischen Gruppen der Nationalversammlung von 1848/49 -- diese selbst hat sich zu dem Thema nicht geäußert -- zur Schutzzollbewegung auf Grund der Akten des Reichshandelsministeriums und anderer handschriftlicher und gedruckter Quellen. Gegenüber diesem erfolglos abschließenden Kapitel wird im zweiten Teil Gründung, Organisation und Geschichte des Allgemeinen Deutschen Vereines zum Schutze der vaterländischen Arbeit als Vorläufer des späteren Zentralverbandes deutscher Industriellen dargestellt.

Die Arbeit von H. Dreßler < 2433a> ist namentlich in dem ersten Teil eine etwas oberflächliche Zusammenstellung von Lesefrüchten, der ein soziologischer Untergrund angeklebt ist. Der vierte Abschnitt über das 19. Jh. verrät eine gewisse Belesenheit, die mangels einer nicht ausgebildeten Systematik nicht ausgewertet werden kann. -- Das von einer Reihe von Mitarbeitern unter der Leitung von G. Kallen herausgegebene Buch über Alfred Krupp < 2476>


S.363

gibt mehr als der Titel besagt und zeichnet sich vor manchen ähnlichen Schriften über diesen großen deutschen Wirtschaftsführer vorteilhaft durch die Sachkunde, den wissenschaftlichen Grundton und die einheitliche Ausrichtung der Beiträge aus. Die Abhandlung von B. Kuske führt treffend ein, aber auch die übrigen Abhandlungen verdienen volles Lob. -- W. Berdrow <1937, 2203> stellt in einem für breitere Kreise bestimmten, nicht eigentlich wissenschaftlich gedachten Buch über das Haus Krupp, besonders aber Alfred Krupp, die Geschichte dieser bedeutendsten deutschen Industrieführerfamilie dar. --

D. C. Long < 2470> gibt unter dem Eindruck der deutsch-österreichischen Zollvereinsbestrebungen nach dem Weltkrieg, von deren Notwendigkeit und voraussichtlichem zukünftigen Erfolge er -- 1937 -- selbst überzeugt war, eine kurze Schilderung der früheren Versuche zur Schaffung einer Zollunion zwischen den deutschen Ländern und der Gründung des Zollvereins unter Führung Preußens. Österreich war vom Zollverein ausgeschlossen, versuchte aber dann, Preußen die wirtschaftliche Führerstellung im Bund zu entreißen oder den Zollverein zu sprengen; Frhr. von Bruck strebte dann eine Erweiterung des Zollvereins im großdeutschen Sinne an. Die preußische Politik, die seit Olmütz von Mißtrauen gegen Österreich beseelt war, hat diese auch nach Brucks Tode weitergeführten Versuche dauernd bekämpft und konnte sie durch Preußens wirtschaftliches Übergewicht gegen die kleineren Bundesstaaten und gestützt durch ein Handelsabkommen mit Frankreich auch vereiteln. -- A. Liebmann < 2477> stellt die Entwicklung der Allgemeinen Deutschen Creditanstalt unter Beibringung umfangreichen statistischen Materials in einen größeren volkswirtschaftlichen Zusammenhang. Die Bank war als Kreditanstalt für das ganze Reichsgebiet geplant, sie ist ein Abbild der wirtschaftlichen Stellung Leipzigs. Ihre Entwicklung hat zur Konzentration geführt, einerseits durch bewußte Beschränkung auf den ostdeutschen Raum, andererseits durch vorsichtige Kreditpolitik, die das Unternehmen dann auch erfolgreich durch die mehrfachen Krisen gebracht hat. Diese Beschränkung ist auch in der Verbindung mit anderen Großbanken (Geschäfte mit der Diskonto, Fusion mit Becker usw.) herrschend geblieben. --Mönch <1937, 2196> skizziert die Stellungnahme zur Frage der Arbeitslosigkeit, wobei er einerseits die theoretische Einstellung und andererseits die Einrichtung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von der Armenfürsorge bis zur staatlichen Hilfe in ihrem historischen Ablauf verfolgt und schließlich zeigt, wie der Nationalsozialismus diese Frage behandelt und auf Grund einer neuen Auffassung der Arbeit, die freilich bei Mönch nicht genügend hervortritt, löst. -- P. Königs Dissertation <1937, 1911> gibt ohne irgendeine Tatsachenforschung nur einen recht kurzen Überblick über die Geschichte der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände bis zum Betriebsrätegesetz und skizziert dann die Ausbildung der Werk- und Betriebsgemeinschaften. Den Abschluß bildet eine kurze Darstellung der NS.-Organisationen, des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit und der Aufgaben des Vertrauensrates. -- O. Ruhmers Entstehungsgeschichte des deutschen Genossenschaftswesens <1937, 2198> ist eine sehr breit gehaltene, wissenschaftlich nicht vollwertige Darstellung, die hauptsächlich den Gründungen von Schultze-Delitzsch gewidmet, aber theoretisch nicht genügend unterbaut ist. -- R. Rottsahl <1937, 2204> bringt auf aktenmäßiger Grundlage ein Kapitel Bismarckscher Verkehrspolitik im ersten Jahrzehnt des neuen Reiches, in dem der Widerstand der partikularen


S.364

Kräfte besonders deutlich hervortritt. Die Errichtung einer Reichsbehörde für Eisenbahnwesen und die Oberaufsicht des Reiches aus Gründen der Landesverteidigung sowie die Einführung eines einheitlichen Tarifes scheiterten an der Selbständigkeit der bundesstaatlichen Eisenbahnpolitik, besonders an der Haltung der süddeutschen Bundesstaaten und Sachsens. In den preußischen Fachministerien beseitigte Bismarck die Widerstände allmählich und nahm seit 1879 die frühere Aufkaufspolitik von Privatbahnen, allerdings für Preußen und nicht für das Reich, wieder auf. -- H. O. Ehm <1937, 2206> zeigt, wie sich die deutschen und belgischen Handelsbeziehungen aus den strukturellen Verhältnissen der beiden Länder ergaben. Belgien war wegen seiner Kleinheit auf die Herstellung von Spezialprodukten (Halbfabrikaten) für den Weltmarkt eingestellt, während Deutschland einen größeren Binnenmarkt hatte und allgemein Fertigfabrikate erzeugte. Ehm zeigt dann die Einwirkung der Handelsverträge deutlich, besonders seit Deutschland mit dem Handelsvertrag von 1892 ein System der gebundenen Tarifpolitik neben den Schutzzöllen einführte. Die Ausfuhr von Halbfabrikaten aus Belgien und Fertigfabrikaten aus Deutschland hat sich auch nach 1900 bei der Entwicklung der chemischen und der Schwerindustrie erhalten. --Th. Heyse <1937, 2207> führt mit statistischen Angaben aus, daß Belgien vor dem Weltkrieg sehr viel Kapital in ausländischen Unternehmungen investiert hatte, daß aber seine Fähigkeit zur vollen wirtschaftlichen Auswertung des Kongos angezweifelt wurde. Von diesem belgischen Kapital war ein erheblicher Teil deutscher Besitz. Heyse sucht dann die Bestrebungen Deutschlands, während des Krieges in die belgische Wirtschaft einzudringen, darzutun und geht auch auf deutsche Absichten in bezug auf die Auswertung der belgischen Kolonien, freilich ohne Verständnis für die deutschen Beweggründe, ein. -- P. Skopp <1937, 1882> entwirft eine kurze Skizze der wirtschaftsständischen Ideen vor dem Weltkriege und erörtert dann die Gedanken der verschiedenen politischen Parteien vor 1933, die durchwegs vom liberalen Staat und der liberalen Gesellschaft ausgingen und im Kampf der einzelnen Gruppen gegeneinander steckenblieben, wogegen der Nationalsozialismus sich grundsätzlich von diesem Ausgangspunkt loslöste und eine neue wirtschaftsständische Gliederung aufbaute. Die knapp gehaltene Arbeit gibt ein eindringliches und anschauliches Bild.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)