§ 40. Katholische Kirchengeschichte der Neuzeit )

) Bericht für das Jahr 1937.

(J. H. Beckmann)

In einem umfassenden Werk führt Schnürer <1937, 2413> sein früheres dreibändiges Werk »Kirche und Kultur im Mittelalter« (1924--1929) für die Zeit von 1500--1700 fort. Er will den Anteil zeigen, den die katholische Kirche an der »letzten Gemeinschaftskultur des Abendlandes« (S. VII) führend und bestimmend genommen habe. Diese Kultur entstand nach Schn. aus einer Erneuerung


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der Kirche, die sich der weltlichen Renaissancekultur bediente und sie in ihrem Sinne prägte. Obwohl sie sämtliche Lebensgebiete zu durchdringen suchte, blieb sie eine Kultur der oberen Schichten, das Volk trat vollständig zurück. In dieser Mißachtung des völkischen Strebens lag schon der Keim des späteren Verfalles begründet, der noch durch den Anschluß der Kirche an den Machtgedanken der absolutistischen Fürsten der Zeit verschärft wurde. Verf. geht aus von den Grundlagen der Barockkultur in Italien und Spanien und teilt sein Werk in das Zeitalter der spanischen und französischen Vorherrschaft. Die Entwicklung der kirchlichen und künstlerisch-geistigen Barockkultur in den einzelnen Ländern nicht nur Europas, sondern auch der Neuen Welt, soweit sie schon im Blickpunkt der Missionen stand, wird eingehend verfolgt. Die betonte Verbindung der Kirche mit der Barockkultur und ihre gegenseitige Einwirkung läßt naturgemäß die Länder in den Vordergrund treten, in denen nach der Glaubensspaltung die Kirche herrschend blieb. Die deutschen Verhältnisse werden auf etwa 100 Seiten skizziert. Schn. gibt eine Gesamtschau dieser Periode und bietet dabei ohne tiefe Problematik eine Fülle von Einzelheiten und wiederholt eine ausführliche Charakteristik von einflußreichen Persönlichkeiten. Bei ausgedehnter Kenntnis der reichen Literatur und Spezialforschung finden wir auch in den Einzelfragen fast stets den neuesten Stand der Forschung angezeigt. Schn.'s Ausgang ist ein streng katholischer Standpunkt; er hat ihn im allgemeinen aber nicht zu einer engen Beurteilung der Geschehnisse geführt und ihn auch nicht daran gehindert, die Schwächen und offenkundigen Schattenseiten der Zeit auszusprechen, wenngleich ein leiser apologetischer Ton das Ganze durchzieht. Das Buch ist ein gutes Nachschlagewerk für eine Zeitperiode, für die es eine Gesamtdarstellung bisher nicht gab. Die wichtigste Literatur wird in einem Anhang zu jedem Kapitel dargeboten (Bespr. vgl. Theol. Litbl. 1938, S. 138--140; Theol. Lit. Z. 1938, S. 181--185; Hochl. 1937/38, S. 327--333). --Soranzo <1937, 1007> behandelt in allen Einzelheiten die berühmte Reise Papst Pius' VI. nach Wien im Jahre 1782. Er kann auf Grund neuen Aktenmaterials die Kenntnis dieser Episode weit über die Arbeiten von H. Schlitter (1892 und 1894) und Pastors Papstgeschichte (Bd. XVI, 3) fördern. Mehrere Quellen und die gesamte Literatur zu dieser Frage werden am Schluß gebracht. Das umfangreiche Buch ermöglicht jetzt, die von den Zeitgenossen mit starkem Wertunterschied beurteilte Reise im Zusammenhang mit der damaligen Politik richtig zu sehen. -- Mit der weltgeschichtlichen Bedeutung des Papsttums, wie sie sich in der theoretischen und tatsächlichen Haltung zu den einzelnen Staaten und in der Einflußnahme bei wichtigen historischen Ereignissen verkörpert, beschäftigt sich Eckhardt <1937, 2411>. Sehr verschieden in Wert und Umfang werden die für Machtstellung des Papsttums maßgeblichen Vorgänge seit dem Mittelalter bis zur Wiederherstellung der weltlichen Souveränität durch Pius XI. erörtert. Das mittelalterliche Kapitel läßt in der Darstellung manches zu wünschen übrig, am ausführlichsten findet die Reformationsepoche Berücksichtigung (Bespr. vgl. RHE. 33 [1937], S. 555--558). -- Der Titel von Hofingers Buch <1937, 2452> entspricht nicht ganz seinem Inhalt. Es behandelt nicht sämtliche Katechismen Österreichs seit Canisius, sondern in der Hauptsache nur den Normalkatechismus vom Jahre 1777. Dieser Normalkatechismus hatte seinen Ursprung im wesentlichen im Felbiger-Saganer

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Katechismus, der eine weite Verbreitung gefunden hatte. H. untersucht in einem geschichtlichen Überblick die Abhängigkeit von Felbiger und anderen Quellen und zeigt, wie allmählich nach verschiedenen Bearbeitungen der Katechismus von 1777 herauswuchs; die Kommentare zu diesem Katechismus finden eingehende Beachtung. Bei der Darstellung der Weiterentwicklung bis in die Neuzeit wird der neueste Katechismus von 1930 nicht mehr behandelt. Die eigentliche, für die geistesgeschichtliche Betrachtung des 18./19. Jh.'s nicht unwesentliche Entwicklung fand mit der offiziellen Neubearbeitung des Katechismus 1894 ihren Abschluß. Für seine Untersuchungen hat Verf. eine Fülle von Material herangezogen, mit dem er Inhalt und äußere Gestaltung der einzelnen Katechismen vergleicht. Die Verbindung mit der allgemeinen Katechismusgeschichte und die Abhängigkeit von der jeweiligen geistesgeschichtlichen Situation wird besonders hervorgehoben. Etwa 140 Bibliotheken boten das Material für eine umfangreiche, nur wenig zu ergänzende Bibliographie (Bespr. vgl. Theol. Qu. 118 [1937], S. 528--530; Theol. Rev. 36 [1937], S. 494 bis 496; Zs. f. kath. Theol. 62 [1938], S. 130--134).

Aus früheren Jahren nachzutragen ist die erste große wissenschaftliche Canisiusbiographie von Brodrick <1936, 2282>. Sie ist fast ganz aufgebaut auf O. Braunsbergers achtbändigem Quellenwerk »B. P. Canisii epistulae et acta« (1896--1923) unter Heranziehung der gesamten nicht immer bedeutenden Canisiusliteratur. Der wissenschaftliche Apparat ist denkbar einfach gehalten. In frischer Darstellung und mit verhältnismäßig gesundem Sinn für die geschichtliche Wirklichkeit wird der Führer der katholischen Gegenreformation auf dem Hintergrund der Zeitgeschichte in seiner Entwicklung, Laufbahn und Bedeutung geschildert. Die Gesamtwürdigung des Canisius ist sicher richtig, seine Bedeutung für das Tridentinum wird stärker als üblich betont. Für den zeitgeschichtlichen Unterbau darf das obengenannte Werk von Schnürer herangezogen werden (Bespr. vgl. Rev. hist. eccl. 32, 1 [1936], S. 723--724; Archiv. hist. soc. Jesu 7 [1938], S. 130--132). --Jedins Versuch <1937, 2412> stellt den methodisch-programmatischen Zweck in den Vordergrund. Er will nichts Abschließendes bieten, wenngleich er in vielen Punkten weit über das Skizzenhafte hinausgehen kann. Das langsame Aufkommen der Reformideen in den Reformkongregationen wird als eine Art Selbsthilfe innerhalb der Orden entwickelt. Diese Ansätze zur Wiedergeburt der Orden von innen heraus genügten nicht, das Ordensleben war durch die Schuld der Päpste und kurialen Behörden weithin in Auflösung, die Bischöfe versagten ebenfalls. Als mit der deutschen Reformation der Bestand der Orden vollends in Frage gestellt wurde, tauchten neue Reformpläne auf. Die Ideen und Vorschläge der Reformliteratur, die Hauptvertreter und deren Grundgedanken werden klar umrissen. Eine gerade Linie vom Konstanzer Konzil zum Tridentinum, auf dem die Dekrete über die Regularenreform 1563 zum Abschluß kamen, ist nicht zu sehen. --

Kühne <1937, 2418> behandelt die schwierigen Versuche einer Einigung zwischen dem brandenburgisch-preußischen Staat und der katholischen Kirche in der Zeit nach dem Westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritt Friedrichs des Großen. Die Kurie hielt krampfhaft an dem totalen Anspruch auf absolute Unabhängigkeit der Kirche fest und lehnte die Ausübung einer Kirchenhoheit durch den protestantischen Landesherrn ab. Die Spannungen hauptsächlich


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im Fürstentum Halberstadt, die klare Stellung des Staates und einzelne führende Persönlichkeiten werden mit neuem Aktenmaterial gut herausgearbeitet. --

Veit <1937, 2603> widerlegt mit neuen Archivalien (Kurmainzische Polizei- und Zensurakten) die früher weit verbreitete Meinung, als sei der gesitliche Staat des Aufklärungszeitalters den rationalistischen und offenbarungsfeindlichen Geistesströmungen, soweit sie sich im Schrifttum widerspiegelt, nicht genügend entgegengetreten. Die vom Westen herstammenden Ideologien drangen aber nicht ins Volk, sondern berührten fast nur literarisch gebildete, religiös oberflächliche Kreise. Durch Verbote und Überwachung des Schrifttums suchte man die Gefahr zu bannen, die auch in rein weltlichen Staaten beachtet wurde, sobald sie dem Staatswesen gefährlich wurde. Die von V. behandelte neue Zensurordnung des Mainzer Generalvikariats (1788) war wenig erfolgreich.

Von den beiden vorliegenden Bischofsbiographien will das Buch von Liese <1937, 2416> über den Paderborner Bischof Martin eine wissenschaftliche Lücke ausfüllen. Unter Verwendung von ungedrucktem Material schildert L. das allgemeine Wirken des eigenwilligen Kirchenfürsten, der leicht die Zügel seines Temperamentes locker ließ. Als Bonner Professor der Moral- und Pastoraltheologie und als Verfasser zahlreicher Schriften hatte er kaum Bedeutung. Seine Stärke lag in der Seelsorge und im Rednertalent. Als solcher wurde er auf dem Vatikanum bekannt, wo er den Standpunkt der Infallibilität vertrat. Die Ausführungen L.'s in dieser Frage befriedigen nicht ganz. -- Lenhart zeichnet in seinem Ketteler <1937, 2417> mit apologetischer und »erbaulicher« Zielsetzung die Hauptlinien dieses Lebens als »Vorbild katholischer Lebensformung.« --

In das Gebiet des Kirchenrechtes führt uns Wester <1936, 2288> mit seiner aktenmäßigen Darstellung der Rechtsverhältnisse zwischen Oratorianern und der Pfarrei Kevelaer. Die Oratorianer waren zur Ausübung der Wallfahrtsseelsorge 1646 nach Kevelaer berufen worden. Es handelt sich hierbei nicht um eine Inkorporation der Pfarrei in das Oratorium, sondern um eine faktische Verbindung des Pfarramtes mit Mitgliedern des Ordens. -- Ebenfalls kirchenrechtlicher Natur ist die Arbeit von Nottarp <1937, 2441>. Sie will für das kleine mainfränkische Dorf Gaibach ein Eigenkirchenrecht des 17. Jh.'s nachweisen. Dieser seltene und interessante Fall fußt auf einer unselbständigen Stiftung Echters v. Mespelbrunn zugunsten der Pfarrkirche im Wert von 2500 Gulden, die der Familie Echter zu treuen Händen übertragen wurden; sie mußte also für den Unterhalt des Pfarrers aufkommen. Die Gründe, die N. für das tatsächliche Vorhandensein einer Eigenkirche in Gaibach anführt, bestechen außerordentlich, wenngleich vom strengen Eigenkirchenbegriff her der Beweis etwas schwankend erscheint. Diese Eigenkirche hielt sich der bischöflichen Verwaltungsbehörde gegenüber, die mit dem gemeinen Recht gegen die Institution vorging, etwa 100 Jahre. Die alte Stiftung wurde zu einem normalen Patronatsverhältnis mit fester Dotation umgewandelt. Als solche besteht sie noch heute in der Reibnisstiftung. Trotz einiger Bedenken bleibt diese Studie ein wertvoller Beitrag. Durch zahlreiche allgemeine geschichtliche Mitteilungen wird sie zugleich zu einer Geschichte des Ortes und der Pfarrei Gaibach.


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