IV. Kirchengeschichte.

Schmauch < 2618> bringt eine überraschende, aber überzeugende Klärung der Frage, seit wann das Bistum Ermland exemt gewesen ist. Daß es bei seiner Begründung gleich den drei übrigen Bistümern des Ordensstaats dem Erzbistum Riga unterstellt wurde, steht außer Zweifel. Doch wurde gewöhnlich angenommen, daß es 1466 bei Gelegenheit des zweiten Thorner Friedens exemt geworden ist. Vereinzelt wurden auch spätere Termine vermutet, als letzter das Jahr 1566, in dem das katholische Rigaer Erzbistum sein Ende fand. S. weist nach, daß zuerst 1457, also während des Dreizehnjährigen Krieges, vom ermländischen Bischof in Rom die Ansicht vertreten wurde, das Bistum sei kraft seiner Fundierung und Dotation durch einen päpstlichen Legaten unmittelbar dem apostolischen Stuhl unterstellt worden. Das bedeute jedoch keine kirchenmäßige, sondern nur eine staatsrechtliche Exemtion. Erst um 1550 ist Bischof Hosius weitergegangen und hat die Exemtion des Bistums schlechthin behauptet. Ein Exemtionsprivileg ist anscheinend nicht erteilt worden. Diese Auffassung des Ermländer Bischofs stammt offenbar aus dem Bestreben, jede Abhängigkeit von Polen zu vermeiden. 1457 galt es zunächst, die staatsrechtliche Unterstellung unter den Papst zu betonen. Später -- zuerst 1527 nachweisbar -- erstrebte der Erzbischof von Gnesen die Metropolitanstellung über das Bistum. Daher war es im 16. Jh. geboten, die Exemtion des Bistums zu behaupten. In aller Form anerkannt ist diese erst in der Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821; seit dem Konkordat von 1929 ist das Ermland der Erzdiözese Breslau zugeteilt. -- Wenn es den Ermländern gelang, die Unterstellung unter den Gnesener Erzbischof zu vermeiden, so reichte ihre Kraft doch nicht aus, Bischofsstuhl und Domkapitel dem Deutschtum zu erhalten <vgl. 1937, S. 423>. Die ersten polnischen Versuche in dieser Richtung schlugen freilich fehl. Es gelang dem König nur, 1512 einen Vertrag durchzusetzen, daß das Domkapitel ihm vier seiner Mitglieder, die aber das preußische Indigenat besitzen mußten, zur Auswahl präsentierte. Dieser Vertrag wurde von Polen 1551 gebrochen; trotz des Widerstandes des Domkapitels wurde damals Stanislaus Hosius und 1570 in Martin Kromer zum erstenmal ein gebürtiger Pole zum Bischof nominiert. Die namentlich unter Kromer einsetzende Polonisierung des ermländischen Klerus ließ dann den Widerstand des Domkapitels erlahmen; seither sind bis 1795 fast stets Polen zu ermländischen


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Bischöfen gewählt worden; Schmauch < 2703>. -- Daß freilich auch schon vor 1551 der Einfluß des polnischen Königs auf die ermländischen Bischofswahlen sehr groß war, erweist die eingehende Schilderung Schmauchs < 2704> über die Wahl (1538) des im polnischen Hofdienst hochgekommenen Danziger Humanisten Johannes Flachsbinder genannt Dantiscus, dessen Wahl der König gegen jahrelangen Widerstand des Domkapitels, allerdings unter formeller Wahrung der Bestimmungen des Vertrages von 1512 durchsetzte. -- Auf Grund des 1659 in Köln erschienenen Werks »Linda Mariana« des Jesuitenrektors Clagius schildert Birch-Hirschfeld < 2705>, welche Anziehungskraft der an der Grenze des Ermlandes im Herzogtum Preußen gelegene Wallfahrtsort Heiligelinde in der ersten Hälfte des 17. Jh.'s auf Katholiken und Evangelische ausübte. Man ist versucht, an Lourdes zu denken, wenn man hört, daß die Menschen dorthin pilgerten, um Genesung von Krankheiten (namentlich Augenleiden und Weichselzopf) zu finden, aber auch Erlösung von Gespensterfurcht, Zauberei u. ä. -- Die Selbstbiographie von Gennrich < 2795>, der 1899--1906 das westpreußische Predigerseminar in Dembowalonka leitete, 1907--1912 Professor und Konsistorialrat in Breslau, 1912--1917 Generalsuperintendent in Magdeburg war und 1917--1933 in gleicher Eigenschaft in Königsberg wirkte, ist namentlich im letzten Abschnitt von allgemeinem Interesse; Abstimmungszeit, theologische Fakultät und das kirchliche Leben jener Jahre erfahren eine sehr lebendige Schilderung.


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