I. Allgemeines.

A. Wahle hat sich durch eigene <1933/34, 178> und seiner Schüler Arbeiten der Geschichte der deutschen Vorgeschichtsforschung angenommen. Die Arbeit von Stemmermann <1933/34, 151>, die dem 16. und 17. Jh. gewidmet war, findet in der jetzt vorliegenden von Kirchner < 120> eine Fortsetzung. Doch behandelt K. nicht oder doch nur andeutungsweise die Geschichte der Erforschung und der Bewertung der Bodenaltertümer, sondern lediglich das germanische Zeitalter in der deutschen Geschichtsschreibung des 18. Jh.'s bis an die Schwelle des romantischen Zeitalters. K. bietet eine stoffreiche Darstellung der Themen, die die Historiographie der Aufklärung besonders beschäftigte, die Frage nach der Heimat der Germanen, nach ihrer Religion und nach ihren agrarsozialen Verhältnissen, nach der Idee der germanischen Freiheit und der Auseinandersetzung mit Rom. Die Last der römischen Tradition bestimmte weithin das allgemeine Urteil über die Eingliederung der germanischen Welt in den weltgeschichtlichen Umkreis, wenn auch Ansätze genug nachzuweisen sind, die den Versuch nach einer selbständigen Auffassung, frei vom römischen Blickfeld, machten, so durch das Studium der Sprache, der Bodenaltertümer, der nordischen Literatur oder durch ethnographische Vergleiche, Versuche, die nur dazu führten, daß das germanische Zeitalter manchmal als Wunschbild oder als Phantasiegebilde dem geschichtlichen Denken der Aufklärung vor Augen stand, aber nicht als historische Wirklichkeit ein Bestandteil der Bildungswelt wurde. -- Aus dem Nachlaß von Gundelfinger < 122> wird die Einleitung seines unvollendeten Buches »Deutsche Geschichtsschreiber von Herder bis Burckhardt« herausgegeben. Die Einleitung setzt mit dem Reformationszeitalter ein, mitten im Satz bricht das Buch bei Winckelmann ab. Es hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichtsschreibung lediglich als literarische Leistung zu würdigen, es überschreitet aber erheblich den Rahmen der allgemeinen Geschichtsschreibung, indem es vielmehr die Stilkunde des Berichtes als solchen berücksichtigt, und zwar sowohl eines geschichtlichen Berichtes, oder auch der Fähigkeit, über eine Begebenheit oder ein Erlebnis in Form von Reisebeschreibungen, ethnographischen und zoologischen Entdeckungen zu berichten. Das Ganze ist durch und durch fragmentarisch, und es kann füglich bezweifelt werden, ob das Vorliegende vom Verfasser als druckfertig angesprochen wurde; ganze Partien wirken als Vorstudien, Entwürfe oder als Materialsammlung. Einheitlich ist nur der Stil des Ganzen, der durch und durch Pose ist, wie er aus den früheren Büchern dieses jüdischen Verfassers zur Genüge bekannt ist. -- In einer kurzen Miszelle von wenigen Seiten versucht Hunger < 123> in der Reihe der Göttinger Historiker, die ursprünglich alle von anderen Wissenschaften ausgingen, verschiedene Forschungsgenerationen bis zum Anfang des 19. Jh.'s festzustellen. Die Ausführung dieses an sich beachtenswerten Gedankens ist aber viel zu skizzenhaft, um irgendwie zu überzeugen. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Dissertation von H.-H. Solf über Gottfried Achenwall < 2896 a> hingewiesen, die allerdings die Historiographie nur wenig berührt, da Achenwalls historische Arbeiten doch lediglich als Einleitung in die von ihm gepflegte Statistik, d. h. die Kunde vom Staatsleben seiner Zeit gedacht sind.


S.169

Ausgehend von der ursprünglich dem »Institut für österreichische Geschichtsforschung« bei seiner Gründung (1854) zugeschriebenen Aufgabe, den westeuropäischen Begriff der Nation auf die österreichische Geschichte zu übertragen, geht Brunner < 10> in sehr bedeutsamen Ausführungen auf die seit Mitte des 18. Jh.'s einsetzenden Versuche, die Geschichte Österreichs darzustellen, ein. Diese Versuche, entweder die Geschichte der einzelnen Kronländer zusammenzufassen, oder die Geschichte der Gesamtmonarchie, eine rein dynastische Einheit oder eine Reichsgeschichte zu praktisch-juristischen Zwecken zu schildern, sind gescheitert, genau so wie auch das »Institut« niemals die Pflegstätte der wissenschaftlich-politischen Idee, die seinen Gründern vorschwebte, geworden ist, weil diese Idee von vornherein nicht lebensfähig war. Br. zeigt, wie die Leistungen dieses »Instituts« sich im wesentlichen unter dem Einfluß von Th. v. Sickel in einer ganz anderen Richtung entwickelten. Es verlor nicht die Beziehungen zum wissenschaftlichen Leben der Gesamtnation und wurde zu einer anerkannten Schule deutscher Geschichtsforschung. Sehr bemerkenswert ist Br.'s Hinweis auf die Entwicklung anderer wissenschaftlicher Disziplinen in Österreich, wie auf dem Gebiet der Kunstgeschichte, der Nationalökonomie, Philosophie und Staatslehre. Je enger sich ihr Geist an den jeweiligen Staat band, um so mehr führte ihr Denken zu einer Erstarrung, weil jede große politische Idee dem Staate fehlte. -- Die Allgemeine Geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz hat den Gästen des 8. internationalen Kongresses für Geschichtswissenschaft eine wertvolle Gabe < 124> überreicht. Den Hauptteil nimmt die Darstellung Fellers ein; sie schildert die Leistungen der Schweizer Gelehrten auf dem Gebiet ihrer heimischen Geschichte, sie bietet somit keine Schweizer Historiographie, noch bringt sie eine Forschungsgeschichte; denn die Arbeiten nichtschweizerischer Gelehrten werden kaum berücksichtigt. F. reiht mit verbindendem Text eine Charakteristik der Männer, die als Schriftsteller, Forscher, als Organisatoren oder Betreuer musealer Geschichtsgüter Anteil an der Pflege heimischer Geschichte hatten, nebeneinander. Der Aufbau und der Stil des Buches erinnert auffällig an Fueters Geschichte der Historiographie, dessen überheblichen Urteile F. glücklicherweise meidet, und dessen weltanschauliche Einseitigkeiten F. sich nicht zu eigen macht. Über den lokalen Rahmen hinaus zieht sich ein allgemein bedeutsamer Faden durch das Buch: der Kampf um die Tradition der nationalen Geschichte, die Spannung zwischen der so selbstverständlichen und liebgewordenen Geschichtstradition der Urkantone, der Tell- und Befreiungssage und den Ergebnissen der kritischen Geschichtsforschung. Ein knapper Anhang von Rudolf de Salis gibt eine Übersicht über die Leistungen der Schweizer Gelehrten auf dem Gebiete der allgemeinen Geschichte. Außer Männern wie Joh. Müller, Sismondi und J. Burckhardt werden eine ganze Reihe weniger bedeutsamer Gelehrter in einer recht anfechtbaren Auswahl behandelt.


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