§ 5. Allgemeines zur deutschen Geschichte und Gesamtdarstellungen

(P. Sattler)

Das Jahr 1938 wird für alle Zeiten als das Epochejahr der deutschen Geschichte gelten, es überstrahlt völlig das Ereignis des Jahres 1871, es löscht die Zeiten der tiefen Erniedrigung, 1805--1812 und 1918--1933, aus der Erinnerung der Nation, und es schließt endgültig die Wunden von Leuthen und Königgrätz. Die Vollendung der deutschen Einheit und die Aufrichtung des Großdeutschen Reiches wird auch künftig die Anschauungen von dem Gesamtablauf der deutschen Geschichte bestimmen. Die in der Ostmark zuerst begründete gesamtdeutsche Geschichtsauffassung hat Verbindungslinien von der fernsten


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Vergangenheit über die eigene Gegenwart auf ein zukünftiges Ziel gezogen, sie hat in den Zeiten des Kampfes diese Gedanken zu einem fast selbstverständlichen Bestandteil unseres geschichtlichen Selbstbewußtseins erhoben. Nunmehr wird ihr Gehalt an Wunschbild und Prophetie, der sie eigentlich erst zu einer echten, d. h. wirkenden Geschichtsauffassung gemacht hat, schwinden, und es wird künftig ihre Aufgabe bleiben, in rückschauender Betrachtung den Geschichtsablauf auf ein erreichtes Ziel zu schildern. Die zahlreichen Schriften, die sich ganz im Banne der Ereignisse bemühen, ihre Bedeutung geschichtlich zu ermessen, zeigen bereits diesen Wandel der gesamtdeutschen Betrachtung. Ihnen ist allen eigen, daß sie die Vollendung der deutschen Einheit im wesentlichen als eine innerdeutsche Entwicklung schildern; es ist verständlich, daß in ihnen die weltgeschichtliche Zäsur des Jahres 1938, die wir heute in der Stunde der außenpolitischen Bewährung des neuen Reiches klarer vor Augen haben als in den Monaten unmittelbar nach dem Anschluß, nicht genügend herausgestellt wird.

Der Vortrag von H. Hirsch < 269> ist bereits im Jahre 1937 gehalten und später unverändert veröffentlicht; er schildert, im wesentlichen vom Standpunkt des Verfassungshistorikers aus, die staatrechtliche Stellung der Ostmark zum Reich bis zum Aussterben der Babenberger. Einst hatte die kleindeutsche Historiographie (v. Sybel, Brunner) in ihrem historisch-publizistischen Kampf gegen den Habsburgerstaat nachdrücklich behauptet, daß bereits im hohen MA. eine Loslösung der Ostmark vom Reich erfolgt sei. Diese These ist von seiten derer, denen es darauf ankam, die Fiktion der Eigenstaatlichkeit Österreichs mit historischen Gründen zu stützen, dankbar aufgenommen. Demgegenüber betont H. die Bindungen der Ostmark an das Reich und erklärt die Sonderentwicklungen aus den Verhältnissen, die auf Kolonialboden gegeben waren. Für die Neuzeit und die Gegenwart zeigt O. Brunner < 270> den Weg des Ostmärkers in das Großdeutsche Reich, der nach dem Zusammenbruch der habsburgischen Doppelmonarchie notwendig eingeschlagen werden mußte, da dieser Zusammenbruch der sie tragenden deutschen Volksschicht jeder politischen Idee beraubte, die den Deutschen des Ostraums nur im Rahmen des Gesamtvolkes wiedergegeben werden konnte. Santifaller < 268> und Schüßler < 267> umreißen, sich gegenseitig ergänzend, die österreichische Geschichte im Rahmen des Gesamtvolkes. Beide behandeln das unerschöpflich reiche Thema durch Ausschnitte, die ihnen durch ihre eigenen Arbeiten besonders nahegebracht sind. Santifaller geht ausführlich auf die Besiedlungsgeschichte der Ostmark ein, Schüßler legt im Rahmen seines Themas dar, warum eine gesamtdeutsche Lösung im 19. Jh. noch nicht möglich war.

Auch in diesem Bericht sind weitere Gesamtdarstellungen zu erwähnen. Der Schwerpunkt des stattlichen Sammelwerkes »Das Werden unseres Volkes« < 252> ist durch den Untertitel »Ein Bildersaal deutscher Geschichte« gekennzeichnet. Nicht weniger als 450 Abbildungen von Funden und Gegenständen, Dokumenten und Urkunden, zeitgenössischen Bildwerken, Bauten und Stätten geschichtlicher Begebenheiten werden in guten Wiedergaben vorgelegt; darunter zahlreiche recht entlegene und bisher unbeachtete. Im ganzen wird man anerkennen, daß die Auswahl sachgemäß ist und daß der erzählende Text und die Abbildungen gut miteinander in Einklang gebracht sind. Der Text besteht aus 9 Beiträgen jüngerer Historiker, die sich sichtlich bemühen, den gesamten


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Stoff nach einheitlichen Gesichtspunkten darzustellen. Die Einseitigkeiten der borussischen und habsburgischen Geschichtsauffassung sind restlos überwunden, im einzelnen bleibt, mehr in der Stoffauswahl als im Urteil, noch mancher Wunsch offen. Die Forderung nach volksgeschichtlicher Darstellung ist ihrem Wesen nach zu vieldeutig, um leicht erfüllt zu werden. Die der Neuzeit gewidmeten Beiträge werden der Forderung nach organischer Eingliederung in den Rahmen volksdeutscher Geschichte mit wenigen Ausnahmen nicht ganz gerecht, solange die diplomatische und kriegsgeschichtliche Darstellung im Vordergrund stehen. Als Ganzes kann aber das unter der Leitung von E. Hölzle herausgegebene Werk als gut gelungen bezeichnet werden (Besprechung in der Hist. Z., Bd. 160, S. 330ff. von Maurer). -- Die »Geschichte unseres Volkes« von O. v. Taube < 251> ist das Werk eines Schriftstellers und Dichters, seine Stärke liegt in der sprachlichen Kunst der Erzählung, die anschaulich durch Vergleiche aus anderen Lebenskreisen, durch Abschweifungen, Betrachtungen, durch stellenweise phantasievolle Ausmalung die reine Pragmatik der Tatsachen überwindet. Nicht der Sinn für große Politik, sondern die stark ästhetisch gefärbte Freude an kraftvollem Leben und ursprünglichen Verhältnissen, an eckigen Gestalten und Schicksalen bestimmen sein Urteil und seine Neigung. Der vorliegende Band ist dem MA. gewidmet, der einzig »germanischen Zeit der Weltgeschichte«, der germanische Führernaturen und Geschlechter, ob sie auch die Sprache der Romanen oder der Slawen angenommen hatten, im Einklang mit dem Christentum das Gepräge geben. Diese Epoche ist gekennzeichnet durch die Freiheit völkischer Sonderrechte, die jedem Volk ein Eigenleben gewährleistete. Der große Gegenschlag, die Entgermanisierung des Abendlandes, kommt erst mit dem Ausgang des MA.'s auf, die sich bereits schon lange vorher ankündigende Renaissance bringt Ideen zur Geltung, die der germanischen Freiheit im Grunde widersprechen, den Absolutismus des Staates, des Rechtes und der Weltanschauung. Diese Gedanken, die das Werk T.'s durchziehen, sind an sich nicht neu; wie sie aber entwickelt werden, wirken sie fast gewaltsam. Sieht doch T. im Sturz der Hohenstaufen ein Glück, da ihm die Politik der späten Staufer eine frühe Verkörperung romanischrenaissancehafter Staatsgesinnung bedeutet. -- Die »Deutsche Geschichte« von J. Bühler müssen wir an dieser Stelle vor allem als den umfassenden Versuch, das Ganze der deutschen Geschichte in einem Werk zu schildern, würdigen. Sein erster Band hatte die Darstellung bis zum Höhepunkt der deutschen Macht im MA. geführt, er umfaßte einen Zeitraum von über 1000 Jahren, in denen die bäuerlich-aristokratischen Schichten der Kultur ihrer Zeit ihren Charakter gaben. Im 2. Band versuchte B. zwei an sich verschiedene, aber doch irgendwie miteinander im Zusammenhang stehende Entwicklungsreihen zu schildern, die Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst und das damit eingeleitete Sinken der Kaisermacht, und die Entfaltung des deutschen Volkes in dem Ostraum. Rund 400 Jahre umspannte dieser Abschnitt, in dem Fürsten, Ritter und Bürger Träger der führenden Ordnung waren. Der vorliegende 3. Band < 253> mit dem Untertitel »Das Reformationszeitalter« ist entsprechend der entscheidenden Bedeutung dieser Umbruchzeit ausführlicher gehalten; die Ereignisse von knapp 100 Jahren (Mitte des 15. bis Mitte des 16. Jh.'s) werden in ihm zusammengefaßt. Kein einzelner Stand, keine führende Schicht prägt diese Zeit; sie ist vielmehr erfüllt von dem bald geglückten, bald gescheiterten

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Emporringen neuer Schichten; ihre kulturelle Leistung ist aus allen Schichten hervorgegangen. Zwei zeitenüberdauernde Leistungen hat B. in seiner völkischkulturellen Betrachtung besonders betont und gegenüber dem Ganzen allzubreit dargestellt, die bildende Kunst und die Durchführung der Reformation, gipfelnd in der Person und dem Werk Martin Luthers. B.'s Urteil ist zurückhaltend und konservativ, man wird häufig an Rankes Thesen wieder erinnert. Ein Vergleich mit der sehr viel knapperen Darstellung dieses Zeitalters von H. J. Beyer <in 252> zeigt, welch andere Gesichtspunkte ein inmitten des völkischen Lebenskampfes unserer Tage stehender Betrachter herausstellen kann, der vor allem die Reichweite des deutschen Einflusses und die Entfaltung des Deutschtums in der Welt unter der Einwirkung der reformatorischen Bewegung sieht. Anders als Ranke hat B. dagegen nicht die Stellung Deutschlands in Europa und in der Welt in dem Maße, den sowohl eine politische als auch eine weltgeschichtliche Betrachtung gebietet, beachtet. Aus seiner Darstellung ist nicht zu entnehmen, daß das Reformationszeitalter nicht nur die geistige und soziale Krise des deutschen Volkes, sondern zugleich das um seinen kulturellen Beitrag gemilderte Herabsinken von seiner politischen Vormachtstellung und den Beginn der Atomisierung der europäischen Mitte mit sich brachte. -- Der Versuch von Paul < 1626>, die biologischen und räumlichen Grundlagen der deutschen Geschichte, wie Rasse, Stamm, Volkstum, Bevölkerung und Besiedlung in Verbindung mit den politischen Ereignissen zu schildern, ist dankenswert durch die Fülle des beigebrachten Materials bibliographischer Natur. In der Ausführung gelingt eine wirkliche Einheit zwischen beiden Betrachtungsreihen nur auf dem Gebiet der vor- und frühmittelalterlichen Geschichte, in der die Beziehungen zwischen den räumlichen und biologischen Kräften und den Geschehnissen greifbar sind. Für die Neuzeit, in der die politischen Ereignisse in sehr viel stärkerem Maße durch kulturell-geistige Kräfte, durch Institute und Anstalten beeinflußt werden, bedeuten P.'s skizzenhafte Ausführungen eine erste Zusammenfassung, die noch ergänzungsbedürftig ist. -- In einem kleinen Bändchen, das vom Volksverband der Bücherfreunde herausgegeben ist, faßt F. Martini < 1623> ansprechend den Beitrag, den jeder deutsche Stamm und jede Landschaft an Leistungen der Kunst, Bildung und Politik zum Aufbau der gesamtdeutschen Volksgeschichte geleistet hat, zusammen. Wissenschaftlich muß gegen den Aufbau des Buches, das an sich seinen Zweck für weitere Kreise erfüllen wird, eingewandt werden, daß sein Ausgangsbegriff, der einzelne Stamm oder auch die geschichtliche Landschaft viel zu unbestimmt gefaßt ist. Die Betrachtung, die vom Standpunkt eines Lebenszweiges wie z. B. der Kunst, der Dichtung sich als fruchtbar erwiesen hat, reicht allein nicht aus, um die politischen Kräfte, die weit über den Bereich eines Stammes oder einer Landschaft hinaus wirksam waren, zur Darstellung zu bringen.

Unter den Schriften verschiedenen Inhalts, die in diesem Abschnitt zu besprechen sind, ist die Schrift von Wessely < 257> hervorzuheben. Ausgehend von den Vorwürfen der deutschfeindlichen Weltkriegspropaganda untersucht W. die Nationalitätenpolitik des Vorkriegsdeutschlands und Österreichs und widerlegt schlagend den Vorwurf des »Pangermanismus«. Das Büchlein, das von einem Ostmärker vor dem Anschluß geschrieben wurde und das mit einem gesamtdeutschen Bekenntnis ausklingt, zieht die völlig neuen Grundsätze der


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Volkstumpolitik des Nationalsozialismus noch nicht in den Kreis seiner Betrachtungen. -- Wenn auch seit der französischen Kriegserklärung die politischen Voraussetzungen, unter denen F. Grimm < 264> seinen Vortrag über die deutschen Beziehungen zu Frankreich im Februar 1938 gehalten hat, sich grundlegend gewandelt haben, so behält sein Ergebnis, daß jede deutsch-französische Verständigung auf der Anerkenntnis der vollendeten deutschen Einheit durch Frankreich beruhe, auch heute noch Gültigkeit. -- Nach dem Titel erwartet man von J. Kinau eine Gesamtgeschichte der Seeherrschaft und der Seepolitik der letzten 700 Jahre < 2236>. Was K. in dem packend geschriebenen Buch, das die entscheidende Bedeutung der Seeherrschaft und der Flotte weiteren Kreisen dartun soll, bietet, sind vielmehr einzelne Bilder aus der Seekriegsgeschichte, nämlich die Fahrten der Hanse, die englisch-holländischen Kriege des 17. Jh.'s, die Aufrichtung der englischen Vormacht zur See in den napoleonischen Kriegen, der Kampf Rußlands gegen Japan im Fernen Osten und schließlich der Weltkrieg. Mit Vorliebe schildert K. die Taten kühner Seefahrer, Schlachten und Seegefechte, die dramatische Darstellung der Skagerrakschlacht ist besonders hervorzuheben.

Es war bisher nicht üblich, in diesem Bericht die verschiedenen Sammlungen allgemeinen Inhalts anzuzeigen. Eine beliebte Gattung des wissenschaftlichen Schrifttums, die Festschriften, entbehrt fast durchweg einer eigenen Note, sei diese stofflich oder methodisch, die eine Anzeige an dieser Stelle rechtfertigen würde. Fast immer handelt es sich um summenhafte Zusammenstellungen von Arbeiten, deren Wert als Einzelleistungen gar nicht bestritten werden soll und die als solche in anderen Forschungsberichten besprochen werden. Wenn jetzt immer häufiger ein Schülerkreis anstatt eine Festschrift für ihren Lehrer zusammenzubringen, dafür lieber die Aufsätze sammelt und herausgibt, so ist diese Ehrung für den Gefeierten würdiger und für die Wissenschaft objektiv wertvoller. Das über die Festschriften ausgesprochene Urteil gilt auch für die Srbik-Ehrung, die unter dem anspruchsvollen Titel »Gesamtdeutsche Vergangenheit« < 236> erschienen ist. Wenn auch ein Teil der Mitarbeiter sich Themen gewählt hat, die in Beziehung zum Titel stehen, und Beiträge geliefert hat, die den entschiedenen Willen erkennen lassen, die deutsche Geschichte unter dem Gesichtspunkt des ganzen Volkes zu sehen und den engeren Rahmen eines Einzelstaates zu verlassen, so läßt sich doch nicht leugnen, daß diese Festschrift sich nicht wesentlich von der üblichen Aneinanderreihung einzelner Beiträge, verschiedenster Stoffe, Methoden und Weltanschauungen unterscheidet. In ungleich stärkerem Maße verdienen die zahlreichen Sammlungen der Schriften eines Verfassers eine Würdigung, auch wenn die einzelnen Aufsätze bereits längst bekannt sind und der neue Band eigentlich »nichts Neues« bietet. In Wirklichkeit haben diese Sammlungen keineswegs nur die praktische Bedeutung, daß sie zahlreiche zerstreute Arbeiten handlich zusammenfassen; erst in dieser Zusammenfassung zeigt sich häufig die Richtung und der Charakter einer Lebensarbeit, nachdem die Mosaiksteine der wissenschaftlichen Kleinarbeit zu einem Ganzen vereinigt sind. Niemals hat eine Gelehrtengeneration einen Augenblick innerer Wende in so schnellem Ablauf erlebt wie die unsrige, und es ist, als ob sich dabei stärker denn je das Bedürfnis geltend macht, auf das früher Geleistete zurückzublicken. Dabei kann mit Befriedigung festgestellt werden, daß alle diese Sammlungen ihren Ursprung


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als wissenschaftliche Arbeiten nicht verleugnen. Soweit die Aufsätze gegenüber ihrer ersten Fassung geändert sind -- die Notwendigkeit zu Änderungen ist in unserer schnellebenden Zeit dringender als ehedem --, ist jedesmal darauf hingewiesen, ob es sich um Zusätze, Hinweise auf inzwischen erschienene Literatur oder auch Neubearbeitungen handelt, ob diese Veränderungen gewissenhaft in jedem Fall durch das Druckbild hervorgehoben oder ob nur im allgemeinen im Vorwort auf sie hingewiesen wird. Nur im geringen Ausmaß enthalten Beiträge zur deutschen Geschichte die Aufsätze von Seeberg < 246; vgl. S. 377> und E. Schwartz < 245>. Schwartz hat in dem ersten Band seiner gesammelten Schriften die Aufsätze und Vorträge allgemeinen Inhalts, die nicht für den Kreis seiner engeren Fachwissenschaft zu besonderen Anlässen entstanden sind, vorgelegt. Besondere Aufmerksamkeit verdienen seine Kriegs- und Nachkriegsreden als Dokumente ihrer Zeit und die Nachrufe auf Fachgenossen. Der Schülerkreis des Wiener Seminars für Wirtschafts- und Kulturgeschichte hatte bereits vor 10 Jahren die Aufsätze von A. Dopsch zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte herausgegeben <1928, 156>, nunmehr legen wiederum die Schüler die in den Jahren 1928--1938 entstandenen Arbeiten zu dem 70. Geburtstag ihres Lehrers mit einigen Nachträgen aus früheren Jahren vor < 242>. Außer der im Titel gekennzeichneten Forschungsrichtung enthält dieser Band Beiträge zur Landesgeschichte Österreichs sowie eine bio-bibliographische Übersicht zum Werk von A. Dopsch. -- Ebenfalls zum 70. Geburtstag sind die »Ausgewählten Aufsätze« von Karl Brandi < 241> von seinen Schülern ihrem Lehrer dargebracht. Keine andere Sammlung zeigt in irgendwie vergleichbarem Maße die Vielseitigkeit eines Gelehrten wie dieser stattliche Band, vielseitig in der Form, sei es in Betrachtung, Festvortrag, Kritik und Polemik, vielseitig im Inhalt, der sich auf Hilfswissenschaft, Heimatgeschichte, Landesgeschichte, Reichsgeschichte und die Fragen nach der Möglichkeit und Darstellung historischer Erkenntnis erstreckt. In allen diesen Beiträgen kommt B.'s Kunst zum Ausdruck, in jeder Kleinigkeit und Äußerlichkeit das Walten einer weltgeschichtlichen Tatsache zu erblicken, in den Anredeformeln einer frühmittelalterlichen Kanzlei so gut wie in den Giebeln der niedersächsischen Bauernhäuser. -- A. O. Meyers Aufsätze <1937, 238> aus den Jahren 1921--1933, auch diese zum 60. Geburtstag auf Aufforderung seiner Schüler zusammengetragen, beschränken sich auf die beiden Themen, die diesen Gelehrten vorzüglich beschäftigten, englische Geschichte des 17. Jh.'s und deutsche Geschichte des 19. Jh.'s, insbesondere Forschungen zur politischen und geistigen Geschichte, biographische Skizzen zur Geschichte des deutschen Konservativismus. Weitere Aufsätze berühren ganz allgemeine Fragen nach dem Gang der deutschen Geschichte. Zahlreiche Aufsätze werden erheblich geändert dargeboten; einer (Wissenschaft und Nation in Deutschland vor 100 Jahren) war bisher ungedruckt. -- Ganz aus dem Rahmen aller dieser Sammlungen gelehrter Arbeit fällt Karl Alexander von Müllers »Vom alten zum neuen Deutschland« < 244>. Hier spricht nicht der Gelehrte, sondern der Publizist, nicht der Historiker, sondern der Politiker. Wenn man einstmals den Weg beschreiben wird, auf dem die ältere Generation der bürgerlichen Rechten zum Nationalsozialismus gefunden hat, so kann man sich keine lauterere Quelle denken als diese Betrachtungen und Ermahnungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Ein Teil dieser Aufsätze ist bereits in dem älteren Buch »Deutsche Geschichte

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und deutscher Charakter« <1926, 219> enthalten. Stand dieses Buch aber fast ausschließlich unter dem Eindruck des Zusammenbruchs von 1918, so läßt der neue Band vielmehr den inneren, niemals ganz unterbrochenen Zusammenhang zwischen dem Geist des August 1914 und der nationalsozialistischen Erhebung von 1933 erkennen. -- »Geist und Macht« hat Walter Frank in einem glücklich gewählten Titel die Sammlung seiner Aufsätze < 243> genannt. Die Frage nach dem Einklang von Geist und Macht im Leben des deutschen Volkes, die bereits K. A. v. Müller in seinen ersten Weltkriegsaufsätzen stellte und die er als Leitmotiv durch alle Erhebungen und Tiefen des nationalen Wellenschlags eines Menschenalters durchklingen ließ, hat auch sein Schüler in den Jahren des Kampfes der nationalsozialistischen Bewegung immer wieder aufgegriffen. Das Buch enthält 41 zumeist kleinere Skizzen aus den Jahren 1926--1937, zumeist polemische Auseinandersetzungen mit der bürgerlich-liberalen Gelehrtengeneration der Nachkriegszeit, kritische Anmerkungen zu Neuerscheinungen aus Tageszeitungen, politischen und weltanschaulichen Zeitschriften. Alle Beiträge befassen sich mit der neuesten Geschichte seit der Reichsgründung. In allen diesen Aufsätzen klingen bereits dieselben Gesichtspunkte und Fragestellungen an, die inzwischen das Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands aufgegriffen hat. -- Unter der Überschrift »Von Raum und Grenzen des deutschen Volkes« hat H. Aubin < 240> seine Vorträge und Aufsätze aus den Jahren 1921 bis 1937 zusammengefaßt. Die vorher genannten Sammlungen von K. A. von Müller und W. Frank standen irgendwie im Banne innerpolitischer Kämpfe, Aubin dagegen ist ein Vertreter einer wissenschaftlichen Richtung, die in ganz anderer Form in politische Auseinandersetzungen (im weitesten Sinne) eingegriffen hat; diese Form erinnert in ihren Tatsachenfeststellungen mehr an die bella diplomatica des 18. Jh.'s als an die Herz und Gemüt packenden Werturteile, die in der deutschen Geschichtsschreibung seit den Tagen Droysens und Treitschkes üblich waren. Der mit Versailles aufgezwungene Kampf des deutschen Volkes um seinen Lebensraum stellte im Bereich der historisch-politischen Ideenbildung an die Gelehrten, deren wissenschaftliche Arbeiten um Volk und Raum kreisen, Ansprüche, denen nur mit dem gelehrten Rüstzeug von Quellenzeugnissen und in Ermittlung sicherer Tatsachen entsprochen werden kann. Die Wirksamkeit Aubins im Rheinland und später in Schlesien haben ihn auf die Auseinandersetzung mit den Nachbarvölkern gelenkt. Römer und Germanen in den Rheinlanden, Staat und Nation an der Westgrenze sowie die Erforschung der großen Ostbewegung sind die Themen, zu denen er in diesem Band Beiträge vorlegt. Ein umfangreicher Anhang unterrichtet über die Forschungen, die sich nach dem Erscheinen der einzelnen Aufsätze an die in ihnen aufgegriffenen Fragen angeschlossen haben.


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