I. Allgemeines.

Rund 50 Jahre nach dem Erscheinen des bis 1740 reichenden Werkes von Grünhagen in der Reihe »Deutsche Landesgeschichten« und 25 Jahre nach der Herausgabe des Sammelwerkes von Frech-Kampers zum Jubiläumsjahr 1913 hat die Historische Kommission für Schlesien unter der tatkräftigen Leitung von H. Aubin die Veröffentlichung einer neuen »Geschichte Schlesiens« < 315> begonnen, und zwar mit einem ersten, bis 1526 reichenden Bande, während der zweite Band, der die Darstellung bis zur Gegenwart führt, sich zur Zeit im Druck befindet, und der dritte, dem Anmerkungen und Register vorbehalten sind, in Vorbereitung ist. In jahrelanger engster Fühlungnahme der einzelnen Mitarbeiter untereinander und in Heranziehung eines namhaften Beraterkreises ist hier eine Gemeinschaftsleistung entstanden, die bei voller Verantwortung jedes Bearbeiters im einzelnen und bei weitgehender Wahrung seiner persönlichen Eigenart doch im ganzen als Schöpfung aus einem Gusse wirkt. Im Eingangskapitel kennzeichnet H. Schlenger, auf den auch die wirkungsvollen Kartenbeigaben zurückgehen, die natürlichen Grundlagen des schlesischen Geschichtsablaufs. Die Vorzeit bis hin zur Schwelle der Piastenherrschaft findet durch den Altmeister der schlesischen Vorgeschichtsforschung H. Seger eine Darstellung von vollendeter Reife und Abgeklärtheit. In die Behandlung der wechselvollen politischen Geschichte teilen sich zwei Mitarbeiter: E. Randt zeichnet in sorgfältiger Ausbreitung des immer stärker anschwellenden chronikalischen und urkundlichen Materials das Schicksal des Landes unter dem wechselnden Einfluß des böhmischen und polnischen Nachbarn vom 10. bis 12. Jh., die Ausbildung einer politischen Selbständigkeit unter einem eigenen Piastenzweig, die mit Heinrich I. in der Schaffung eines ansehnlichen Großreiches gipfelt, um nach dem Mongoleneinfall durch eine unaufhaltsame Gebietszersplitterung unterhöhlt zu werden, so daß Schlesien wieder zum Spielball seiner Nachbarn herabsinkt. Mit dem endgültigen Vorstoß des böhmischen Königtums von 1327 geht die Berichterstattung an E. Schieche über, der die aller darstellenden


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Bewältigung schier spottende Stoffülle des territorialen und dynastischen Kaleidoskops im 14. und 15. Jh. unter den Leitgedanken des Verhältnisses zu Böhmen -- Anschluß, Entfremdung, Kampf, Verselbständigung -- stellt, aus der Vielzahl schlesischer Landesfürsten einzelne schärfer umrissene Porträts hervorhebt und mit der Würdigung des Matthias Corvinus wie der ersten reformatorischen Strömungen nach 1520 bereits die Kräfte streift, die der staatlichen Entwicklung Schlesiens in der Neuzeit zunächst ihr Gepräge geben sollten. Dieses Bild ergänzen aufs glücklichste nach der verfassungs- und wirtschaftsgeschichtlichen Seite hin, vor allem für die umwälzende Wirkung der ma.'lichen deutschen Landnahme, die Beiträge von H. v. Loesch und H. Aubin -- jener mehr systematisch angelegt und für die verwickelten Einzelheiten schlesischer Staats- und Kirchenverfassung zuverlässige Auskunft bietend, dieser im Flusse einer bis ins letzte durchgefeilten Schilderung den Leser in den Bann jenes großartigen Ablaufes deutscher Ostwanderung zwingend, die hier aus nachschaffender Kraft noch einmal zu unmittelbarem Leben erweckt wird. Ein farbengesättigtes Zustandsbild des ma.'lichen Schlesiens entwirft aus seiner unübertroffenen Kenntnis der reichen Breslauer Handschriftenüberlieferung J. Klapper in einem besonderen Abschnitt, der dem schlesischen Volkstum gewidmet ist. Den Schluß des Bandes bilden zwei Beiträge, die in dieser Art auf schlesischem Boden bisher ohne Vorbild sind: einmal die Würdigung der ma.'lichen Kunst durch D. Frey, den gerade der Abstand des Zugewanderten befähigt, Gewicht und Eigenart des schlesischen Kunstschaffens im Rahmen der gesamtdeutschen Entwicklung überzeugend zu kennzeichnen, und dann die Darstellung der schlesischen Musik von A. Schmitz, dem das Gelingen dieses Wurfes durch die gleichzeitige Habilitationsschrift von F. Feldmann: »Musik und Musikpflege im ma.'lichen Schlesien« (Darstellgn. u. Quell. 37, 209 u. 31 S.) wesentlich erleichtert wurde. Alles in allem ist die Aufgabe, die der Historischen Kommission bei ihrer Planung der »Geschichte Schlesiens« vor Augen stand, in einem Maße gelöst worden, daß Schlesien schon jetzt von anderen, darin weniger günstig gestellten Landschaften um diesen ersten Band seiner neuen Landes- und Stammesgeschichte aufrichtig beneidet wird.

Aus dem für breiteste Kreise berechneten, reich bebilderten und vorwiegend der Gegenwart gewidmeten »Schlesienbuch« < 316> verdienen eine gesonderte Nennung die geschichtlichen Beiträge von F. Andreae: »Das geistige Schlesien« (S. 218--224), H. Aubin: »Schlesiens deutsche Leistung« (S. 201--213), J. Chodzidlo: »Die Bestimmungen der Versailler und St. Germainer Friedensdiktate für Österreichisch-Schlesien, Teschen, Niederschlesien und Oberschlesien« (S. 238--249), B. v. Hülsen: »Der dritte polnische Aufstand« (S. 264--279), E. Kothe: »Die nationalsozialistische Bewegung in Schlesien« (S. 299--305), M. Laubert: »Schlesien als geschichtliche Wirklichkeit« (S. 191--201), H. Rogmann: »Die Bevölkerungsentwicklung Schlesiens von 1816--1936« (S. 161--176) und W. v. Stoephasius: »Die Abstimmungskämpfe und die Abstimmung in Oberschlesien« (S. 252--264).

Die von Birke < 314> geforderte Untersuchung des schlesischen Volkspfeilers über die damaligen politischen Grenzen hinweg und die Herausstellung der stammesmäßigen Verbundenheit des gesamten Schlesiertums ist mit dem Fortfall jener Grenzen keineswegs überholt, sondern hat auch unter den


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veränderten Verhältnissen die alte Bedeutung behalten. Diesem Ziele dienen in Fortführung einer zehnjährigen Tradition und mit erhöhter Wirkungsmöglichkeit die schmucken Bände des nunmehr von Birke herausgegebenen »Schlesischen Jahrbuches«, von deren Inhalt unser Forschungsbericht in den folgenden Jahren vielfach zu sprechen Anlaß haben wird. -- Die Tradition der 1933 eingegangenen Reihe »Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift« nimmt ein neues Jahrbuch der Städtischen Kunstsammlungen Breslau und des Schlesischen Altertumvereins unter dem Namen »Die Hohe Straße« < 313> auf, das mit erweiterter Zielsetzung sein Augenmerk den Fragen der Vorzeit, der Kunstgeschichte und der Volkskunde zuwendet, indem es zugleich schlesische Leistung und Eigenart in den größeren Zusammenhang des deutschen Ostraums hineinstellt. Aus dem reichen Inhalt des ersten Bandes sei der grundlegende Aufsatz von D. Frey hervorgehoben, der »Schlesiens künstlerisches Antlitz« in den Schöpfungen der Baukunst, Plastik und Malerei aufzeigt (S. 12 bis 45). Mit einer Sonderfrage der ma.'lichen Geschichte befaßt sich H. Uhtenwoldt: »Der Peterstein am Siling und die schlesischen Torkapellen« (S. 72--85), der das viel erörterte Petrusstandbild einer in der Hussitenzeit zerstörten Torkapelle auf halber Höhe des Siling zuweist und weitere Beispiele einer Verbindung von Kult- und Wehrbau erbringt.


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