III. Landes- und Ortsgeschichte.

-- Der aus einem Vortrag hervorgegangene Aufsatz von Flach < 327> betrachtet in großem Rahmen die thüringische


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Geschichte unter den Gesichtspunkten von Stamm und Landschaft und zeigt damit neue, bisher zu wenig beachtete Seiten auf. Eingehend wird dargetan, daß Thüringen ein historischer, nicht ein geographischer Begriff ist, und daß sich dieser Begriff in den verschiedenen Zeiten verändert hat. Vor allem rücken durch die Frage nach dem Vorhandensein des trotz aller Kleinstaaterei erhaltenen Stammesbewußtsein die Einigungsbestrebungen des 19. Jh.'s in ein ganz neues Licht. -- Wesentlich auf Thüringen eingestellt ist die Sammlung von Rundfunkvorträgen thüringischer Historiker, die unter dem Titel »Die geschichtlichen Grundlagen des mitteldeutschen Volkstums« (Jena, Neuenhahn) zusammengestellt wurde. Die geographischen Gegebenheiten, Vorgeschichte und Geschichte, Recht, Literatur und Kunst, Sprache und Brauchtum werden einzeln dargestellt, und daraus wird dann ein Gesamtbild des mitteldeutschen Volkstums zu zeichnen versucht. Wesentlich ist jedoch, daß neben gemeinsamen Zügen dieses Volkstums auch starke landschaftliche Besonderheiten hervorstechen.

Die Arbeit von Erwin Schirmer: »Die deutsche Irdenware des 11. bis 15. Jahrhunderts im engeren Mitteldeutschland« (Jena, Diederichs, 154 S., 479 Abb., 5 Kt.), die eine neue, vorzüglich ausgestattete Veröffentlichungsreihe des Germanischen Museums in Jena eröffnet (»Irmin«), befaßt sich, durch äußerst umfangreiches Bildmaterial veranschaulicht, gründlich mit den Töpfereierzeugnissen des hohen und späten Mittelalters, um an ihnen Maßstäbe für zeitliche Datierungen zu gewinnen. Die Ergebnisse, daß in Thüringen westlich der Saale die Gefäße in Bombenform mit gelblichem bis rotem Brand, in den ostsaalischen Gebieten fast ausschließlich die Gefäße mit Standboden in blaugrauer Farbe vorherrschen, die auf sorbische Wurzel zurückgehen und von den eingewanderten Franken weiterentwickelt wurden, daß sich also Mutterboden und Kolonisationsland auch auf diesem Gebiet deutlich abgrenzen, zeigen, daß die Übertragung der vorgeschichtlichen Methode auf die sogenannte geschichtliche Zeit sehr wertvolle Erkenntnisse für den geschichtlichen Ablauf solcher Vorgänge bringen kann, die durch schriftliche Zeugnisse wenig gesichert sind. -- Zur südthüringisch-hennebergischen Geschichte des Mittelalters sind die beiden Arbeiten von Zickgraf < 912> und Köhler < 1573> zu nennen. Zickgraf veröffentlicht mit einer knappen Einleitung 23 bisher zum Teil noch nicht edierte Verträge der Herren von Frankenstein mit dem Stift Fulda aus den Jahren 1305--1346, die den Untergang des Geschlechts der Frankensteiner und das Aufsaugen ihres Besitzes durch die Landesherrschaft des Stiftes Fulda zeigen, und Köhler befaßt sich eingehend mit der Geschichte der Residenzen der 1274 entstandenen, 1549 ausgestorbenen Linie Hartenberg-Römhild des Grafenhauses Henneberg, den Schlössern Hartenberg und Römhild, wobei mannigfache Beiträge zur Geschichte dieser Linie überhaupt gegeben werden. -- Mit den schwierigen Fragen mittelalterlicher Grenzbestimmungen versucht Stüler < 1572> für den Besitz des Klosters Georgenthal fertig zu werden, den er auch karthographisch festlegt. Daß mit seinen Darlegungen noch nicht das letzte Wort in dieser Sache gesprochen ist, zeigt die Entgegnung von F. Hering (Z. d. Ver. f. thür. Gesch., N. F., Bd. 33, 1939, S. 476--479), die manche Irrtümer nachweist. Man erkennt aus dieser Kontroverse deutlich, daß für solche Fragen nur eingehende Ortskenntnis in Verbindung mit tiefgründiger Quelleninterpretation


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und Beherrschung des gesamten Quellenmaterials bis in die neuere Zeit sichere Ergebnisse zeitigen kann.

Für das 16. Jh. ist neben den gediegenen Arbeiten von Werl über die Herzogin Elisabeth zu Sachsen < 936> und Wild über das Vogtland im Schmalkaldischen Kriege < 945a>, die beide auch thüringische Angelegenheiten berühren, vor allem die Darstellung von Beierlein < 951> über die Beziehungen zwischen dem älteren Reußen und dem Kurfürsten August von Sachsen zu nennen. Auf Grund des archivalischen Quellenmaterials zeichnet der Verfasser ein sehr anschauliches und aufschlußreiches, sowohl der tragischen wie der komischen Züge nicht entbehrendes Bild von dem um die Wahrung seiner geringen landesherrlichen Rechte und seiner Ehre besorgten Heinrich Reuß und von dem rücksichtslos und hartnäckig seine Macht durchsetzenden Kurfürsten August. --

Aus dem Dreißigjährigen Krieg veröffentlicht Tenner < 974> die literarischen und archivalischen Berichte von dem schneidigen Sieg des nachmaligen brandenburgischen Generalfeldmarschalls Georg Derflinger über kaiserliche Truppen bei Wasungen, Meiningen und Mellrichstadt im Januar 1637 und wertet sie inhaltlich und kritisch aus.

Die große Zeit Weimars unter Carl August ist diesmal mit zwei wertvollen Arbeiten vertreten. Als Vorarbeit für eine Biographie des Herzogs gibt Andreas < 1030> einen ausführlichen, auf eingehenden Studien beruhenden, sehr aufschlußreichen Abriß der Erziehungspläne für Carl August und stellt dabei insbesondere die Tätigkeit des Prinzenerziehers Grafen Görtz heraus, der die Erziehung im Sinne einer gemäßigten Aufklärung leitete und großen Einfluß auf seinen Zögling gewann. Die Darstellung wird durch den Abdruck bedeutsamer Quellen unterbaut. Für die durch dieses Thema berührte Frage des Verhältnisses Carl Augusts zu seiner Mutter, der Herzogin Anna Amalia, und für die Beurteilung und Charakteristik seiner Gesamtpersönlichkeit überhaupt stellen die durch Bergmann < 1031> veröffentlichten Briefe des Herzogs eine äußerst wertvolle Quelle dar, die den nunmehr wohl endgültig anzunehmenden Verlust der mütterlichen Briefe an den Sohn recht schmerzlich empfinden läßt. Die Ausgabe der 162 Briefe, die von 1774--1793, mit einem einzigen Stück bis 1807, reichen, zeichnet sich durch saubere Edition, durch ungemein gehaltvolle und von dem tiefen Eindringen des Bearbeiters in den Stoff zeugende Anmerkungen aus und ist durch ein gutes Register bequem erschlossen. --

Den Anteil Thüringens an der deutschen Einheitsbewegung im 19. Jh., die mit den Einigungsbestrebungen in Thüringen selbst vielfach Hand in Hand ging, umreißt Hartung < 1228> in großen Linien; er zeigt dabei, wie die kleinstaatliche Enge in Thüringen hindernd gewirkt hat, wie aber auch hier, etwa in der Gestalt des Herzogs Ernst II. von Coburg-Gotha, der von Hartung wesentlich positiver als im allgemeinen üblich gewertet wird, politisches Verständnis für die zu lösenden Aufgaben vorhanden war.

Auf dem Gebiet der ortsgeschichtlichen Forschung sind im Berichtsjahr einige recht gute stadtgeschichtliche Arbeiten zu verzeichnen. Die Geschichte der Stadt Zeulenroda, von der Schmidt < 331> nach der früheren Veröffentlichung eines wertvollen Regestenbandes <vgl. 1937, Nr. 311 u. S. 489> den


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ersten bis 1650 reichenden Teil der Darstellung vorlegt, ist eine gediegene Leistung, die abschließend nach Vollendung des Werkes zu würdigen sein wird. --Seyfarth < 330> hat die Geschichte der Stadt Schmölln erstmalig im Zusammenhang bearbeitet und auf Grund jahrzehntelanger eigener, insbesondere archivalischer Forschungen eine quellenmäßig gut gesicherte, angenehm lesbare Darstellung geschaffen. Die Anfänge der Stadt, Verfassung, Verwaltung und Wirtschaft, Kirche und Schule werden ausführlich berücksichtigt, und die ganze Arbeit zeigt, daß auch ein nach den Worten des Verf.'s »in erster Linie für das Haus und für die Schule« geschriebenes Buch eine gute wissenschaftliche Leistung sein kann. In diesem Zusammenhang muß auch auf das eine Menge von einzelnen Aufsätzen zur Stadtgeschichte enthaltende, im ganzen erfreuliche Festbuch der Stadt Schmölln zur 600- Jahrfeier (Schmölln, Böckel, 96 S.) hingewiesen werden. -- In bewährter Weise führt E. Dahinten <vgl. 1932, Nr. 268 u. S. 452; 1934, S. 599> seine Eisfelder Forschungen fort und bringt als 4. Teil seiner Geschichte der Heimat »Stadt und Amt Eisfeld und Herzogtum Hildburghausen vom Westfälischen Frieden bis zu den Befreiungskriegen« (Eisfeld, Karl Beck, 524 S.). Die Geschichte der Stadt ist hier in den größeren Rahmen des Amtes und des Territoriums eingebaut, und die wirkliche Verarbeitung eines weitschichtigen Quellenstoffes, der weitgehend unmittelbar spricht, ist eine anerkennenswerte Leistung. -- Die als Gemeinschaftsarbeit mehrerer Gelehrten entstandene Geschichte der Stadt Gotha (Gotha, das Buch einer deutschen Stadt. Gotha, Engelhard-Reyher) wird nunmehr durch zwei Hefte abgeschlossen. K. Schmidt gibt in Heft 9 eine recht brauchbare Zeittafel, die die wichtigsten Ereignisse der Stadtgeschichte unter jeweiligem Hinweis auf die vorhergehende Darstellung in den landes- und reichsgeschichtlichen Zusammenhang einordnet; in Heft 10 behandelt der Oberbürgermeister der Stadt, F. Schmidt, die in Niedergang und Aufstieg sich abspielende Zeit von 1914--1937 mit vielen statistischen Belegen, und K. Schmidt bietet dann einen von großer Sachkenntnis getragenen und verständnisvoll wertenden Wegweiser durch das heimatkundliche Schrifttum. Ein Personen- und Sachverzeichnis erschließen das ganze Werk, das zu den besten stadtgeschichtlichen Leistungen in Thüringen gehört, bequem der Benutzung. -- Von starker Liebe zur Heimatgeschichte und von großem Fleiß, dem freilich nicht ein gleiches sachliches Können gepaart ist, zeugen die Jahrbücher zur Geschichte der Stadt Kahla von Denner < 329>. In annalistischer Weise sind hier Nachrichten zur Stadt- und Landesgeschichte von 110 v. Chr. bis 1914, die den unterschiedlichsten literarischen und archivalischen Quellen entnommen sind, ohne Kritik, ohne Blick für das Wesentliche und ohne jede Verarbeitung aneinandergereiht. Ein gefahrvolles Buch, wenn es in die unrechten Hände kommt! Dem ernsten Forscher, dem es höchstens als Materialsammlung dienen wird, kann es bei der Fülle des gebotenen Stoffes immerhin Wegweiser zu den Quellen sein. -- Einen schmuck ausgestatteten, für weiteste Kreise berechneten, anspruchslosen und nicht fehlerfreien Auszug aus der Geschichte der Stadt Greiz bietet H. Kaffenberger, Chronik der Stadt Greiz (Berlin, Weise, 64 S.). -- Eine gute, als erste Einführung brauchbare Übersicht über die Saalfelder Geschichte bietet K. Kuhlmann, Politische Wandlungen und Wendepunkte in der Saalfelder Geschichte (Saalfeld, Volksschulleitungen = Saalfelder Weihnachtsbüchlein

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Jg. 85). -- Einzelne Beiträge zur Geschichte der Stadt Altenburg, insbesondere zur Geschichte des Schlosses, zur Personen-, Kunst- und Geistesgeschichte enthält die Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes < 328>. -- Für die Häuser- und Personengeschichte des alten Weimar ist das auf gediegener Forschung beruhende Buch Bechsteins < 1571> eine willkommene Gabe.

Unter den Dorfgeschichten ist an erster Stelle die ansprechende, stilistisch stellenweise stark überfeinerte Arbeit von A. Knopf, Wickersdorf einst und jetzt (Jena, Neuenhahn, 136 S.) zu nennen, die neben der auf archivalischen Studien beruhenden Geschichte des Rittergutes und Dorfes W. auch die freie Schulgemeinde und ihre Schicksale behandelt, durch die der Name des Ortes bekannt wurde. -- Die Ortsgeschichte des Dorfes Schwallungen an der Werra von K. Erb (Meiningen, Keyßner, 228 S.) ist eine fleißige Materialsammlung ohne rechte Verarbeitung, die über das Dorf und seine Bewohner, das Gut, die Kirche, Kriegsereignisse, Verkehrswesen, Mühlen und Wirtshäuser berichtet und häufig die Quellen selbst reden läßt, wobei man nur vielfach von den mitgeteilten Lesungen nicht ganz überzeugt ist. Der umfangreiche Stoff ist in eine Unmenge von kleinen Abschnitten gegliedert, und dadurch erhält, wie es der Verfasser von einem dieser Abschnitte selbst sagt, das Buch den Charakter einer wenig befriedigenden Sammlung »zusammenhangloser Bruchstücke«. -- Auch die Schrift von R. Gräfe, 800 Jahre Bad Klosterlausnitz (Klosterlausnitz, Der Bürgermeister, 72 S.), eine Jubiläumsschrift, kann nur als Vorarbeit für eine abschließende Ortsgeschichte, die auf breitere archivalische Grundlage zu stellen wäre, gewertet werden. -- H. Koch, Geschichte des Rittergutes Hartmannsdorf an der Rauda (Mitt. d. Gesch. u. Altert.-Ver. Eisenberg, 47. H.) gibt im wesentlichen eine aus archivalischen Quellen geschöpfte Geschichte der Besitzerfamilien dieses Gutes von 1452 bis zur Gegenwart.


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