IV. Bevölkerungsgeschichte, Sippenkunde, Siedlungsgeschichte, Volkskunde.

Mit der Erschließung der für die allgemeine Bevölkerungs- und Besitzgeschichte ebenso wie für die einzelne Sippenforschung äußerst wertvollen Quellengruppe der Gerichtsbücher macht Wagner < 1675> einen dankenswerten Anfang; aus den Handelsbüchern des Amtes Arnshaugk (Neustadt a. d. Orla) von 1645--1708 veröffentlicht er sämtliche Einträge in Regestenform. Zugleich aber zeigt diese Veröffentlichung, die für die kurze Zeitspanne von 63 Jahren im räumlichen Umfang eines Amtes 890 Druckseiten erforderte, daß man die Fortsetzung in dieser Weise kaum erwägen kann. Man wird sich vielmehr mit registerartiger Erschließung der Namen begnügen müssen und dann allerdings auch so ein sehr nützliches Werk schaffen. -- Aus der vom Verein für bäuerliche Sippenkunde und bäuerliches Wappenwesen ins Leben gerufenen Reihe der Dorfsippenbücher ist im Berichtsjahr als erstes thüringisches Sippenbuch das von Neuhof < 1888> erschienen, das die Sippen dieses kleinen Ortes von 1715--1937 umfaßt. -- Die erste rassenkundliche Untersuchung thüringischer Dörfer bietet Kurth < 2007>, der bei seinen Vermessungen in den 4 Orten Achelstädt, Ellichleben, Witzleben und Zöllnitz im wesentlichen eine Mischung von nordischer und ostischer Rasse feststellt, wobei die Arbeiter mehr ostischen, die Bauern mehr nordisch-fälischen Blutsanteil aufweisen. Historisch beachtlich sind die bevölkerungsgeschichtlichen


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Ausführungen, die einen starken Rückgang des Bauerntums aufzeigen.

An einzelnen Familiengeschichten weist das Berichtsjahr einige recht erfreuliche Erscheinungen auf. J. Heubel, Die Thüringer Heubel (Groitzsch, Reichardt, 112 S.), behandelt die Geschichte seiner am Anfang des 17. Jh.'s vom Allgäu in Thüringen eingewanderten Familie, deren Mitglieder vielfach hervorgehobene Stellungen bekleideten, und bietet damit zugleich der Landesgeschichte manches wertvolle Ergebnis. -- Sorgfältige Arbeiten sind die Stammtafeln der Familie Lautenschläger von B. Lautenschläger (Gera, 88 S.) und die bereits in zweiter Auflage vorliegende Schrift von M. Strauch, Zur Geschichte der hennebergischen Familie Strauch (Meiningen, Keyßner, 176 S.). Das von mehreren Verfassern bearbeitete, vorzüglich ausgestattete Buch »Über ein halbes Jahrtausend auf angestammter Scholle. Geschichte der Herren von der Gabelentz auf Poschwitz« (als Handschrift gedruckt) vermittelt eine gute Darstellung der Gabelentzschen Familiengeschichte und des Herrensitzes Poschwitz und ist durch die ausführliche Behandlung der beiden berühmten Sprachforscher Hans Conon und Hans Georg Conon von der Gabelentz von allgemeinem Interesse.

Den Gang der Besiedelung und die Bevölkerungsentwicklung des Amtes Schleusingen untersucht im ganzen anregend Mauersberg < 1804> auf Grund umfangreichen archivalischen Materials, das er aber nicht immer zutreffend auswertet. -- Für die Siedlungs- und Bevölkerungsgeschichte Westthüringens ist die tüchtige Arbeit von Deist < 1805> wichtig, die eine Geschichte der Kulturlandschaft für die Bergbaugebiete an der hessisch- thüringischen Grenze bietet. -- Die Geschichte einer städtischen Einzelsiedlung, nämlich der Kleinstadt Gräfenthal, behandelt Unger < 1803>, der aus der Betrachtung der geographischen Grundlagen, der Entwicklung der Siedlung selbst und ihrer Bevölkerung den Schluß zieht, daß in erster Linie geographische und dann erst historische und persönliche Momente entscheidend für die Entwicklung der Siedlung waren. Bei den einzelnen Ausführungen wird man dem Verfasser kaum in allen Punkten beistimmen können.

Mit dem gegenwärtigen Stand der thüringischen Bauernhausforschung beschäftigt sich eingehend Hävernick < 2164>. Nach einer gründlichen Würdigung der bisherigen fragebogenmäßigen Erhebungen und des Schrifttums erörtert er eine Reihe von entscheidenden Einzelfragen und kommt zu dem Ergebnis, daß das Bauernhaus Thüringens, d. h. im wesentlichen des thüringischen Beckens, seine Gestalt und seine Durchbildung von Hessen und Mainfranken her wohl in der Zeit vom 6. bis 9. Jh. erfahren hat, daß dagegen in Thüringen östlich der Saale sich Einflüsse slawischer Bauweise bemerkbar machen, daß im ganzen aber viele Fragen noch der durch weitere Erhebungen zu stützenden Klärung bedürfen.


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