VI. Kultur- und Geistesgeschichte.

Die »Beiträge zur Geistes- und Kulturgeschichte der Oberrheinlande«, die Schüler und Fachgenossen dem letzten deutschen Inhaber des Lehrstuhls für neuere deutsche Literaturgeschichte an der Straßburger Universität Franz Schultz < 235> zum 60. Geburtstag dargebracht haben, umreißen die geistigen und kulturellen Werte dieses Raumes vom MA. bis ins 19. Jh. Minnesang und elsässischer Humanismus, Brants Narrenschiff und Freidanks Bescheidenheit, Thomas Murner, Herder und Goethe in Straßburg werden u. a. zu Vorwürfen für die Festartikel. Der Aufsatz P. Merkers < 2882> über den Schlettstädter Stadtsohn Johannes Witz (Sapidus), der von 1510 bis 1525 der berühmten Schlettstädter Lateinschule vorstand, aus der eine Reihe um den Humanismus hochverdienter Männer hervorging, leitete über zu den gedankenreichen Ausführungen von H. Gumbel < 2883> über den Straßburger Humanismus von Jakob Wimpfeling zu Jakob und Johannes Sturm, den Begründern des Straßburger protestantischen Gymnasiums. Zu dessen Vierhundertjahrfeier sind die Schulmatrikeln < 1696> veröffentlicht worden, beginnend 1621, mit dem Jahre, in welchem die Universität sich vom Gymnasium abzweigte und dieses auf die Stufe einer Territorialschule herabsank, aber die Bildungsstätte der Stadt Straßburg und der benachbarten protestantischen elsässischen Gebiete blieb. Die Schicksale der Universität selbst


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von 1621 bis 1793 verfolgt P. Wentzcke < 2986> nach allen Seiten in zwei Stufen: 1. die Universität der Reichsstadt in den Jahren 1621--1681, eine im gesamten volksdeutschen Raume wurzelnde Hochschule von einzigartiger Bedeutung weit über die Grenzen des Reiches, 2. die deutsche Hochschule im französischen Staat 1681--1793 im Wettbewerb gegen die bischöfliche Universität und gegen die langsame Verwelschung der juristischen Fakultät bis zum Zerfall in der Revolutionszeit. In einem großzügigen Überblick faßt P. Wentzcke < 2987> die Ergebnisse seiner zuvor genannten Arbeit noch einmal unter dem Thema: Die alte Universität Straßburg und das Reich (1621 bis 1793) zusammen, um zu zeigen, daß die aus dem Geiste des Humanismus und der Reformation geschaffene deutsche Hochschule, wie die Stadt Straßburg selbst, bei jeder Stärkung des Reichsgedankens ihren Platz in Ehren einnahm, bei jedem Sinken des deutschen Gemeinschaftsgeistes aber in fremde Kreise gezogen wurde. Es liegt nahe, die Stellung der alten Universität Straßburg für die gleiche Zeitspanne in Vergleich zu ziehen mit der Bedeutung der auf binnendeutschem Boden an der Eingangspforte westlicher Kultureinflüsse liegenden Heidelberger Hochschule. Dies erweckt erneut den Wunsch nach der baldigen Fortsetzung der Geschichte der Universität Heidelberg von G. Ritter, deren 1936 erschienener ma.'licher Teil durch J. Haller < 2990> eine in Form und Ton von der übrigen Anerkennung des bedeutsamen Werkes abweichende Kritik erfährt, auf die G. Ritter < 2991> mit der sachlichen Darlegung der Aufgaben, Fragestellungen und Ergebnisse seiner Universitätsstudien, soweit sie für die allgemeine Geschichte des 15. und 16. Jh.'s wichtig sind, antwortet. Einen Ausschnitt aus der Heidelberger Universitätsgeschichte im Zeitalter der Reformation bietet der erweiterte Vortrag von K. Bauer < 2989> über die große Zeit der theologischen Fakultät in den Jahren 1559--1619, die der Gesamtuniversität zu europäischem Ansehen verholfen hat. -- Mit der hauptsächlich aus dem Sarasinschen Familienarchiv in Basel geschöpften Bearbeitung der Studie von E. Baumann < 2898> über Straßburg, Basel und Zürich in ihren geistigen und kulturellen Beziehungen im ausgehenden 18. Jh. kehren wir noch einmal zurück ins Elsaß und in die an Frankreich verlorene Reichsstadt Straßburg in der Sturm- und Drangzeit. Den geistigen Mittelpunkt des Freundeskreises der Lavater, Pfeffel, Sarasin und Schweighäuser bildet der zuerst genannte Züricher Theologe; unter den Frauen tritt als Typus der gebildeten protestantischen Straßburgerin am Ausgang des 18. Jh. Catharina Salome Schweighäuser hervor. Cagliostro und sein Kreis und die Einstellung der Gesellschaft zum tierischen Magnetismus Mesmers erscheint in dem bearbeiteten Briefwechsel in neuer Beleuchtung. -- Nach der Rückgewinnung des Elsasses im Jahre 1870 war dem deutschen Volke die Aufgabe der Wiedereingliederung eines politisch entfremdeten und geistig schon teilweise überfremdeten Volksstammes gestellt. Der »Alsabund, die Vereinigung reichsländischer Dichter und Literaturfreunde« (1893 ff.) hat für die Eingliederung des Elsasses in das deutsche Geistesleben diese geschichtliche Aufgabe erfüllt, wie C. Hallier < 1231> ausführt.


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