II. Historische Landeskunde.

An die Stelle der längst vergriffenen, von Stälin betreuten Karte der ehemaligen Herrschaftsgebiete des Königreichs Württemberg nach dem Stande von 1801, die sich streng an die Grenzen des Königreichs hielt, tritt nun das unter E. Hölzles Leitung entstandene großzügig angelegte Unternehmen < 1543a>, das in 3 Kartenblättern den ganzen deutschen Südwesten am Ende des alten Reichs unter Einbeziehung von ganz Württemberg, Baden und Hohenzollern sowie der anstoßenden Teile Bayerns, Hessens, der Pfalz, des Elsaß und der Schweiz darstellt. Als Zeitpunkt ist diesmal -- sicher mit Recht -- der 1. Januar 1790, also das Jahr vor dem Ausbruch der Revolutionskriege, gewählt worden. Wie schon die unter Mitarbeit fast aller geschichtlichen Kommissionen und Institute des behandelten Raums entstandene Karte auch im einzelnen viel mehr zu erfassen und zur Darstellung zu bringen


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sucht, als die alte Karte, so hat auch der Begleittext den Umfang eines regelrechten Buches angenommen. Hier gibt H., von H. Kluge weithin unterstützt, Aufschluß über Inhalt und Einrichtung der Karte, eine auf eingehender Sonderforschung beruhende Zusammenstellung der Herrschaftsgebiete und ihres Zubehörs, ferner einen Überblick über die auf der Karte nicht dargestellte staatliche Umbildung seit dem Beginn der Französischen Revolution. Eine wertvolle Beigabe ist der von H. Kluge bearbeitete kurze Bericht über die Judensiedelungen des Gebiets.

Aus dem Nachlaß des verstorbenen Pfarrers und Forschers F. Lutz < 1810> veröffentlicht R. Rau Untersuchungen über die Siedlungsgeschichte des nördlichen Schwarzwalds; die ersten Anfänge der Besiedelung dieses Gebiets verbindet L. mit der Gründung des karolingischen Klösterchens in Hirsau, während er die weitere, tiefer in das Bergland eindringende Aufschließung des Gebiets in den Anfang des 11. Jh.'s verlegt und von den mächtigen Geschlechtern, vor allem von den Grafen von Calw und den ihnen eng verwandten Familien ausgehen läßt. Die alten Gaugrenzen, insbesondere die des Würmgaus, werden eingehend geprüft. Über die siedlungsgeschichtliche Auswertung der Flurnamen der Blaubeurer Alb handelt Karl Maier < 571>.

Sehr rege blieb die Forschung zur Auswanderungsfrage im Berichtjahr. K. Büttner < 1853> untersucht am Beispiele Württembergs als Geograph die Frage, in welchem Umfang die verschiedenen naturgegebenen Faktoren der Landschaft die Stärke der Auswanderung bestimmen. Unter Zugrundelegung der neueren Statistik und der Ergebnisse des Schrifttums über die ältere württ. Auswanderung mustert er zunächst nacheinander die verschiedenen geographischen Landschaften Württembergs unter diesem Gesichtswinkel durch und stellt dabei fest, daß die Hauptauswanderungsgebiete im Albvorland und im Neckarland, also im Herzgebiet Württembergs liegen. In einem zweiten Teile prüft B. angesichts der stark hervortretenden Unvollständigkeit auch der neuesten Auswanderungsstatistiken die Möglichkeit, von den Zielländern her den wahren Umfang der württ. Auswanderung zu erfassen, -- freilich ohne -- angesichts der vielen Lücken im Schrifttum -- zu klaren und eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Verzeichnen wir daneben noch Boeckhs Darlegung des Anteils württ. Protestanten an der Besiedlung von Jarek in Südslawien < 1766> und Schopfs Schilderung des Wirkens der aus Württemberg ausgewanderten beiden Weiser bei der Erschließung Pennsylvaniens durch deutsche Siedler < 1854>.

Für den Wirtschaftshistoriker nicht minder wie für die ländliche Dorf- und Heimatgeschichte hat der schon genannte Pfarrer F. Lutz in seiner -- von seinem Sohn vollends druckfertig gemachten -- Bearbeitung der altwürtt. Hohlmaße (für Getreide, Salz, Wein) ein wertvolles Hilfsmittel geschaffen < 2555>. Im Anschluß an die Akten über die unter Herzog Christoph 1557 für das ganze Land durchgeführte Maßordnung und an die bei deren Vorbereitung von den herzoglichen Beauftragten angefertigten Zusammenstellungen über die in den einzelnen Landschaften und Orten üblichen Sondermaße stellt L. mit einer geschichtlichen und quellenkritischen Einleitung ein umfängliches Tabellenwerk auf, das, landschaftlich und nach Orten gegliedert, Aufschluß über die verschiedenen Maße und ihren Geltungsbereich und weiterhin die Möglichkeit zu ihrer Umrechnung in das damals festgesetzte alte Landmaß gibt. Ein vom Sohn des Verf. herrührender Anhang enthält die nötigen Angaben über die neue Maßordnung


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Württembergs von 1806, die damals festgesetzten Maße für Getreide und Flüssigkeiten und die auf sie eingestellten Umrechnungstabellen, ferner eine Zusammenstellung der im Liber taxationis der Konstanzer Diözese von 1353 enthaltenen Maßangaben; ein gutes Glossar gibt Worterklärungen und behandelt nochmals ergänzend die Größe und Verbreitung der verwirrend vielfältigen Sondermaße.

Zur geschichtlichen Volkskunde trägt K. Bofinger sein »Brauchtumsbild« aus den im Kreise Brackenheim vereinigten Landschaften und Orten bei < 2180>. Er gliedert seine auf älterer und eigener Sammeltätigkeit aufbauende Schilderung von Sitte und Brauchtum in diesem zum fränkischen Siedlungsbereich gehörenden Gebiet in die beiden Abschnitte »Bräuche um Menschen und Tiere« (unter Ausschluß der Volksheilkunde) und »Bräuche um das Jahr« und kommt zu dem Ergebnis, daß in fast allen Brauchtumsgruppen noch artgebundene Bestandteile lebendig geblieben sind. Neuartig und wertvoll ist die von W. Mönch mit dem Spürsinn der Liebe zusammengetragene, übrigens recht gut bebilderte Sammlung von alten Inschriften an Haus, Hausteilen und Gerät, die er unter dem Titel »Schwäbische Spruchkunst« < 2181> veröffentlicht; besonders werden die auf den alten Kachelöfen angebrachten Sprüche berücksichtigt. Das Ganze enthält überreichen Stoff zur Volkskunde und zur Kulturgeschichte; in gelegentlich gegebenen Erläuterungen findet man schätzbare Beiträge zur Geschichte von Handwerk und Handwerkskunst. Die mit dem späten Mittelalter einsetzenden Nachrichten über Brauchtum und Bekämpfung der »Kunkelstuben« in Schwaben stellt A. Naegele < 2182> unter starker Auswertung des in Wintterlins Ländlichen Rechtsquellen enthaltenen Stoffes zusammen.


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