V. Kultur- und Geistesgeschichte.

Wir haben gerade in diesem Jahr eine Reihe recht bedeutsamer Arbeiten zur württ. Geistesgeschichte zu verzeichnen. In Ergänzung zu der trefflichen Arbeit von Fr. Ernst <1933/34 S. 643> über Graf Eberhard im Bart beleuchtet ein kleiner, von Bibliothekaren der württ. Landesbibliothek verfaßter Sammelband die Stellung des Grafen im geistigen und kulturellen Leben seiner Zeit < 916>. Ausgehend von einer neu aufgetauchten Handschrift über den bekannten Trienter Ritualmordprozeß von 1476/78, die aus Eberhards Besitz stammt und von F. Hammer eingehend gewürdigt wird, betrachtet H. Meyer Eberhards Beziehungen zum deutschen Frühhumanismus; W. Hoffmann schildert den Grafen als Sammler deutscher Handschriften, F. Hammer seine Beziehungen zu Konrad Fyner und seiner Druckpresse, Th. Miller, wie schon oben berührt, seine Stellung zur Judenfrage.

Das Schrifttum zur Geschichte des württ. Schul- und Unterrichtswesens erhält eine wertvolle Bereicherung durch Gustav Langs umfassende Darstellung der äußeren und inneren Entwicklung der württ. Klosterschulen < 2993>, die nunmehr als Bindeglied zwischen die abgeschlossene Geschichte des humanistischen Schulwesens in Württ. <vgl. zuletzt 1929, S. 541> und Leubes dreibändige Geschichte des Tübinger Stifts <1936, S. 537> tritt. Lang hat nach Kräften versucht, alle Quellen heranzuziehen und auszuschöpfen. Eingehend schildert er die Stiftung der 13 Klosterschulen durch Herzog Christoph, die in verschiedenen Klosterordnungen durchgeführten Reformen, die Zerstörung und den in beschränktem Umfang erfolgten Wiederaufbau des Klosterschulwesens in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und die weitere Entwicklung bis zur Umwandlung der Schulen zu niederen evangelisch-theologischen Seminaren (1807). Als Vorbereitungsstätten für die späteren Insassen des Tübinger Stifts sind diese Klosterschulen aufs engste mit der württ. und gesamtdeutschen Geistesgeschichte verbunden. Was in dieser Hinsicht das Stift beigetragen hat, kommt in der umfassenden, aber keineswegs erschöpfenden Sammlung von Lebensbildern bedeutender ehemaliger Stiftsinsassen des 16.--19. Jh.'s zutage, die Ernst Müller mit Unterstützung von Th. und H. Haering zusammengestellt hat und die sozusagen als »Bildergalerie« Leubes Stiftsgeschichte ergänzt < 2901>. Neben Männern, die der Theologie oder der kirchlichen Laufbahn treu geblieben sind, wie Andreä, Bengel, Oetinger, Holl u. a. stehen Denker und Philosophen wie Hegel, Schelling, Planck, Sigwart, Astronomen und Mathematiker wie Kepler und Hahn, Dichter wie Frischlin, Hölderlin, Moerike, Hauff und Schwab. Th. Haering, aus dessen Feder der Beitrag über Schelling und Hegel stammt, hat zu dem Buch auch ein richtungweisendes Vorwort und eine Rückschau geschrieben, die als eine besondere Eigentümlichkeit und als den besonderen Beitrag der vom Tübinger Stift geprägten Geistigkeit die eigenartige Vereinigung von weltanschaulichen Gegensätzen, die Verschmelzung von Glaube und Geist, von Christentum, Humanismus und bewußter Deutschheit zu einer höheren lebendigen Einheit rühmt. Legt Müllers Buch bereits besonderen Nachdruck auf die eigenartigen, in Württemberg bodenständigen Gestalten, wie Bengel, Oetinger u. a., so betont die besondere Bedeutung dieser Männer und ihrer vom Tübinger Stift her stark beeinflußten Gedankenwelt für die philosophische Entwicklung von Schelling und Hegel Robert Schneider < 2903>. Er glaubt im Gegensatz zu der bisherigen Forschung die Wurzeln zu der in ihrer Philosophie


S.472

entwickelten, ihnen eigentümlichen Problematik im württ. Geistesleben des 17./18. Jh.'s nachweisen zu können. Eingehend untersucht er unter diesem Gesichtswinkel die Gedankenwelt der Führer des schwäbischen Pietismus, Bengels und vor allem Oetingers und seiner Schüler und schlägt von hier aus in z. T. durchaus überzeugender Beweisführung die Brücke zu Hegel und Schelling. Er zeigt, daß gerade in Württemberg, und vor allem im Stift, ein eigenartiges und bodenständiges vitalistisches Gedankengut noch im 18. Jh. fortwirkend sich erhielt. Im Gegensatz zu H. O. Burger <1933/34, S. 645> lehnt er es aber ab, diese auch von Th. Haering hervorgehobene württ. Besonderheit, diese Richtung auf die Ganzheit und die Vereinigung aller Gegensätze, etwa von einem angeborenen schwäbischen Charakter oder einer schwäbischen Stammesseele abzuleiten; sondern er sieht darin die Auswirkung einer überlieferten Denkform (-- wobei ein Hinweis auf Wellers Untersuchung über die Entstehung der württ. Eigenart angebracht gewesen wäre --).

Im Dezember 1937 ließ der verdiente Studentenhistoriker G. Schmidgall das 1. Heft einer kleinen Zeitschrift »Beiträge zur Tübinger Studentengeschichte« erscheinen, die als bescheidener Ersatz für das eingegangene Würzburger Archiv gedacht ist < 2995>. Er berichtet in den vier Heften des 1. Jahrgangs u. a. von der Konstitution des Corps Teutonia 1814, bei der die Ideale der deutschen Einheit, Ehre und Freiheit im Vordergrund standen, von der Teilnahme zweier Tübinger Burschen am Wartburgfest 1817, von den Anfängen des Tübinger Seniorenkonvents 1807. Besonders aufschlußreich ist seine Schilderung der Tätigkeit des von der Regierung als außerordentlicher Kommissär eingesetzten Oberregierungsrats Hofacker an der Tübinger Universität in den Jahren 1825/29, dessen »türkisches Pascharegiment« aber trotz Auflösung des Studentenausschusses und der Feindschaft zwischen Burschenverein und Korps nicht das Ziel erreichte, den Verbindungsgeist zu ertöten. Einen wertvollen Beitrag zur Universitätsgeschichte im allgemeinen mit besonderer Berücksichtigung der Tübinger Verhältnisse liefert Th. Knapp in seiner Geschichte der akademischen Würden < 2994>, in deren Mittelpunkt Tübingen, seine Promotionsordnungen, die Entwicklung von Magisterium, Bakkalaureat, Lizentiatentum und Doktorwürde stehen.

Über die seit 1716/17 zu verfolgenden Anfänge des Zeitschriftenwesens in Württemberg und seine Entwicklung bis zum Ende des 18. Jh.'s (1790) gibt Gehring einen guten Überblick < 613>; neben Stuttgart treten als Verlagsorte noch hervor Ulm, Heilbronn, Reutlingen, Öhringen. O. Suppers Behandlung der in Württemberg seit Ende des 18. Jh.'s erschienenen Witzblätter < 614> ist dankenswert, aber im einzelnen noch der Vertiefung fähig. Besonders eingehend wird verdientermaßen der von L. Pfau begründete und durch die Künstlerhand von J. Nisle trefflich bebilderte »Eulenspiegel« besprochen, der in der 48er Bewegung und in den darauffolgenden politischen Kämpfen als Vertreter der radikaldemokratischen Richtung eine weit über Württemberg hinausreichende Bedeutung gewann. Kürzer geht S. auf den Gegenspieler, die von Dingelstedt ins Leben gerufene, gemäßigte »Laterne«, ein. Das Bild in der Zeit nach 1870 beherrschen der Zahl nach überwiegend lokal und landschaftlich gefärbte oder auch gesellschaftlich und auf den Hausgebrauch eingestellte Blätter. Neben ihnen steht, an Wirkungsweite und Lebensdauer sie alle überragend, allerdings der sozialdemokratische »Wahre Jakob«, mit dessen zumeist


S.473

zersetzender und ätzender Satire sich S. eingehend, freilich auch nicht tiefgründig genug, auseinandersetzt.


Diese Seite ist Bestandteil des Informationsangebots "Jahresberichte für deutsche Geschichte" aus der Zwischenkriegszeit (1925-1938)