II. Abhandlungen zur Schriftgeschichte und Handschriftenkunde.

In der Festschrift anläßlich der 40 jährigen Lehrtätigkeit des amerikanischen Gelehrten Edward Kennard Rand stellt sein Schüler Carey < 399> 22 Handschriften zusammen, die einen Schenkungsvermerk Erzbischof Hinkmars von Reims (845 bis 882) enthalten, und deren Entstehung während Hinkmars Zeit in Reims angenommen werden kann. Mit zwei Ausnahmen liegen diese Hss. jetzt in der Reimser Stadtbibliothek. Ihren kurzen Beschreibungen fügt der Verf. eine zeitlich geordnete Liste der Hss. an, die er für reimsisch hält. Zweifelhafte und ausgeschiedene Hss. sind anhangsweise verzeichnet. -- In der gleichen Festschrift findet man noch weitere Aufsätze von palaeographischem Interesse; so werden S. 191 ff. eine in den CLA II noch fehlende turonische Hs. saec. IX (Alcuin in Ecclesiasten, Salisbury, Cathedral Library Ms. 133) und S. 273 ff. die in Lindsays Notae Latinae noch nicht berücksichtigten Abkürzungen des Freisinger Clm 6272, saec. IX, bekanntgemacht. Dom Wilmart gibt S. 293 ff. eine ausführliche Beschreibung der berühmten vatikanischen Hilariushs. Basilicanus D 182 (CLA I 1 a--c). Besondere Hervorhebung verdienen die Ausführungen Bischoffs S. 9 ff. über »Elementarunterricht und probationes pennae in der ersten Hälfte des Mittelalters«, die ein reiches und unbekanntes Material zur Kenntnis des frühmittelalterlichen Lese- und Schreibunterrichts ausbreiten und deuten. -- Von einer Urkunde Herzog Wladislaws III., die um 1146/47 anzusetzen ist, geht Zatschek < 401> aus; er beobachtet in ihrer Schrift Merkmale der von Schubert 1908 festgestellten »Lütticher Schriftprovinz«. Verf. vermutet, daß diese graphischen Eigentümlichkeiten dem Olmützer Schreiber durch eine deutsche Königsurkunde vermittelt wurden, die er sich zum Muster nahm. Es ist bekannt, daß Konrad III. 1144 für die Olmützer Kirche geurkundet hat. Weitere Spuren hat diese oder eine gleichartige Vorlage in der ersten Hälfte des 13. Jh.'s in Olmützer und sonstigen mährischen Urkunden hinterlassen. Auch in ostmärkischen Klöstern kommt das sog. Lütticher g vor. Früheren bereits von Hirsch benannten Beispielen fügt der Verf. neue aus eigener Beobachtung zu. Man hat sich nach ihm den Vorgang so vorzustellen, daß Urkunden, die von dem aus der Lütticher Gegend stammenden oder dort geschulten


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Hauptkanzleischreiber Konrads III. geschrieben waren, naturgemäß im ganzen Reich Verbreitung fanden und hier und da, vor allem im Osten, Schule gemacht haben. Eine gewisse Bereitschaft, westdeutsche Schreibart gerade in Olmütz zu übernehmen, könnte nach Z. durch den Olmützer Bischof Heinrich Zdik verursacht sein, der sich von 1142 bis 1147 häufig am Hofe Konrads III. als gern gesehener Vertrauensmann aufhielt und mit der Umgebung des Staufers und vielleicht auch mit der Person des Hauptkanzleischreibers persönlich bekannt war. Im Gegensatz zu Mähren fehlen in böhmischen Klöstern, wie Z. feststellt, Einflüsse des Lütticher Schriftstils. --Lehmann < 398> nimmt seine zuletzt 1933 erschienenen Mitteilungen aus Handschriften wieder auf. Als wertvollster Fund stehen Fragmente früher Hss. der Landesbibliothek im Nationalmuseum Budapest an der Spitze, unter ihnen Bruchstücke eines in Italien (Verona?) gegen 800 in Unziale geschriebenen sog. fränkischen Sacramentarium Gelasianum. L. druckt den Text ab und gibt auf Tafel 2 eine Schriftprobe. Im zweiten Abschnitt seiner Mitteilungen folgen Notizen über Hss. deutscher Bibliotheksheimat aus verschiedenen Fundorten. Den Schluß macht ein (bisher fehlender) Abdruck der mittellateinischen Sentenzen- und Sprichwörtersammlung des »liber iocalis« (saec. XIII). Das bei dem sehr mannigfaltigen Inhalt des Heftes erwünschte Register erschien in Heft VI der »Mitteilungen aus Handschriften« (Sberr. Bayer. Akad. Wiss. Philos.-hist. Abt., Jg. 1939, H. 4), das über Hss. deutscher Herkunft in Budapest und über die Handexemplare der von dem bayerischen Geschichtsschreiber Johann Turmair (Aventinus) benutzten Literatur berichtet. -- Es sei in diesem Zusammenhang auf den an entlegener Stelle (Archivum Philologicum. Egyetemes Philologiai Közlöny 1938, S. 165 ff.) veröffentlichten Bericht Lehmanns über »Handschriften und Handschriftenbruchstücke in Eztergom« hingewiesen. Nach Eztergom (Gran) wurde eine Hs. der Scheyerner Schreibschule saec. XV verschlagen, die Frater Maurus schrieb. Über den bedeutendsten Vertreter dieser Scheyerner Schreibschule, den Augsburger Lohnschreiber Heinrich Molitor (für Scheyern von 1453 bis 1471 tätig) habe ich in den Beiträgen zur Inkunabelkunde < 404> gehandelt. Er galt bisher als Buchmaler und war in seiner eigentlichen Bedeutung als Schreiber nicht erkannt. Er arbeitete auch für Tegernsee und lieferte offenbar dem Augsburger Erstdrucker Günther Zainer die Vorlagen für Typen und Randleisten. -- Die Untersuchung von Fechter < 403> über den Kundenkreis der Hagenauer Handschriftenwerkstatt des Diebolt Lauber gehört ihrem Stoff nach in das Gebiet der Handschriftenkunde, ihren Ergebnissen nach ist sie literargeschichtlich. Fechters Fragestellung ist, für wen, nicht von wem eine Hs. hergestellt wurde, ein verwandtes Ziel also, wie es sich Wieland Schmidt in seiner Durchforschung aller erhaltenen Hss. der »Vierundzwanzig Alten« des Otto von Passau (Palaestra 212, Leipzig 1938) gestellt hat. Diese Arbeiten gelangen bei der Anwendung hilfswissenschaftlicher Methodik zu Ergebnissen, die jenseits der üblichen Grenzen handschriftenkundlicher Arbeit liegen. Fechters Studie über Laubers Kundenkreis setzt an einem besonders ergiebigen Einzelfall die sauber gearbeitete und gehaltvolle Untersuchung über das »Publikum der mittelhochdeutschen Dichtung« fort, die der gleiche Verf. 1935 veröffentlichte (Deutsche Forschungen, hrsg. v. F. Panzer und J. Petersen. 28). Er führt den überzeugenden Nachweis, daß Laubers Hss. nicht die »populären Bilderbücher« und nicht die »Volkshandschriften« waren, für die man sie gehalten

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hat, sondern daß sie von den führenden Schichten der spätmittelalterlichen Gesellschaft gekauft und gelesen wurden. Textgestalt und Ausstattung der Lauber-Hss. zeigen, welch ein Wandel der inneren Haltung gegenüber der höfischen Epik der Blütezeit sich in diesen Kreisen inzwischen vollzogen hatte. Ein Nachtrag Fechters zu seinem Aufsatz erschien ebenfalls im Zentralblatt für Bibliothekswesen 55. 1938, S. 650--653.


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