IV. Der Seekrieg.Unter den neuen Arbeiten zur
Geschichte des Seekrieges steht der 5. Band des Reichsmarinearchivwerkes (
1469) voran, der unter Beigabe eines umfassenden Kartenmaterials die
Darstellung der Skagerrakschlacht bringt. Das Werk betont gegen immer wiederkehrende Irrtümer, daß die
großen Erfolge des einleitenden Kreuzergefechtes bereits vor dem Eingreifen der deutschen Schlachtschiffe gegen
englische Übermacht erreicht sind und daß die erste Scheersche Kehrtschwenkung ein taktisches Unterbrechen
der Schlacht, nicht ein Abbrechen derselben bedeutete, sowie daß in der zweiten Phase des Flottenkampfes Scheer
durch den Torpedoangriff dem Gegner seinen Willen erfolgreich aufgezwungen hat. Die Gesamtwertung unterstreicht sehr
stark den taktischen Erfolg und betont richtig die Bedeutung, die die Schlacht als Verhinderung einer Entlastung
Rußlands durch die englische Flotte besessen hat. Sie betont die unabsehbaren Folgen, die ein englischer Sieg
hätte erlangen können. Begreiflicherweise sind die Grenzen
S.323 des deutschen Erfolges nicht mit dem gleichen Nachdruck gezeichnet worden. -- Von Führern der deutschen Flotte hat Admiral Scheer Erinnerungen ( 1468) veröffentlicht, die lebhaft den starken Eindruck der Tirpitzschen Friedensarbeit im Reichsmarineamt auf seine Mitarbeiter spiegeln und eingehend die Bearbeitung der U-Bootfrage vor 1914 mit dem Ergebnis behandeln, daß man trotz des schließlichen Qualitätsvorsprungs vor den anderen Staaten diese Frage schneller und energischer hätte fördern können. Scheers Charakteristik von Müller, Ingenohl und Pohl ist im Tirpitzschen Sinne scharf ablehnend. Ein Anhang bringt Denkschriften, in denen er seit November 1914 für den U-Bootkrieg eingetreten ist. -- Das Kriegstagebuch des Admirals Hopmann ( 1481) wendet sich gegen die Behauptungen Reischachs und Müllers, daß es Tirpitz mit dem Wunsche des Herausgehens der Flotte und der eigenen Übernahme der Führung nicht vollster Ernst gewesen sei, und verfolgt die in dieser Richtung seit dem 8. August 1914 unablässig erneuten Bemühungen. Wertvoll an dem frischen Buch ist auch die Verteidigung der Scheerschen Führung in der Skagerrakschlacht gegen die Schoultzsche Kritik, daß auch sie nicht genügend Zähigkeit und festen Willen im Angriff bewiesen habe. -- Der Führer der U-Boote im Weltkriege, Michelsen ( 1472), hat eine durch ihre technisch-militärische Gediegenheit unentbehrliche Darstellung der Kriegsleistung seiner Waffe gegeben, die lebhaft für die Ansicht eintritt, daß das Jahr 1915 der militärisch gegebene Zeitpunkt für den Beginn des unumschränkten U-Bootkrieges unter technisch besten Erfolgsaussichten gewesen sei. Der steigende Umfang der gegnerischen Abwehrmaßnahmen seit diesem Zeitpunkt ist eingehend verfolgt. -- Die völkerrechtliche Seite des U-Bootkrieges behandelt eine maßvolle, aber entschiedene Schrift von H. Pohl ( 1471), der seine Berechtigung als Vergeltungsmaßnahme gegen die britische Hungerblockade vertritt. -- Eine Enttäuschung bedeutet die Schrift Galsters ( 1474), der durch sein zeitiges Eintreten für den U-Bootbau sich den Ruf eines besonderen Sachkenners erworben hatte, jetzt aber seine marinetechnischen Darlegungen mit ganz ungenügenden politisch-historischen Partien verquickt und in seiner Kritik an der Langsamkeit des U-Bootbaues vor 1914 an der Tatsache nichts ändern kann, daß trotz des Gesamtumfanges der Tirpitzschen Leistung schließlich auch die deutschen Erfolge in der Förderung dieser noch unerprobten Waffe den anderen Mächten vorangingen. -- Die gehässige Kritik des Kapitäns Persius ( 1475) an dem Offizierkorps der Marine widerlegt sich durch ihre mit den Kriegsleistungen nicht vereinbare Übertreibung; die wenigen detaillierten Angaben von historischem Interesse zeigen, daß der Admiralstab schon 1909 einen heimlichen Preßkampf gegen Tirpitz nicht scheute, die Rivalitäten der späteren Kriegszeit also schon im vollen Gange waren. -- Die Kriegsleistung der Flotte am Skagerrak hat eine Würdigung, wie sie voller nicht gedacht werden konnte, durch den Kapitän v. Schoultz ( 1478) erfahren, der den Weltkrieg als russischer Verbindungsoffizier auf der Grand Fleet mitgemacht hat. Schoultz' rückhaltlose Anerkennung der technischen Solidität des deutschen Schiffsbaues bedeutet den endgültigen Zusammenbruch der einseitig verdammenden Kritik an den konstruktiven Qualitäten der von Tirpitz geschaffenen Schlachtflotte. Sein Buch ist wichtig durch die Beleuchtung der Differenz zwischen dem russischen Unterstützungsbedürfnis und der englischen Politik der Zurückhaltung der Flotte. Die Vorgeschichte derS.324 Skagerrakschlacht besteht, abgesehen von der herausfordernden Aggressive Scheers, die die öffentliche Meinung Englands irritierte, in dem Drängen Schoultz', der ein Erscheinen der englischen Flotte in der Ostsee nachdrücklich befürwortete und schließlich wenigstens den zur Schlacht führenden Vorstoß ins Skagerrak als Erfolg seiner rastlosen Bemühungen buchen konnte. -- Die deutschen Luftangriffe gegen England haben schließlich von englischer Seite eine auf amtliche Quellen gestützte, das deutsche Material des Marinearchivs daher wertvoll ergänzende Darstellung durch J. Morris ( 1476) erhalten, die sich durch hohe, in militärischer Sachlichkeit begründete Objektivität auszeichnet. Aus Morris' Werk geht hervor, daß nach der internationalen Rechtslage solche Angriffe von englischer Seite bei Kriegsbeginn mit Bestimmtheit erwartet wurden. Er schätzt den deutschen Erfolg in der Bindung von Menschen und Material zu Zwecken der Luftabwehr so hoch ein, daß er die Fortsetzung dieser Angriffe mit Flugzeugen nach dem technischen Zusammbruch der »Zeppelins« als Kriegswaffe für eine militärische Selbstverständlichkeit hält. |
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