VI. Allgemeine Literatur über die 70er und 80er Jahre.Der zweite Band des Ziekurschschen Werkes ( 1032): Politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs behandelt in zwei fast gleich starken Hälften die Außen- und die Innenpolitik der zwei Jahrzehnte nach der Reichsgründung bis zu Bismarcks Sturz. Am anregendsten und lebendigsten sind, wie auch im ersten Band, vielfach Ziekurschs Ausführungen über innenpolitische Fragen. Auch diesen Band zeichnet die Darstellungsgabe des Verfassers aus, obwohl er, im Gegensatz zum ersten Band, etwas mit Material überlastet ist. Auf Einzelheiten einzugehen ist hier nicht möglich, zumal ich mich mit der Gesamtthese des Ziekurschschen Werkes an anderer Stelle auseinandergesetzt habe (vgl. Jahrgang 1925, S. 283 sowie meine Besprechung des 2. Bandes in der Hist. Zt., Bd. 139, S. 148 f.). Wenn man auch meinen kann, daß gerade Ziekurschs Gesamtauffassung, die den »Untergang« des Reiches Bismarcks schon aus der Art der Reichsgründung zu folgern geneigt ist, alles andere fast zwangsläufig macht und der lebendigen Schilderung der Probleme der späteren Zeiten entgegensteht, so bietet doch auch dieser zweite Band mancherlei anregende Anschauungen und interessante Beobachtungen. Das mit Hilfe von Kurt Jagow
verfaßte Buch Wilhelms II. (
1033) über seine Jugenderinnerungen enthält vielfach bemerkenswerte
Einzelangaben über Wilhelm I. und seine Umgebung. Vor allem schildert Wilhelm II. seine eigene Entwicklung bis zum
Regierungsantritt und so ist das Buch vor allem zur Beurteilung seiner Persönlichkeit interessant. Mancher Zug, der
den späteren Herrscher charakterisieren sollte, wird aus dieser Schilderung über die Jugend verständlich.
S.260 Im Vordergrund steht das Interesse für militärische Dinge und sehr früh schon lebhafteste Beschäftigung mit Seeschiffahrt und Kriegsflotte. Auf der anderen Seite zeigt sich mehrfach eine etwas unpolitische Verherrlichung der großen Zeiten des mittelalterlichen Kaiserreiches. Gerade für die letzten Jahre vor dem Regierungsantritt werden die bedeutsamsten Fragen vielfach übergangen, so etwa bei der Behandlung Waldersees nur dessen militärische Anschauungen erwähnt. Das Verhältnis des Prinzen zu seinem Vater, dessen Krankheitsgeschichte ausführlich dargestellt wird, ist, wie man begreifen kann, in dem Buche ohne Zweifel idealisiert. -- Eine Art Gegenstück zu diesen Erinnerungen Wilhelms II. sind die Gespräche Bismarcks, die Philipp ( 1034) aufgezeichnet hat, da die scharfen Äußerungen des gestürzten Kanzlers gegen Wilhelm II. vielfach im Vordergrund stehen. Der Verfasser der Aufzeichnungen, die aus seinem Nachlaß herausgegeben werden, war der Anwalt Bismarcks. Er hat den größten Teil der Gespräche ziemlich unmittelbar nach jedem Besuch niedergeschrieben, und im ganzen macht die Wiedergabe durchaus den Eindruck der Zuverlässigkeit. So ist die Veröffentlichung dieser Gespräche, wie alles, was wir von Bismarck erfahren, natürlich zu begrüßen. Wesentlich neue Züge zur Beurteilung Bismarcks enthält diese Veröffentlichung freilich nicht, und man kann bedauern, daß die Herausgeber sich nicht haben entschließen können, ihr Material für die große Ausgabe der Gespräche in den Gesammelten Werken zur Verfügung zu stellen. Von Einzelheiten sei erwähnt die Absicht Bismarcks, nach seiner Entlassung den Mangel der Gegenzeichnung dazu zu benutzen, um einen Prozeß wegen seiner Pensionsansprüche einzuleiten, wovon ihn die Söhne und Philipp nur mit Mühe abbrachten. Bismarck wollte durch einen Prozeß erreichen, daß die Vorgänge bei seiner Entlassung der Öffentlichkeit bekannt würden. Ferner sei auf die heute fast aktuelle Äußerung Bismarcks hingewiesen, in der es heißt, er habe gleich nach 1879 geraten, Altona an Hamburg abzutreten, worauf der Kaiser aber nicht eingegangen sei. Bismarck habe sich dabei überhaupt für die Erhaltung der kleinen Staaten ausgesprochen, die einen Kitt zwischen Preußen und den großen Bundesstaaten bildeten; mit nur wenigen großen Staaten würde sich nicht arbeiten lassen. |
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