g. Zur inneren und Wirtschaftsgeschichte des Krieges.Die Literatur zur inneren Geschichte des Krieges hat einen recht bedeutenden Beitrag aufzuweisen: die Darstellung der geistigen und sittlichen Auswirkung des Krieges in Deutschland, die in dem Sammelwerk der Carnegiestiftung aus der Feder von O. Baumgarten, E. Foerster, A. Rademacher und W. Flitner ( 1249) erschienen ist. Der Gesamtcharakter des Buches wird bestimmt durch die stark persönlich wirkende Behandlung, die hier O. Baumgarten dem Problem der sittlichen Auswirkung des Weltkrieges widmet. Er bewegt sich dabei auf einem Gebiete, dessen Beurteilung aufs engste mit persönlicher Weltanschauung und den Eindrücken eigenen Lebens verknüpft ist. Seine stark pessimistische Kritik, die die Stärke der sittlichen Gegenwartskrise wesentlich den auflösenden Folgen des Krieges zuschreibt, vergißt nicht, daß die Erschütterung überlieferter Bindungen in Ethos und Religion schon vor dem Kriege begonnen hatte und er im wesentlichen nur beschleunigend in sie eingegriffen hat. Aber die Gesamtheit seiner Ausführungen bleibt eine brennende Anklage gegen das sittliche Zerstörungswerk des Krieges. Während die Skizzen über die Entwicklung der evangelischen und katholischen Kirche im Kriege auch die anders gerichteten Seiten des Geschehens ahnen lassen, stimmt naturgemäß die Darstellung der Jugendbewegung und des Schulwesens wesentlich mit der Beurteilung Baumgartens überein. Denn für die noch nicht wehrfähige Jugend bedeutete der Krieg tatsächlich fast nur eine Periode der Erschütterung und Auflösung oder der bloß brutalen Not. Insbesondere die bis heute nachwirkende, tragische Störung im organischen Fortschritt der deutschen Jugendbewegung fügt sich ganz in den von Baumgarten entworfenen Rahmen ein. Je nach der innersten Wertwelt des Beurteilers werden nun Widerspruch oder Zustimmung zu dem hier entworfenen ernsten Bilde sich regen. Soviel aber läßt sich doch sagen, daß ein sehr ernster und bedeutsamer Versuch zur Erfassung des Tiefsten der deutschen Volksseele im Weltkrieg vorliegt, mit dem eine allgemeine Beurteilung der Auswirkung des Krieges auf unser Volksleben sich auf jeden Fall wird auseinandersetzen müssen. Walter Rathenau, dessen Briefe im Vorjahre ein reiches
Material zur Geschichte seiner persönlichen Entwicklung erschlossen, hat in diesem Jahre eine Biographin in Etta
Federn-Kohlhaus gefunden (
1250). Das Buch ist weiblich warmer Einfühlungs- und
Bewunderungsfähigkeit entsprungen und bringt durch enge Verbindung der Verfasserin mit der Familie Rathenau manches
Neue zu seiner von vielfachem Ringen erfüllten Jugendgeschichte.
S.298 Leider begnügt es sich nicht damit ein persönliches Erinnerungsbuch zu sein, während die Verfasserin menschlich ihrem Helden zu nahe steht, um eine psychologische Biographie versuchen zu können und gegenüber der komplizierten politischen Erscheinung Rathenaus nur mit den Mitteln des wohlgemeinten Gefühls zu arbeiten vermag.Ganz Literatur sind die Aufzeichnungen, die Hugo Ball unter dem Titel: »Die Flucht aus der Zeit« ( 1254) veröffentlicht hat. Sie zeigen eine Persönlichkeit, die aus dem leidenschaftlichen Chaos der modernen Kunstkrise, aus dem Umgang mit Wedekind, Kandinski, Kokoschka schließlich in den Mutterschoß der katholischen Kirche flüchtet. Romantische Stimmungen durchkreuzen sich mit Versuchen eines ethischen Anarchismus, der bewundernd zu Bakunin aufschaut, ohne in der Welt des Politischen jemals die Kraft zu wirklichem Ernst zu finden. Das Buch sei erwähnt als kulturhistorisch bezeichnender Beitrag zur Erkenntnis der Unsicherheit und Gärung, mit der die literarische Welt, im Grunde tief verständnislos, der großen Völkerkatastrophe gegenüberstand. O. Lehmann-Rußbüldt ( 1253) hat eine Broschüre veröffentlicht, die ausgiebiges Material zur Geschichte des »Bundes Neues Vaterland« im Weltkriege bringt und vor allem zeigt, wie in seinen Anfängen der Versuch gemacht wurde, Fühlung mit Persönlichkeiten des Auswärtigen Amtes zu erlangen. Sie kommt als Material zur inneren Geschichte Deutschlands im Kriege in Frage und verfolgt nach seinem Ende die Umwandlung des Bundes in seine heutige Gestalt als »Deutsche Liga für Freiheit und Menschenrechte«. Zur Vorgeschichte der Revolution hat die Kommunistische Partei einen Neudruck der Spartakusbriefe ( 1252) veranstaltet, der Ergänzungen der bisherigen Ausgaben aufweist. Er bietet jetzt eine recht weitgehende Zusammenfassung des Materials für die Agitation Liebknechts in den Jahren 1914/15 und die Wirksamkeit des Spartakusbundes in den letzten Kriegsjahren. Auf der Grenze zwischen
Geschichtsschreibung und Memoiren steht das Buch von A. Niemann über Revolution von Oben, Umsturz
von Unten (
1251). Die eigene Auffassung des Verfassers neigt dazu, die
personengeschichtliche Behandlung der Ereignisse zu übertreiben und bis in den 9. November hinein die
Zwangsläufigkeit des Geschehens auf Grund der historischen Voraussetzungen zu negieren. Das historische
Quellenmaterial, das der ehemalige Verbindungsoffizier der OHL beim Kaiser zusammengestellt hat, ist jedoch als Material
zur Geschichte der Novemberrevolution der Beachtung wert. Das Buch bringt eine Zusammenfassung der Mitteilungen, die
Niemann in seinen früheren Erinnerungsbüchern niedergelegt hatte, darüber hinaus viel urkundliches
Material aus den letzten Tagen des Zusammenbruches. Der Gang der Ereignisse im großen Hauptquartier und um die
Person Wilhelms II. ist von Niemann mit großer Genauigkeit festgestellt worden. Dokumente wie das Tagebuch Hintzes
seit dem 31. Oktober, die Darstellung Wahnschaffes über die Ereignisse am 9. November in Berlin, die Aufzeichnungen
über die Offiziersbefragung in Spaa am gleichen Tage, Material zur Geschichte der Marinemeuterei sind als
Quellenbeiträge zur Geschichte der Revolution zu beachten. Auch die bis zum Extrem gesteigerte Auffassung des
Verfassers ist schließlich als Gegengewicht gegen die Neigung, nur Zwangsläufigkeit in den letzten Stadien
des Zusammenbruches zu erblicken, die Wirksamkeit des
S.299 individuellen Momentes in ihnen ganz auszuschalten, nicht so vollständig von der Hand zu weisen.Die Schicksale einer großen deutschen Stadt im Weltkriege hat für Düsseldorf sein früherer Oberbürgermeister Ad. Oehler ( 1255) in einem aufschlußreichen, starken Bande behandelt. Er zeigt die ganze Fülle schwierigster Aufgaben, die der Weltkrieg an die wirtschaftliche und Verwaltungsarbeit einer Großstadt von 400 000 Einwohnern herantrug. Durchaus ein Buch der nüchternen Tatsachen ist es ein lehrreicher Beitrag vor allem zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte Deutschlands im Weltkriege. |
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