§ 78. Mittel- und Südamerika.(R. Konetzke.) (Die Nummern in Klammern beziehen sich auf die Bibliographie S. 738.) W. Mann ( 5) bietet eine kurze und klare Übersicht über die Entwicklung, Ausbreitung und Organisation des Deutschtums in Mittel- und Südamerika und über den Anteil der Deutschen an der Gesamtkultur jenes Weltteils. A. Stelzmann ( 8) möchte uns in seinem Mexiko-Buche mit dem Gesicht Mexikos und der Seele des Mexikaners vertraut machen, um die Zukunftsaussichten und -möglichkeiten deutscher Arbeit in jenem Lande aufzuzeigen. Seine Ausführungen enthalten nur einzelne Angaben über die Geschichte des Auslanddeutschtums, sind aber sehr beachtenswert als Beobachtungen und Bemerkungen zu einer Soziologie der Auslanddeutschen. Die soziologischen Lebensformen, die der Einwanderer im fremden Lande vorfindet und denen er sich anpassen muß, sind in Ibero-Amerika vielfach grundverschieden von denen der Heimat. Ihre Kenntnis ist darum eine wesentliche Grundlage für eine Geschichte des Deutschtums in jenem Erdteil wie auch für das Verständnis der Haltung und Einstellung der Auslanddeutschen zur alten Heimat. -- Das erschütternde Ende einer deutschen Auswandererkolonie in Panama berichtet O. Lutz ( 13). Der bedeutsamste Anteil der Deutschen an der kolonialen Erschließung Amerikas im 16. Jhd. ist die Kolonialgründung der Welser in Venezuela. Unter besonderer Berücksichtigung der spanischen Quellen aus dem Archivo general de Indias in Sevilla hat K. Panhorst in einzelnen Aufsätzen und in zusammenfassender Darstellung die Geschichte dieses deutschen Kolonisationsunternehmens behandelt. In seinem Buche ( 14) beschäftigt sich der Verf. zunächst mit den Beziehungen zwischen Karl V. und den Welsern und der Feststellung der Gründe, die den Kaiser zur Übertragung Venezuelas an die Deutschen bestimmt haben. Der Vertrag vom 27. März 1528, den P. im Wortlaut veröffentlicht, ist nicht durch Gold seitens der Welser erkauft worden, sondern ist aus der Kolonialpolitik Karls V. zu verstehen, die zur schnellen und kostenlosen Erschließung der Kolonien die Unterstützung der Handelsgesellschaften gegen Verleihung entsprechender Konzessionen in Anspruch nahm -- eine Auffassung, wie sie Häbler (Die überseeischen Unternehmungen der Welser und ihrer Gesellschafter, Leipzig 1903, S. 55) schon vertreten hat. Für die Welser war die Kolonialgründung eine günstige Gelegenheit, ihrem Handel nach Amerika einen sicheren Stützpunkt zu schaffen. Der 2. Teil des Buches berichtet über die Herrschaft der Welser in Venezuela und die Expeditionen der einzelnen Statthalter ins Innere des Landes auf der Suche nach dem Dorado, bis das tragische Ende Philipp von Huttens und Bartholomäus Welsers den Zusammenbruch der Welserherrschaft herbeiführten. Die Gegensätze der Spanier gegen die deutschen Statthalter und die Eingriffe der spanischen Kolonialbehörden hatten vielfach die deutsche Stellung erschwert und gefährdet. Das Buch von Waldeyer-Hartz ( 17) ist nicht, wie man nach dem Titel vermuten könnte, eine wissenschaftliche Darstellung des Welser-Unternehmens, sondern eine freie novellistische Gestaltung der wechselvollen Ereignisse. Wie das Ansehen des Deutschtums in Südamerika durch deutsche Forscherarbeit
S.737 gefördert worden ist, beweist am besten der Name eines Alexander von Humboldt. Der Anteil der Deutschen an der wissenschaftlichen Erschließung und Entwicklung dieses Weltteils wird darum ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des Auslanddeutschtums sein. Die erste deutsche wissenschaftliche Forschungsreise durch Chile und Peru hat in den Jahren 1827 bis 1832 Eduard Poeppig ausgeführt. Seine Reiseschilderung, die nach Ratzel der Meisterschaft A. v. Humboldts ebenbürtig ist, ja sie sogar in der Kunst der Darstellung des Gesehenen und Erforschten noch übertrifft, hat W. Drascher ( 18) in neuer Bearbeitung herausgegeben.Die Festschrift der Deutschen Monatshefte für Chile ( 19) enthält eine »Chronik des Deutschtums in Llanquihue«, Erinnerungen einzelner deutscher Auswanderer, verschiedene Beiträge über führende Persönlichkeiten und über die Wirtschaft der deutschen Siedlungen. -- Ein eifriger Förderer des Deutschtums in Chile und besonders auch gerade in der Provinz Llanquihue war Aquinas Ried ( 21), Arzt, Musiker und Schriftsteller in Valparaiso, eine »echte Auswanderergestalt aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts«. Beachtung verdient seine Schrift »Deutsche Auswanderung nach Chile« (1847) und das »Tagebuch einer Reise von Valparaiso nach dem Llanquihue-See«. Sein literarisches Hauptwerk »Teutonia, abenteuerliches Trauer-, Lust- und Sinn-Spiel von Hans Sachs dem Jüngeren« (1849--66) behandelt in allegorischer Form Deutschlands Erniedrigung und Erhebung und die Wiederherstellung des Deutschen Reiches und zeigt, wie die nationalen und liberalen Ideen der Revolution von 1848 sich im Kopfe eines Auslanddeutschen spiegeln. Das Buch von Funke ( 22), das eine fesselnde Darstellung der Natur und Kultur Brasiliens gibt, würdigt eingehend den großen Anteil der Deutschen an der Erforschung, Besiedlung und Entwicklung der brasilianischen Staatenwelt. Ein reiches Material, das auf eigenen Wahrnehmungen und langjährigen Studien des Verfassers beruht, erweitert unsere Kenntnis über die wirtschaftliche, politische und kulturelle Stellung des Deutschtums im heutigen Brasilien und über einzelne Perioden und Persönlichkeiten der deutschen Einwanderung der letzten 100 Jahre. »Ein Stück deutscher Welt unter der Sonne Brasiliens« taucht vor den Augen des Lesers auf. Tugenden und Schwächen des deutschen Menschen begegnen uns im Koloniallande wieder, und an mancher Stelle wird uns die Verbundenheit bewußt, die zwischen dem Auf- und Niedergang des deutschen Staates und dem Schicksal der Auslanddeutschen besteht. Das Gedeihen der deutschen Gemeinschaften in Stadt und Land ist aufs engste verbunden gewesen mit der Arbeit der deutschen Kirche und Schule, die zugleich das Deutschtum vor dem Aufgehen im fremden Volkstum bewahrt hat. Der deutsche Unterricht und der heimische Gottesdienst bleiben auch für die Zukunft die stärksten Garantien für die Erhaltung des Deutschbrasilianertums in der deutschen Kulturgemeinschaft. Ein Literaturnachweis, der vor allem auch die in Deutschland kaum bekannten Arbeiten brasilianischer Autoren verzeichnete, wäre sehr erwünscht gewesen. Die Festschrift »Die Wolgadeutschen« (
27) zeigt uns das Bild deutscher Auswanderer, die von Katharina II. an der
Wolga angesiedelt wurden, die dann in den Jahren 1877--1879 sich in Brasilien eine neue Heimat schufen, aber sich auch
über diesen Wechsel ihrer Wohnsitze hinaus nach mehr als 150 Jahren ihr Deutschtum erhalten haben. Volkskundlich
lehrreich
S.738 ist es, wie manche russische Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuche, die sich die Wolgadeutschen angeeignet hatten, nun in der brasilianischen Umgebung weiterbestehen.Otto Bürger ( 28) behandelt in einem besonderen Abschnitt die Einwanderung und Kolonisation in Paraguay und gibt eine Übersicht über die einzelnen Kolonien, wobei er jeweilig den Anteil der deutschen Siedler hervorhebt. Mittel- und Südamerika.5 Mann, W., Das Dt.tum in Lateinamerika = Taschenbuch des Grenz- u. Auslanddt.tums. Heft 38/39. Berlin-Lichterfelde, Runge. 77 S. 6 H.Luther, Reichskanzler a. D., Dtes. Volkstum in Südamerika. Dte.Welt. Zt. Ver. Dt.tum im Ausland. 4, 223--231. 7 Fischer, M., Aus den Anfängen dten. Zeitungswesens in Südamerika. Der Auslanddeutsche, 10, 682--685. 8 Stelzmann, A., Mexiko. Kultur- u. Wirtschaftskundliches. Lübeck, Quitzow, 296 S. 9 Döhner, K., Dt.tum in Mexiko. Iberica. Zeitschr. für span. u. port. Auslandskunde. Bd. VII, S. 60--77. 10 Dorenberg, J., Aus den Erinnerungen eines dten. Mexiko-Kaufmanns. Der Auslanddeutsche. Bd. 10, S. 142--144. 11 Die dten. Auslandschulen in Mittel- u. Südamerika. In: Schmidt-Boelitz (vgl. S. 713). Bd. II, S. 312--496. 12 Elwenspoek, C., Charlotte von Mexiko. Histor.-psychol. Lebensbild auf Grund neuer Quellen. Stuttgart, Haedecke. 272 S. 13 Lutz, O., Zwischen zwei Weltmeeren. Natur- u. Lebensbilder aus Mittelamerika. Wege u. Wissen, Bd. 77. Berlin, Ullstein. 138 S. 14 CarlosPanhorst: Los Alemanes en Venezuela durante el siglo XVI. Carlos V. y la casa Welser. Colección Hispania. Serie A, vol III. Editorial Voluntad Madrid. 252 S. 15 Panhorst, K., Nikolaus Federmann u. die Entdeckung Neu-Granadas. Iberica. Bd. VII, S. 106--130. 16 Panhorst, K., Das Verhältnis der Ehinger zu den Welsern in den ersten dten. Unternehmungen in Amerika. Viertjschr. Soz. u. Wirtsch.gesch. 20, 174--182. --Ders., Der erste dt. Kolonisator in Amerika. Ebenda. 408--432. 17 v. Waldeyer-Hartz, H., Die Welser in Venezuela. Bilder aus der Frühzeit dter. Kolonialgeschichte. Berlin, Eisenschmidt. 261 S. 18 Poeppig, E., Im Schatten der Cordillera. Reisen in Chile. Bearb. u. eingel. von W. Drascher. Stuttgart, Strecker & Schröder. XV, 301 S. 19 Dte. Monatshefte für Chile. 3. Sonderheft: 75 Jahre Dt.tum in Llanquihue. Jg. 7, Heft 9 u. 10. 20 Bauer, K., Das dt.-chilenische Schulwesen am Llanquihue-See. Dte. Monatshefte für Chile. Jg. 7, S. 473--502. 21 Ried, Dr.A., Leben u. Werke. Mit einem Lebensbild von Franz Fonck, bearbeitet von Carlos Keller. Verlag des Wissenschaftlichen Archivs von Chile, Santiago. VIII, 135 S. 22 Funke, A., Brasilien im 20. Jhd. Berlin, R. Hobbing. 435 S. S.739 23 Sommer, Fr., Dte. Charakterbilder aus der brasilian. Gesch. l. Generalkonsul G. H. v. Langsdorff. 2. Major J. F. Koeler, der Erbauer von Petropolis. Kalender f. die Dten. in Brasilien. 46. Jg., S. 40--50. 24 Da Rocha Lima, Die medizinische Forschung in Brasilien. Iberica. Zeitschr. für span. u. portug. Auslandskunde. Bd. VI, S. 133--138. 25 Nabe, 100 Jahre dt.-evangelische Gemeinde in Rio de Janeiro. -- Die dt. Schule im Auslande. Jg. 19, S. 316--319. 26 Ders., Aus der Anfangszeit der dten. evangelischen Gemeinden im Staat Paraná. -- Der deutsche Ansiedler. Jg. 65, S. 1--8. 27 Brepohl, F. W., u. Fugmann, W., Die Wolgadten. im Brasilianischen Staate Paraná. Festschrift zum Fünfzig-Jahr-Jubiläum ihrer Einwanderung. Ausland und Heimat Verlagsgesellschaft, Stuttgart. 100 S., 10 Taf. 28 Bürger, O., Paraguay. Der »Garten Südamerikas«. Ein Wegweiser für Handel, Industrie u. Einwanderung. Lpz., Dieterich. VIII, 288 S. |
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