3. Gesamtdarstellungen.Zwei prächtig
ausgestattete Sammelwerke sind im Berichtsjahr erschienen, die sich zwar an weitere Kreise wenden und daher auf jeden
Quellennachweis verzichten -- die wichtigste einschlägige Literatur wird in den einschlägigen Abschnitten in
beiden namhaft gemacht --, aber, weil sie durchweg aus Beiträgen bewährter Sachkenner bestehen, auch dem
Historiker manches zu bieten haben. Der stattliche erste Folioband des
S.552 großen Werkes, das ein allseitiges Spiegelbild Polens in seiner Geschichte und Kulter bringen will ( 172), umfaßt das ganze MA. und die Jagiellonenzeit des 16. Jhds. In die eigentlich historischen Abschnitte teilen sich St. Arnold ( 5, 8), der auch ein lapidares Schlußwort für den ganzen Band (S. 556 bis 558) beigesteuert hat und in seinen, den Anfängen des polnischen Staates gewidmeten Ausführungen die Erscheinungen in der Entwicklung der ostseeslavischen Nachbarvölker in dankenswerter Weise zum Vergleich heranzieht, R. Grodecki ( 64) und O. Halecki ( 72): so bietet sich jetzt die Möglichkeit, die Geschichte Polens im MA., außer an der Hand des Grundrisses von M. Bobrzyński (vgl. Jberr. 3, S. 658), aus den Sammeldarstellungen dreier Forschergruppen kennenzulernen, aus den Beiträgen in der Polnischen Enzyklopädie der Krakauer Akademie, in der Krakauer »Historischen Bibliothek« (vgl. Jberr. 2, S. 703 f.; dazu jetzt die gehaltvolle Besprechung durch Wł. Semkowicz und F. Papée, 194) und in dem vorliegenden Werke: freilich haben manche Verfasser an zweien dieser Sammeldarstellungen mitgearbeitet. Als besonderen Vorzug der vorliegenden wird man es betrachten dürfen, daß in allen ihren Teilen die Entwicklung der Verfassung und des Wirtschaftslebens des Landes Berücksichtigung gefunden hat: das war um so mehr geboten, als das Sammelwerk, dem sie angehört, diesen Zweigen der Kulturentwicklung keine besonderen Abschnitte gewidmet hat, im Gegensatz zur Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte, die in ihm von bewährten Fachleuten in gedrängten Übersichten ( 101, 43, 82) behandelt werden; sie werden dem nicht unmittelbar an ihrem Inhalt interessierten Leser ebenso willkommen sein wie die Skizze des allgemeinen Hintergrundes der Kulturentwicklung, die A. Brückner zeichnet ( 24) und das einleitende Kapitel, in dem sich St. Arnold vom Standpunkte des Historikers aus mit der Geographie Polens beschäftigt ( 6). Eine besondere, auch für den wissenschaftlich interessierten Benutzer höchst wertvolle Zierde des Bandes bilden die zahlreichen Abbildungen und Tafelbeilagen ( 59, 68), die fast sämtlich quellenmäßigen Wert haben, und vor allem die von den Bearbeitern der historischen Abschnitte selbst gezeichneten historischen Karten (von hervorragender Bedeutung für die Deutschordensgeschichte ist namentlich Haleckis Karte der polnischen und litauischen Gebiete im Jahre 1385): in ihrer Gesamtheit bilden diese Beigaben ein einzigartiges Anschauungsmaterial für das Studium der polnischen Geschichte und Kulturgeschichte.Ähnlichen Charakter trägt in
gewissem Sinne das der Geschichte, aber auch der gegenwärtigen Lage Danzigs gewidmete Sammelwerk (
58): entstanden ist es auf Anregung des ausgezeichneten Kenners der
polnischen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte, St. Kutrzeba, in dessen Händen auch die Redaktion
gelegen hat: seine eingehenden Darlegungen über die rechtliche und politische Lage der heutigen Freien Stadt Danzig
sind ebensowenig Gegenstand dieses Berichtes wie die Ausführungen A. Siebeneichens über deren
Wirtschaftsleben. Und auch auf die kunst- und literaturgeschichtlichen Beiträge (
113,
62, teilweise auch
67) brauchen wir nur hinzuweisen: sie verarbeiten ein reiches Material unter
dem Gesichtspunkt der Hervorhebung der Fäden, die das Danziger Geistesleben mit dem polnischen verbanden. Reiche
Bilderbeigaben zeichnen sie ebenso aus wie die münz- und wappengeschichtlichen Ausführungen M.
Gumowskis (
67,
66), von denen die letzteren freilich, da ihrem Verfasser die wichtige
deutsche Literatur des Gegenstandes unbekannt geblieben
S.553 ist, geringen Wert haben. Die geographische Übersicht aus der Feder St. Pawłowskis ( 164) bietet dem Historiker weniger und ist stark nationalpolitisch gefärbt. Die Darstellung der Geschichte Danzigs hat R. Lutman in zwei Aufsätzen geliefert, von denen uns hier nur der erste, der sie bis zum J. 1793 führt, ( 129) beschäftigt: der Verfasser ist augenscheinlich bemüht gewesen, sie objektiv zu gestalten und sich in den verschiedenen, zwischen den Vertretern der deutschen (Danziger) und polnischen Forschung strittigen Punkten ein selbständiges Urteil zu bilden (vgl. dazu auch die Besprechung des Sammelwerks durch R. Dragan ( 44). Natürlich liegt der Schwerpunkt seines Beitrags in der Schilderung der Beziehungen Danzigs zu Polen -- und damit auch in seinem der neuzeitlichen Entwicklung gewidmeten Teil, eine nennenswerte Förderung der Erforschung der Geschichte Danzigs im MA. wird man in ihm weder erwarten noch finden. Hohen Eigenwert haben die überall die Hand des sachkundigen Fachmanns verratenden Ausführungen Kutrzebas über Danzigs Handel und Gewerbe bis zum J. 1793 ( 119): doch können auch in ihren vier Abschnitten (Handelsbeziehungen, Waren- und Schiffsverkehr, Organisation des Marktes, Gewerbe) die ma.lichen Verhältnisse nur sozusagen einleitend behandelt werden; die Aufmerksamkeit des deutschen Historikers verdienen in hohem Maße die Ausführungen Kutrzebas über die Handelsbeziehungen Danzigs zu Rußland, Litauen und Polen im 15. Jhd.Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte des Landes gibt das fesselnd geschriebene Buch W.
Sobieskis über den Kampf um Pommerellen (
200), in dem immer wieder das Leitmotiv der Sehnsucht nach der
Bernsteinküste anklingt. Auch es ist für weitere Kreise bestimmt und macht aus seiner nationalpolitischen
Einstellung kein Hehl. Trotzdem verdient es die Beachtung auch des deutschen Historikers in hohem Maße, schon
deshalb, weil sein Verfasser sich namentlich in den zahlreichen Anmerkungen öfters eingehend mit den Anschauungen
der deutschen Forschung auseinandersetzt (so etwa mit E. Keysers Theorie über die
Nichtzugehörigkeit Danzigs zum Reiche Bolesław Chrobrys zur Zeit des Missionszuges Adalberts von Prag). Im
allgemeinen nimmt Sobieski in den strittigen Fragen eine sehr vorsichtige, zurückhaltende Stellung
ein (Volkszugehörigkeit der vorgeschichtlichen Bevölkerung Pommerellens, angebliche Fälschungen des
Deutschen Ordens u. dgl.). Freilich hätte er es vermeiden sollen, dem unkritischen Rudnicki (vgl.
Jberr. 2, S. 716) die Fabel von der massenhaften Vertreibung der Slaven in den westlichen Ostseeländern
nachzuschreiben, die in keiner Weise mehr dem Stande der Forschung, der deutschen wie der slavischen, entspricht. An
wichtigen Einzelausführungen seines Buches sind noch hervorzuheben die Bemerkungen über die bedeutsame Rolle,
die Pommern (einschließlich Pommerellens) wahrscheinlich in der heidnischen Reaktion im polnischen Staat des 11.
Jhds. gespielt hat, die ausführliche Darlegung und Begründung der Theorie über die ursprünglich
»markgräfliche« Stellung des pommerellischen Fürstenhauses im Rahmen des Piastenstaates (vgl.
Jberr. 2, S. 706), die Vermutung, daß der Danziger Aufstand gegen die Deutschordensherrschaft im J. 1361 mit
Kriegsplänen Kasimirs des Großen von Polen im Zusammenhang stand, und schließlich die wiederholten
Hinweise auf die Bedeutsamkeit der polnisch-(west)-pommerschen Beziehungen im MA. und der beginnenden Neuzeit. M.
Rudnickis Besprechung des Buches (
185) entwickelt die von ihrem Verfasser auch in anderem
S.554 Zusammenhang vorgetragene Anschauung, daß die Verbindung Polens mit Litauen für das Schicksal der westlichen und nördlichen Vorposten des Polentums verhängnisvoll geworden sei, da sie die Aufmerksamkeit der polnischen Gesellschaft von ihnen abgelenkt habe. Auf Sobieskis ablehnende Besprechung der dilettantischen Geschichte Pommerellens von Cz. Frankiewicz ( 198) haben wir schon hingewiesen (vgl. Jberr. 3, S. 659). Daß auch das von E. Keyser herausgegebene Sammelwerk »Der Kampf um die Weichsel« (vgl. Jberr. 2, S. 518) keine Gnade vor seinen Augen findet, ist begreiflich: dem deutschen Leser kann an der temperamentvollen Besprechung ( 199) der Hinweis auf manche Lücken des Sammelwerks, die großenteils durch die Außerachtlassung der polnischen Literatur verschuldet sind, wichtig sein. |
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