I. Allgemeines.Volkskunde hat ein doppeltes Gesicht;
sie ist Kulturkunde und Kulturpolitik. Daß über der wissenschaftlichen Aufgabe nicht die praktische
übersehen werde, dafür sorgen Arbeiten wie die G. Schreibers (
547), die Rückblicke über das Erreichte mit Ausblicken in die
Fülle der Aufgaben vereint, deren Lösung der Volkskundearbeit harrt. Wesentlich für die historische
Forschung erscheinen hier die Beziehungen zwischen Volkstum und Liturgie, Kirchenjahr, Kirchenrecht, die Volkskunde der
Orden und die säkularisierten Volkstumgebiete. -- Die kartographische Veranschaulichung von Entwicklungslinien
S.141 und Gegenwartsbildern einzelner Kulturgebiete ist die Absicht des Kulturatlasses ( 548), der in seine Überschau in Tafel 444 (Philosophie 13) die »Soziologie der Gegenwart in Deutschland« aufgenommen hat. G. Lehmann, der diese Karte entworfen hat, findet eine scharfe kritische Würdigung in einem grundsätzlich ablehnenden Aufsatze J. Plenges, der die Herkunft der soziologischen Wissenschaft von der beschreibenden und vergleichenden Ethnologie betont und eine einseitig geisteswissenschaftliche Orientierung abweist. Lehmanns Erwiderung hält für die deutsche Forschung an einer aprioristischen Soziologie fest und weist auch darauf hin, daß man von einer Anschauungstafel nicht mehr verlangen dürfe, als sie technisch leisten kann und will: Überblick über die Entwicklung der gegenwärtigen deutschen Soziologie an Hand ihrer Ursprünge. -- Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens ( 549) bringt auch in seinem Fortgange (bis Bd. 3, Lfg. 7) reichen für die Geschichte nutzbaren Stoff in den Artikeln über die Heiligenlegenden, biographischen Artikeln (wie Caesarius v. Heisterbach, Thomas Ebendorfer v. Haselbach) und unter Stichworten wie: Christentum und Aberglaube, Ehe, Eid, Eisen, Ernte, Feuer, Fluch, Frau. -- Ganz historisch gerichtet ist das Buch Klappers ( 556), das den Versuch macht, die Eingliederung des christlichen Kulturgutes und der christlichen Zielsetzung in das germanische Weltbild in der Zeit vom Spätmittelalter bis zur Reformation zu veranschaulichen und das geistige Gesicht des deutschen Volkes aus den Spannungen zu deuten, die das Ergebnis dieses Ausgleichsprozesses sind. -- Einen Einblick in die Buntheit volkskundlicher Arbeit der Gegenwart gibt die Schmidt-Ott-Festschrift ( 545); von den 36 Beiträgen können hier nur die für die Kulturkunde wesentlichen in ihrem Inhalte angedeutet werden. Aus der volkskundlichen Landesaufnahme des Erzherz. Johann v. Österreich teilt v. Geramb (S. 5--10) Proben aus den Jahren 1810--1840 mit. A. Haberlandt (S. 10--16) weist auf den kulturkundlichen Gehalt von Bildern wie P. Brueghels d. Ä. ( 1569) Bauernhochzeit hin. J. Meier (S. 29--40) deutet den verlorenen durchbohrten Blauen Stein in Köln als Hofgerichtsstätte seit dem 10. Jhd. und hält seine Herkunft von einem megalithischen Grabe für wahrscheinlich. Th. Siebs (S. 49--61) führt die Gleichung zwischen Zügen der christlichen Tod-und-Teufel-Vorstellungen mit dem altgermanischen Hennegotte, Mars Thingsus, auf Grund reicher kulturkundlicher Belege durch. Alfr. Wirth (S. 76--82) gibt ein Bild des dörflichen Gemeinschaftslebens in Anhalt: Nachbarschaft, Jugendbünde, Festgemeinschaften. Joh. Bolte (S. 83--92) teilt die den militärischen Signalen und Märschen untergelegten Texte mit. Jungbauer (S. 196--201) veranschaulicht auf Grund der seit dem Weltkriege beobachteten Wandlungen im böhmerwäldischen Volkstume die Beziehungen zwischen Staatsgrenze und Volksüberlieferungen. Mitzka (S. 202 bis 209) spricht von Wandel, Neuschöpfung und Absterben der Volksüberlieferungen bei Volksgruppen, die vom Mutterlande losgelöst sind. Von besonderer Bedeutung ist der Aufsatz von Helbok (S. 225--234) »Über vorzeitliche und heutige Haustypenlandschaften«. Westen und Süden Europas haben das Steinhaus, Osten und Norden das Holzhaus, Mitteleuropa die Mischform des Fachbaues. Der Steinbau hat den Erdbau ersetzt; seine Form ist der Rundbau; dem Osten und Norden (mit Deutschland) gehört das Viereckhaus. Für die Grenzverschiebungen im Rheinlande, wo beide Kulturkreise zusammenstoßen, waren Naturfaktoren (Klimaschwankungen) bestimmend; aber, wenn solcheS.142 Formen Kulturinventar wurden, konnten sie von Kulturen weitergetragen werden. Die norddeutschen Dachhäuser werden aus einer Zeltkultur, die oberdeutschen Wandhäuser von der Wohngrubenkultur der Ackerbauer hergeleitet. |
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