4. Das Zeitalter der Orthodoxie.In den Rahmen der
Bekenntnisse gestellt, hat der deutsche Protestantismus in seiner landeskirchlichen Gestalt seinen Gang in die
Geschichte angetreten. Die konfessionelle Polemik beherrschte auf Jahrzehnte hinaus die theologische Wissenschaft,
freilich nicht in dem Sinn, als ob die Gegensätze allein auf dogmatischem Gebiet ausgetragen worden wären.
Treffend hat Werner Elert in seiner »Morphologie des Luthertums« (1. Bd., 1931) diesen
Tatbestand erkannt, wenn er sagt: »Als ob es ein Gebiet menschlichen Lebens gäbe, angefangen vom Staat und
der Kapitalbildung bis zur Ehescheidung und Zigeunerplage, das von Bellarmin und Johann Gerhard nicht in
S.325 die Erörterung hineingezogen wäre.« Die ganze Breite des öffentlichen Lebens wird von den Theologen, Lutheranern und Kalvinisten, in den konfessionellen Kampf hineingezogen. Daß in den deutschen kalvinistischen Kreisen die bedeutendsten Polemiker zugleich Ireniker im Sinne eines innerprotestantischen Ausgleiches waren, ist eine schwer verständliche Stellungnahme. Gewiß hat Otto Ritschl in seiner Dogmengeschichte des Protestantismus (3. und 4. Bd., 1926--27) gezeigt, daß die deutsche reformierte Theologie als Nachwirkung Melanchthons und des Philippismus ihr eigenes Gepräge aufweist. Aber den Herrschaftsdrang des Kalvinismus können auch diese Theologen nicht verleugnen. An diesem Punkt setzt Hans Leubes Werk (1928 Nr. 1432) ein, das überhaupt von der irenischen Literatur ausgeht. Indem dieses Schrifttum mit den kirchenpolitischen Vorgängen (Kampf der Kalvinisten um reichsgesetzliche Anerkennung, Glaubenswechsel Johann Sigismunds von Brandenburg, Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten, die Ereignisse in der Pfalz, in Hessen und Anhalt) in Verbindung gebracht wird, wird dieser Irenik der Verständigungswille genommen. Toleranz hat der deutsche Kalvinismus nur als Mittel zum Zweck gefordert. Auch die Hohenzollern des 17. Jhds. haben sich bloß gezwungen zur Toleranz bekannt. In der kritischen Einstellung zur synkretistischen Theologie stimmen Ritschl und Leube überein. Bei den Helmstädtern ist das Erbe Luthers schon im Schwinden, während die sächsischen Theologen im Kampf gegen die Alleinherrschaft des Apostolicums das Glaubensgut Luthers wahrten. Daß diese Beurteilung der deutschen kalvinistischen Irenik richtig ist, zeigen Hans Leubes Arbeit über die sächsische kalvinistische Bibelausgabe ( 1687), die das weitgesteckte Ziel kalvinistischer Propaganda selbst für Kursachsen beweist, und Semmelroths Schilderung der Einführung des Kalvinismus in der Grafschaft Sayn ( 1724), die eine Vergewaltigung des Luthertums bedeutete. Gerade die große Monographie von H. Hesse-Klugkist über Menso Alting (1928 Nr. 1430) stellt an dem Wirken dieses ostfriesischen Theologen dar, wie der Kalvinismus die ganze Gefahr der Gegenreformation erkannt und um seinen Bestand in Deutschland äußerst besorgt war. Alting war durch und durch eine Kämpfernatur, Politiker und Theologe zugleich. Solche Gestalten kann das deutsche Luthertum nicht aufweisen. Die Frage, welchen Anteil der deutsche Kalvinismus an der siegreichen Abwehr der Gegenreformation gehabt hat, bedarf noch einer umfassenden Untersuchung. Die politische Bedeutung des Kalvinismus tritt eindringlich in Hintzes Abhandlung hervor ( 978). Der Unterschied in der Außenpolitik des lutherischen Kurfürsten Joachim II. und des zum Kalvinismus übergetretenen Sigismund, der sich sofort nach dem Westen orientiert, ist augenscheinlich. -- Mehr als je wendet sich die Forschung der innerkirchlichen Reformbewegung des deutschen Luthertums zu, teils um die lebendige Orthodoxie kennenzulernen, teils um die Vorgeschichte des Pietismus auf deutschem Boden zu verfolgen. Heinrich Bornkamm führt in dem Vortrag Mystik, Spiritualismus und die Anfänge des Pietismus im Luthertum (erschienen 1926) in den Stand der Forschung ein, wobei bei ihm freilich der Nachdruck auf den kirchlich abgewandten Männern liegt. Seitdem ist die Forschung wesentlich gefördert worden. Wilh. Halfmann ( 1691) greift Christian Kortholt heraus und zeigt, wie dieser Kieler Theologe nicht bloß durch seine praktischkirchlichen Reformideen den späteren Pietisten vorgearbeitet hat, sondern auch wissenschaftliche Verdienste für sich in Anspruch nehmen kann (ForschungenS.326 zur Alten Kirchengeschichte, zur Religionsgeschichte). Auch Chr. Halliers Arbeit über Johann Matthaeus Meyfarth wäre hier zu nennen (1928 Nr. 1471). Meyfarths Schriften gewähren einen tiefen Einblick in die kulturellen Verhältnisse der Zeit, wie ihn nur wenige Schriftsteller bieten. Von den territorialen kirchengeschichtlichen Zeitschriften haben sich vor allem die Blätter für württembergische Kirchengeschichte des Zeitalters der Orthodoxie angenommen. Vor allem die große Arbeit von F. Fritz über die württembergischen Pfarrer im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges (Jg. 1925--30) läßt die gewaltigen Anstrengungen erkennen, die die württembergische Geistlichkeit zur Linderung der Kriegsnöte und die Kirche zur Beseitigung der Kriegsschäden gemacht haben. Freilich konnte sich die württembergische Kirche gerade während dieser Zeit der Führung eines Johann Valentin Andreä erfreuen, von dessen kirchlicher Tätigkeit auch Fritz ein anschauliches Bild entworfen hat (1928 Nr. 1456). Werdermanns Buch dagegen führt weniger das kirchliche Leben vor (1928 Nr. 1475). Da hier Konsistorialentscheidungen zugrunde gelegt sind, erfährt man, worin die Kirchenbehörde ihren Pflichtenkreis gesehen hat. Dabei ist es doch sehr bezeichnend, daß neben vielen rein wirtschaftlichen Fragen der Katechismusunterricht, die Beichte, die Kirchenzucht u. a. hervortreten. -- Während für Deutschland Monographien über die großen Theologen des Zeitalters der Orthodoxie noch ganz fehlen, sind in Holland zwei Wortführer des strengen Kalvinismus 1930 abschließend gewürdigt werden: Andreas Rivetus von H. J. Honders und Franciscus Gomarus von G. P. van Itterzon. -- Mit der Schilderung der Stellung des Molanus in den Unionsverhandlungen ist nun auch die große Biographie Weidemanns über diesen Theologen der Helmstädter Schule zum Abschluß gekommen (1929 Nr. 1884). Dieses Werk erhärtet das ungünstige Bild, das diese Schule theologisch und kirchenpolitisch bietet. Gewiß es sei zugestanden, daß Molanus die kirchlichen Schäden seiner Zeit klar erkannt und eifrig an ihrer Abstellung gearbeitet hat. Auch seine Gelehrsamkeit, das Erbteil des alten Humanismus, verdient volle Anerkennung. Aber es ist diesem Theologen völlig das Verständnis für die Eigenart lutherischen Glaubenslebens verloren gegangen. In den konfessionellen Gegensätzen sieht er nur theologische Formeln, die sich angleichen lassen. In entscheidenden Punkten, wie z. B. in der Ethik, steht er auf katholischem Standpunkt. Seine Stellung zu dem Hof und zur Welt rechtfertigt fast Tholucks harte Beurteilung der kalixtinischen Theologen. Weidemann selbst möchte Molanus trotzdem als Charakter gelten lassen, der Bewunderung verdient. Aber sein Werk selbst spricht in entscheidenden Teilen selbst gegen diese Wertung. |
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