c) Lutherliteratur.Wiederum haben
Lutherjubiläen die theologische Forschung angeregt. Die 450. Wiederkehr von L.s Geburtstag und das Gedenken an die
Vollendung der Bibelübersetzung gaben weithin Gelegenheit, L.s Stellung in der deutschen Geistesgeschichte und
seine Verwurzelung im deutschen Volkstum zu behandeln. Viele Universitätsreden handeln in geringer Abwandlung des
Themas von Luther dem Deutschen. Bornkamm <
3126> betont, daß die Geschichte im Reformationszeitalter von
Deutschland aus bestimmt wurde. Diese weitausstrahlende Wirkung auf die Welt übe ein Volk niemals aus, wenn fremdes
Wesen in ihm zur Herrschaft gekommen sei. Die starke Wurzel dieser weltumbildenden Kraft, die B. überallhin
verfolgt, liege allein in Luther und seiner religiösen Sendung. Fein ist L. als Prophet der deutschen Innerlichkeit
hingestellt, woraus allein seine Stellung im Bauernkriege, in Marburg oder die Ablehnung der offenen Empörung gegen
den Kaiser zu erklären sei. -- Man müßte noch andere Universitätsreden danebenstellen;
Dörries, Heussi, E. Seeberg wären zu nennen, von denen der letzte stark auf eigene Forschungen
zurückgreift. Aber des Raummangels wegen kann nur noch auf Scheels im Druck stark erweiterte Rede
eingegangen werden <
3131>. Sch. zeigt, wie Sprache und Recht aus dem tiefen Brunnen des Volkes
schöpfen, so daß durch sie das Volk als solches sich abgrenzt. L. ist gegen das universale rationale Recht
und verteidigt den Anspruch des Volks- und Landesrechtes. Die Begründung dieser Auffassung liegt in der Anerkennung
der in Gottes Schöpfung liegenden Kräfte. Jeder hat seine eigenen Gaben. Dabei unterliegen Landesrecht und
Landessitte dem Urteil des christlichen Gewissens und der moralischen Vernunft. Hermanns Greifswalder
Universitätsrede <
3129> wendet sich den gleichen Fragen zu. Doch sind hier die Aussagen L.s
über Familie, Volk und Obrigkeit noch stärker von L.s theologischer Grundhaltung aus gesehen. Denn, so sagt H.
in treffender Formulierung, L. läßt sich nicht säkularisieren. Sagen wir ja zu seiner Größe,
seinem Führertum, seinem Deutschtum, so treten wir damit ein Erbe aus dem Schatz unseres Glaubens an. Dagegen
rückt Leisegangs Werk <
3127> L. wiederum näher dem deutschen Idealismus, so daß die
Frontstellung gegen die dialektische Theologie selbstverständlich ist. In
S.500 der eigenartigen Ableitung der Rechtfertigungslehre aus der Mystik wird der Verfasser kaum Nachfolger finden. -- Allen diesen Werken gegenüber, die aus den geistesgeschichtlichen Zusammenhängen heraus urteilen, nimmt das Buch von Preuss < 3120> eine Sonderstellung ein. Pr. geht von der modernen Fragestellung nach Rasse und Charakter auf Grund von L.s Abstammung aus. Es wird das geistige Wesen des Deutschen dargestellt, um zu beweisen, wie sehr L. dies besitzt. Selbst im Spiegelbild deutschen Urtums -- Donars = Thors -- ergibt sich L.s Lebensverbundenheit mit seinem Volk. Dies bildet den Grundstock des Buches, woran sich Ausführungen über L. und die deutsche Sprache, seine Stellung zum Vaterland, seine Beurteilung anderer Völker anschließen. Auch die L.-Auffassung im Wandel der Zeit wird geschildert, wobei zwischen deutschen und ausländischen Urteilen unterschieden wird. Doch Pr. warnt auch vor der Übertreibung von L.s Deutschtum, da dieses ebenso wie sein Künstlertum seine Grenze hat an der Sache, die er vertritt. Auch hier kommt Pr. nochmals auf die Vorstellung von L. als Propheten zu sprechen, der er vorher ein eigenes Werk gewidmet hat < 3119>. Pr., der damit die Forschungen Gussmanns und Leubes fortführt, hebt die beiden Seiten des Propheten heraus: Der Prophet ist Sprecher Gottes, für dessen Herrschaft er kämpft, und Verkünder der Zukunft. Das Letztere gibt Gelegenheit, die prophetische Erwartung des ausgehenden Mittelalters auf L. zu beziehen. Um die »Hoffnung auf den Engelpapst« zu besprechen, wäre zur Ergänzung Fr. Baethgens Studie < 2847, vgl. S. 472> heranzuziehen. -- Rein biographische Werke sind diesmal zu nennen. Heycks »Luther« < 3118> ist auch in der 2. Auflage ein Werk geblieben, das die Ereignisse in den Vordergrund rückt, während die theologisch-religiöse Seite zurücktritt. Man kann sich Meinholds Urteil, auf dessen Bericht über die Lutherliteratur von 1933 in der Zsch. f. Kirchengesch. (3. Folge IV) nachdrücklichst hingewiesen sei, zu eigen machen. Aufs Ganze gesehen, scheint bei H. bewußt oder unbewußt das L.werk Hausraths nachzuwirken. Die Hamburger Festschrift < 3125> bringt neben einem Geleitwort Schöffels und der bekannten Wittenberger Rede Fricks eine knapp gehaltene L.-Biographie mit vielen recht guten Abbildungen. Obgleich von ihrem Verfasser Hashagen Theologie und Glaube durch die äußeren Vorgänge beiseitegedrängt werden, ist mit aller Entschiedenheit jeder Versuch abgelehnt, die religiöse Bedeutung der Reformation zugunsten der allgemeinen kulturgeschichtlichen zu verflachen. -- Eine L.-Biographie eigener Prägung legt Thiel vor < 3121>. Freilich umfaßt sie erst die Zeit bis zur Rückkehr von der Wartburg. Ein weiteres Buch soll den reifen Luther als Führer des deutschen Protestantismus schildern. Mit vollem Recht begrüßt P. Althaus freudig das Erscheinen dieses Werkes (Luther, Jg. 1934), das tatsächlich wissenschaftlichen Geist mit einer anschaulichen, packenden Erzählungskunst vereinigt. Deshalb kann man dies Werk auf keinen Fall als L.-Roman abtun. Daß sein Kernstück Luthers Theologie behandelt, indem Th. sich meist der Führung von Vogelsangs »Anfänge der Christologie L.s« anvertraut, ist hoch zu werten. In welchem Geist dies geschieht, zeigen Thiels eigene Worte: »Wer nicht imstande ist, die vielumkämpften Lehren von der Unfreiheit des Willens. von der unbedingten Vorbestimmung aller Menschen, von der Verdorbenheit der menschlichen Natur wie eigene Erkenntnisse zu erleben, der kann L. niemals schildern.« Anderseits meint Th., daß aus den Tiefen solchen persönlichen Erlebens keine Reformation entstehen konnte, dieS.501 ein ganzes Volk packte. Die Stellung L.s in der Geschichte geht von anderen Ideen aus, die er ebenfalls vertrat. Im 1. Teil, der die politische Geschichte bringt, wird der Standpunkt der Gegner L.s herangezogen. -- Von den Untersuchungen zu L.s Theologie verdient Hamels Arbeit besondere Beachtung, wenn auch das Thema: Augustin und Luther bereits mehrfach behandelt worden ist < 3130>. Bekannt ist, daß wir seit dem Herbst 1509 dokumentarische Zeugnisse für die Beschäftigung L.s mit Augustin haben. H. zeigt, wie sich L. bereits als Sententiar unter dem Einfluß Augustins dem Occamismus entfremdet. In der Psalmenvorlesung werden die augustinischen Wirkungen viel stärker fühlbar. Ein Register von 120 Seiten legt bis in alle Einzelheiten die Bedeutung Augustins für diese Vorlesung fest. Luther hat auf Grund des 8. Buches der Confessiones in Augustin das christliche Urbild gesehen; aber trotz großer Abhängigkeit bleibt die volle Neuerkenntnis das Ergebnis eigenen Ringens. -- Laus Untersuchung führt in das Gebiet der Ethik < 3136>, sucht das theologische Problem der einzelnen Lebensordnungen aufzuhellen und den Zusammenhang der Aussagen L.s über die Ordnungen in seiner Theologie aufzuweisen. Aus dieser Themastellung heraus ergibt sich die Auseinandersetzung mit Troeltsch, Holl, Wünsch, Gogarten, H. M. Müller und anderen. Der Begriff »Äußerliche Ordnung« erfaßt die Ordnungen des natürlichen Gemeinschaftslebens, dagegen versteht Luther unter »weltlich Ding« das, was zeitliche Güter angeht. Darin besteht das Problem, daß das, was die von Gott gegebenen Ordnungen ausmacht, auch natürliche Ordnung ist, die im Leben der Geschichte wirklich wird und deshalb mit der Sünde zusammenstößt. -- Aus der großen Zahl der Einzeluntersuchungen sei nur Bornkamms Rede »Das Wort Gottes bei L.« < 3132> erwähnt, die durch den klaren Aufbau (das Wort als Geist, als Offenbarung, als Schöpfung und als Geschichte) und die geschichtliche Linienführung (Auflösung der lutherischen Wortlehre: A. Osiander, Bucer, Kalvin, orthodoxes Luthertum) fesselt. Da auch der Gegensatz L.s zu Humanismus, Mystik und Täufertum von dieser Seite her aufgedeckt wird, gewinnt man hier wertvollste Erkenntnisse für die Konfessionskunde. -- Zwei kleinere Arbeiten von Joh. Luther, die von einer erstaunlichen Belesenheit zeugen, behandeln Einzelfragen aus L.s Leben. Die eine bespricht die Vorbereitung und Verbreitung der 95 Thesen < 3139>. Der Verfasser glaubt, daß L. die Thesen auf einer der üblichen Freitagsbesprechungen im internen Kreis von Theologen zum ersten Male vorgelegt hat. Darauf ließ er sie heimlich bei Melchior Lotter in Leipzig drucken (= Plakatdruck A). Ihre überraschend schnelle Verbreitung führt er auf den Sermon von Ablaß und Gnade zurück, der den Inhalt der Thesen überallhin trug, wie die vielen noch nachweisbaren Drucke zeigen. -- Die andere Schrift behandelt Legenden um Luther < 3140>. Zuerst wird das berühmte Schlußwort der Wormser Rede L.s in seiner verkürzten Form als geschichtlich nachgewiesen und die legendarische Entstehung der längeren Form gezeigt; zweitens verfolgt der Verfasser die Entstehung des bekannten Spruches: Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang ..., der im Wandsbecker Boten 1775 auftaucht, an dem aber L. keinen Anteil hat; schließlich wird die Tintenfleckgeschichte aus der Wartburgzeit vorgenommen, wobei der Verfasser darauf aufmerksam macht, daß nach der ältesten Fassung nicht L. nach dem Teufel, sondern umgekehrt dieser nach L. geworfen habe. Diese kleinen Untersuchungen sind ein Musterbeispiel für kritischen Sinn und historische Kombinationsgabe.S.502 -- Die Zusammenstellung von Lutherbildnissen, die Joh. Ficker < 3145> auf Grund der Halleschen Lutherbildausstellung vorgenommen hat, ist ein großer Schritt vorwärts zu der dringend erwünschten L.-Ikonographie. Übrigens sind auch moderne Schöpfungen mit einbezogen. -- Welchen Umfang die L.-Literatur in den letzten Jahren angenommen hat, zeigt eindrucksvoll der große Bericht von E. Wolf < 3113>. Hier spricht ein Forscher, der in vollendeter Sachkenntnis die Zusammenstellung von einzelnen Schriften und Aufsätzen vollzieht. Dazu ist manches aus Dissertationen und Sammelwerken genannt, das anderswo nicht verzeichnet ist. Erst die L.-Bibliographie des L.-Jahrbuches erstrebt -- auch in der Berücksichtigung volkstümlicher Literatur -- Vollständigkeit < 3112>. |
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