Allgemeines.Die heutige volkspolitische Lage an der
Südostgrenze des geschlossenen deutschen Volksgebiets und ihre Vorgeschichte hat in einem Sammelband der Volk und
Reich-Bücherei eine Darstellung gefunden, die durch Zusammenstellung einer Reihe von Aufsätzen über die
deutsch-magyarische und die deutsch-slowenische Volksgrenze eine möglichst vollständige Übersicht zu
bieten strebt <
1>. Der Band vermittelt in der Tat eine Menge von Erkenntnissen und von
Tatsachenmaterial, so daß auch der Historiker ihn gern zur Hand nehmen wird. Die Eigenart der Forschungsmethoden
auf siedlungs- und volksgeschichtlichem Gebiet, die sich erst jetzt fester herausgestalten, bringt es freilich mit sich,
daß die einzelnen Abschnitte etwas ungleichmäßig ausgefallen sind. Zwischen der durch E.
Klebel ausführlicher behandelten mittelalterlichen Siedlungsgeschichte und dem heutigen Bild klafft
eine recht empfindliche Lücke, da man auf eine systematische Behandlung der bevölkerungsgeschichtlich nicht
weniger wichtigen dazwischenliegenden Jahrhunderte verzichtet hat. Auch in der Darstellung Klebels müssen manche
Fragezeichen gesetzt werden, weil der Verfasser sowohl an die mittelalterlichen Quellen wie auch an den Text der
modernen Literatur bisweilen mit einer etwas allzukühnen Interpretationskunst herangetreten ist. Von den
übrigen Beiträgen sind hervorzuheben die gedankenreichen bevölkerungsgeschichtlichen Ausführungen
von Franz Riedl über die Grenzstadt Wien, die trotz ihrer Anziehungskraft auf Juden und andere
nichtdeutsche Elemente ihren deutschen Grundcharakter unverändert bewahrt, von O. A. Isbert
über den deutschmagyarischen Grenzraum, wo auch ein kurzer siedlungsgeschichtlicher Überblick gebracht wird,
und von Riedl über die Kroatenansiedlungen im ungarischösterreichischen Grenzgebiet, die sich
vom Anfang des 16. Jh.'s bis ins 18. Jh. hinziehen. Die historischen Abschnitte über das deutsch-slowenische
Grenzgebiet sind leider etwas allzu kursorisch gehalten <vgl. S. 430>.
S.791 Weit mehr bietet dem Historiker -- dank der systematischeren Anlage des ganzen Werkes -- das Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums < 2>, von dem in den Berichtsjahren sechs Lieferungen (bis Blumenau reichend) erschienen sind. Die Hauptartikel sind zu Monographien ausgestaltet, die nicht nur bisher Bekanntes zusammenfassen, sondern vielfach auch neue Forschungsergebnisse erstmalig bekanntgeben. Die große Zahl der über die ganze Erde verstreuten Mitarbeiter und Teilredaktionen, die verschiedene Art der Vorbildung der einzelnen Mitarbeiter, das häufige Fehlen jeder Vorarbeit legt der Hauptredaktion ein Übermaß an Arbeit auf, und es ist verständlich, wenn nicht alle im Schema aufgestellten Teilabschnitte gleichmäßig eingehend und stichhaltig behandelt werden können. Aus dem Bereich des Südostdeutschtums sind Banat, Batschka und Bessarabien in Hauptartikeln behandelt worden, die vorläufig die wissenschaftlich maßgebende Darstellung über die Deutschtumsgruppen dieser Landschaften enthalten dürften. Die Darstellung der politischen Geschichte stammt für das Banat von R. Spek, für die Batschka von K. Schünemann, für Bessarabien von V. Uhlig; die Siedlungsgeschichte ist für Banat und Batschka von Schünemann, für Bessarabien von Kalmbach und anderen, die neuere Sozialgeschichte für Banat und Batschke von Klocke behandelt worden. Besondere Abschnitte sind jeweils der Wirtschafts-, Kirchen-, Schul- und Literaturgeschichte, der Mundart und Volkskunde gewidmet. Für die allgemeine deutsche Kolonisationsgeschichte des Mittelalters weist K. Schünemann < 5> hin auf die Sonderstellung des bayrischen Stammes, auf das Vorschieben der deutschen Auswanderungsgebiete von Westen nach Osten und auf den Unterschied zwischen fließender und geleiteter Kolonisation, von denen die zweite seit dem Beginn des 12. Jh.'s die erste ablöst. Die geleiteten Ansiedlungsaktionen des 12. Jh.'s, zu denen auch die der Siebenbürger Sachsen gehört, haben noch Züge der alten volkhaft fließenden Wanderungszüge an sich und entwickeln infolgedessen noch ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl der Kolonisten als die Ansiedlungsaktionen des 13. Jh.'s, bei denen das Schwergewicht sich ganz auf die Seite der ansiedelnden Gewalt verschoben hat. -- Einen Beitrag zur Geschichte der österreichischen Bevölkerungspolitik gibt Schünemann durch eine Untersuchung < 6> der schon im frühen Mittelalter einsetzenden Ausbreitung armenischer Volksteile nach Europa. Die karolinische und theresianische Merkantilpolitik suchte diese als Lederfabrikanten, Viehzuchtunternehmer und Großhändler tätigen Elemente planmäßig zu fördern, um sie auf der einen Seite gegen die protestantischen und traditionsgebundenen Siebenbürger Sachsen, auf der anderen gegen die scharf bekämpften Juden ausspielen zu können. -- Im Gegensatz zu den verbreiteten Vorstellungen vom Fehlen volkspolitischer Regungen bei den Staatsmännern des 18. Jh.'s verweist Schünemann < 7> auf spanische und englische Bestrebungen, die neu gewonnenen deutschen Kolonisten dem eigenen Volkstum möglichst rasch zu assimilieren, vor allem aber auf den starken ungarischen Nationalismus, der auf die österreichischen Staatsmänner deutscher Herkunft zurückwirkend auch Ansätze zu deutschen volkspolitischen Zielsetzungen herausgefordert hat. Von Einzeluntersuchungen zur
Geschichte der deutschen Südostwanderung, die hauptsächlich auf dem Material des Wiener Hofkammerarchivs
beruhen, verdient die Arbeit von Stanglica <
9> hervorgehoben zu werden. Wenn auch der Versuch der Einordnung in
allgemeinere Zusammenhänge etwas problematisch
S.792 bleibt, so ist doch der Fleiß der Zusammenstellung durchaus anerkennenswert. St. berechnet für die lothringische Ungarnwanderung in den Jahren von 1764--71 den Anteil der Deutschlothringer auf 9500--10_000 Seelen, den der Welschlothringer auf 2500--3000 Seelen. St. wendet sich mit Recht gegen die Überschätzung des französischen Anteils, wie wir sie etwa in der hierin recht naiv wirkenden Monographie von Schiff über Mercydorf finden. Es ist übrigens hierbei außerdem noch zu berücksichtigen, daß die Dezimierung der Kolonisten durch Krankheit und Elend als Folge der Ereignisse von 1770/71 die Franzosen viel stärker betroffen hat als die Deutschen. |
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