§ 14. Ausgrabungen und Funde zur germanisch-römischen und frühmittelalterlichen Geschichte(W. La Baume) Die
unglückliche Bezeichnung »Vorgeschichte« drückt so recht deutlich die alte Anschauung aus, als ob
alles, was vor der Zeit liegt, aus der geschriebene Überlieferungen berichten,
nicht »Geschichte« sei. In Wirklichkeit reicht Geschichte -- im Sinne von Menschheitsgeschichte
-- zurück bis zum Beginn des Menschengeschlechtes, und das Geschehen, von dem keine schriftlichen Quellen
künden, ist Urgeschichte (oder Frühgeschichte). Dieser Teil der Geschichte muß allerdings mit besonderen
Methoden erforscht werden, nämlich mittels der Bodenforschung (Archäologie). Es bedarf an dieser Stelle keines
besonderen Hinweises darauf, daß die Geschichtsforschung ohne die Mithilfe der Bodenforschung und
urgeschichtlichen Altertumskunde auf die Lösung zahlreicher geschichtlicher Fragen verzichten müßte. In
dem Maße, wie sich die Archäologie in letzter Zeit methodisch vervollkommnet hat, ganz besonders auf dem
Gebiet der Siedelungs- und Bevölkerungsgeschichte, hat
S.190 sich von selbst eine enge Zusammenarbeit von Geschichtsforschung und Bodenforschung ergeben. Es ist daher nicht nur berechtigt, sondern notwendig, daß an dieser Stelle von jetzt an regelmäßig über Funde und Ausgrabungen berichtet wird, deren Ergebnisse wesentliche Bedeutung für die deutsche Geschichte haben. Als untere Zeitgrenze soll in diesem Bericht die Zeit um Christi Geburt angenommen werden (die vorchristliche Zeit behandelt der Abschnitt B. Ia <S. 181 ff.>).In Anbetracht des ins Ungemessene wachsenden Schrifttums über deutsche Bodenfunde und Ausgrabungen sind zusammenfassende Übersichten höchst willkommen. Goeßler <1933/34; 957> berichtet über süddeutsche Gräber- und Siedelungsforschung; Schuchhardt <1933/34; 946> über die Erforschung der nord- und ostdeutschen Burgen der vorchristlichen Zeit und des ersten Jahrtausends nach Christus. Jankuhn < 149> hat zusammengestellt, was an vorgeschichtlichen Funden aus der Gegend von Kiel bekannt ist, und Willvonseder < 159> bietet eine Übersicht über die ur- und frühgeschichtliche Forschung in Österreich im Jahre 1934. Mit den germanischen Altertümern
aus der sog. Römischen Kaiserzeit (1.--4. Jh.) beschäftigen sich mehrere Arbeiten, deren Ergebnisse
nicht nur kulturgeschichtlich wichtig, sondern auch für die germanische Stammeskunde von Bedeutung sind. Eine noch
von Kossinna <1933/34,
886> bearbeitete Karte der germanischen Funde in der frühen Kaiserzeit
hat E. Petersen als nachgelassenes Werk des verstorbenen Altmeisters veröffentlicht; sie zeigt die Verteilung des
Fundstoffes und die daraus von Kossinna gefolgerte Stammesgliederung, weist allerdings, wie der Herausgeber selbst
zugibt, Mängel auf und ist durch die neuere Forschung z. T. überholt. -- Auf der Drehscheibe gearbeitete
spätkaiserzeitliche Tonware findet sich, wie R. v. Uslar <
171> nachweist, hauptsächlich in Westfalen und am Niederrhein; ihre
Herkunft und Kulturzusammenhänge sind noch unklar. -- Auf Grund neuer Grabungen umschreibt Waller
<1933/34,
924> einen Formenkreis von Altertümern, den er den Chauken zuweist.
Danach sind die Seemarschen im Elbe-Weser-Mündungsgebiet zur älteren Kaiserzeit von Chauken besiedelt gewesen,
während die Sachsen erst nach 300 in die Marschen vordrangen. Dieses Ergebnis bedeutet eine wesentliche
Abänderung der von Plettke geäußerten Meinung über Ursprung und Verbreitung der Sachsen und bietet
Anhaltspunkte, das Wohngebiet der Chauken sicherer zu erkennen, als es mit Hilfe der unklaren Nachrichten römischer
Schriftsteller möglich ist. --Buttler (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, 11, 1935, S. 193 ff.)
erwähnt u. a. die Ausgrabung der Erdenburg bei Bensberg (15 km von Köln entfernt); es handelt sich offenbar um
eine germanische Burg, und zwar eine gut gebaute Festung aus der Zeit der Römerkriege, die aber anscheinend nie
benutzt und nie umkämpft worden ist. -- Behrens <1933/34;
891> bringt als Ergänzung zu seiner Arbeit von 1923 einen neuen
Beitrag zur Verbreitung der Wangionen, die nicht nur in Rheinhessen, sondern auch westlich davon siedelten (Karte der
germanischen Funde im Gebiet der unteren Nahe). Auch für das Vordringen der Wangionen in vorher keltisches Gebiet
hat der Verfasser Anhaltspunkte gefunden. -- Das Gräberfeld von Lampertheim am Rhein aus dem 4. Jh. ist nach
Behn <
618> dadurch bemerkenswert, daß die Tonware einerseits
Zusammenhänge mit der Prignitz aufweist, wo Semnonen saßen, anderseits aber auch starke ostgermanische
S.191 (burgundische) Einflüsse zeigt. Behn nimmt daher an, daß Angehörige der burgundischen Stammesgruppe, die im Ostteil der Mark Brandenburg jahrelang in nächster Nachbarschaft semnonischer Stämme saßen, auf ihrer Westwanderung von dorther westgermanische Einflüsse mitbrachten. Der archäologische Befund spricht deutlich für eine Burgundensiedelung und damit zugunsten der Annahme, daß das Burgundenreich tatsächlich bei Worms gelegen hat, was gelegentlich bestritten worden war <vgl. S. 187>. -- Die Ausgrabung einer burgundischen Siedelung (3./4. Jh.) bei Kliestow, unweit von Frankfurt an der Oder, durch Marschallek (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, 10, 1934, S. 210 ff.) förderte erstmalig burgundische Hausgrundrisse (im ganzen 14 Häuser) zutage. --Reinecke <1933/34; 890> behandelt an Hand der kaiserzeitlichen Germanenfunde aus dem bayrischen Anteil der Germania magna die germanische Landnahme im rechtsrheinischen Bayern und im südlichen Thüringen. Unter Heranziehung der geschichtlichen Überlieferung wird vom Verfasser versucht, den Ablauf der Bevölkerungsgeschichte für die Frühgermanenzeit zu erschließen, so daß wir eine grundlegende Darstellung nach dem heutigen Stande der Kenntnis erhalten. -- Ein neues Buch von Beninger <1933/34, 917> bietet eine dankenswerte Übersicht über die Besiedelungs- und Bevölkerungsgeschichte Nieder-Österreichs von der Zeit kurz vor Christi Geburt (Keltenzeit) bis zum Beginn des 12. Jh.'s. In den Rahmen der geschichtlichen Ereignisse werden die Bodenfunde hineingestellt, wobei viel neuer Fundstoff bekanntgegeben wird; Fundlisten, Karten und gute Abbildungen dienen der Erläuterung des Textes. -- Arbeitsergebnisse des vorgeschichtlichen Seminars in Greifswald, die Petzsch < 148> veröffentlicht, sprechen dafür, daß wahrscheinlich in der Mittel-Latène-Zeit ein westgermanischer (swebischer) Stamm, der an der Warnow ansässig war (sein Name ist noch unbekannt), nach Vorpommern einwanderte, wo er auch im 1. Jh. n. Chr. noch ansässig war; im 2. Jh. wohnten dagegen in Rügen und Vorpommern Ostgermanen, wahrscheinlich Rugier. Neue Funde aus dem Kreise Greifswald lassen vermuten, daß die Rugier bereits um 100 n. Chr. im Lande waren. --Jankuhn <1933/34, 920>, der sich ausführlich mit den kaiserzeitlichen Funden des Samlandes beschäftigt hat, betont die erheblichen Unterschiede, die in den Bodenfunden des Samlandes und des Weichselmündungsgebietes während der ersten nachchristlichen Jahrhunderte bestehen. Mit Recht schließt er hieraus, daß das Samland außerhalb des ostgermanischen Gebietes lag, wenn auch die Kultur seiner Bewohner, der preußischen Samländer, sehr stark durch die benachbarte gotische Kultur beeinflußt worden ist. -- Der ostgermanische Kreis hat in der Römischen Kaiserzeit, wie auch aus den Ausführungen von C. Engel <1933/34; 921> hervorgeht, seine Ostgrenze im westlichen Ostpreußen; östlich schlossen sich die Hauptstämme der alten Preußen an, deren Stammesgebiete in den Altertumsfunden deutlich voneinander unterscheidbar sind. Die Abgrenzung dieser altpreußischen Kulturgruppen und die der nordöstlich anschließenden Kulturkreise wird von Engel anschaulich und sorgfältig begründet dargestellt.Unter den aus der Römerzeit stammenden Denkmälern Deutschlands hat in letzter Zeit der
»Brunholdisstuhl« bei Dürckheim vielfach die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil sich dort an den
Felswänden bildliche Darstellungen befinden. Die z. T. höchst phantastischen Anschauungen über die
Bedeutung dieser Stätte hat Sprater <
654> widerlegt, indem er gleichzeitig den Tatsachenbestand
S.192 wissenschaftlich kritisch feststellte (vgl. auch: Forsch. u. Fortschritte, Jg. 11, 1935, S. 298 ff.). Am Ostrand einer vorgeschichtlichen Befestigung befindet sich ein verlassener Steinbruch, der in der Zeit vom 1. bis 4. Jh. durch römische Legionssoldaten betrieben wurde; die römischen Inschriften, die darauf hinweisen, behandelt Sprater ausführlich. Die in die Felsen gemeißelten Bilder weisen auf einen Platz von kultischer Bedeutung hin, an dem die einheimisch-germanische Bevölkerung wahrscheinlich Volksfeste im Jahreslauf veranstaltet hat. Möglicherweise hat der Platz auch der Sonnenbeobachtung gedient. Wenn aber Stoll < 654> die vorgeschichtliche Befestigung, an deren Rand der Steinbruch später in Betrieb genommen wurde und die also gar nichts mit dem Steinbruch zu tun hatte, als »astronomische« Beobachtungsstation deutet, so sind das abwegige und unwissenschaftliche Behauptungen (von der Schrift dieses Verfassers haben nur die Abbildungen Wert).Unter den Veröffentlichungen, die sich mit den römischen Altertümern auf deutschem Boden beschäftigen, ist an erster Stelle das Erscheinen weiterer Lieferungen des Limes-Werkes <1933/34, 888 und 1935, 648> zu nennen, das nunmehr seinem Abschluß entgegengeht. -- Von zwei weiteren umfangreichen Veröffentlichungen behandelt die eine den römischen Gutshof Köln-Müngersdorf <1933/34, 894>, bearbeitet von Fremersdorf u. a.; die zweite, von Laur-Belart < 658>, Lager und Vicus von Vindonissa. -- Eine Übersicht über die Bau- und Kunstdenkmäler der Römerzeit in Österreich, das die ehemaligen römischen Provinzen Rhaetia, Noricum und Pannonien umfaßt, verdanken wir Schober < 663>. In der guten Zusammenstellung von Festungen, Stadtanlagen, Heiligtümern, öffentlichen Gebäuden, Gutshöfen, Grabdenkmälern und Kunstwerken ist die Darstellung des Kunsthandwerkes zu kurz gekommen und nicht fehlerfrei. -- Einen kulturgeschichtlich sehr aufschlußreichen Beitrag lieferte Loeschcke <1933/34, 898> mit einer Abhandlung über die Denkmäler des Weinbaues aus der Zeit der Römerherrschaft an Mosel, Saar und Ruwer; sie bietet eine zusammenfassende Darstellung aller auf den Weinbau und Weinhandel bezüglichen literarischen Denkmäler und Bodenaltertümer, aus deren großer Zahl u. a. hervorgeht, daß die im Mosellande ansäßig gewesenen germanischen Treverer gewichtigen Anteil an der Kulturgeschichte des Weinbaues gehabt haben. -- Einzelne Beiträge zu dem Kapitel: Römer in Deutschland haben geliefert: Ammann-Feer < 660>, Fremersdorf < 649>, Keune < 173>, Knorr < 657>, Koethe < 650>, Laur-Belart < 161, 659>, Lonke <1933/34, 895> und Stemmermann < 656>. Die Kenntnis der germanischen
Völkerwanderungszeit (Merowingerzeit) ist in den Berichtsjahren erfreulicherweise wesentlich gefördert
worden. Das umfangreiche Buch von H. Werner <
167> ist ein großzügig angelegter und erfolgreicher Versuch, die
Chronologie der süd- und westdeutschen Reihengräber der Völkerwanderungszeit und damit die gesamte
germanische Kultur dieser Zeit auf eine festere Grundlage als bisher zu stellen, wobei der Verfasser von den
Gräbern, welche Münzen enthalten, ausgeht. Methothodisch außerordentlich wichtig ist seine Untersuchung,
inwieweit Münzen überhaupt zur Datierung herangezogen werden können. Werner kommt zu dem Ergebnis,
daß sich die Umlaufszeit der Münzen nur selten bestimmen läßt und daß daher
ausländische Münzen in einem nicht geldwirtschaftlichen Gebiet (Germanien) für die Zeitbestimmung der
Funde nur bedingten Wert
S.193 haben. Es wurden daher nicht einzelne Münzen, sondern ganze Münzgruppen zur Grundlage der Datierung genommen, dazu das sonstige Einfuhrgut in den reichen Münzgräbern. Verfasser gelangt auf diese Weise zu einer Zeiteinteilung der merowingischen Kultur, die von der früherer Bearbeiter z. T. wesentlich abweicht. Ausführliche Erörterungen gelten der Münz- und Handelsgeschichte im 6. und 7. Jh. Diese Ergebnisse und eine Fülle von sorgfältig gesammeltem und gesichtetem Fundstoff machen das Buch zu einer für die ganze germanische Kultur der Völkerwanderungszeit sehr wichtigen Veröffentlichung <vgl. S. 163>. --Alföldi < 178> liefert eine tiefschürfende stilkritische Untersuchung über eine spätrömische Helmform und weist nach, daß sich diese, von der oströmischen Hoftracht ausgehend, nicht nur weit verbreitet, sondern daß sich ein spätrömischer Gebrauchshelm nebst der ihn begleitenden Ornamentik auf das germanische MA. vererbt. Gleichzeitig wird vom Verf. dargelegt, wie sich in der Kunst der Völkerwanderungszeit orientalische, römische und nordische Elemente miteinander vermischen und gegenseitig beeinflussen. -- In weitausgreifender Untersuchung sucht Kühn < 175> die Herkunft des Greifen-Motives festzustellen, das bei den Westgermanen plötzlich im 6. Jh. erscheint, und zwar auf rechteckigen Gürtelschnallen in Durchbruchtechnik mit Greifen- und Pferdedarstellungen. K. zeigt, daß dieses Motiv (ursprünglich nicht ein Pferd, sondern ein Greif) nur bei den Byzantinern und Avaren seine Entsprechung findet. Am wahrscheinlichsten ist seine Herkunft aus dem Byzantinischen. Die ursprüngliche Heimat der Greifenidee ist aber Mesopotamien, wo sie zuerst auftaucht (um 3000 vor Christus); von hier hat sie sich durch die Vermittlung verschiedener Völker einerseits bis Westeuropa verbreitet, wo sie bis in die Romanische Zeit hinein fortlebt, anderseits bis nach China. -- Wie die Abhandlung von Mechtildes Nees < 174>, die den gesamten Fundstoff an germanischen Schnallen des Rheinlandes und Rheinhessens und deren typologische und zeitliche Einordnung untersucht, so stellt auch die Arbeit von Zeiss <1933/34, 926> über fränkischen Frauenschmuck aus dem Moselland eine der wichtigen Vorarbeiten dar, die als Grundlage für alle völker- und siedelungsgeschichtlichen Schlüsse aus Bodenfunden unerläßlich sind. -- Weitere Arbeiten beschäftigen sich mit den westgermanischen Gräbern der Merowingerzeit. Veeck < 164> berichtet über eine erneute Untersuchung des berühmten Friedhofes von Oberflacht in Württemberg, in dem sich unter besonders günstigen Bodenbedingungen erstaunlich viele Gegenstände aus vergänglichen Stoffen erhalten haben; noch 8 unversehrte Gräber und zahlreiche sehr wichtige Funde aus bereits zerstörten Gräbern konnten aufgedeckt werden. Während bei den allermeisten vorgeschichtlichen Gräbern alle organischen Stoffe völlig vergangen sind, ist in Oberflacht so vieles erhalten, daß die dortigen Kammergräber eine vollständige Vorstellung davon vermitteln, wie sich die Germanen der Völkerwanderungszeit das Leben im Jenseits gedacht haben. --Stemmermann < 166> untersuchte 4 Gräber bei Oeschelbrunn (Baden) aus dem Anfang des 7. Jh.'s; sie gehören zu einer der am weitesten nach dem Schwarzwald hin vorgeschobenen Alemannen-Siedlungen. -- Mehrere Brandbestattungen östlich von Gießen sind nach Zeiss <1933/34, 955> weder früh noch fränkisch, wie bisher angenommen, sondern Gräber des 7. Jh.'s, die den Hessen zuzuweisen sind. Die Brandbestattung ist die Sitte der alten bodenständigen Bevölkerung, während die Körperbestattung auf den im hessischen Kernland sehr seltenen GräberfeldernS.194 der Merowingerzeit auf fränkischen Einfluß zurückgeht. Die Fortdauer der Verbrennungssitte erklärt die Seltenheit der spätmerowingischen Gräber. -- Bei Gelegenheit der Beschreibung eines Reihengräberfeldes bei Passau, das nach Zeiss <1933/34, 958> einer bayerischen Siedelung der Zeit von 550 bis 700 angehört hat, bemerkt der genannte Verf., daß engere Beziehungen zu den spärlichen frühma.'lichen Gräbern in Böhmen, dem mutmaßlichen Heimatgebiet der Bayern, bisher für keines der zahlreichen Grabfelder zwischen Lech und Inn nachweisbar sind. -- Ein alemannisches Gräberfeld aus dem Thurgau wird von Keller-Tarnuzzer < 168> veröffentlicht. -- Die Eroberung und Besiedelung Englands durch festländische Germanen kann in den Einzelzügen nur durch die archäologische Forschung festgestellt werden. Zwar steht nach Roeder <1933/34, 923> fest, daß die Heimat der übergewanderten Sachsen der Regierungsbezirk Stade war; aber der Weg, den sie von dort aus genommen haben, ist erst noch festzustellen. Die Mitteilung des Verf. über neue Grabfunde in Nordwestdeutschland ist ein wertvoller Beitrag zu dieser Frage. Danach ist nunmehr erwiesen, daß ein Unterschied in der Bestattungssitte jenseits und diesseits des Kanales, wie man bisher angenommen hatte, tatsächlich nicht vorhanden ist; die Überwanderung fiel gerade in eine Zeit, in der nach langer Übung der Verbrennungssitte die Körperbestattung wieder aufkam. Daher sind die meisten Gräber im Heimatlande Urnengräber, im Koloniallande (England) aber Skelettgräber, und es gibt hier wie dort »gemischte Gräberfelder«, die bisher nur ungenügend bekannt waren. -- Daß Walther Schulz <1933/34, 941> die spätgermanischen Funde zwischen Elbe und Weichsel vom 5. bis 7. Jh. zusammengestellt hat (mit Karte), ist besonders deswegen zu begrüßen, weil der Ausklang der germanischen Kultur in der Völkerwanderungszeit noch immer ziemlich unklar ist und auf diese Weise wieder einmal darauf hingewiesen wird, daß bei der Abwanderung des größten Teiles der Germanen zwischen Elbe und Weichsel doch noch Reste dieser Bevölkerung zurückgeblieben sind. -- Zu diesen seltenen Funden gehört auch ein neuer aus dem Boden der Stadt Schwerin, den Sprockhoff <1933/34, 927> veröffentlicht hat: ein reich mit Waffen ausgestattetes Grab aus dem Anfang des 6. Jh.'s; desgleichen eine Drachenfibel des 7. Jh.'s aus dem Kreise Grimmen in Vorpommern, die Petzsch < 148> beschreibt und ihm Anlaß gibt darauf hinzuweisen, daß zu Beginn des 7. Jh.'s die Slawen die untere Oder noch nicht überschritten haben können. -- Daß in Pommern eine germanische Besiedelung noch im 6. Jh. vorhanden gewesen sein muß, betont auch Bollnow < 677>, dem wir eine Liste der spätgermanischen Funde aus Pommern (mit Karte) verdanken. Die Goldschätze dieser Zeit sind nicht, so betont Bollnow gegenüber Petzsch, bei der Einwanderung der Slawen versteckt worden, sondern diese ist erst später erfolgt; jedenfalls kann die Berührung der letzten Germanen mit den ersten Slawen nicht vor 700 stattgefunden haben (Petzsch hat inzwischen selbst seine Ansicht geändert, s. o.). -- Die eigenartige Tatsache, daß sich auf zwei westmasurischen Gräberfeldern des 6. und 7. Jh.'s zahlreiche germanische Altertümer finden, während sonst in Nordostdeutschland kein ähnliches Vorkommen nachweisbar ist, war von jeher schwer erklärbar. Werner <1933/34, 944> weist daher darauf hin, daß drei merowingerzeitliche ostpreußische Fibeln aus dem Anfang des 7. Jh.'s sicher aus Südwestdeutschland eingeführt worden sind; der Handel nach Ostpreußen sei damals über Thüringen und die Mark Brandenburg gegangen und bedingtS.195 durch den Bedarf an Bernstein. Dabei ist allerdings sehr merkwürdig, daß dieser Handel in Westmasuren und nicht im Samland seinen besonderen Niederschlag gefunden haben soll. -- Als wichtig für die germanische Geschichte der Völkerwanderungszeit sind zum Schluß dieses Abschnittes zwei Arbeiten zu erwähnen, die Funde aus einem weit außerhalb Deutschlands gelegenen Gebiet behandeln. Auf Grund der in den letzten Jahren durchgeführten planmäßigen Ausgrabungen in Spanien gibt Martínez Santa-Olalla < 163> einen Überblick über die Germanenzeit in Spanien. Sowohl geschichtlich wie archäologisch sind drei Zeitabschnitte zu unterscheiden: 1. die gotische Zeit (5. Jh.), die stark unter ostgotischem Einfluß steht, wie Kunst und Kunstgewerbe erkennen lassen; 2. die westgotische Zeit (6. Jh.); 3. die byzantinische Zeit (7. Jh.). In der oben angeführten Mitteilung über die Grundzüge einer westgotischen Archäologie auf der Pyrenäenhalbinsel werden vom Verf. die für diese Abschnitte kennzeichnenden Formen von Altertümern aufgeführt und abgebildet. -- Die zweite in diesem Zusammenhang zu nennende Veröffentlichung ist eine großzügig angelegte Arbeit von Zeiss <1933/34, 928> über die Grabfunde aus dem spanischen Westgotenreich. Der Verf., der ein hervorragender Kenner der Völkerwanderungszeit ist, stützt sich auf eine Sammlung des in spanischen, portugiesischen, deutschen und englischen Sammlungen weit zerstreutem Fundstoffes; seine genaue Beschreibung der westgotischen Gräberfunde gibt Aufschluß über Tracht, Schmuck und Bewaffnung der spanischen Westgoten des 6. und 7. Jh.'s. Wichtig für den Vergleich mit Funden aus Deutschland ist besonders das Kapitel: Die Stellung der westgotischen Funde in der germanischen Altertumskunde. Im ganzen bringt das Buch von Zeiss einen Fortschritt von außerordentlicher Bedeutung für unsere Kenntnis der germanischen Geschichte und Altertumskunde der Völkerwanderungszeit.Wenden wir uns nunmehr dem frühen Mittelalter zu, so ist
festzustellen, daß im Schrifttum der letzten beiden Jahre die Behandlung der Wikingerkultur einen
breiten Raum einnimmt. Es sind nicht nur die großen Ausgrabungen in Haithabu und Wollin, die dies bedingen;
vielmehr macht sich in steigendem Maße das Bestreben geltend, die Bedeutung der Wikinger für die Geschichte
Norddeutschlands, die offenbar bisher unterschätzt worden ist, auf Grund neuer Untersuchungen zu erfassen und
herauszuarbeiten. Für jeden, der sich mit diesem Problem beschäftigt, ist es von großem Wert, daß
P. Paulsen <1933/34,
951> den Stand der Forschung über die Kultur der Wikingerzeit in einer
recht guten Übersicht dargestellt hat. Die Beziehungen der Wikingerkultur zur vorausgehenden Zeit, stilistische
Betrachtungen zur Kunst der Völkerwanderungszeit und Wikingerzeit, südliche Einflüsse, Wikingerzüge
nach Osten und Westen, Handel und Wirtschaft, Städte im germanischen Norden, Kriegerrüstung,
Gebrauchsgerät, Tracht und Schmuck, Schatzfunde und Hacksilber, das ist im wesentlichen der Inhalt der Abhandlung
von Paulsen, der als guter Kenner der Wikingerzeit für die Erstattung eines solchen Übersichtsberichtes
besonders berufen ist. -- Eine Übersicht über die aus Nord- und Ostdeutschland bis jetzt bekannten
Wikingerfunde ermöglicht eine von E. Petersen <1933/34,
952> herausgegebene Karte, welche die Verteilung der Funde im Gebiet
östlich der Elbe, ihre Abhängigkeit vom Gelände (häufiges Auftreten nahe der Ostseeküste und an
Gewässern), und ihre Häufung an handelspolitisch wichtigen Gegenden gut erkennen läßt, jedoch in
manchen Einzelheiten
S.196 ungenau ist (auch im Text). -- Für Mecklenburg führt Asmus <1933/34, 949> einige neue Wikingerfunde an; sie stammen alle aus dem Ostteil des Landes und stehen sicher mit dem Odermündungsgebiet im Zusammenhang. -- Aus der slawischen Burg Arkona, die wiederholt im Brennpunkt der Kämpfe zwischen dänischen Wikingern und Slawen (»Wenden«) gestanden hat, waren bisher wikingische Funde nicht bekannt; Petzsch < 179> beschreibt nunmehr zwei dort gefundene Wikingerwaffen, die der Zeit um 1000 angehören. -- Dicht bei Danzig sind Reste von drei Schiffen gefunden worden, mit deren Bau sich O. Lienau <1933/34, 953> eingehend beschäftigt hat. Die Bauart dieser Boote ist so ausgesprochen nordgermanisch, daß entweder Wikinger oder an der Danziger Bucht ansässige Schiffszimmerleute skandinavischer Herkunft als Erbauer in Frage kommen. Die Abhandlung von Lienau ist nicht nur ein ausgezeichneter Beitrag zur Kenntnis des germanischen Schiffsbaues, sondern auch für die Geschichte der Schiffahrt und des Handels im frühen MA. wichtig. -- Für die Gegend um Elbing und das Gebiet der ehemaligen Provinz Westpreußen hat Langenheim <1933/34, 950> alle Funde zusammengestellt, die für die Anwesenheit von nordischen Kriegern und Kaufleuten sprechen (auch die Hacksilberfunde sind berücksichtigt). Die Häufung der Funde wikingischer Art um Elbing steht offenbar mit dem ma.'lichen Handelszentrum Truso im Zusammenhang, das wahrscheinlich auf dem Boden der Stadt Elbing gelegen hat. Die beigefügte Fundliste (mit Schrifttum) enthält Nachträge zu der obengenannten Liste von E. Petersen. -- Auf dem großen Wikingerfriedhof bei Wiskiauten unweit von Cranz im Samland wurden die in neuerer Zeit wiederaufgenommenen Ausgrabungen fortgesetzt; bei der Ausgrabung im Jahre 1934 wurde, wie Gaerte (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 11, 1935, S. 40/41) berichtet, ein Grabhügel mit mehreren Bestattungen untersucht, der in Aufbau und Anordnung der Gräber von den früher gefundenen völlig abweicht.Seit 1930 sind neue Ausgrabungen des Kieler Museums vorgeschichtlicher
Altertümer in Haithabu bei Schleswig im Gange, nachdem dieses Museum schon in früheren Jahren
wiederholt solche Grabungen dort ausgeführt hatte. H. Jankuhn, der im Auftrage von Prof. Schwantes
die Grabungen leitet, hat im Berichtsjahr mehrere Mitteilungen veröffentlicht, die eine vortreffliche
Übersicht über den Stand der Haithabu-Forschung bis Ende 1934 abgegeben. Als Einführung in die
verschiedenen, mit Haithabu verknüpften Fragen (geographische Vorbedingungen für die Lage, Handelswege und
Handelsbeziehungen, geschichtliche Tatsachen usw.) ist sehr geeignet eine kurze Mitteilung von Jankuhn,
die in der Zeitschrift »Die Heimat« (Jg. 43, H. 4, S. 81 ff.) erschienen ist. Über die wichtigsten
Ergebnisse der Ausgrabungen in den Jahren 1930--1933 berichtet Jankuhn in »Nordelbingen«,
Bd. 9, 1934, S. 341 ff. Wir erfahren Näheres über die bis dahin im Inneren der Befestigung aufgedeckten
Hausgrundrisse, Lage und Bau der Häuser, die offenbar nach einem Stadtplan angelegt worden sind, über einen
Brunnen und zwei Arten von Gräbern, von denen die Kammergräber dem 9. und 10. Jh. angehören. Die Stadt
Haithabu, so meint der Verf., kann nicht erst um 900 zur Zeit des Eindringens der schwedischen Olaf-Dynastie entstanden
sein, sondern muß schon im 9. Jh. bestanden haben. Überraschende Ergebnisse brachte die Ausgrabung des Jahres
1934, über die Jankuhn <
152> berichte (außerdem in: »Nordelbingen«, Bd. 11, 1935,
S. 45 ff.). In den feuchten Erdschichten am Ufer des Haddebyer Noores,
S.197 jenes Gewässers, das einst den Hafen der Stadt Haithabu bildete, haben sich sehr viele Gegenstände aus vergänglichen Stoffen erhalten, nicht nur Hausgerät verschiedenster Art, sondern auch Reste von Bohlwegen (Straßen), Uferbefestigungen am Bach und Reste von zwei in verschiedener Bauart errichteten Wohnhäusern: in Stabbau, der nordischer Herkunft ist, und in einer Bauart, bei der das Haus mit Flechtwerkwänden umgeben ist (westgermanisch-friesische Bauweise). Jankuhn schließt hieraus, daß in Haithabu zwei verschiedene Bevölkerungsbestandteile ansässig waren, und findet diese Anschauung bestätigt in den Unterschieden, die auch die in Haithabu gefundenen kunstgewerblichen Erzeugnisse aufweisen. Im selben Jahre wurde die Grabung auch auf die Wallanlage der Stadt ausgedehnt; ein Wallschnitt ergab, daß die »Stadtmauer« neunmal umgebaut worden ist (Erhöhung und Verstärkung), und daß von Wall 7 an eine Änderung im Baugedanken auftritt, die nach Ansicht des Verfassers auf das Vorbild der Stadtmauer in Konstantinopel zurückgeht, die den Wikingern sicherlich bekannt war. Eine Untersuchung des »Kograbens« brachte das Ergebnis, daß dies wahrscheinlich die älteste Befestigung des Dannewerkes gewesen ist. -- Ergänzungen zu den erwähnten Berichten von Jankuhn, besonders nach der geschichtlichen Seite hin, finden sich bei Frahm <1933/34, 948>, der auch die Geschichte des Dannewerkes und des Handels über die Schleswigsche Landenge mitbehandelt. -- Für die Geschichte der Stadt Haithabu ist von großer Wichtigkeit die Frage, wo die Ansgar-Kirche gelegen hat; denn diese ist mit dem Namen Schleswig untrennbar verbunden. Sind Schleswig und Haithabu ehedem identisch gewesen und ist das heutige Schleswig erst im 11. Jh. an das Nordufer der Schlei verlegt worden, so müßte die von Ansgar begründete Kirche auf dem Südufer der Schlei gelegen haben. Kamphausen < 150> ging daher der Vermutung nach, die heutige Haddebyer Kirche könne an der Stelle der alten Ansgarkirche stehen, und nahm eine Probegrabung dort vor. Die rings um die Kirche an verschiedenen Stellen durchschnittenen Schichten lieferten kein Ergebnis (Störung durch neue Grabstellen). Es wurde aber festgestellt, daß das Fundament der heutigen Kirche einheitlich durchgeführt, also die Kirche wohl um 1200 in einem Zuge erbaut worden ist. Als ein neues Moment ergab sich aber, daß das Steinfundament in eine Holzlage eingeschnitten ist, die vielleicht der Boden der älteren Kirchenanlage gewesen sein kann. Da keine Funde gemacht wurden, die für eine alte Siedelung an dieser Stelle sprechen, kann der alte Holzbau sehr wohl eine Kirche gewesen sein. -- Daß eingehende Veröffentlichungen über die Grabungen in Haithabu noch nicht vorliegen, ist leicht erklärlich; sie sind erst zu erwarten, wenn die Ausgrabungen in Haithabu weiter fortgeschritten sind und das schon jetzt vorliegende außerordentlich umfangreiche Material an Funden durchgearbeitet ist. Um so mehr ist zu begrüßen, daß Jankuhn in einer besonderen Abhandlung (»Jpek«, Jahrb. f. präh. u. ethnogr. Kunst, Bd. 9, 1934, S. 105 ff) eine vergleichende Betrachtung der in Haithabu gefundenen Schmucksachen anstellt, die sehr aufschlußreich ist. Danach hatte die Stadt lebhafte Handelsbeziehungen sowohl nach England und Irland wie nach dem Frankenreich und zum schwedischwikingischen Ostseekreis; insbesondere spielte Haithabu als Randsiedelung des nordgermanischen Kreises auf kunstgewerblichem Gebiet die Mittlerin zwischen dem fränkischen Westen und dem wikingischen Norden. Dies gilt nicht nur für den Handel (und natürlich auch allerlei sonstige Beziehungen, nicht zuletztS.198 auch geistiger Art), sondern auch insofern, als in Haithabu ein eigenes Kunstgewerbe blühte (wie zahlreiche Funde aus Werkstätten beweisen), das nach westlichen und nordischen Vorbildern arbeitete. Östliche Einflüsse sind dagegen in Haithabu bis jetzt kaum erkennbar.In Schleswig-Holstein ist 1932 noch eine zweite große Siedelungsgrabung begonnen worden, nämlich auf der Stellerburg bei Heide in Holstein. Berichte darüber liegen vor von K. Langenheim (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 10, 1934, S. 185 ff.), A. Gennrich (ebendort, Jg. 11, 1935, S. 244 ff.) und Fr. Tischler (»Dithmarschen«, Jan.-April 1935, S. 67 ff.). Es handelt sich um eine Burg, die vom Ende des 8. bis Anfang des 11. Jh.'s besiedelt war. Aufgedeckt wurde das Tor, durch das ein Bohlweg in das Innere der Umwallung führt, der Bohlweg selbst und mehrere Hausgrundrisse (ein Haus hat doppelte Flechtwände, das zweite Bohlenwände). Das Holzwerk wurde z. T. in vorzüglicher Erhaltung angetroffen. Nach Tischlers Vermutung war es eine sächsische Burg, die vielleicht als Bollwerk gegen die Wikinger gedient hat, doch ist sicheres über die geschichtliche Bedeutung der Befestigung erst nach dem Abschluß der Grabung zu erwarten. Wie Langenheim a. a. O., so hat auch Scheel < 1790> darauf hingewiesen, daß die bisherigen Grabungsergebnisse nicht nur die von Hermann Hofmeister <1932, 616> geäußerte Ansicht, die Stellerburg sei eine vorübergehend besiedelte Fluchtburg der Dithmarscher gewesen, widerlegen, sondern obendrein erweisen, daß Hofmeisters sogenannte Grabung unmethodisch und nachlässig gewesen ist. Unter den Ausgrabungen, die den
Fragen des deutschen MA. gelten, nimmt seit 1934 die archäologische Untersuchung von Alt-Wollin
unsere größte Aufmerksamkeit in Anspruch. Nachdem die Lösung des Vineta-Rätsels immer wieder
vergeblich versucht worden war -- eine sehr gute Übersicht über die Wege und Irrwege dieser Versuche gibt
jetzt R. Burkhardt: Jagd nach Vineta, Swinemünde 1935 --, erfolgte eine erneute kritische
Durcharbeitung der gesamten geschichtlichen Quellen durch Adolf Hofmeister (Greifswalder Universitätsreden 1930),
der zu dem Ergebnis gelangte: Vineta ist ein Lesefehler aus Jumneta; Jumneta oder Jumne aber ist der von den
Nordgermanen gebrauchte Name für Julin, woraus später Wollin wurde. Die verschollene (nach der Sage im Meer
versunkene) ma.'liche Stadt kann also, so war daraus zu folgern, nur in oder bei Wollin gelegen haben. Es wurde nunmehr
1934 vom Pommerschen Landesmuseum in Stettin eine planmäßige Ausgrabung in Wollin angesetzt, über deren
Ergebnisse O. Kunkel (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 10, 1934, S. 180 ff.; »Das
Bollwerk«, Jg. 5, 1934, H. 10) und W. Petzsch (Nord. Rundschau, Jg. 7, 1934, H. 3) berichtet
haben. Man fand unter dem Marktplatz in Wollin mehrere Siedlungsschichten mit Holzhäusern; die jüngste
vordeutsche Schicht enthält Reste von kleinen, spätwendischen Blockbauten und Flechtwerkbauten sowie von
Bohlwegen; darunter liegen die Ruinen einer Stadt mit Resten weiträumiger Häuser, die z. T. im nordischen
Stabbau errichtet sind, und mit Funden, die auf nordische Beziehungen hinweisen. Schon dieser Anfang der Grabungen
erwies also, daß im 10. und 11. Jh. an der Stelle, wo das heutige Wollin liegt, eine ausgedehnte
Großsiedelung bestanden hat. Es konnte ferner durch die Ausgrabungen von 1934 festgestellt werden, daß zur
Blütezeit der großen Vorgängerin Wollins am »Silberberg« eine Burg bestanden hat. Nach einem
Bericht von O. Kunkel (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit,
S.199 Jg. 11, 1935, S. 257--263) ergab die Fortsetzung der Ausgrabung am Silberberg im Jahre 1935, daß die dort gefundene Tonware dieselbe ist, die am Marktplatz aus den ältesten Schichten stammt, darunter vieles, was mit nordisch-wikingischem Fundstoff verwandt ist. Jedenfalls ist die Gleichaltrigkeit des wendischwikingerzeitlichen »Silberbergviertels« mit den Hauptschichten unter der Altstadt gesichert. Ferner wurde bei der Untersuchung des Wallrestes der Burg auf dem Silberberg ermittelt, daß der Wall, der eine Holz-Erde-Befestigung getragen hat, zweimal wiederaufgebaut worden ist. »Wer mit dem wirklichen, in der größten Stadt des Odermündungsgebietes vorauszusetzenden »archäologischen Miliö einigermaßen vertraut ist«, so sagt der Ausgrabungsleiter Kunkel a. a. O., »zweifelt erfahrungsgemäß keinen Augenblick, daß diese Voraussetzungen kulturlicher Art schon in den bisherigen Wolliner Befunden durchaus erfüllt sind. Und wer befugt ist, als Kenner der geschichtlichen Überlieferung und der historischen Möglichkeiten im Odermündungsgebiet für die Gleichung Jumne »Vineta« = Jomsburg = Julin-Wollin einzutreten, dürfte gerade durch die neuesten Silberberguntersuchungen ... sehr wesentliche neue Gesichtspunkte für seine Ansicht und nicht zuletzt auch erfreulich sichere Ausblicke auf künftige Ergänzungsaufschlüsse gewonnen haben«. --Für alle Untersuchungen, die sich mit ma.'lichen Bodenfunden beschäftigen, ist die Tonware von besonderer Bedeutung nicht nur, weil sie sehr häufig ist, sondern auch wegen ihrer Bodenständigkeit (mit wenigen Ausnahmen). Daher sind zwei Arbeiten zu begrüßen, welche die ma.'liche Tonware behandeln. Tongefäße des frühen M.'s mit Verzierung durch Wellenlinien und mit Bodenzeichen, die in der slawischen Kultur häufig sind, finden sich nach B. von Richthofen <1933/34, 942> aber auch außerhalb des slawischen Gebietes dieser Zeit. Solche Vorkommen sind z. T. älter als die slawische Tonware des frühen MA.'s. Ihre Abhängigkeit von einem slawischen Kultureinfluß, die von manchen polnischen Forschern behauptet wird, ist nicht erweisbar. Diese Feststellung ist also für die völkergeschichtlichen Fragen des MA.'s bedeutsam. Erich < 170> veröffentlicht zwei Fundkarten zur frühdeutschen Keramik des MA.'s. Nach Ansicht des Genannten stammen die sog. Bombentöpfe ursprünglich aus Niedersachsen; nach Osten zu haben sie sich in der Kolonisationszeit nur bis in die Odergegend ausgebreitet. Tonware mit Verzierung in Rädchentechnik, ursprünglich fränkischer Herkunft, ist dagegen bis Ostpreußen und Oberschlesien gelangt. In der Verbreitung der aus der Zeit der ostdeutschen Kolonisation stammenden Tonware sind also zwei verschiedene Ausbreitungswege erkennbar. Die Mehrzahl der Ausgrabungen, die im Berichtsjahr an
frühma.'lichen Fundstellen unternommen wurden, diente der Untersuchung von Siedlungsstätten geschichtlicher
Bedeutung. Die Kaiserpfalz Werla, über deren Untersuchung Brandi <
153> Bericht erstattet, war in der sächsischen Kaiserzeit nicht nur
ein Stütz- und Mittelpunkt der Reichsregierung, außerdem häufig auch Aufenthaltsort der Könige und
Kaiser, sondern längere Zeit auch eine Art Versammlungsplatz des sächsischen Stammes. Brandi weist darauf hin,
daß hier die Möglichkeit vorhanden ist, zum ersten Male festzustellen, wie ein altsächsischer Herrenhof
ausgesehen hat, und legt den vorläufigen Ausgrabungsbericht von Karl Becker vor, wonach im Inneren einer sehr
ausgedehnten Ringmauer ein Palast mit einer Kapelle gelegen hat. -- Die Untersuchung der Kapelle auf
S.200 dem Büraberge durch Vonderau <1933/34, 956> ergab, daß diese zu keiner Zeit eine andere Grundrißform gehabt hat als die heutige Kapelle, deren Anfänge bis ins 8. Jh. zurückgehen (Büraberg war eins der von Bonifatius begründeten Bistümer). Bei der Ausgrabung konnten weitere Feststellungen zur Baugeschichte der Kapelle und der Kastellmauer, deren Verlauf ermittelt wurde, gemacht werden. Ferner wurden Reste von Wohnbauten (Pfosten- und Steinbauten) im Inneren des Kastells aufgedeckt. Verf. behandelt auch die Kleinfunde ausführlich, aus denen u. a. hervorgeht, daß der Beginn der fränkischen Besitznahme des Büraberges ungefähr in das 6. Jh. anzusetzen ist. -- W. Frenzel <1933/34, 954> verdanken wir die Grundzüge einer Frühgeschichte von Bautzen, in der erfreulicherweise zur Ergänzung der vorwiegend geschichtlichen Darstellung auch die aus dem Boden der Stadt stammenden Funde, so besonders aus der alten Burg, ferner Silber- und Münzfunde herangezogen werden. -- Der Burgwall von Alt-Gaarz in Mecklenburg ist nach Beltz (Nachr.- Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 11, 1935, S. 107) die einzige frühma.'liche Befestigung außer Arkona, die unmittelbar an der Ostsee gelegen ist. Beltz nimmt an, diese Burg könnte vielleicht das Emporium sein, von dem Einhard sagt, es werde in dänischer Sprache Rerik genannt (zerstört durch den Dänenkönig Göttrick 808); Rerik aber war die Vorläuferin von Haithabu. Die Ausgrabung in Alt-Gaarz unter Leitung von Beltz ergab, daß der noch erhaltene Wallrest (die Burg wurde 1872 größtenteils durch eine Sturmflut weggerissen) zwei Bauzeiten aufweist; aus Mangel an Einschlüssen konnte aber die Zeit, aus der der Wall stammt, nicht bestimmt werden. Nach dem Haff zu hat eine ausgedehnte Siedlung gelegen, in der u. a. ein Hausgrundriß und zahlreiche Kleinfunde der älteren und jüngeren wendischen Zeit festgestellt wurden. -- Die Burg auf dem Schloßberg bei Gützkow war als Kultplatz wie als Residenz eines Kastellanes der religiöse und politische Mittelpunkt der Landschaft um die mittlere Peene. Eine von Wilde ausgeführte Grabung, über die Petzsch < 179> berichtet, förderte Reste einer slawischen Siedelung zutage, die mehrfach nach Zerstörung durch Brand wieder aufgebaut worden ist; dazu den Unterbau eines rechteckigen Hauses und zahlreiche Kleinfunde von z. T. erheblicher kulturgeschichtlicher Bedeutung, alles aus spätwendischer Zeit. -- In der Gegend von Danzig wurde zum ersten Male ein frühma.'licher Burgwall planmäßig ausgegraben. Nach dem Bericht von W. La Baume (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 10, 1934, S. 161 ff.), der mit Langenheim zusammen die Grabung ausgeführt hat, sind im Wallschnitt drei Bauzeiten erkennbar; in Wall II wurden Reste der verbrannten Holz-Erde-Mauer und ein Tor aufgedeckt. Die Tonscherben und sonstigen Einschlüsse stammen aus der Zeit des 9. und 10. Jh.'s. Da spätwendische Reste nicht gefunden wurden, ist anzunehmen, daß die Burg um 1000 verlassen worden ist (geschichtliche Nachrichten von dieser Burg sind nicht bekannt). Im Anschluß an diese Berichte über Siedlungsgrabungen mag eine Abhandlung von Vasmer <1933/34, 945> erwähnt werden, die sich mit der Erklärung von Ortsnamen beschäftigt, soweit sie auf slawische Burgen zurückgehen. Der Verf. nimmt gleichzeitig Stellung gegen die Versuche, die Namen Schleswig und Schlei aus dem Slawischen zu deuten. Zur ma.'lichen Siedelungsgeschichte hat Gandert <1933/34, 947> einen wertvollen Beitrag geliefert. Auf Grund des in Orts- und Flurnamen enthaltenen älteren Sprachgutes hatte Mücke 1904 geäußert, die Sprachgrenze zwischen Ober- und NiedersorbischS.201 verlaufe auf der fast geraden Linie von Sagan nach Belgern a. d. Elbe, die sich annähernd mit der heutigen Grenze zwischen Ober- und Niederlausitz deckt. Gandert vergleicht damit die Verbreitung der frühma.'lichen slawischen Funde und stellt fest, daß ein etwa 50 km breites Waldgebiet, das sich von Westen nach Osten erstreckt und durch das die obengenannte Grenze hindurchgeht, damals anscheinend ohne Besiedelung war. Die durch slawische Burgen gekennzeichnete Grenze verläuft nördlich und südlich der Waldzone. Das Waldgebiet der lausitzisch-niederschlesischen Heide ist also damals als siedlungsfeindlich von den Slawen gemieden worden (mit wenigen Ausnahmen). -- Eine erste zusammenfassende Darstellung der frühma.'lichen Kultur von »Pommeranien«, d. h. des Gebietes zwischen der unteren Oder und der unteren Weichsel, auf Grund von Ausgrabungen und Bodenfunden hat Łęga i. J. 1930 in polnischer Sprache veröffentlicht; davon hat Lorentz <1933/34, 943> eine deutsche Übersetzung (im Auszug) geliefert, die der Übersetzer zusammen mit W. La Baume kommentiert hat. Das umfangreiche Material an frühma.'lichen Altertümern aus Ostpommern und Pommerellen, das von Łęga sorgfältig gesammelt und verarbeitet wurde, hat der Verf. auch für die Bevölkerungsgeschichte auszuwerten versucht. Insoweit die Ausführungen des Verf. sich auf die Formenkunde, Zeitbestimmung und kulturgeschichtliche Bedeutung beziehen, sind sie -- mit gewissen Einschränkungen -- anzuerkennen. Gegen die von Łęga versuchte völkische Deutung des archäologischen Befundes muß aber entschiedener Widerspruch erhoben werden. Denn hier wird der Versuch gemacht, die slawische Kultur der Zeit vom 9. bis 12. Jh. an die älteren vorgeschichtlichen Kulturen anzuschließen, um so die Behauptung von Kostrzewski zu stützen, Ostdeutschland sei schon zur Zeit der »Lausitzer Kultur« der Bronzezeit slawisch besiedelt gewesen und die Ostgermanen seien nur als »Eindringlinge« vorübergehend anwesend gewesen. Łęga geht dabei über die unbeweisbaren Behauptungen seines Lehrers Kostrzewski weit hinaus. Um die in der Zeit des 7. und 8. Jh.'s in Pommeranien vorhandene Fundlücke, die durch die Abwanderung der Ostgermanen bedingt ist, zu überbrücken, nimmt er die zweifellos germanischen Funde der späten Völkerwanderungszeit einfach als slawisch in Anspruch, ja er versucht sogar, landschaftlich verschiedene Entwicklungen aufzustellen, welche die slawische Kultur des hohen MA.'s an die römerzeitliche und vorchristliche Kultur bis zur Bronzezeit rückwärts anknüpfen sollen, wobei obendrein kein Unterschied zwischen der bronzezeitlich-germanischen Kultur des Küstengebietes und der lausitzisch-illyrischen Kultur des Binnenlandes gemacht wird. Abgesehen von diesen offensichtlich durch tendenziöse Einstellung bedingten Entgleisungen ist die Arbeit als Zusammenfassung des umfangreichen und weit zerstreuten Fundstoffes wertvoll. -- Für die frühgeschichtliche Besiedelung der eben genannten Landschaft Pommerellen ist die kürzlich erfolgte Entdeckung eines ausgedehnten Friedhofes von Bedeutung, der in der Nähe der Orte Mariensee und Oberhölle bei Danzig liegt und aus rechteckigen Hügelgräbern mit Steinsetzung besteht. Durch W. La Baume (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 11, 1935, S. 56) und K. Kersten sind dort mehr als 600 Gräber der genannten Art planmäßig aufgemessen worden. Da eine entsprechend große Siedlung des frühen MA.'s aus der Nähe des Friedhofes nicht bekannt ist, ist es wahrscheinlich, daß die Pommeranen (Vorfahren der Kaschuben) ihre Toten hier und da auf Sammelfriedhöfen bestattet haben.S.202 Der Bericht über Ausgrabungen und Funde zur deutschen Geschichte soll nicht geschlossen werden, ohne die Ausgrabung zu erwähnen, die 1934 bei den Externsteinen bei Lippe unter Leitung von Andree stattgefunden hat (Nachr.-Bl. f. deutsche Vorzeit, Jg. 11, 1935, S. 13 ff.). Die Grabung fand zu dem Zwecke statt, die Frage, ob sich bei den Externsteinen eine germanische Kultstätte befunden hat, zu klären. Es wurde 1934 nur in der Nähe der Felsen I--III gegraben (im ganzen sind dort 13 hochaufragende Felsen vorhanden). Im Erdreich, das die Felsen umgibt, sind 9 verschiedene Schichten unterscheidbar. Nach Andree ist der Sandsteinschutt der dritten Schicht als Abraum zu deuten, der bei der Ausarbeitung der in den Felsen vorhandenen Räume entstand; die erste Anlage der Räume in den Felsen geht danach in heidnisch-germanische Zeit zurück (in welche Zeit, konnte nicht festgestellt werden). Am Ostfuß des Felsens I stand ein »in vorgeschichtlicher Zeit« errichteter »Steintisch« (davor lagen heidnische Bestattungen in Baumsärgen). An der Nordostseite des Felsens I hat an der Wende des 8. bis 9. Jh.'s eine starke Zerstörung stattgefunden, zur gleichen Zeit eine Zerstörung des Steintisches (Sachsenkriege). Nach Andree waren die Externsteine in heidnisch-germanischer Zeit eine germanische Kultstätte, da die Räume in den Felsen nicht als Wohnstätte angesehen werden können. |
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